Prof. Dr. Dr. h.c. Jörg Baetge, Dr. Dirk Fey
Rn. 29
Stand: EL 35 – ET: 03/2022
In den Bewertungsvorschriften kommen ebenfalls die teils gegensätzlichen Zwecke "Rechenschaft" und "Kap.-Erhaltung" zum Ausdruck. In den in § 252 Abs. 1 kodifizierten allg. Bewertungsgrundsätzen (vgl. zu den entsprechenden GoB HdR-E, Kap. 4, Rn. 1ff.) hat der Gesetzgeber die mit der Bewertung verbundenen aggregierten Zwecke deutlich gemacht. Viele der dort kodifizierten Grundsätze tragen nicht nur einem Zweck Rechnung: Der Grundsatz der Bilanzidentität (vgl. Heinen (1986), S. 175f.; § 252 Abs. 1 Nr. 1) dient der Richtigkeit der Rechnung und damit gleichermaßen der Rechenschaft wie auch Kap.-Erhaltung. Der Grundsatz der Einzelbewertung (vgl. § 252 Abs. 1 Nr. 3) soll sowohl die Rechenschaft als auch die Kap.-Erhaltung objektivieren (vgl. Adam (1975), S. 155f.), denn eine Gesamtbewertung würde weder eine nachvollziehbare Rechenschaft noch intersubjektiv nachprüfbare Kap.-Erhaltungsmaßnahmen gewährleisten. Das Stichtagsprinzip (vgl. Leffson, in: HWR (1981), Sp. 151 (158)) i. V. m. dem Grundsatz der vollständigen Berücksichtigung wertaufhellender Informationen (vgl. § 252 Abs. 1 Nr. 3f.) resultiert aus dem Objektivierungsstreben für den JA und kann weder überwiegend dem Rechenschafts- noch überwiegend dem Kap.-Erhaltungszweck zugeordnet werden. Bei der Rückstellungsbewertung wird das Stichtagsprinzip durch das BilMoG nicht vollumfänglich umgesetzt, da Rückstellungen mit ihrem "Erfüllungsbetrag" zu bewerten sind. Dies bedeutet, dass künftige Preis- und Kostensteigerungen bei der Bewertung von Rückstellungen zu berücksichtigen sind. Ursachen für künftige Kosten- und Preissteigerungen liegen häufig in der Zukunft, so dass mit dem generellen Ansatz von Preis- und Kostensteigerungen nicht nur die Verhältnisse am BilSt, sondern auch künftige Verhältnisse berücksichtigt werden. Diese weniger konsequente Umsetzung kann mit dem Grundsatz der Vergleichbarkeit begründet werden (vgl. Solmecke (2009), S. 180). Der Grundsatz der Pagatorik (vgl. § 252 Abs. 1 Nr. 5) bestimmt, dass Rechenschaft ausschließlich über Vorgänge zu geben ist, die sich in Zahlungen niedergeschlagen haben oder sich (voraussichtlich) niederschlagen werden (vgl. Baetge, in: HWR (1981), Sp. 702 (709)), und dass mit dem JA danach lediglich die nominelle Kap.-Erhaltung angestrebt wird.
Nach dem Imparitätsprinzip sind künftige unrealisierte Verluste – im Gegensatz zur Behandlung unrealisierter Gewinne gemäß Realisationsprinzip – bereits im Erfolg der abgelaufenen Rechnungsperiode zu berücksichtigen (vgl. Leffson (1987), S. 339ff.; § 252 Abs. 1 Nr. 4). Durchbrochen wird das Realisationsprinzip durch die Regelungen des § 246 Abs. 2, wonach VG des Planvermögens zum beizulegenden Zeitwert zu bewerten sind. Zudem führt die Diskontierung von langfristigen Rückstellungen dazu, dass noch nicht erwirtschaftete Zinserträge ausgeschüttet werden können. Darüber hinaus sind antizipative Sicherungsbeziehungen kaum mit dem Realisationsprinzip zu vereinbaren (vgl. Solmecke (2009), S. 213ff.; HdR-E, HGB § 243, Rn. 6). Nach dem Vorsichtsprinzip sind wahrscheinliche negative Zukunftsentwicklungen – anders als wahrscheinliche positive Zukunftsentwicklungen – bei der Bewertung zu berücksichtigen (vgl. Baetge, in: HWR (1981), Sp. 702 (711); Castan (1990), S. 105ff.). Das Periodenergebnis wird durch die aus dem Imparitäts- und Vorsichtsprinzip resultierende einseitige negative Betrachtung niedriger angesetzt, als es den tatsächlichen Verhältnissen am Abschlussstichtag entspricht. Infolgedessen ist § 252 Abs. 1 Nr. 4 hauptsächlich aus Sicht des Kap.-Erhaltungsgedankens zu verstehen. Zu beachten ist indes, dass die Befolgung dieser Grundsätze außerdem – wenn auch einseitig – der Rechenschaft über künftige Risiken und Verluste dient (vgl. Leffson 1987), S. 105), sofern die Regel und ihre Anwendungsvoraussetzungen dem Bilanzleser bekannt sind.
Ebenso dient das ebenfalls in § 252 Abs. 1 Nr. 4 kodifizierte Realisationsprinzip i. V. m. dem AHK-Prinzip neben der durch den gesetzlichen Wortlaut geforderten vorsichtigen Bewertung der Rechenschaft. Durch die leistungsbezogene (und nicht ausschließlich an der Vorsicht, d. h. der Bezahlung der Leistung orientierte) Festlegung des Realisationszeitpunkts soll eine periodengerechte Ermittlung des Erfolgs gewährleistet werden. Damit dient das Realisationsprinzip zumindest ebenso der Rechenschaft über die Vermögens- und Ertragslage des UN (vgl. Leffson (1987), S. 251) wie der Kap.-Erhaltung (vgl. Moxter (1985), S. 20; zum Verhältnis beider Zwecke HdR-E, Kap. 4, Rn. 86). Nach dem Grundsatz der zeitlichen und sachlichen Abgrenzung (vgl. § 252 Abs. 1 Nr. 5) sollen die Aufwendungen den Erträgen so zugeordnet werden, dass Rechenschaft über den periodengerechten Jahreserfolg gegeben wird (vgl. Leffson (1987), S. 299ff.). Ebenfalls überwiegend rechenschaftsorientiert sind der Grundsatz der Fortführung der UN-Tätigkeit (vgl. § 252 Abs. 1 Nr. 2), der die früher gerechtfertigte Fiktion von der Zerschlagung des UN am Abschlussst...