Dr. Matthias Heiden, Dr. Christian F. Bosse
Rn. 40
Stand: EL 42 – ET: 05/2024
Auf die dargestellte zwingende Verpflichtung zur Einhaltung der Buchführungspflicht für den Vorstand wird ebenso erneut hingewiesen (vgl. HdR-E, AktG § 91, Rn. 24) wie auf die verbleibende Verantwortung des Vorstands im Delegationsfall. Strafrechtlich bleibt der gesetzlich zur Buchführung Verpflichtete verantwortlich, wenn eine Delegation vorgenommen wird.
Rn. 41
Stand: EL 42 – ET: 05/2024
Verletzt der Vorstand seine im Innenverhältnis gegenüber der Gesellschaft übernommene Sorgepflicht, ist zunächst eine mögliche Schadensersatzpflicht nach § 93 Abs. 2 AktG zu prüfen. Hierzu hat die Gesellschaft darzulegen, dass ihr durch das Fehlverhalten des in Anspruch genommenen Vorstandsmitglieds ein Vermögensschaden entstanden ist (vgl. BGH, Urteil vom 09.05.1974, II ZR 50/72, AG 1974, S. 388f.; BGH, Urteil vom 08.07.1985, II ZR 198/84, DB 1985, S. 2291f.; fernerhin ThürOLG, Urteil vom 01.09.1998, 5 U 1816/97, NZG 1998, S. 121 (123)). Diese Kausalität ist zwingend erforderlich und von einem pflichtwidrigen oder strafrechtlich relevanten Verhalten Dritter außerhalb der Buchführung zu unterscheiden. Die Beweislast, dass die Sorgfaltspflicht eines ordentlichen Geschäftsleiters angewendet wurde, trägt der Beschuldigte, der nachweisen muss, dass die verantwortlichen Mitarbeiter anforderungsgemäß ausgewählt und ordnungsgemäß überwacht wurden (vgl. ADS (1997), § 91 AktG, Rn. 16). Verfügt der für die Buchführung verantwortliche Vorstand über ausreichende Buchführungskenntnisse, kann gegen die weiteren Vorstandsmitglieder kein Schadensersatzanspruch geltend gemacht werden, wenn die ihnen zur Last gelegten Buchführungsmängel nicht aus dem Bericht des AP oder aus internen Kontrollberichten hervorgingen. "Der Schaden der Gesellschaft wird meist darin liegen, daß infolge unzutreffender Gewinnermittlung zuviel Steuern bezahlt oder fälschlich Gewinn ausgeschüttet wurde. Abgesehen von dem möglicherweise eintretenden Zinsverlust mögen die entsprechenden Beträge selbst nicht mehr zurückholbar sein, wofür der Vorstand dann einzustehen hat" (Thümmel (1998), Rn. 110).
Rn. 42
Stand: EL 42 – ET: 05/2024
In der Außenverpflichtung haftet der Vorstand Gesellschaftsgläubigern oder Anteilseignern allenfalls nach § 826 BGB (Sittenwidrigkeit), nicht jedoch nach § 823 BGB ((Schadensersatzpflicht); vgl. auch BGH, Urteil vom 10.07.1964, I b ZR 208/62, DB 1964, S. 1585; Medicus, GmbHR 1993, S. 533ff.). Eine Haftung nach § 826 BGB kann bspw. begründet werden, wenn
- das mit der Buchführung betraute Vorstandsmitglied Aktionären oder Gläubigern der AG durch eine unterlassene oder nicht ordnungsgemäße Aufstellung der Bilanz oder durch eine unsorgfältige Abfassung des Lageberichts einen Schaden zufügt (vgl. Müller (1991), § 33 GenG, Rn. 53c), oder
- der JA einem Gesellschaftsgläubiger aus konkretem Anlass gezielt ausgehändigt wird und dieser aufbauend auf dem überreichten Zahlenwerk Vermögensdispositionen trifft, aus denen ihm nachträglich ob fehlerhafter JA-Angaben ein Schaden entsteht (vgl. Scholz-GmbHG (2021), § 41, Rn. 25).
Rn. 43
Stand: EL 42 – ET: 05/2024
§ 91 Abs. 1 AktG ist jedoch kein Schutzgesetz individueller Dritter i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB (vgl. RG, Urteil vom 04.02.1910, II 255/09, RGZ 23, S. 30ff.; LG Bonn, Urteil vom 15.05.2001, 11 O 181/00, AG 2001, S. 484). Vor dem Hintergrund des intendierten ungezielten Schutzes sämtlicher Gesellschaftsgläubiger können die Vorschriften zur Buchführung, Bilanzierung und Publizität nicht als Schutzbestimmungen individueller Gläubiger betrachtet werden (vgl. Lutter/Hommelhoff (2023), § 41 GmbHG, Rn. 4; Scholz-GmbHG (2021), § 41, Rn. 26ff.).
Rn. 44
Stand: EL 42 – ET: 05/2024
Mit Blick auf eine mögliche zivilrechtliche Haftung des Vorstands wurde in der Kommentarliteratur auch auf die Möglichkeit hingewiesen, dass eine Verletzung der Buchführungspflicht einen gleichzeitigen Verstoß gegen § 93 Abs. 3 Nr. 5f. AktG ((a. F.); vgl. im Übrigen HdR-E, AktG § 93, Rn. 61f.) bedeuten könnte und somit für Gläubiger der AG eine Schadensersatzpflicht zu begründen vermag (vgl. etwa MünchKomm. AktG (1974), § 91, Rn. 4; AktG-GroßKomm. (1973), § 91, Rn. 3). Um als Gesamtschuldner zu haften (vgl. § 93 Abs. 2 AktG), müssen die Vorstandsmitglieder schuldhaft, z. B. durch eine Verletzung ihrer Sorgepflicht, gegen die Vorschrift des § 91 Abs. 1 AktG verstoßen haben. Ein derartiger Verstoß ist unter dem Blickpunkt der Beweislast nachzuweisen. Einzelne Vorstandsmitglieder müssen demgegenüber entlastend belegen, dass
- ihnen die Entscheidung für die in Frage gestellte Buchführungsentscheidung auf Basis einer vorgenommenen Geschäftsverteilung nicht oblag,
- sie sich bei der Entscheidung auf einen sorgfältig ausgewählten Sachbearbeiter verlassen konnten,
- eine sorgfältige Überwachung der ausgewählten technischen Hilfskräfte erfolgte, und
- ordnungsmäßige Prüfungshandlungen sachverständiger Dritter den Fehler nicht ermittelt hatten.
Rn. 45
Stand: EL 42 – ET: 05/2024
Aus dem Nachweis eines objektiven Buchungsfehlers kann ...