Prof. Paul Scharpf, Dr. Joachim Brixner
Rn. 1
Stand: EL 27 – ET: 04/2018
Derivative Finanzinstrumente sind Finanzinstrumente, deren Wert von der Entwicklung des Werts der ihnen zugrunde liegenden Basiswerte (Underlyings) abhängt. Es handelt sich dabei insbesondere um Options- und Termingeschäfte. Diese lassen sich in bedingte (Optionen) und unbedingte Geschäfte (Termingeschäfte) unterteilen.
Im Unterschied zu originären Finanzinstrumenten (z. B. Forderungen, Wertpapiere) fließen beim Abschluss von Finanzderivaten i. d. R. keine nennenswerten Anfangszahlungen. Die grds. bilanzunwirksamen Finanzderivate dienen nicht der Bereitstellung von Kap., sondern der Zerlegung und dem Transfer von Preis-(änderungs-)risiken (Devisenkurs-, Aktienkurs-, Zins- und sonstigen Preisrisiken) oder Ausfall- bzw. Bonitätsrisiken. Mit ihrer Hilfe können – abgekoppelt von den zugrunde liegenden Anlage- und Finanzierungsvorgängen – Risikopositionen gesteuert (d. h. gesichert bzw. verändert oder bewusst eingegangen) werden.
Angesichts der Vielzahl an derivativen Finanzinstrumenten beschränken sich die folgenden Ausführungen auf die für Industrieunternehmen bedeutsamsten Instrumente, nämlich Optionen, Caps/Floors/Collars, Financial Futures, Forward Rate Agreements (FRA), Devisentermingeschäfte und Swaps sowie ausgewählte Kreditderivate (Credit Default Swaps).
Dabei wird differenziert, ob diese Instrumente isoliert oder zusammen mit anderen Transaktionen betrachtet werden; die Bilanzierung von Sicherungsbeziehungen ist mit § 254 (Bewertungseinheiten) im Gesetz geregelt (vgl. hierzu HdR-E, HGB § 254, Rn. 1ff.).
Derivative Finanzinstrumente sind schwebende Geschäfte (vertraglich vereinbarte, aber noch nicht erfüllte Geschäfte). Sie unterliegen denselben Bilanzierungsregeln wie alle schwebenden Geschäfte; diese sind grds. nicht zu bilanzieren, soweit und solange sich die Verpflichtung und der Anspruch aus dem Geschäft gleichwertig gegenüberstehen. Sie werden aus diesem Grund auch als bilanzunwirksam bezeichnet. Ergeben sich jedoch nach Vertragsabschluss Wertänderungen, die zu einem Verpflichtungsüberschuss (drohende Verluste) führen, sind diese nicht realisierten Verluste nach dem Imparitätsprinzip mittels einer Drohverlustrückstellung zu antizipieren. "Anspruchsüberschüsse", d. h. nicht realisierte Gewinne, werden aufgrund des Realisationsprinzips bilanziell nicht berücksichtigt.
Bilanzwirksam sind Finanzderivate jedoch stets bezüglich Vorleistungen in Form von Optionsprämien, Upfront Payments, Margin-Zahlungen, Abgrenzungsbeträgen und Rückstellungen.
Erträge und Aufwendungen im Zusammenhang mit derivativen Finanzinstrumenten sind bei einer Einzelbewertung grds. im sonstigen betrieblichen Ergebnis zu erfassen; Zinsen aus Swaps, Zinstermingeschäften etc. werden i. d. R. im Zinsergebnis ausgewiesen (vgl. WP-HB (2017), Rn. L 951).
Zu produktspezifischen Besonderheiten bei der Bildung von Bewertungseinheiten wird auf die Ausführungen in HdR-E, Kap 7, Rn. 90ff. verwiesen.
Zur Prüfung von derivativen Finanzinstrumenten einschließlich Bewertungseinheiten vgl. die Ausführungen im WP-HB ((2017), Rn. L 946ff.; 1010ff. (Zeitwerte)).
Sämtliche Finanzderivate sind in einer Nebenbuchhaltung mit ihren wesentlichen Vertragsbestandteilen vollständig und zeitnah aufzuzeichnen. Dies folgt aus der Pflicht zur Einzelaufzeichnung sämtlicher Geschäfte.
Auch Kreditderivate (CDS und Total Return Swaps (TRS)) sind grds. wie schwebende Geschäfte (Finanzderivate) abzubilden; gleichwohl hat es der BFA mit IDW RS BFA 1 (2015) zugelassen, dass CDS unter strengen Voraussetzungen beim Sicherungsgeber wie gestellte Kreditsicherheiten (Kreditersatzgeschäft, gewährte Bürgschaft) bzw. beim Sicherungsnehmer wie erhaltene Kreditsicherheiten (analog einer erhaltenen Bürgschaft) in der HB abgebildet werden. Die in IDW RS BFA 1 (2015) dargestellten Regeln gelten analog für Nicht-Banken (vgl. HdR-E, Kap 7, Rn. 67ff.).
Da in sog. strukturierten Finanzinstrumenten derivative Instrumente eingebettet sind, wird auf diese ebenfalls eingegangen (vgl. die umfassende Darstellung bei: Schaber et al. (2010), S. 5ff., mit zahlreichen Einzelbeispielen; Rieger (2016), S. 172ff.).
Auf die Betrachtung der Besonderheiten der RL bei Kreditinstituten sowie Versicherungs-unternehmen wird verzichtet (vgl. zur Bilanzierung bei Kreditinstituten die Ausführungen bei: Krumnow et al. (2004), § 340e HGB, Rn. 359ff. sowie Scharpf/Schaber (2018), S. 501ff. zu den jeweiligen Finanzinstrumenten).
Hinsichtlich der Bilanzierung von Finanzderivaten ist bei Industrie- und Handelsunternehmen danach zu unterscheiden, ob sie nach den allg. Grundsätzen einzeln anzusetzen und zu bewerten sind, oder ob sie in eine Bewertungseinheit nach § 254 einbezogen werden.
Ein bei der Bewertung am BilSt ermittelter drohender Verlust kann statt durch Bildung einer Rückstellung auch durch die Abwertung der aktivierten Variation Margin erfolgswirksam erfasst werden, wenn und soweit die Variation Margin dem Zeitwert am BilSt entspricht (vgl. DSGV (2016), Anlage 29, S. 4).
Rn. 1a
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