Prof. Dr. Dr. h.c. Jörg Baetge, Dr. Boris Hippel
Rn. 42
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
§ 264 Abs. 2 Satz 1 verlangt, dass der JA unter Beachtung der GoB ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild von der Lage des UN gibt. Hierdurch wird klargestellt, dass die Generalnorm des § 264 Abs. 2 nicht an die Stelle des § 243 Abs. 1 tritt, der von allen Kaufleuten verlangt, dass die GoB beachtet werden. § 264 Abs. 2 gilt nicht anstelle, sondern parallel zu § 243 Abs. 1. Die Formulierung des § 264 Abs. 2 zeigt, dass auch unter Bezug auf die Generalnorm nicht gegen die GoB verstoßen werden darf. Ohne die Forderung in § 264 nach Beachtung der GoB hätte man die Generalnorm so auslegen können bzw. müssen, dass in Zweifelsfällen die Vermittlung des den tatsächlichen Verhältnissen entsprechenden Bilds von der Lage des UN als lex specialis für KapG gegenüber der Forderung nach Beachtung der GoB in der allg., für alle Kaufleute geltenden Vorschrift des § 243 vorrangig wäre.
Die Forderung nach einem den tatsächlichen Verhältnissen entsprechenden Bild wird somit durch den Hinweis auf die Beachtung der GoB relativiert. Der JA braucht nicht absolut "true and fair" zu sein, denn die GoB sind ebenso wie die gesetzlichen Einzelvorschriften bei der Erstellung des JA auf jeden Fall zu beachten, d. h. auch dann, wenn das tatsächliche Bild durch Anwendung normierender GoB, z. B. des AHK-Prinzips, subjektiv verschlechtert wird (vgl. Funk (1985), S. 161f.; Schruff, WPg 1986, S. 181 (183)). Der Anwendungsbereich der Generalnorm wird durch den Hinweis auf die Beachtung der GoB eingeschränkt. Allerdings sind u. U. Erläuterungen im Anhang bzw. von Kleinst-KapG unter der Bilanz nach § 264 Abs. 2 Satz 2 bzw. Satz 4 erforderlich, wenn ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild von der Lage des UN durch Bilanz, GuV und die gesetzlich vorgeschriebenen Einzelangaben im Anhang nicht vermittelt wird (vgl. HdR-E, HGB § 264, Rn. 47ff.).