Dr. Robert Weber, Julia Sieber
Tz. 84
Stand: EL 42 – ET: 05/2024
Nach § 93 Abs. 2f. AktG haften Vorstandsmitglieder nur der Gesellschaft. Gläubiger können den Ersatzanspruch unter den Voraussetzungen des § 93 Abs. 5 AktG geltend machen. Aktionäre können zwar die Geltendmachung von Ansprüchen der Gesellschaft unter den Voraussetzungen des § 147 Abs. 1f. AktG erzwingen oder im Falle einer Pflichtverletzung des gesetzlichen Vertreters eines herrschenden UN Ersatzansprüche der Gesellschaft gemäß den §§ 309 Abs. 4, 310 Abs. 4, 317 Abs. 4 und 318 Abs. 4 AktG geltend machen, sinngemäß ebenso bei Eingliederung gemäß der §§ 323 Abs. 1 Satz 2, 309 Abs. 4 AktG. Sie können unter den Voraussetzungen des durch das UMAG eingefügten § 148 AktG Ersatzansprüche der Gesellschaft auch im eigenen Namen geltend machen, wenn sie die Gesellschaft zuvor vergeblich zur Klageerhebung aufgefordert haben. Eine Haftung gegenüber Aktionären nach § 93 AktG scheidet hingegen aus. Sie kann sich nur aus besonderen Anspruchsgrundlagen, v.a. aus unerlaubter Handlung (vgl. §§ 823ff. BGB), ergeben. In Betracht kommt zunächst § 823 Abs. 1 BGB. Dieser schützt allerdings nicht das Vermögen als solches. Vermögensschäden, wie eine Entwertung bzw. ein Wertverlust der Aktien, stellen folglich keinen nach dieser Vorschrift ersatzfähigen Schaden dar. Als von § 823 Abs. 1 BGB geschütztes sonstiges Recht ist allerdings das Mitgliedschaftsrecht der Aktionäre anerkannt. Nach teilweise vertretener Meinung soll daher bei einem Eingriff in das Substrat dieses Mitgliedschaftsrechts, wie bei Verletzung der Gleichbehandlungspflicht oder Minderung des Einflusses der Mitgliedschaftsposition, eine Haftung von Vorstandsmitgliedern nach § 823 Abs. 1 BGB in Betracht kommen (vgl. KK-AktG (2010), § 93, Rn. 210f.; Hachenburg (1997), § 43 GmbHG, Rn. 105). Dem wird man mit der h. M. entgegenhalten müssen, dass solche Eingriffe in Mitgliedschaftsrechte sich als typische Verletzung der körperschafts- und vertragsrechtlichen Pflichten des Vorstandsmitglieds und letztlich als Eingriff in das dahinterstehende Vermögen darstellen, das von § 823 Abs. 1 BGB gerade nicht geschützt wird. Eine Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB dürfte daher in diesen Fällen ausscheiden (vgl. AktG-GroßKomm. (2015), § 93, Rn. 627f.; differenzierter MünchKomm. AktG (2019), § 93, Rn. 337ff.). Denkbar ist ferner eine Haftung von Vorstandsmitgliedern nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. einem Schutzgesetz. Schutzgesetze sind z. B. Strafgesetze, wie § 399 AktG (Falsche Angaben) oder § 400 AktG (Unrichtige Darstellung). Die wohl h. M. sieht ferner die Art. 12 und 15 der MMVO (Verbot der Marktmanipulation) als Schutzgesetz (vgl. Schockenhoff/Culmann, AG 2016, S. 517 (519f.); a. A. Hüffer-AktG (2022), § 93, Rn. 134ff.; dies für § 20a WpHG (a. F.) ablehnend BGH, Urteil vom 13.12.2011, XI ZR 51/10, NJW 2012, S. 1800 (1802f.)). Strittig ist, ob § 266 StGB (Untreue) Schutzgesetzcharakter gegenüber Aktionären zukommt (vgl. dies ablehnend LG Wiesbaden, Urteil vom 13.08.2015, 9 O 286/14, NZG 2016, S. 832; Hüffer-AktG (2022), § 93, Rn. 135; a. A. Hölters-AktG (2022), § 93, Rn. 349). Kein Schutzgesetz ist § 93 AktG (vgl. BGH, Urteil vom 26.04.2018, IX ZR 238/17, NZG 2018, S. 1025 (1028); BGH, Urteil vom 10.07.2012, VI ZR 341/10, NJW 2012, S. 3439 (3441); LG Bonn, Urteil vom 15.05.2001, 11 O 181/00, AG 2001, S. 484 (486); AktG-GroßKomm. (2015), § 93, Rn. 630). Darüber hinaus kommt eine Haftung von Vorstandsmitgliedern gegenüber Aktionären bei sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung aus § 826 BGB in Betracht, z. B. bei fehlerhaften Ad-hoc-Meldungen (vgl. BGH, Urteil vom 19.07.2004, II ZR 402/02, DB 2004, S. 1931; BGH, Urteil vom 19.07.2004, II ZR 218/03, DB 2004, S. 1928 (1930); zur Vorstandshaftung bei fehlerhafter Ad-hoc-Publizität auch Fleischer (2006), § 14, Rn. 20ff.). Anders als § 823 Abs. 1 BGB können über § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. einem Schutzgesetz und über § 826 BGB auch Vermögensschäden ersetzt werden. Problematisch ist der Ersatz von Vermögensschäden der Aktionäre in Form einer Wertminderung von Aktien. Dabei handelt es sich regelmäßig um einen unmittelbaren Schaden der Gesellschaft, der sich in einer Wertminderung der Aktien und damit einem mittelbaren Schaden der Aktionäre widerspiegelt (sog. Reflex- oder Doppelschaden). Um eine doppelte Inanspruchnahme des Vorstandsmitglieds seitens der Gesellschaft und der Aktionäre zu vermeiden, können die Aktionäre die Erstattung eines solchen Schadens grds. nur an die Gesellschaft verlangen (vgl. LG Hamburg, Urteil vom 11.07.1997, 324 O 69/96, AG 1998, S. 432 (433); BGH, Urteil vom 21.10.2002, II ZR 118/02, NZG 2003, S. 85f.; Hölters-AktG (2022), § 93, Rn. 352). Eine Schadensersatzpflicht von Vorstandsmitgliedern gegenüber Aktionären kann sich ferner aus § 117 Abs. 2 AktG ergeben, sofern es sich nicht um einen in einer Wertminderung der Aktien bestehenden mittelbaren Schaden bzw. Reflexschaden handelt (vgl. § 117 Abs. 1 Satz 2 AktG).