Dr. Robert Weber, Julia Sieber
Tz. 77
Stand: EL 36 – ET: 06/2022
§ 93 Abs. 5 AktG gewährt den Gläubigern der Gesellschaft einen Direktanspruch gegen Vorstandsmitglieder, die der Gesellschaft ersatzpflichtig sind. Die Gläubiger können Ersatzansprüche gegenüber der Gesellschaft bis zur Höhe ihres eigenen Anspruchs einschließlich aller Nebenforderungen, wie Kosten und Zinsen, unter bestimmten Voraussetzungen geltend machen. Neben diesem Direktanspruch gegen Vorstandsmitglieder haben die Gläubiger grds. auch die Möglichkeit, ihre Ansprüche gegenüber der Gesellschaft geltend zu machen und aufgrund eines gegen die Gesellschaft erstrittenen Titels deren Ersatzansprüche gegen Vorstandsmitglieder zu pfänden und sich zur Einziehung oder an Zahlungs statt überweisen zu lassen (vgl. §§ 829 und 835 ZPO). Beides hat seine Vor- und Nachteile. Durch die Pfändung des Ersatzanspruchs der Gesellschaft ist es einem ersatzpflichtigen Vorstandsmitglied zwar versagt, mit befreiender Wirkung an die Gesellschaft zu zahlen. Bei der Geltendmachung dieses Ersatzanspruchs sind die Gläubiger allerdings allen Einwendungen des Vorstandsmitglieds ausgesetzt, insbesondere auch der Berufung auf einen gesetzmäßigen Beschluss der HV oder einen späteren Haftungsausschluss durch Verzicht oder Vergleich (vgl. § 93 Abs. 4 AktG). Bei dem Direktanspruch nach § 93 Abs. 5 AktG sind die Vorstandsmitglieder mit den genannten Einwendungen zwar weitgehend ausgeschlossen. Sie können allerdings mit befreiender Wirkung an die Gesellschaft zahlen. Es empfiehlt sich daher als Gläubiger grds., neben Direktansprüchen gegen Vorstandsmitglieder nach § 93 Abs. 5 AktG auch gegen die Gesellschaft vorzugehen, gegen diese einen Titel zu erwirken und die Ansprüche der Gesellschaft gegen Vorstandsmitglieder zu pfänden und sich überweisen zu lassen (vgl. AktG-GroßKomm. (2015), § 93, Rn. 546ff.; MünchKomm. AktG (1973), § 93, Rn. 68; Hölters-AktG (2022), § 93, Rn. 310f.). Dogmatisch umstritten ist die Frage, ob es sich bei dem den Gläubigern eingeräumten Verfolgungsrecht nach § 93 Abs. 5 AktG um einen eigenen materiell-rechtlichen Anspruch oder um einen Fall der Prozessstandschaft handelt, bei der ein Gläubiger nur den Anspruch der Gesellschaft im eigenen Namen geltend macht. Für einen eigenen Anspruch der Gläubiger spricht, dass dieser auch dann geltend gemacht werden kann, wenn ein Anspruch der Gesellschaft wegen eines zustimmenden vorangegangenen HV-Beschlusses oder eines nachträglichen Verzichts oder Vergleichs nach § 93 Abs. 4 AktG ausgeschlossen ist. Praktisch hat der Streit allerdings wenig Bedeutung (vgl. KK-AktG (2010), § 93, Rn. 180; Hüffer-AktG (2022), § 93, Rn. 170f.; MünchKomm. AktG (2019), § 93, Rn. 301). Im Einzelnen ist der Direktanspruch nach § 93 Abs. 5 AktG an die folgenden Voraussetzungen geknüpft:
Tz. 78
Stand: EL 36 – ET: 06/2022
Die Gesellschaft muss einen Schadensersatzanspruch gegen Vorstandsmitglieder nach § 93 Abs. 2 oder 3 AktG haben. Das Vorstandsmitglied muss also durch eine Handlung oder Unterlassung eine schuldhafte Pflichtverletzung nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG begangen bzw. einen der in § 93 Abs. 3 AktG genannten Sondertatbestände verwirklicht und dadurch zurechenbar einen Schaden verursacht haben (vgl. HdR-E, AktG § 93, Rn. 30ff.). Liegt ein Fall des § 93 Abs. 3 AktG vor, so genügt für den Direktanspruch eines Gläubigers jedes Verschulden des Vorstandsmitglieds (vgl. HdR-E, AktG § 93, Rn. 66). Handelt es sich hingegen um einen Fall nach § 93 Abs. 2 AktG, so ist für den Direktanspruch vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verschulden des Vorstandsmitglieds erforderlich (vgl. § 93 Abs. 5 Satz 2 AktG). Die Beweislastregel des § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG findet sinngemäß Anwendung (vgl. § 93 Abs. 5 Satz 2 AktG). Der Gläubiger hat also grds. die Vorstandseigenschaft, eine möglicherweise pflichtwidrige Handlung oder Unterlassung des in Anspruch genommenen Vorstandsmitglieds und den dadurch zurechenbar verursachten Schaden darzulegen und zu beweisen. Gelingt ihm dies, so werden Pflichtverletzung und Verschulden des Vorstandsmitglieds vermutet (vgl. HdR-E, AktG § 93, Rn. 38). Liegt ein Fall des § 93 Abs. 3 AktG vor, so ist auch die weitere Beweislastumkehr zu Lasten des Vorstandsmitglieds anwendbar, wonach bei Vorliegen eines der dort aufgeführten Sondertatbestände auch der Schaden vermutet wird (vgl. HdR-E, AktG § 93, Rn. 66). Durch einen zustimmenden HV-Beschluss oder einen zwischen Gesellschaft oder Vorstandsmitglied zustande gekommenen Verzicht oder Vergleich nach § 93 Abs. 4 Satz 1 und 3 AktG wird nur ein Anspruch der Gesellschaft ausgeschlossen (vgl. HdR-E, AktG § 93, Rn. 67ff.), nicht aber ein Direktanspruch der Gläubiger (vgl. § 93 Abs. 5 Satz 3 AktG). Anderes gilt für Vergleiche in der Insolvenz der Gesellschaft (vgl. HdR-E, AktG § 93, Rn. 76). Ein durch den Insolvenzverwalter oder Sachwalter geschlossener Vergleich schließt nach allg. Meinung den Direktanspruch der Gläubiger aus (vgl. AktG-GroßKomm. (2015), § 93, Rn. 574; MünchKomm. AktG (1973), § 93, Rn. 79; MünchKomm. AktG (2019...