Dr. Eberhard Mayer-Wegelin, Prof. Dr. Harald Kessler
Rn. 338
Stand: EL 19 – ET: 05/2014
Findet die Vereinfachungsregelung des § 253 Abs. 2 Satz 2 (vgl. Brösel/Olbrich, HdR-E, HGB § 253, Rn. 344) keine Anwendung, ist zur Auswahl des Abzinsungssatzes die Restlaufzeit der ungewissen Verbindl. zu ermitteln, die Gegenstand der Rückstellung ist. Das ist der gesamte Zeitraum vom BilSt bis zum Erfüllungszeitpunkt der passivierten Verbindl. (vgl. BT-Drucks. 16/12407, S. 111). Optionen, deren Wahrnehmung die Fälligkeit der Schuld hinausschiebt (z. B. Mietverlängerungsoptionen bei Rückbauverpflichtungen des Mieters), sind nur zu berücksichtigen, wenn ihre Ausübung am BilSt wahrscheinlich oder sicher ist (vgl. IDW RS HFA 34, Rn. 37). Bestehen Kündigungsrechte (z. B. für verlustbringende Mietverträge), ist zur Ermittlung der Restlaufzeit auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem der Vertrag frühestens vom Bilanzierenden gekündigt werden kann (vgl. IDW RS HFA 34, Rn. 38). Die gesetzl. gewährte Erleichterung, Rückstellungen mit einer Restlaufzeit von bis zu einem Jahr nicht abzuzinsen, wirkt sich auf den Diskontierungszeitraum längerfristiger Verbindl. nicht aus.
Die Bestimmung der Restlaufzeit kann in zwei Fällen Schwierigkeiten bereiten: zum einen bei Verpflichtungen, deren Erfüllungszeitpunkt nicht feststeht (z. B. bestrittene Schadenersatzverpflichtungen, Strafgelder), zum anderen bei Schulden, die über einen längeren Zeitraum zu erfüllen sind (z. B. Aufbewahrungspflichten, Entsorgungs-, Abbruch-, Rekultivierungs- und Wiederherstellungsverpflichtungen, Verpflichtungsüberschüsse aus Dauerschuldverhältnissen).
Im ersten Fall ist die Restlaufzeit der Verbindl. unter Beachtung des Vorsichtsprinzips zu schätzen. Dazu ist als Erfüllungszeitpunkt jener Tag anzunehmen, zu dem das UN frühestens in Anspruch genommen werden kann. Die Schätzung ist ggf. zu jedem BilSt anzupassen.
Rn. 339
Stand: EL 19 – ET: 05/2014
Erstreckt sich die Erfüllung einer ungewissen Verbindl. über mehrere Jahre, sind unterschiedliche Ansätze denkbar, um die Restlaufzeit i. S. v. § 253 Abs. 2 Satz 1 zu bestimmen (vgl. näher hierzu Bertram/Kessler 2012, S. 986ff.):
(1) |
Zeitraum bis zum Beginn der Erfüllung entspr. der steuerrechtl. Regelung (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e EStG); |
(2) |
Zeitraum bis zum Beginn der Erfüllung plus halbe Erfüllungsdauer; |
(3) |
durchschnittliche Kap.-Bindungsdauer; |
(4) |
gewogener Mittelwert der Zeitpunkte, zu denen die Zahlungen für die Erfüllung der Verbindl. anfallen (Duration). |
Rn. 340
Stand: EL 19 – ET: 05/2014
Alternativ zu den vorstehenden Ansätzen, die auf eine Abzinsung der ungewissen Verbindl. mit einem einheitlichen Zinssatz über eine nach unterschiedlichen Methoden ermittelte einwertige Restlaufzeit zielen, erscheint eine Diskontierung der zur Tilgung der Schuld notwendigen Zahlungen mit unterschiedlichen Zinssätzen entspr. der jeweiligen Fristigkeit der Teilbeträge denkbar (vgl. auch IDW RS HFA 34, Rn. 39).
Rn. 341
Stand: EL 19 – ET: 05/2014
Beispiel:
Für die Verpflichtung, ein ausgebeutetes Grundstück zu rekultivieren, bildet U am 31.12.01 eine Rückstellung. Die Rekultivierungsmaßnahmen sollen am 31.12.03 beginnen und sich über 3 Jahre erstrecken. Die undiskontierten Aufwendungen für die Wiederherstellung des Grundstücks schätzt U wie folgt:
Geschäftsjahr 04: |
400 000 |
Geschäftsjahr 05: |
400 000 |
Geschäftsjahr 06: |
800 000 |
Aus Vereinfachungsgründen sei angenommen, die Aufwendungen fielen jeweils in der Mitte des Jahres an. Der aus den Veröffentlichungen der Deutschen Bundesbank abgeleitete Marktzins für eine Restlaufzeit von 2,5 (3,5; 4,5) Jahren beträgt 4,1 % (4,3 %; 4,5 %).
Nach der steuerrechtl. Regelung (Lösung 1) beträgt der Diskontierungszeitraum zwei Jahre (31.12.01 bis 31.12.03). Lösung 2 (Zeitraum bis zum Beginn der Erfüllung plus halbe Erfüllungsdauer) ermittelt eine Restlaufzeit von 3,5 Jahren (2 Jahre + 3 Jahre / 2). Auf Basis der durchschnittlichen Kap.-Bindungsdauer (Lösung 3) beträgt die Restlaufzeit 3,75 Jahre [(400 000 • 2,5 Jahre + 400 000 • 3,5 Jahre + 800 000 • 4,5 Jahre) / 1 600 000]. Die Duration der ungewissen Verbindl. (Lösung 4) beläuft sich auf 3,72 Jahre. Sie ermittelt sich wie folgt:
RLZ |
Zahlung |
Zinssatz |
Barwert |
Duration |
2,5 |
400 000 |
4,1 % |
361 771 |
0,67 |
3,5 |
400 000 |
4,3 % |
345 195 |
0,89 |
4,5 |
800 000 |
4,5 % |
656 246 |
2,17 |
|
|
|
1 363 212 |
3,72 |
Im ersten Schritt sind die zur Erfüllung der Rekultivierungsverpflichtung zu leistenden Zahlungen auf den Bewertungsstichtag (31.12.01) mit dem ihrer Restlaufzeit entspr. durchschnittlichen Marktzins abzuzinsen. Zur Ermittlung der Duration werden die Barwerte mit ihrer Restlaufzeit multipliziert und durch die Summe der Barwerte dividiert. Aus der Addition der Einzelergebnisse ermittelt sich die Duration von 3,72.
Ausgehend von der ermittelten Restlaufzeit der Rückstellung ist der Diskontierungssatz durch Interpolation aus den von der Deutschen Bundesbank veröffentlichten Jahreszinssätzen zu gewinnen.
Bei tranchenweiser Diskontierung bedarf es der Ermittlung einer einheitlichen Restnutzungsdauer der ungewissen Verbindl. nicht. Stattd...