Prof. Dr. Peter Oser, Dipl.-Ök. Jochen Holzwarth
Rn. 434
Stand: EL 33 – ET: 09/2021
Die Angaben über die Gesamtbezüge der aktiven und der früheren Organmitglieder nicht-börsennotierter Gesellschaften "können [...] unterbleiben, wenn sich anhand dieser Angaben die Bezüge eines Mitglieds dieser Organe feststellen lassen" (§ 286 Abs. 4). Mit § 286 Abs. 4 wurde das Mitgliedstaatenwahlrecht des Art. 43 Abs. 3 der 4. EG-R i. d. F. der sog. Mittelstands-R 90/604/EWG (derweil: Art. 17 Abs. 1 lit. d) Unterabs. 2 der Bilanz-R) in nationales Recht umgesetzt (vgl. kritisch dazu Pfitzer/Wirth, DB 1994, S. 1937 (1938f.)). Für die Gesamtbezüge von Organen eines MU besteht eine entsprechende Angabepflicht im Konzernanhang (§ 314 Abs. 1 Nr. 6 lit. a) und b)). Für diese Angabe gilt § 286 Abs. 4 entsprechend (vgl. § 314 Abs. 3 Satz 2).
Rn. 435
Stand: EL 33 – ET: 09/2021
Zweck der Ausnahmeregelung ist der Schutz der persönlichen Daten von Organmitgliedern gegenüber der interessierten Öffentlichkeit (vgl. Niessen, WPg 1991, S. 199). Dagegen erfasst § 286 Abs. 4 nicht den Schutz eines Organmitglieds gegenüber anderen Organmitgliedern. Organmitglieder sind Insider. Als Vorstandsmitglieder bzw. Mitglieder der Geschäftsführung tragen sie insgesamt die Verantwortung für die Aufstellung des JA, somit auch für die Angabe nach § 285 Nr. 9 und ggf. deren Unterlassung.
Rn. 436
Stand: EL 33 – ET: 09/2021
Grds. ist die Ausnahmeregelung des § 286 Abs. 4 zu § 285 Nr. 9 lit. a) und b) restriktiv auszulegen; über konkrete Auslegungs- ebenso wie Anwendungsfragen bestehen indes (teils erhebliche) Meinungsunterschiede.
a) Bundesministerium der Justiz (BMJ)
Rn. 437
Stand: EL 33 – ET: 09/2021
Das BMJ (derweil: BMJV) vertritt (vgl. Schreiben vom 06.03.1995, III A 3–3507/1–13 (D) – 1 II – 32–2014/94, DB 1995, S. 639) die Auffassung, dass eine Angabe der Gesamtbezüge unterbleiben kann, wenn die Größenordnung der Bezüge eines Organmitglieds dadurch festgestellt werden kann, dass der "Betrag der Gesamtbezüge durch die Zahl der Organmitglieder geteilt wird, wobei u. U. ein üblicher Zuschlag für den Vorsitzenden eines Organs zu berücksichtigen ist." Diese Auffassung überdehnt den Wortlaut der Ausnahmevorschrift. Würde ihr gefolgt, wäre die Pflicht zur Angabe der Gesamtbezüge faktisch aufgehoben.
b) Rechtsprechung
Rn. 438
Stand: EL 33 – ET: 09/2021
In mehreren Entscheidungen zum Auskunftsrecht eines Aktionärs (vgl. § 131 AktG) hat sich die Rspr. auch mit der Auslegung des § 286 Abs. 4 befasst (vgl. LG Köln, Beschluß vom 18.12.1996, 91 O 147/96, DB 1997, S. 320f.; OLG Düsseldorf, Beschluß vom 26.06.1997, 19 W 2/97 AktE, DB 1997, S. 1609f.; LG Dortmund, Beschluß vom 01.10.1998, 20 AktE 8/98, AG 1999, S. 133f.). Dabei hat das LG Köln die im Schreiben des BMJ vertretene Auffassung als "mit dem Gesetz nicht zu vereinbaren" zurückgewiesen. Wie hoch die Bezüge eines einzelnen Vorstandsmitglieds seien, ließe sich aus einer Angabe der Gesamtbezüge nicht feststellen, allenfalls mutmaßen oder "schätzen". Das OLG Düsseldorf geht bei der Auslegung des Begriffs "feststellen" über den Wortlaut hinaus und begründet dies mit dem grundrechtlichen Schutz der persönlichen Daten der Organmitglieder als dem gesetzgeberischen Zweck der Regelung des § 286 Abs. 4. "Dabei kann es nach Sinn und Zweck der Regelung nicht darauf ankommen, ob die Einzelbezüge auf Mark und Pfennig zu ermitteln sind; vielmehr greift der Schutz der persönlichen Daten bereits dann, wenn die Bezüge des Einzelnen durch einfache Division zu ermitteln sind" (OLG Düsseldorf, Beschluß vom 26.06.1997, 19 W 2/97 AktE, DB 1997, S. 1609f.). Eine erhebliche Abweichung (im Streitfall beliefen sich die Bezüge des Vorstandsvorsitzenden auf das 1,5-fache des weiteren Vorstandsmitglieds) lasse ein verlässliches Abschätzen der Einkommensverhältnisse nicht zu, jedenfalls solange der "Verteilungsschlüssel" nicht bekannt sei. Zu beachten ist indes, dass der interessierten Öffentlichkeit (und auf deren Kenntnis kommt es auch nach Auffassung des OLG Düsseldorf an) der Verteilungsschlüssel für die Vorstandsbezüge (anders als bei AR-Bezügen) in aller Regel unbekannt ist. Ob die Bezüge der Organmitglieder "nicht bedeutend voneinander abweichen", ist nämlich nur Insidern bekannt. Die Argumentation des OLG Düsseldorf ist insofern widersprüchlich, als es die fehlende Kenntnis der Öffentlichkeit über den "Verteilungsschlüssel" durch die Insiderkenntnis ersetzt. Dennoch zeigt der entschiedene Fall, dass das OLG Düsseldorf § 286 Abs. 4 enger ausgelegt, als dies im Schreiben des BMJ geschehen ist. Das LG Dortmund hat in einem Fall von zwei Vorstandsmitgliedern, von denen einer während des GJ in den Vorstand aufgenommen wurde, entschieden, dass einer Auskunftserteilung nach § 131 AktG auch Datenschutzgründe nicht entgegenstehen. So ließe sich aus den zusammengerechneten Bezügen nicht feststellen, wie hoch die Bezüge eines einzelnen Vorstandsmitglieds seien, zumal die einzelnen Vorstandsmitglieder i. d. R. keine einheitlichen Vergütungen erhielten. Obwohl die ergangene Rspr. nicht einheitlich ist, erscheint es ernstlich zweifelhaft, ob ein Abstellen auf die ...