Rn. 3
Stand: EL 43 – ET: 08/2024
Infolge des Bilanzrichtlinien-Gesetzes (BiRiLiG) vom 19.12.1985 (BGBl. I 1985, S. 2355) wurden die Vorschriften über die RL in der Liquidation neu gefasst. Nach § 71 Abs. 2 Satz 2 GmbHG sind auf die "Eröffnungsbilanz und den erläuternden Bericht [...] die Vorschriften über den Jahresabschluß entsprechend anzuwenden". Damit wird – kontrastierend zur Rechtslage vor dem BiRiLiG – für die Eröffnungsbilanz keine vollständige Neubewertung sämtlicher VG und Verbindlichkeiten gefordert; es wird vielmehr an die Buchwerte der Schlussbilanz angeknüpft, die die werbende Tätigkeit abschließt. Diese Schlussbilanz der werbenden Tätigkeit ist wiederum auf den Tag aufzustellen, der der Liquidationseröffnungsbilanz vorausgeht (vgl. Rowedder-GmbHG (2022), § 71, Rn. 4).
Rn. 4
Stand: EL 43 – ET: 08/2024
Diese Kontinuität gilt jedoch nicht ohne Ausnahme und nicht uneingeschränkt. In § 71 Abs. 2 Satz 3 GmbHG ist bestimmt, dass VG des AV wie UV zu bewerten sind, "soweit ihre Veräußerung innerhalb eines übersehbaren Zeitraums beabsichtigt ist oder diese Vermögensgegenstände nicht mehr dem Geschäftsbetrieb dienen". Treffen diese Voraussetzungen zu, müssen VG des AV nach dem strengen NWP (vgl. § 253 Abs. 4) bewertet werden. Sie sind also höchstens mit dem Börsen- oder Marktpreis am Stichtag der Liquidationseröffnungsbilanz oder mit dem ihnen an diesem Stichtag beizulegenden Wert anzusetzen. Dieser Wert wird häufig deutlich niedriger sein als der Buchwert, mit dem der VG im Rahmen des AV bewertet worden war.
Rn. 5
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Neben dieser gesetzlich bestimmten Ausnahme gibt es weitere Ausnahmen vom Grundsatz der Kontinuität, die sich aus den veränderten Umständen ergeben, die der Liquidationsbeschluss auslöst. Der Umfang dieser weiteren Ausnahmen hängt davon ab, wie die durch § 71 Abs. 2 Satz 2 GmbHG geforderte "entsprechende" Anwendung der Vorschriften über den JA auszulegen ist. Die h. M. nimmt eine Auslegung i. e. S. vor. Sie geht davon aus, dass sich aus der Formulierung "entsprechend" keine inhaltlichen Einschränkungen für die Gestaltung der Liquidations-RL ableiten lassen und ein Abweichen von den Vorschriften des HGB grds. nur aufgrund gesonderter gesetzlicher Regelungen möglich sei (vgl. Förschle/Deubert, DStR 1996, S. 1743 (1744); Hachenburg (1997), § 71 GmbHG, Rn. 23; im Einzelnen auch Scherrer/Heni, WPg 1996, S. 681 (682); Scholz-GmbHG (2020), § 71, Rn. 22f.).
Diese Auffassung ist indes weder dem Gesetzeswortlaut noch dem Gesetzeszweck zu entnehmen, noch berücksichtigt sie in hinreichendem Maße die Besonderheiten des Liquidationsverfahrens (vgl. hierzu auch Jurowsky, DStR 1997, S. 1782 (1785f.)). Das Liquidationsverfahren bezweckt die Herbeiführung der vollständigen Beendigung der Gesellschaft sowie die Auskehrung des Restkap. in Form des Liquidationsüberschusses an die Gesellschafter. Damit einher geht das Interesse der Gesellschafter, die Höhe des Liquidationsüberschusses zu erfahren, welcher durch die "Versilberung" des vorhandenen Restvermögens erzielt werden wird. Gleichzeitig dient das Liquidationsverfahren dem Schutz der Gläubiger, indem § 73 GmbHG eine totale Ausschüttungssperre verhängt, solange nicht die Tilgung oder Sicherstellung der Schulden erfolgt und das Sperrjahr abgelaufen ist.
Das Liquidationsverfahren bezweckt demnach Gesellschafter- und Gläubigerschutz gleichermaßen. Erreicht wird dieser Zweck zum einen durch die Aufstellung der Liquidationseröffnungsbilanz und die damit einhergehende Inventarisierung des Vermögens und der Schulden der Gesellschaft. Zum anderen müssen die Liquidationsbilanzen unter dem Gesichtspunkt des true and fair view ein Bild der tatsächlichen Lage der Gesellschaft vermitteln. Ausgehend von diesen Gesichtspunkten, ist eine "entsprechende" Anwendung der Vorschriften über den JA dahingehend zu verstehen, als die Liquidationsbilanzen zu modifizieren sind, soweit der Liquidationszweck eine Abweichung von den allg. Vorschriften des HGB erfordert (vgl. Baumbach/Hueck (2022), § 71 GmbHG, Rn. 6, 15ff.).
Rn. 6
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Dieses gilt insbesondere dann, wenn konkrete Maßnahmen eingeleitet wurden, um die Betriebstätigkeit in nächster Zeit einzustellen. Dann bleibt nach hier vertretener Auffassung für die Going Concern-Prämisse kein Raum (vgl. NK-GmbHG (2020), § 71, Rn. 26).
Vor dem Hintergrund, dass mit der Liquidation grds. auch die Abwicklung beginnt (vgl. Baumbach/Hueck (2022), § 71 GmbHG, Rn. 16), erscheint die tatsächliche Betriebseinstellung als maßgebliches Kriterium (vgl. Lutter/Hommelhoff (2023), § 71 GmbHG, Rn. 2) verspätet.
Da Ziel der Liquidation die Beendigung der Gesellschaft durch Einstellung der Betriebstätigkeit ist (anders bei Veräußerung), ist der ausdrückliche Hinweis des Gesetzgebers gemäß § 71 Abs. 2 Satz 2 GmbHG, die Vorschriften über den JA entsprechend anwenden zu müssen, nur folgerichtig und eröffnet einen Beurteilungsspielraum für den konkreten Einzelfall (vgl. NK-GmbHG (2020), § 71 GmbHG, Rn. 26). Ein in diesem Zus...