Dr. Alfred Simlacher, Dr. Stephan Vossel
Rn. 301
Stand: EL 44 – ET: 12/2024
Die Konzeption und der Wortlaut in § 274 gehen von einer Personenidentität aus, wonach die Ursache für den Ansatz von latenten Steuern (Entstehen einer temporären Differenz) sowie die künftige Wirkung (Steuerbe- oder -entlastung) durch einen Rechtsträger verwirklicht werden (vgl. Herzig/Liekenbrock/Vossel, Ubg 2010, S. 85 (86); Lüdenbach/Freiberg, BB 2010, S. 1971 (1973)). Während des Bestehens einer Organschaft ist dieses Prinzip durchbrochen, da die VG, Schulden und RAP der Organgesellschaft zwar ursächlich für das Entstehen von temporären Differenzen sind, die Organgesellschaft jedoch keine Steuerbe- oder -entlastung erfährt, weil der Organträger Steuerschuldner ist. Damit können sich bei ihr während der organschaftlichen Zeit keine steuerlichen Wirkungen aus der Umkehrung von temporären Differenzen ergeben. Da latente Steuern nur insoweit anzusetzen sind bzw. angesetzt werden dürfen, als künftige Steuerbe- oder -entlastungen in Form von laufenden Steueraufwendungen bei einem bilanzierenden UN entstehen, scheidet die Bilanzierung von latenten Steuern auf temporäre Differenzen der Organgesellschaft, die während der organschaftlichen Zeit entstehen, grds. aus.
Rn. 302
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Vielmehr wirken sich die steuerlichen Konsequenzen aus der Umkehrung der temporären Differenzen über die steuerliche Einkommenszurechnung beim Organträger aus. Da der Organträger die Ertragsteuern aller der in den Organkreis eingebundenen Gesellschaften schuldet, hat er auch die latenten Steuern aus den temporären Differenzen dieser Gesellschaften (Organträger und Organgesellschaften) zu bilanzieren. Diese Ansicht folgt der formalen Betrachtungsweise und verortet den Ansatz von latenten Steuern bei dem Rechtsträger, der die Steuer formal schuldet (vgl. DRS 18.32; Ellerbusch/Schlüter/Hofherr, DStR 2009, S. 2443 (2445)).
Rn. 303
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Entscheidend für den Ansatz von latenten Steuern ist somit nicht die Gesellschaft, die ursächlich für die Entstehung der temporären Differenzen ist (Organgesellschaft), sondern die, die Ertragsteuern schuldet und begleicht (Organträger). Die h. M. im Schrifttum folgt dieser Argumentationslinie und fordert daher den Ansatz von latenten Steuern für temporäre Differenzen der Organgesellschaft beim Organträger (vgl. DRS 18.32; Kühne/Melcher/Wesemann, WPg 2009, S. 1057 (1059); Beck Bil-Komm. (2024), § 274 HGB, Rn. 70; Beck-HdR, B 235 (2016), Rn. 175).
Rn. 304
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Von dem dargestellten Grundsatz, wonach das Einkommen der Organgesellschaft dem Organträger zugerechnet wird, gibt es jedoch Ausnahmen, so etwa, wenn die Organgesellschaft eine von ihr nach § 304 AktG an außenstehende Gesellschafter geleistete Ausgleichszahlung selbst versteuern muss (vgl. § 16 KStG). Die Bemessungsgrundlage der Organgesellschaft auf Basis der Ausgleichszahlung ist jedoch unabhängig vom Auf-/Abbau temporärer Differenzen. Auch ist die Ausgleichszahlung selbst zwar nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 9 EStG eine nicht abzugsfähige BA, jedoch resultiert auch hieraus keine temporäre Differenz (vgl. Braun (2015), S. 169; WP-HB (2023), Rn. F 751). Somit kann aus dem eigenen Einkommen der Organgesellschaft i. V. m. Ausgleichszahlungen keine Bilanzierung latenter Steuern bei ihr abgeleitet werden. Gleiches gilt für die Tatsache, dass die Organgesellschaft als Haftungsschuldnerin (vgl. § 73 AO) in Anspruch genommen werden kann, so dass sie schuldbefreiend für den Organträger Steuern zu bezahlen hat.
Rn. 305
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Für Zwecke der Zurechnung des steuerpflichtigen Einkommens der Organgesellschaft zum Organträger ist eine Einkommensermittlung bei der Organgesellschaft erforderlich. Hierbei gilt die Besonderheit, dass ein Verlustabzug i. S. d. § 10d EStG nicht zulässig ist (vgl. § 15 Satz 1 Nr. 1 KStG; § 10a Satz 3 GewStG), so dass Verluste der Organgesellschaft aus vororganschaftlicher Zeit weder bei der Einkommensermittlung der Organgesellschaft berücksichtigt werden können, noch sich mittelbar i. R.d. Einkommenszurechnung beim Organträger auf dessen künftige Besteuerung auswirken können (vgl. D/P/M (2020), § 15 KStG, Rn. 3). Da während des Bestehens der Organschaft eine künftige Steuerentlastung insoweit ausscheidet, sind aktive latente Steuern auf vororganschaftliche Verlustvorträge der Organgesellschaft bei der Organgesellschaft grds. nicht anzusetzen (vgl. Loitz/Klevermann, DB 2009, S. 409 (414)). Dem gegenüber besteht für vororganschaftliche Verlustvorträge des Organträgers kein Verlustverrechnungsverbot, so dass diese bei der Ermittlung der aktiven latenten Steuern des Organträgers einzubeziehen sind.
Rn. 306–314
Stand: EL 44 – ET: 12/2024
vorläufig frei