Dr. Klaus-Hermann Dyck, Prof. Dr. Sven Hayn
1. Grundlagen
Rn. 212
Stand: EL 36 – ET: 06/2022
Eine Möglichkeit, den vorhandenen Auftragsbestand zu finanzieren, besteht darin, den Auftraggeber zur Leistung einer Anzahlung zu verpflichten. Ist der Auftragnehmer nicht in der Lage, den Auftrag auszuführen, so ist er verpflichtet, die erhaltene Anzahlung dem Auftraggeber zurückzuzahlen. Insoweit stellt die erhaltene Anzahlung beim Auftragnehmer eine finanzielle Verpflichtung und somit eine Verbindlichkeit dar.
Eine wirtschaftliche Betrachtung dieses Sachverhalts führt jedoch zu dem Ergebnis, dass die Situation der Rückzahlung i. d. R. nicht zu erwarten ist. Es kann davon ausgegangen werden, dass sowohl der Auftragnehmer als auch der Auftraggeber zunächst an der endgültigen Abwicklung des Auftrags interessiert sind. Eine Passivierung der erhaltenen Anzahlung als Verbindlichkeit entspricht insoweit nicht den wirtschaftlichen Gegebenheiten. Erst in dem Moment, in dem feststeht, dass der Auftrag nicht abgewickelt wird und eine Rückzahlung der erhaltenen Anzahlung erfolgen muss, entspricht der Ausweis als Verbindlichkeit der wirtschaftlichen Realität, wodurch letztlich auch die dann notwendige Umgliederung in die "sonstige[n] Verbindlichkeiten" sachgerecht sein dürfte.
2. Ausweistechnik
Rn. 213
Stand: EL 36 – ET: 06/2022
Diesen wirtschaftlichen Gegebenheiten wird § 268 Abs. 5 Satz 2 gerecht. Demnach können erhaltene Anzahlungen entweder offen von den Vorräten abgesetzt oder gesondert unter den "Verbindlichkeiten" ausgewiesen werden.
Die Möglichkeit der Verrechnung mit dem Vorratsvermögen stellt zunächst einen Verstoß gegen das Saldierungsverbot (vgl. § 246 Abs. 2; als eine weitere Ausnahme vom Verrechnungsverbot qualifiziert sich etwa die infolge des BilMoG ausdrücklich zugelassene Verrechnung von Altersvorsorgeverpflichtungen mit zu ihrer Deckung geführten VG gemäß § 253 Abs. 1 i. V. m. § 246 Abs. 2 Satz 2) dar, da hier eine unmittelbare Verrechnung von Aktivposten mit den zu ihrer Finanzierung aufgenommenen Mitteln erfolgt. Gerechtfertigt werden kann dieser Verstoß lediglich über die oben wiedergegebene wirtschaftliche Betrachtungsweise. Darüber hinaus wird durch zwei weitere Vorschriften der Informationsverlust vermindert, der sich aufgrund der Saldierung ergibt:
(1) |
Werden die erhaltenen Anzahlungen mit dem Vorratsvermögen verrechnet, so muss diese Verrechnung offen gezeigt werden. Um zu vermeiden, dass in der Hauptspalte der Aktivseite ein Negativbetrag erscheint, bietet es sich an, die erhaltenen Anzahlungen in einer Vorspalte offen vom Vorratsvermögen abzusetzen. Da die Verrechnung eines Postens der Aktivseite mit den zur Finanzierung dieses Postens erforderlichen Mitteln einen wesentlichen Tatbestand bei der prinzipiell dem Bruttoprinzip folgenden Bilanzierung darstellt, ist der genannte Vorspaltenvermerk zwingend. Eine Verlagerung der Offenlegung dieser Verrechnung in den Anhang ist in diesem Fall nicht zulässig. |
(2) |
Des Weiteren wird in § 268 Abs. 5 Satz 2 zwischen Anzahlungen auf Bestellungen und Anzahlungen auf Vorräte differenziert. Die Verrechnungsmöglichkeit besteht nur für die zuletzt genannten Anzahlungen. Hierdurch wird sichergestellt, dass lediglich dann eine Verrechnung vorgenommen wird, wenn für den Auftrag, auf den sich die erhaltene Anzahlung erstreckt, bereits VG angeschafft bzw. hergestellt worden sind. Solange die erhaltene Anzahlung noch nicht für die Beschaffung der für den Auftrag benötigten Gegenstände des Vorratsvermögens verwendet worden ist, liegt keine Anzahlung auf Vorräte vor. Eine Verrechnung ist in diesem Fall ausgeschlossen, so dass lediglich ein Ausweis auf der Passivseite unter C. 3. möglich ist. Diese ausdrückliche Unterscheidung im Zusammenhang mit der näheren Umschreibung der erhaltenen Anzahlung ist als gesetzliche Kodifizierung der auch wirtschaftlich sachgerechten Einschränkung dieser grds. zulässigen Saldierung anzusehen (vgl. mit a. A. ADS (1997), § 266, Rn. 99). |
Rn. 214
Stand: EL 36 – ET: 06/2022
Hat ein Dienstleistungs-UN für noch nicht endgültig fertig gestellte und noch nicht abgerechnete Auftragsarbeiten Anzahlungen erhalten, so dürfte auch hier eine Verrechnung insoweit zulässig sein, als eine Aktivierung dieser Auftragsarbeit erfolgt ist. Dies dürfte ebenfalls gelten, wenn die noch nicht abgerechneten Auftragsarbeiten entsprechend ihrem Charakter als Forderung aktiviert worden sind (vgl. HdR-E, HGB § 266). Zwar würde in diesem Fall eine formale Auslegung von § 268 Abs. 5 Satz 2 die Verrechnungsmöglichkeit ausschließen, jedoch ist materiell kein Unterschied zu den erhaltenen Anzahlungen für das Vorratsvermögen gegeben. Des Weiteren ist eben diese Verrechnung bereits nach dem AktG 1965 als zulässig angesehen worden (vgl. ADS (1968), § 151 AktG, Rn. 250), weshalb es nicht ersichtlich ist, warum sich an dieser Tatsache nach geltendem Recht etwas geändert haben sollte.
3. Behandlung der Umsatzsteuer
Rn. 215
Stand: EL 36 – ET: 06/2022
Gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) UStG entsteht die USt bereits bei der Vereinnahmung von Anzahlungen. Sie ist wie die erhaltene Anzahlung selbst erfol...