Prof. Dr. Martin Henssler, Dr. David Markworth
Rn. 36
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Ob ein Rechtsgeschäft oder eine sonstige Maßnahme nachteilig ist, beurteilt sich nach den Umständen im Zeitpunkt der Vornahme (vgl. BGH, Urteil vom 01.12.2008, II ZR 102/07, BGHZ 179, S. 71ff. (Rn. 13); BGH, Urteil vom 03.03.2008, II ZR 124/06, NJW 2008, S. 1583; OLG Köln, Urteil vom 27.04.2006, 18 U 90/05, NZG 2006, S. 547; Emmerich/Habersack (2020), § 25, Rn. 18; Hüffer-AktG (2022), § 311, Rn. 26; KK-AktG (2004), § 311, Rn. 39; HB-GesR (2020/IV), § 70, Rn. 83; Henssler/Strohn (2021), § 311 AktG, Rn. 18). Das lässt sich bereits im Wege systematischer Auslegung dem vorgeschriebenen Inhalt der Schlusserklärung gemäß § 312 Abs. 3 Satz 1 AktG und dem Prüfungsauftrag des § 313 Abs. 1 Satz 2 AktG entnehmen, die beide auf den Stichtag der Geschäftsvornahme abstellen. V.a. aber gebietet eine folgerichtige Entfaltung des Nachteilsbegriffs als Sorgfaltsverstoß (vgl. HdR-E, AktG § 311, Rn. 33), dass unvorhersehbare nachträgliche Entwicklungen außer Betracht zu bleiben haben: Auch ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter einer unabhängigen Gesellschaft kann nur diejenigen Informationen verwerten, die zum Zeitpunkt der Entscheidungsfindung verfügbar sind (vgl. KonzernR (2022), § 311 AktG, Rn. 44; KK-AktG (2004), § 311, Rn. 39; BeckOGK-AktG (2022), § 311, Rn. 90). Allerdings darf er sich entgegen dem missverständlichen Wortlaut des § 312 Abs. 3 Satz 1 AktG nicht mit seinem tatsächlichen Wissensstand zufrieden geben; vielmehr trifft ihn regelmäßig auch eine Informationsbeschaffungspflicht, deren Intensität von Fall zu Fall variiert (vgl. KK-AktG (2004), § 311, Rn. 40).
Rn. 37
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Aus der zeitlichen Fixierung des Nachteilsbegriffs ergeben sich für die Rechtsanwendung Folgerungen in zweierlei Richtung: Nachträglich eingetretene Entwicklungen, die zum Zeitpunkt der Geschäftsvornahme selbst bei sorgfältiger Sachverhaltsaufklärung nicht erkennbar waren, begründen keinen Nachteil i. S. d. § 311 AktG (vgl. Hüffer-AktG (2022), § 311, Rn. 26; Emmerich/Habersack (2020), § 25, Rn. 18; Habersack, ZIP 2006, S. 1327 (1330f.)). Umgekehrt ist ein unerwartet günstiger Verlauf der Dinge nicht geeignet, den einmal eingetretenen Nachteil hinfällig werden zu lassen (vgl. Hüffer-AktG (2022), § 311, Rn. 26; KonzernR (2022), § 311 AktG, Rn. 44; Habersack, ZIP 2006, S. 1327 (1330f.); a. A. MünchKomm. AktG (2020), § 311, Rn. 175ff., wonach bei "günstigen" oder "ungünstigen" Entwicklungen ausschließlich auf allg. schadensdogmatische Regeln abgestellt wird). Die nämlichen Grundsätze gelten für die Feststellung des Nachteilsumfangs (vgl. ADS (1997), § 311 AktG, Rn. 43), wobei in der Praxis v.a. bei langfristigen Verträgen beträchtliche Beurteilungsschwierigkeiten auftreten können.