Prof. Dr. Rolf U. Fülbier, Florian Federsel
Rn. 15
Stand: EL 32 – ET: 06/2021
Wie die Bewertungs-GoB i. A., so haben auch die in § 252 Abs. 1 kodifizierten Bewertungsgrundsätze im Besonderen die Aufgabe, die dem § 252 folgenden speziellen Bewertungsvorschriften (= "Einzelvorschriften"; vgl. z. B. nach Beck Bil-Komm. (2020), § 252 HGB, Rn. 65)
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zu konkretisieren, d. h. solche Aspekte der Bewertung auszufüllen, die in der Formulierung der speziellen Vorschriften offen bleiben oder in der Umsetzung der Gesetzesnormen zu Spielräumen führen und |
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zu ergänzen. Das ist insbesondere bei den Sachverhalten erforderlich, für die bei der Aufstellung von JA keine anwendbaren speziellen Bewertungsvorschriften existieren (vgl. HdR-E, HGB § 243, Rn. 3f.). |
Rn. 16
Stand: EL 32 – ET: 06/2021
Die Rangfolge der Vorschriften kommt in der Bezeichnung und in der Anordnung im Gesetz zum Ausdruck: § 252 bezeichnet die aufgelisteten Bewertungsregeln als "allgemeine Grundsätze". Die Bezeichnung als Grundsatz besagt, dass die Regel stets zur Anwendung kommt, wenn nicht eine Ausnahme besteht; die Betonung des Allgemeinen der Bewertungsgrundsätze verdeutlicht, dass ihnen spezielle Regeln entgegenstehen können (vgl. Förschle/Kropp, ZfB 1986, S. 873 (884f.)). In der Gesetzessystematik wird die Rangordnung der Vorschriften dadurch geschaffen, dass den allg. Bewertungsgrundsätzen in § 252 die Bewertungsvorschriften in den §§ 253–256a folgen. Weitere Bewertungsvorschriften existieren an anderer Stelle im Gesetz, z. B. in den Sonderregelungen für UN bestimmter Geschäftszweige (vgl. §§ 340ff.). Es gilt die Prioritätsregel (vgl. HdR-E, Kap. 4, Rn. 113) i. d. S., dass die Spezialvorschriften zur Bewertung den allg. Bewertungsgrundsätzen des § 252 vorgehen (vgl. auch ADS (1995), § 252, Rn. 7; Beck Bil-Komm. (2020), § 252 HGB, Rn. 65). Besondere Bedeutung hat diese Prioritätsregel durch das BilMoG erlangt. Der Gesetzgeber hat in seinem Bestreben, das HGB stärker an internationale RL-Standards anzunähern, im Bereich der Spezialvorschriften klare Verstöße gegen die allg. Bewertungsgrundsätze kodifiziert. Als zentrale Beispiele können die Durchbrechungen des Realisations- und Imparitätsprinzips durch die
- Bewertung von Finanzinstrumenten des Handelsbestands von Kredit- und Finanzdienstleistungsinstituten zum beizulegenden Zeitwert (vgl. § 340e Abs. 3 Satz 1),
- Währungsumrechnung (vgl. § 256a Satz 2),
- Rückstellungsbewertung zum Erfüllungsbetrag (vgl. § 253 Abs. 1 Satz 2) oder
- Bildung von Bewertungseinheiten (vgl. § 254) angeführt werden.
Diese Verstöße sind in ihrer Zahl und konzeptionellen Wirkung durchaus beachtlich. Ob sie das gesamte GoB-Gefüge "ins Wanken" bringen und an dem "Fundament der handelsrechtlichen Rechnungslegung" rütteln, wie das noch zu Zeiten des BilMoG vermutet wurde (vgl. Fülbier/Gassen, DB 2007, S. 2605 (2612); Fülbier/Kuschel/Maier (2010), S. 24, 65; Kirsch, StuB 2008, S. 453 (454); Stibi/Fuchs, DB 2009, Beilage Nr. 5 zu Heft 23, S. 9 (11f.); Wehrheim/Fross, ZfB 2010, S. 71ff.)), sei dahingestellt. Zumindest besteht die Gefahr, dass die GoB gerade auch unter Berücksichtigung dieser Spezialvorschriften und der dahinter stehenden Intention des Gesetzgebers teleologisch gedeutet werden (müssen). Die Gewichtung der allg. Bewertungsgrundsätze, insbesondere des Vorsichtsprinzips, könnte dadurch in Teilen zurückgedrängt werden. Die Prioritätsregel gilt allerdings nur insofern, als eine materielle Konkurrenz zwischen den allg. Bewertungsgrundsätzen einerseits und den speziellen Bewertungsregeln andererseits besteht. Sie ist z. B. im Hinblick auf § 256 zu sehen, der insbesondere durch den in Satz 2 erfolgenden Verweis auf § 240 Abs. 3f. Spezialregelungen zum Grundsatz der Einzelbewertung enthält. Soweit die allg. Bewertungsgrundsätze Sachverhalte betreffen, die nicht Regelungsgegenstand der speziellen Bewertungsvorschriften sind, gelten die allg. Bewertungsgrundsätze uneingeschränkt (vgl. HdR-E, HGB § 252, Rn. 16, 24ff., sowie die Ausführungen zu den einzelnen Bewertungsgrundsätzen).