Prof. Dr. Martin Henssler, Dr. David Markworth
Rn. 77
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Die Freistellung des herrschenden UN von Sanktionen bei im GJ erfolgten Ausgleichsmaßnahmen muss sich zwangsläufig auf die Rechts- und Pflichtenstellung des Vorstands der abhängigen Gesellschaft auswirken. Dieser ist zwar berechtigt, aber nicht verpflichtet, die nachteiligen Weisungen des beherrschenden UN umzusetzen bzw. nachteilige Maßnahmen zu dulden. Eine entsprechende Verpflichtung muss schon daran scheitern, dass die §§ 311ff. AktG keine Rechtfertigung für eine sich nachteilig auswirkende Konzernleitung enthalten. Nachteilige Weisungen und Maßnahmen bleiben rechtswidrig (vgl. HdR-E, Einf AktG §§ 311–318, Rn. 19ff., m. w. N.; Altmeppen (1998), S. 56ff.). Auch in dem eher theoretischen Fall einer vorteilhaften "Weisung" besteht keine Verpflichtung gegenüber dem Allein- oder Mehrheitsgesellschafter, sondern allenfalls eine solche gegenüber der abhängigen Gesellschaft, deren Interessen die Organmitglieder zu wahren haben (vgl. ebenso KonzernR (2022), § 311 AktG, Rn. 78f.; Vetter, ZHR 2007, S. 342 (361f.)). Dagegen profitieren die Organmitglieder von dem Privilegierungstatbestand des § 311 AktG insofern, als sie auf nachteilige Veranlassungen grds. eingehen dürfen. Allerdings sind sie gemäß § 93 AktG zur Überprüfung verpflichtet, ob das Ausgleichssystem des § 311 AktG im konkreten Fall auch tatsächlich den vollwertigen Schutz der abhängigen Gesellschaft sicherstellt, m.a.W. die zugefügten Nachteile einzelausgleichsfähig sind und das herrschende UN auch willens und fähig ist, die Nachteile innerhalb des GJ auszugleichen.
Rn. 78
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Insbesondere hat der Vorstand frühzeitig auf eine Einigung mit dem herrschenden UN über den nachteiligen Charakter der Maßnahme sowie über Art und Umfang der Kompensationsleistung hinzuwirken (vgl. zum Ganzen vgl. Altmeppen (1998), S. 56ff.; Strohn (1977), S. 30ff.; Lutter, in: FS Peltzer (2001), S. 241 (256); Wackerbarth, DK 2010, S. 261 (268); zur Haftung des Geschäftsleiters des herrschenden UN § 317 Abs. 3 AktG und dazu vornehmlich Altmeppen, NZG 2010, S. 401 (405)). Bevor der Vorstand seine eigene Gesellschaft schädigt, muss er folglich den dafür geschuldeten Ausgleich bereits bewertet und vom beherrschenden Aktionär die Zusage des vollständigen Ausgleichs erlangt haben. Nach Möglichkeit muss die Einigung über die Ausgleichsleistung bereits vor der Benachteiligung erfolgen, jedenfalls dann, wenn es für die nachteilige Maßnahme einer Mitwirkungshandlung des Vorstands bedarf (vgl. Altmeppen, ZIP 1996, S. 693 (695ff.)).
Rn. 79
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Bei Gewährung eines an sich nicht unter § 311 Abs. 1 AktG fallenden upstream loan oder einer Teilnahme an einem Cash-Pool (vgl. hierzu schon HdR-E, AktG § 311, Rn. 52ff.) ist der Vorstand verpflichtet, laufend etwaige Änderungen des Kreditrisikos zu prüfen und auf eine sich nach der Darlehensausreichung andeutende Bonitätsverschlechterung mit einer Kreditkündigung oder der Anforderung von Sicherheiten zu reagieren (vgl. BGH, Urteil vom 01.12.2008, II ZR 102/07, BGHZ 179, S. 71 (79)).
Rn. 80
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Für die Rechts- und Pflichtenstellung der AR-Mitglieder ergeben sich aus den §§ 311ff. AktG keine Besonderheiten. Sie haben im Rahmen ihrer Kontrollaufgabe darüber zu wachen, dass die Privilegierungsvoraussetzungen des § 311 AktG beachtet werden (vgl. Lutter, in: FS Peltzer (2001), S. 241 (256)). Bei Bestehen eines Cash-Pool-Systems beinhaltet dies insbesondere die Kontrolle der Einrichtung und des Betriebs des von der Rspr. geforderten Frühwarnsystems (vgl. dazu HdR-E, AktG § 311, Rn. 57; Altmeppen, NZG 2010, S. 401 (405); Bayer/Lieder, AG 2010, S. 885 (893ff.)).