Prof. Dr. Peter Oser, Dr. Peter Lauer
Rn. 34
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Der Einfluss der internationalen RL nach IFRS ist seit Verabschiedung der sog. IAS-VO (EG) Nr. 1606/2002 (ABl. EG, L 243/1ff. vom 11.09.2002) des EU-Parlaments und Rates vom 19.07.2002 stetig gewachsen. Dabei beschränkt sich die Anwendung der IFRS zunächst nur auf den KA. Gemäß Art. 4 jener IAS-VO gilt, dass die IFRS für alle UN bindend sind, deren Wertpapiere am jeweiligen BilSt in einem beliebigen Mitgliedstaat der EU bzw. des EWR zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind. In ihrem unverbindlichen Kommentar zu bestimmten Artikeln der IAS-VO stellt die EU-KOM klar, dass die VO "nur dann wirksam [wird, d.Verf.], wenn die konsolidierten Abschlüsse von anderer Seite gefordert" werden; für die Bestimmung der KA-Pflicht sei allein das "einzelstaatliche Recht" maßgebend (vgl. EG (2003), S. 7 (auch Zitate); ferner grundlegend IFRS-Komm. (2018), Kap. III, Rn. 2ff.). M.a.W.: In den Anwendungsbereich der VO fallen diejenigen deutschen kap.-marktorientierten MU, die zur Konzern-RL nach den §§ 290–293 bzw. § 11 PublG verpflichtet sind (vgl. § 315e Abs. 1; § 11 Abs. 6 Nr. 2 PublG).
Rn. 35
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Ferner räumt Art. 5 der IAS-VO den einzelnen Mitgliedstaaten ein Wahlrecht ein, die von der EU übernommenen IFRS sowohl
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für den EA kap.-marktorientierter UN als auch |
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für den Konzern- bzw. EA nicht kap.-marktorientierter UN |
zuzulassen oder gar verbindlich vorzuschreiben. Der deutsche Gesetzgeber nutzte dieses in nationales Recht umzusetzende Wahlrecht, indem er mit § 315e Abs. 2 sowie § 11 Abs. 6 Nr. 2 PublG die Verpflichtung zur Anwendung der von der EU übernommenen IFRS bei der KA-Erstellung auch auf MU ausdehnte, die zum betreffenden BilSt die Zulassung eines Wertpapiers i. S. d. § 2 Abs. 1 WpHG zum Handel an einem organisierten Markt i. S. d. § 2 Abs. 11 WpHG beantragt haben.
Für den KA nicht kap.-marktorientierter MU eröffnet(e) der deutsche Gesetzgeber mit § 315e Abs. 3 sowie § 11 Abs. 6 Nr. 2 PublG jeweils ein Wahlrecht zur freiwilligen IFRS-Anwendung. Eine Aufstellung von EA auf Basis der IFRS ist sowohl für kap.-marktorientierte als auch alle nicht kap.-marktorientierten UN ausschließlich nur in Ergänzung zum handelsrechtlichen JA möglich. Jedoch gestattet der Gesetzgeber, anstelle des HGB-JA einen IFRS-EA offen zu legen (vgl. § 325 Abs. 2af.; § 9 Abs. 1 Satz 1 PublG). Im Übrigen ist für Zwecke der KA-Erstellung zunächst die Anwendung der IFRS auf die im EA relevanten Positionen zur Erstellung eines sog. Summenabschlusses notwendig.
Rn. 36
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Neben der Anwendung der IFRS auf den KA wurde auch eine (vollständige) Ersetzung des handelsrechtlichen JA durch einen entsprechenden IFRS-Abschluss diskutiert (vgl. nur Böcking, WPg 2001, S. 1433 (1436f.); Zabel, WPg 2002, S. 919 (920); Haufe IFRS-Komm. (2022), § 7, Rn. 8f.). Hintergrund ist, dass diejenigen UN, die einen IFRS-KA aufstellen, die i. R.d. JA auftretenden Ansatz- und Bewertungsfragen bereits im Vorfeld haben weitgehend klären müssen. Somit ergäbe sich aus dem (vollständigen) Verzicht auf den HGB-JA – auch unter dem Aspekt einer eigenständigen StB (vgl. HdR-E, Kap. 1, Rn. 24ff.) – eine spürbare Erleichterung. Hinzu kommt, dass die "Zweigleisigkeit von handelsrechtlichem Einzelabschluss und IFRS-Konzernabschluss [...] Irritationen bei den Bilanzadressaten auslösen" (Haufe IFRS-Komm. (2022), § 7, Rn. 9) könne.
Inzwischen haben sich einige Länder (so etwa Großbritannien, die Niederlande oder Luxemburg) unter Inanspruchnahme des Wahlrechts in Art. 5 der IAS-VO bereits zu einem solchen Vorgehen entschlossen und die Anwendung der IFRS im EA erlaubt oder sogar explizit vorgeschrieben. Der deutsche Gesetzgeber hat dagegen mit dem BilMoG klar zum Ausdruck gebracht, dass eine Annäherung an die IFRS zwar sinnvoll sei, der handelsrechtliche Abschluss jedoch als echte Alternative zu den IFRS erhalten bleiben solle. Dies mag zum einen der Aufrechterhaltung der Gesetz- bzw. Normgebungsautonomie in diesem Bereich geschuldet sein, zum anderen auch der Einsicht, dass die "IFRS als Ausschüttungsbemessungsgrundlage kaum" und als Grundlage für die Besteuerung "wenig geeignet" (vgl. BT-Drs. 15/3419, S. 23 (beide Zitate)) erscheinen (vgl. zur Diskussion auch Weber-Grellet, BB 2011, S. 43 (50)).