Prof. Dr. Martin Henssler, Dr. David Markworth
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Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Ebenso wie das allg. Sonderprüfungsrecht des § 142 Abs. 2 AktG kann auch das Antragsrecht gemäß § 315 Satz 2 AktG missbräuchlich ausgeübt werden (vgl. KonzernR (2022), § 315 AktG, Rn. 13). Fälle dieser Art werden wegen des erforderlichen Quorums auch nach dessen Absenkung seltener vorkommen als die vergleichbaren missbräuchlichen Anfechtungsklagen (vgl. zu ihnen ausführlich Hüffer-AktG (2022), § 245, Rn. 22ff.; AktG-GroßKomm. (2013), § 245, Rn. 47ff.). Zur Bewältigung eines Missbrauchs der Sonderprüfung liegt es nahe, den bereits bei den Anfechtungsklagen erprobten Gedanken des Rechtsmissbrauchs zu entfalten und einzelne Fallgestaltungen zu identifizieren, bei denen dem Antragsrecht des § 315 Satz 2 AktG immanente Rechtsausübungsschranken entgegengestellt werden. Im konkretisierenden Zugriff wird man mindestens vier verschiedene Konstellationen unterscheiden können:
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Ein Missbrauch kommt zunächst in Betracht, wenn es um die Schaffung von Sondervorteilen geht, die aus einem "Lästigkeitswert" heraus aufgebaut werden sollen (vgl. OLG München, Beschluss vom 06.07.2021, 31 Wx 236/21, NZG 2021, S. 1403 (Rn. 5), sowie zu § 142 Abs. 2 AktG OLG Celle, Beschluss vom 08.11.2017, NZG 2017, S. 1381ff. (Rn. 28); BeckOGK-AktG (2022), § 315, Rn. 8; KonzernR (2022), § 315 AktG, Rn. 13; HdR-E, AktG § 315, Rn. 12): Ihnen ist mit dem auch anderwärts bewährten Verbot des individuellen Rechtsmissbrauchs beizukommen (vgl. Hirte, ZIP 1988, S. 953 (955), unter Bezugnahme auf die missbräuchlichen Anfechtungsklagen). Auch eine grob eigennützige, illoyale Rechtsausübung ist rechtsmissbräuchlich, etwa wenn dadurch die Gesellschaft zu nicht im Gesellschaftsinteresse liegenden Maßnahmen gezwungen wird, wenn die Sonderprüfung allein wegen des Informationsinteresses eines Wettbewerbers erstrebt wird oder die behauptete Pflichtverletzung ohnehin aus sonstigen rechtlichen oder tatsächlichen Gründen folgenlos bleibt (vgl. OLG München, Beschluss vom 06.07.2021, 31 Wx 236/21, NZG 2021, S. 1403 (Rn. 5)). Hierher gehört der Fall einer Sonderprüfung, die den Aktionären keinerlei neue Perspektiven eröffnen kann. Die Sonderprüfung ist nicht "enquête pour l’enquête" (Casutt (1991), S. 41); sie muss dem Antragsteller die Beurteilung von Chancen oder die Ausübung von Rechten ermöglichen, zu deren Wahrnehmung er sonst nicht in der Lage wäre (vgl. in diese Richtung auch OLG München, Beschluss vom 25.03.2010, 31 Wx 144/09, ZIP 2010, S. 1127 (1129); Hüffer-AktG (2022), § 142, Rn. 8; KK-AktG (2014), § 142, Rn. 312f.). Demnach ist ein Antrag insbesondere nicht deshalb als rechtsmissbräuchlich anzusehen, weil die Sonderprüfung (auch) dazu benutzt wird, die Verfolgung eigener Schadensersatzansprüche vorzubereiten. Denn sie soll die Durchsetzung der Ansprüche nach den §§ 317f. AktG gerade erleichtern. Es ist nicht zu beanstanden, wenn die Aktionäre mittelbar an der im Interesse der Gesellschaft liegenden Aufklärung einer behaupteten pflichtwidrigen Nachteilszufügung in Form der Vorbereitung eigener Ansprüche partizipieren wollen (vgl. OLG München, Beschluss vom 06.07.2021, 31 Wx 236/21, NZG 2021, S. 1403 (Rn. 6), sowie zu § 142 Abs. 2 AktG OLG Celle, Beschluss vom 08.11.2017, NZG 2017, S. 1381ff. (Rn. 28)). Wie bereits erwähnt (vgl. HdR-E, AktG § 315, Rn. 11) führt die Verjährung etwaiger Schadensersatzansprüche aus den §§ 317f. AktG allerdings nicht unweigerlich zum Verlust des Antragsrechts. Eine weitere Konstellation des Rechtsmissbrauchs liegt vor, wenn die Aktionäre mit ihrem Antrag weder Gesellschaftsinteressen noch mitgliedsimmanente Eigeninteressen verfolgen. Beispiele für eine in illoyaler Weise ausschließlich privaten Belangen dienende Sonderprüfung bilden Anträge, die allein den persönlichen Verhältnissen von Organpersonen gelten oder offensichtlichen Informationsinteressen von beteiligten Wettbewerbern dienen (vgl. OLG München, Beschluss vom 06.07.2021, 31 Wx 236/21, NZG 2021, S. 1403 (Rn. 5); OLG München, Beschluss vom 25.03.2010, 31 Wx 144/09, ZIP 2010, S. 1127 (1129); BeckOGK-AktG (2022), § 142, Rn. 213ff.; KK-AktG (2014), § 142, Rn. 310).
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Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Schließlich wird man den erforderlichen Funktionsbezug verneinen müssen, wenn eine Sonderprüfung über offen zutage liegende Sachverhalte erstrebt wird: § 315 Satz 2 AktG setzt voraus, dass die Geschäftsvorgänge, deren Abklärung beantragt wird, tatsächlich noch im Dunkeln liegen (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 05.01.2012, 2 W 95/11, ZIP 2012, S. 672 (673f.); KK-AktG (2014), § 142, Rn. 313; ebenso für das schweizerische Recht BG, Entscheid vom 10.06.1997, BGE 123 III, S. 261 (266)). Zwar bleibt es grds. Sache der betroffenen Aktionäre, ob sie sich mit den erteilten Auskünften der Verwaltung zufrieden geben wollen. Für eine Sonderprüfung zu Fragen, die durch Informationen der Verwaltung oder auf sonstige Weise bereits zweifelsfrei geklärt sind, fehlt es aber an dem erforderlichen Informationsbedürfnis (vgl. zu ähnlichen ...