Prof. Dr. Norbert Herzig, Prof. Dr. Simone Briesemeister-Dinkelbach
Rn. 111
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Die steuerlich autonome Wahlrechtsausübung steht unter dem Vorbehalt der Dokumentation ausübungsbedingter Abweichungen in einem besonderen, laufend zu führenden steuerlichen Verzeichnis. Nach § 5 Abs. 1 Satz 2f. EStG müssen WG, die nicht mit dem handelsrechtlich maßgebenden Wert in der steuerlichen Gewinnermittlung ausgewiesen werden, in das Verzeichnis aufgenommen werden. Darin sind der Tag der Anschaffung oder Herstellung, die AHK, die Vorschrift des ausgeübten steuerlichen Wahlrechts sowie die vorgenommene AfA zu dokumentieren. § 5 Abs. 1 Satz 2f. EStG stellt auf WG ab. Sofern durch steuerliche Wahlrechte WG nicht unmittelbar tangiert werden, sondern in der Bilanz abgebildete Rücklagen (vgl. etwa § 6b EStG), besteht keine Verzeichnispflicht; diese wird erst ausgelöst, sobald die betreffende Rücklage auf die AHK eines WG übertragen wird (vgl. BMF, Schreiben vom 12.03.2010, IV C 6 – S 2133/09/10001, BStBl. I 2010, S. 239ff. (Rn. 22f.); zudem etwa auch R 6.6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 EStR (2012)). WG des Sonder-BV unterfallen der Verzeichnispflicht nicht; dies gilt gleichermaßen für die Wahlrechtsausübung bei Umwandlungsvorgängen i. S. d. UmwStG (vgl. BMF, Schreiben vom 12.03.2010, IV C 6 – S 2133/09/10001, BStBl. I 2010, S. 239ff. (Rn. 19)).
Rn. 112
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Eine besondere Form der Verzeichnisführung ist nicht vorgesehen; formelle und materielle Ordnungsmäßigkeit i. S.e. vollständigen und fehlerfreien Dokumentation ist formunabhängig geboten. In zeitlicher Hinsicht ausreichend ist eine Verzeichniserstellung i. R.d. Erstellung der Steuererklärung (vgl. BMF, Schreiben vom 12.03.2010, IV C 6 – S 2133/09/10001, BStBl. I 2010, S. 239ff. (Rn. 20)). Ohne vollständige und in vorbezeichnetem Sinne zeitnahe Dokumentation liegt eine von der HB abweichende wirksame Wahlrechtsausübung nicht vor. Wird das Verzeichnis nicht oder nicht vollständig geführt, ist der Gewinn hinsichtlich des betreffenden WG so zu ermitteln, als wäre das steuerliche Wahlrecht nicht ausgeübt worden (vgl. BMF, Schreiben vom 12.03.2010, IV C 6 – S 2133/09/10001, BStBl. I 2010, S. 239ff. (Rn. 22f.)). Im damit bewirkten Rückfall auf das nach handelsrechtlichen GoB (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG) mit dem handelsrechtlich maßgeblichen Wert (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 2 EStG) auszuweisende BV ist eine dem autonomen Wahlrecht systematisch nachgelagerte (formelle) Sekundärmaßgeblichkeit zu sehen, die das steuerliche Wahlrecht nicht einschränkt, sondern i. S. d. Sicherung der Funktionsfähigkeit der fragmental verselbständigten steuerlichen Gewinnermittlung (vgl. auch HdR-E, Kap. 3, Rn. 5) die entstehende steuerliche Lücke schließt. Voraussetzung für diese maßgeblichkeitsgestützte Lückenschließung ist, dass der Ansatz bzw. Wert in der HB steuerlich zulässig ist. Ist dies nicht der Fall, muss sich der steuerlich anzunehmende "Grundfall" aus dem Steuerrecht selbst ergeben.
Rn. 113
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Die Ausübung eines steuerlichen Wahlrechts erfolgt in der StB, nicht im Wahlrechtsverzeichnis. Eine erstmalige (autonome) Ausübung eines steuerlichen Wahlrechts ist auch im Wege einer Bilanzänderung i. S. d. § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG zulässig (vgl. BMF, Schreiben vom 12.03.2010, IV C 6 – S 2133/09/10001, BStBl. I 2010, S. 239ff. (Rn. 21)). Hieran schließt die Frage an, ob Fehler in der Verzeichnisführung (fehlender bzw. unvollständiger Verzeichniseintrag) i. R.v. Bilanzänderungen geheilt werden können. Dies wird mit Hinweis darauf bejaht, dass die Bilanz bei Verzeichnismängeln fehlerhaft die steuerliche Wahlrechtsausübung beinhaltet, folglich auf den "Grundfall" nach handelsrechtlichen GoB (vgl. auch HdR-E, Kap. 3, Rn. 112) zu berichtigen ist, wodurch zugleich eine gegenläufige Bilanzänderung ermöglicht wird, die wiederum in der formal korrekten Ausübung desselben steuerlichen Wahlrechts unter ordnungsmäßigem (nachträglichem) Verzeichniseintrag kompensiert werden kann (vgl. Ortmann-Babel/Bolik, BB 2010, S. 2099 (2100); zustimmend Herzig/Fuhrmann (2012), Kap. I/A, Rn. 197; HB-BilStR (2021), Rn. 371). Diese Argumentation ist gesetzestechnisch zutreffend, führt allerdings dazu, dass die durch § 5 Abs. 1 Satz 2f. EStG formulierte Anforderung an eine ordnungsmäßige Verzeichnisführung weitgehend ausgehöhlt wird.
Rn. 114–115
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
vorläufig frei