Dr. Alfred Simlacher, Dr. Stephan Vossel
Rn. 211
Stand: EL 44 – ET: 12/2024
Mit der Einstufung latenter Steuern als "Sonderposten eigener Art" (BT-Drs. 16/10067, S. 67f.) bestand die Notwendigkeit, ihrem besonderen Charakter auch durch einen gesonderten Gliederungspunkt in der Bilanz Ausdruck zu verleihen. Dementsprechend wurde das Gliederungsschema des § 266 (Abs. 2f.) auf der Aktivseite um die Position "D. Aktive latente Steuern" und auf der Passivseite um die Position "E. Passive latente Steuern" erweitert. Da es sich definitionsgemäß um keine VG bzw. Schulden handelt, scheidet der Ausweis unter einem anderen Gliederungspunkt aus.
Rn. 212
Stand: EL 44 – ET: 12/2024
Die gesetzlichen Bestimmungen regeln i. R.d. Gesamtdifferenzbetrachtung die Behandlung sowohl einer sich insgesamt ergebenden Steuerbelastung (vgl. § 274 Abs. 1 Satz 1) als auch einer sich insgesamt ergebenden Steuerentlastung (vgl. § 274 Abs. 1 Satz 2). Der Gesetzeswortlaut adressiert somit den Ansatz eines aktiven oder passiven Überhangs (Nettoausweis). Die Anwendung des Nettoausweises ist aus bilanzpolitischen Erwägungen vorteilhaft, weil durch eine Bilanzverkürzung eine höhere EK-Quote erzielt werden kann (vgl. Küting/Seel, DB 2009, S. 922 (924)). Weiterhin eröffnet § 274 Abs. 1 Satz 2 ein Wahlrecht für die Bilanzierung eines aktiven Überhangs latenter Steuern. Dieses gilt auch dann, wenn der Aktivüberhang ganz oder teilweise durch zukünftige Steuerminderungspotenziale nach § 274 Abs. 1 Satz 4 begründet ist (vgl. Ernst/Seidler, BB 2009, S. 766 (768)). Im Ergebnis bezieht sich das Ansatzwahlrecht nur auf einen insgesamt darüber hinaus bestehenden Aktivüberhang latenter Steuern (vgl. Wendholdt/Wesemann, DB 2009, Beilage Nr. 5 zu Heft 23, S. 64 (67)). Ergibt sich ein Aktivüberhang und übt ein UN das Aktivierungswahlrecht nicht aus, wird keine Bilanzposition gezeigt (vgl. Beck-HdR, B 235 (2016), Rn. 220). Auch wenn die Bilanz keine latenten Steuern ausweist, impliziert eine solche Darstellungsweise den Ansatz von aktiven latenten Steuern i. H. v. vorhandenen passiven latenten Steuern.
Beispiel:
Aktivierungswahlrecht latenter Steuern bei saldiertem Ausweis
Ein UN hat passive latente Steuern infolge von zu versteuernden temporären Differenzen von 50.000 EUR und aktive latente Steuern aufgrund von abzugsfähigen temporären Differenzen von insgesamt 80.000 EUR ermittelt. Das UN plant einen saldierten Ausweis nach § 274 Abs. 1 Satz 2.
Wird das Wahlrecht, einen Überhang an aktiven latenten Steuern anzusetzen, nicht ausgeübt, weist die Bilanz keine latenten Steuern aus. Wird vom Wahlrecht hingegen Gebrauch gemacht, ist in der Bilanz unter dem Posten § 266 Abs. 2 D. "Aktive latente Steuern" ein Betrag von 30.000 EUR zu zeigen.
Rn. 213
Stand: EL 44 – ET: 12/2024
Alternativ können latente Steuern auch unsaldiert (Bruttoausweis) in der Bilanz dargestellt werden (vgl. § 274 Abs. 1 Satz 3). In einem solchen Fall sind in der Bilanz sowohl aktive als auch passive latente Steuern auszuweisen. Damit soll dem Ziel Rechnung getragen werden, den Abschlussadressaten eine bessere Information zur Verfügung zu stellen (vgl. Beck Bil-Komm. (2024), § 274 HGB, Rn. 77).
Beispiel:
Aktivierungswahlrecht latenter Steuern bei unsaldiertem Ausweis
Sachverhalt wie unmittelbar zuvor (vgl. HdR-E, HGB § 274, Rn. 212). Betreffendes UN plant nun einen unsaldierten Ausweis nach § 274 Abs. 1 Satz 3.
Das Unternehmen weist in der Bilanz aktive latente Steuern von 80.000 EUR und passive latente Steuern i. H. v. 50.000 EUR aus.
Rn. 214
Stand: EL 44 – ET: 12/2024
Beim Bruttoausweis latenter Steuern nach § 274 Abs. 1 Satz 3 werden die aktiven und passiven latenten Steuern grds. vollumfänglich als Aktiva und Passiva dargestellt. Die hierdurch gezeigten erwarteten Steuermehr- und -minderbelastungen werden sich jedoch nicht in gleichem Umfang in zukünftigen Steuerzahlungen und Steuererstattungen widerspiegeln, da zum einen in der Zukunft weitere Sachverhalte mit steuererheblichem Gehalt anfallen werden und zum anderen die erwarteten Steuermehr- und -minderbelastungen gegenläufige Effekte auf die zukünftigen steuerlichen Bemessungsgrundlagen ausüben werden. Aus dem letztgenannten Aspekt heraus könnten Überlegungen zur Aufrechnung aktiver und passiver latenter Steuern (außerhalb des Nettoausweises nach § 274 Abs. 1 Satz 1f.) abgeleitet werden. Hiergegen ist jedoch einzuwenden, dass für Steuern zwar grds. eine Aufrechnungsmöglichkeit nach § 226 AO i. V. m. § 387 BGB besteht, diese jedoch auf latente Steuern nicht anwendbar ist (vgl. Vossel (2012), S. 85). Voraussetzung für eine Aufrechnung ist, dass die Hauptforderung erfüllbar und die Gegenforderung voll wirksam und fällig ist (vgl. Beermann/Gosch (2005), § 226 AO, Rn. 2). Im Falle latenter Steuern sind die Steuerforderungen noch nicht erfüllbar, da sie i. S. v. § 38 AO noch nicht entstanden (vgl. Beermann/Gosch (2005), § 226 AO, Rn. 32) und auch nicht fällig sind.
Rn. 215
Stand: EL 44 – ET: 12/2024
Unabhängig von den gesetzlichen Saldierungsmöglichkeiten sieht DRS 18.40 die Möglichkeit ("kann") einer ...