Rn. 117
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Der enge Konzernbegriff orientiert sich an der wirtschaftswissenschaftlichen Betrachtung des Konzerns als einheitliches UN (vgl. HdR-E, AktG §§ 15–19, Rn. 106). Eine wirtschaftliche Einheit liegt vor, wenn die Konzernspitze die wesentlichen unternehmerischen Leitungsfunktionen in wichtigen Bereichen der UN-Politik wahrnimmt, d. h. "für die zentralen unternehmerischen Bereiche in ihrer Gesamtheit eine einheitliche Planung aufstellt und diese bei den Konzerngliedern ohne Rücksicht auf deren rechtliche Selbständigkeit durchsetzt" (Emmerich/Habersack (2020), § 4, Rn. 13). Nicht erforderlich ist die Erteilung von Einzelanweisungen oder der laufende Eingriff in die Geschäftsführung. Zu den zentralen unternehmerischen Bereichen gehört in diesem Zusammenhang in erster Linie das Finanzwesen, ohne dessen zentrale Steuerung ein Konzern nicht denkbar ist. "Die Folge ist, dass ein Konzern – nach dieser Sicht der Dinge – grds. nur angenommen werden kann, wenn für die Gesamtheit der verbundenen Unternehmen (auch) einheitlich festgelegt wird, welchen Beitrag jedes Unternehmen zum Konzernerfolg zu leisten hat, über welche Mittel es verfügen darf und wie diese aufzubringen sind (Paradigma: zentrales Cash-Management)" (KonzernR (2019), § 18 AktG, Rn. 10; vgl. so auch KK-AktG (2011), § 18, Rn. 17).
Rn. 118
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Bei Anwendung des weiten Konzernbegriffs genügt es, dass die einheitliche Leitung wenigstens in einem zentralen Bereich der unternehmerischen Tätigkeit (Einkauf, Produktion, Verkauf, Organisation, Personalwesen) ausgeübt wird (vgl. so Emmerich/Habersack (2020), § 4, Rn. 14; HB-GesR (2020/IV), § 69, Rn. 70; WP-HB (2021), Rn. C 137). Auch müssen die unternehmerischen Leitungsfunktionen wie Planung, Organisation, Durchführung und Kontrolle nach dieser Auffassung nicht in vollem Umfang vom herrschenden UN wahrgenommen werden (vgl. HB-GesR (2020/IV), § 69, Rn. 70). Die bloße Beschränkung auf die Kontrolle genügt allerdings nicht, zumal ihr das für die einheitliche Leitung notwendige gestaltende Moment fehlt – gerade und insbesondere deshalb, weil allg. unter Leitung ein aktives, zukunftsgestaltendes Tun verstanden wird (vgl. KK-AktG (2011), § 18, Rn. 18; so auch ADS (1997), § 18 AktG, Rn. 29).
Nach Emmerich/Habersack tendiert die heutige Rspr. überwiegend zum weiten Konzernbegriff. "[B]ei einer einheitlichen Finanzplanung für die verbundenen Unternehmen [ist, d.Verf.] in jedem Fall ein Konzern anzunehmen [...]. Für die Annahme einheitlicher Leitung genügt es ferner, wenn die Konzernleitung die Geschäftspolitik der Konzerngesellschaften und sonstige grundsätzliche Fragen der Geschäftsführung aufeinander abstimmt" (Emmerich/Habersack (2020), § 4, Rn. 15). Die Befürworter des weiten Konzernbegriffs berufen sich i.W. auf die gesetzliche Schutzkonzeption des Konzernrechts. Da die Auswirkungen der unterschiedlichen Positionen auf die Rechtsfolgennormen, die an den Konzernbegriff anknüpfen, noch nicht aufgearbeitet sind (vgl. MünchKomm. AktG (2019), § 18, Rn. 33), erscheint es angebracht, an dem weiten Konzernbegriff festzuhalten. Insgesamt dürfte damit die allg. Akzeptanz eines weit verstandenen Konzernbegriffs in § 18 Abs. 1 AktG als gesichert anzusehen sein (vgl. Emmerich/Habersack (2020), § 4, Rn. 15); dies gilt mit Koch umso mehr, als der enge Konzernbegriff seine Rechtfertigung ursprünglich in funktionaler Ausrichtung auf die Konzern-RL (vgl. §§ 290ff. (a. F.)) als wichtigster Rechtsfolge fand. Jenes Begründungsfundament ist jedoch insoweit weggebrochen, als § 290 Abs. 1f. i. d. F. des sog. Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes (BilMoG) vom 25.05.2009 (BGBl. I 2009, S. 1102ff.) nun nicht mehr auf Konzernierung, sondern vielmehr auf beherrschenden Einfluss abstellt. Auch die Vermutungskaskade der §§ 17 Abs. 2, 18 Abs. 1 Satz 3 lässt sich i. d. S. mit dem engen Konzernbegriff kaum mehr in Einklang bringen, da eine "reine Abhängigkeit zwar Leitungsvermutung für einzelne Bereiche, namentlich Personalwesen, tragen mag, nicht aber die Vermutung umfassender Koordination aller zentralen Unternehmensfunktionen. Schließlich kann auch nur der weite Konzernbegriff der Umgehung der Konzernfolgen wirksam begegnen" (Hüffer-AktG (2022), § 18, Rn. 10).
Rn. 119
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Fasst man die Argumente um den Konzernbegriff zusammen, so zeigt sich, dass beide Auffassungen insoweit übereinstimmen, als eine konzernweite Finanzkoordination zum Vorliegen einer einheitlichen Leitung genügt. Soweit andere Bereiche einer Gesamtplanung unterworfen werden, etwa der Produktionsbereich oder die Absatz- und Entwicklungspolitik, ist es nur schwer vorstellbar, dass der Finanzbereich davon unberührt bleibt und nicht in die zentrale Koordination einbezogen wird. Im Ergebnis liegen daher die beiden Auffassungen nicht sehr weit auseinander. Aufgrund der Vielgestaltigkeit der Konzernformen in der Praxis gibt es darüber hinaus keine gesicherten Erkenntnisse, welchen Umfang eine koordinierende Einflussnahme...