Prof. Dr. Peter Oser, Dr. Peter Lauer
Rn. 7
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Buchführung und JA sollen dem Kaufmann (bzw. der UN-Leitung) einen Überblick über die VG und Schulden, über das EK sowie über Höhe und Zusammensetzung des erzielten Erfolgs vermitteln. Der Zwang zur Rechenschaft des Kaufmanns vor sich selbst soll verhindern, dass das UN aus mangelnder Übersicht über den Vermögensstand in eine finanzielle Krise gerät (vgl. Leffson (1987), S. 55f.) und dient dadurch mittelbar auch dem Gläubigerschutz (vgl. Stützel, ZfB 1967, S. 314 (323)). Die Aufstellung eines JA liegt danach im ureigensten Interesse des Kaufmanns (vgl. ADS (1998), § 242, Rn. 2) selbst.
Rn. 8
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Dass der Gesetzgeber mit der Verpflichtung zur RL auch der Selbstinformation des Kaufmanns ein großes Gewicht beimisst, lässt sich daraus ableiten, dass Kaufleute nach den §§ 238ff. JA grds. unabhängig davon erstellen müssen, ob sie zu veröffentlichen sind oder nicht (vgl. Leffson (1987), S. 55). So obliegt z. B. auch dem Einzelkaufmann, der Dritten grds. keine Rechenschaft schuldet, die Pflicht zur Aufstellung eines JA (vgl. Leffson (1987), S. 55). Diese Vorschriften wurden im Zuge des BilMoG insofern relativiert, als Einzelkaufleute i. S. d. § 241a von der Pflicht zur Buchführung und Erstellung eines Inventars befreit sind, wenn diese in zwei aufeinander folgenden GJ nicht mehr als 600.000 EUR Umsatz und 60.000 EUR Jahresüberschuss aufweisen (vgl. § 241a Abs. 1 Satz 1 (i. d. F. des sog. Bürokratieentlastungsgesetzes vom 28.07.2015, BGBl. I 2015, S. 1400ff.)).
Daraus jedoch weit(er)reichende Folgen für den Zweck der Selbstinformation abzuleiten, erscheint unangemessen (vgl. mit wohl a. A. Beck-HdR, B 100 (2016), Rn. 15). So korrespondiert die Befreiung i.W. mit der Befreiungswirkung bei fehlender Kaufmannseigenschaft, zumal die eingeführten handelsrechtlichen Schwellenwerte denen des Steuerrechts entsprechen (vgl. § 141 Abs. 1 Satz 1 AO). Somit werden tatsächlich nur wenige Kaufleute von dieser Ausnahmeregelung profitieren können (vgl. so auch Petersen/Zwirner (2009), Kap. III, S. 378 (382)). Darüber hinaus müssen die von den handelsrechtlichen Pflichten entbundenen Einzelkaufleute dennoch im Regelfall für steuerliche Zwecke – ebenso wie zur Überprüfung der Schwellenwerte – zumindest eine Gewinnermittlung mit Hilfe der EÜR gemäß § 4 Abs. 3 EStG vornehmen, mithin einer begrenzten Verpflichtung nachkommen, sich einen Überblick über ihre Geschäfte zu verschaffen.
Rn. 9
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Wenngleich v.a. bei KapG und PersG i. S. d. § 264a der JA-Zweck "Selbstinformation" im Vergleich zum Zweck der Rechenschaftslegung gegenüber Außenstehenden in den Hintergrund tritt, lässt sich auch für diese Rechtsformen ein Bedarf für diesen Zweck ausmachen: So trifft den Vorstand einer AG, KGaA bzw. SE respektive die Geschäftsführer einer GmbH bei Überschuldung der Gesellschaft die Pflicht, die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu beantragen (vgl. § 15a InsO i. V. m. §§ 17–19 InsO). Zwar gründet die bei negativer Fortbestehensprognose notwendige Prüfung, ob das "Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt" (§ 19 Abs. 2 InsO), auf einem Überschuldungsstatus; gleichwohl werden der Vorstand bzw. die Geschäftsführung durch die gesetzliche Verpflichtung zur Buchführung (vgl. § 238) und zur Aufstellung des JA i. V. m. den Aufstellungsfristen (vgl. § 264 Abs. 1) auch dazu angehalten, sich selbst über die aktuellen Schuldendeckungsmöglichkeiten des UN zu informieren. Dabei kommt einem handelsrechtlichen JA, in dem gemäß § 268 Abs. 3 ein "Nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag" (= bilanzielle Überschuldung) ausgewiesen wird, indizielle Bedeutung für eine insolvenzrechtliche Überschuldung zu. Die Feststellung einer Überschuldung anlässlich der Aufstellung eines JA löst die insbesondere im Interesse der Gläubiger liegenden Pflichten nach § 15a InsO aus.