Prof. Dr. Karlheinz Küting, Dr. Michael Reuter
Rn. 217
Stand: EL 43 – ET: 08/2024
Gerät eine Gesellschaft in wirtschaftliche Schwierigkeiten, werden Gesellschafterdarlehen häufig mit besonderen Vereinbarungen versehen, um die Gefahr einer Überschuldung im insolvenzrechtlichen Sinne (vgl. § 19 Abs. 2 InsO) zu vermeiden. Im Einzelnen kann es sich dabei um Rangrücktritts- oder (bedingte) Forderungsverzichtsvereinbarungen handeln. Während im ersten Fall die Verbindlichkeit als solche weiterhin bestehen bleibt und lediglich hinsichtlich Tilgung und Verzinsung hinter die Forderungen der übrigen Gläubiger zurücktritt, führt ein Forderungsverzicht zu einem Wegfall der entsprechenden Verbindlichkeit, wobei diese allerdings aufgrund einer Besserungsabrede zu einem späteren Zeitpunkt wiederaufleben kann. Ob im Einzelfall ein Rangrücktritt oder ein Forderungsverzicht vorliegt, ist durch Auslegung zu ermitteln. Entscheidend ist weniger die von den Parteien gewählte Bezeichnung, als das von diesen tatsächlich Gewollte (vgl. auch ADS (1998), § 246, Rn. 147).
Rn. 218
Stand: EL 43 – ET: 08/2024
Die rechtsdogmatische Einordnung eines vertraglichen Rangrücktritts ist umstritten. Einigkeit besteht darin, dass ein Rangrücktritt grds. keinen (auflösend bedingten) Erlass der Forderung gegenüber der Gesellschaft bewirkt (vgl. Schmidt, in: FS Goerdeler (1987), S. 487 (500), m. w. N.). Eine derart weitgehende Einschränkung der eigenen Rechtsposition – durch einen Forderungsverzicht erlöschen nicht nur sämtliche Sicherheiten, sondern auch das Recht auf eine etwaige Verzinsung – dürfte dem Willen der Gläubiger i. A. nicht entsprechen, zumal sich die mit einer Rangrücktrittsvereinbarung angestrebte Vermeidung einer Überschuldung der Gesellschaft auch durch eine für die Gläubiger weniger einschneidende Vereinbarung erreichen lässt (vgl. Fleck, in: FS Döllerer (1988), S. 109 (118f.)).
Rn. 219
Stand: EL 43 – ET: 08/2024
Andererseits genügt eine befristete Stundung der Forderung nicht, um eine drohende Überschuldung der Gesellschaft abzuwenden. Da gestundete Verbindlichkeiten im Insolvenzfall als fällig gelten (vgl. § 41 Abs. 1 InsO), sind sie in jedem Fall in den Überschuldungsstatus aufzunehmen (vgl. IDW (2022), Rn. C 165). Um die mit einem Rangrücktritt angestrebte Wirkung zu erreichen, muss dieser vielmehr im Verhältnis zu den vorrangigen Gläubigern wie ein vorläufiger Forderungsverzicht wirken (vgl. BFH, Urteil vom 30.03.1993, IV R 57/91, BStBl. II 1993, S. 502 (503)). Dem entsprechen Vereinbarungen, nach denen die betreffenden Verbindlichkeiten nur zu Lasten zukünftiger Gewinne, aus einem Liquidationsüberschuss oder – nach Überwindung der Krise – einem die sonstigen, nicht mit einem Rangrücktritt versehenen Schulden der Gesellschaft übersteigenden Vermögen zu bedienen sind. Ob diese rechtlich als verfügender Schuldänderungsvertrag (vgl. Peters, WM 1988, S. 685 (689)), schuldrechtliche Nichtgeltendmachungsverpflichtung, die der Gesellschaft eine Einrede gegen die Forderung gibt ((pactum de non petendo); vgl. ADS (1998), § 246, Rn. 50ff., m. w. N.), oder schuldrechtlicher Vertrag sui generis (vgl. Herget, AG 1974, S. 137 (140f.)) zu qualifizieren ist, kann aus bilanzrechtlicher Sicht dahinstehen. Jedenfalls werden durch die Änderung der Rangfolge die hingegebenen Darlehensmittel im Zuge der vereinbarten Nachrangigkeit dem EK gleichgestellt (vgl. auch Priester, DB 1991, S. 1917 (1920); Häuselmann, BB 1993, S. 1552 (1553)). Die damit klargestellte Kap.-Ersatzfunktion dieser Mittel rechtfertigt es, diese bei der Aufstellung eines Überschuldungsstatus außer Acht zu lassen (vgl. Lutter/Hommelhoff (2023), § 15a InsO, Rn. 50; IDW (2022), Rn. C 164). Dabei muss der Rücktritt – wie der BGH in seiner Grundsatzentscheidung vom 05.03.2015 (IX ZR 133/14, GmbHR 2015, S. 472ff.) geurteilt hat – aber auch den Zeitraum vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfassen, sofern die Rangrücktrittsvereinbarung dem Eintritt der Überschuldung begegnen soll. Demgegenüber hat der BGH bereits in seinem Urteil vom 08.01.2001 (BGHZ 146, S. 264ff.) die Nichtberücksichtigung von (EK-ersetzenden) Gesellschafterdarlehen im Überschuldungsstatus von einem qualifizierten Rangrücktritt abhängig gemacht. Er erlaubt dem Gesellschafter, seine Forderung erst nach Befriedigung oder Sicherstellung aller anderen Gesellschaftsgläubiger (also auch solcher, die ebenfalls einen Rangrücktritt erklärt haben) geltend zu machen. Zudem darf er seine Forderung bis zur Abwendung der Krise nicht vor den Einlagerückgewährsansprüchen seiner Mitgesellschafter geltend machen.
Rn. 220
Stand: EL 43 – ET: 08/2024
Rangrücktritte werden vielfach für Verbindlichkeiten der Gesellschaft gegenüber Gesellschaftern vereinbart. Sie können sich auch auf Verbindlichkeiten gegenüber sonstigen Gläubigern beziehen. Für Zwecke der Bilanzierung ist diese Unterscheidung nach der Art des Gläubigers ohne Bedeutung.