Prof. Dr. Dr. h.c. Jörg Baetge, Dr. Dirk Fey
Rn. 19
Stand: EL 36 – ET: 06/2022
Der Inhalt des Begriffs "VG" ist seit langem Gegenstand bilanzrechtlicher Erörterungen, ohne dass bisher eine abschließende und allg. Zustimmung findende Definition entwickelt werden konnte (vgl. Kessler, BB 1994, Beilage Nr. 12 zu Heft 19, S. 1 (3); HdR-E, Kap. 4, Rn. 92ff., sowie HdR-E, HGB § 246, Rn. 6ff.). Es haben sich aber unter Berücksichtigung der aus den gesetzlichen Regelungen ableitbaren gesetzgeberischen Grundkonzeption der handelsrechtlichen RL und der für sie geltenden Grundsätze folgende Begriffsmerkmale entwickelt:
- die selbständige Verkehrsfähigkeit des betreffenden Objekts, die z. T. an die Einzelbeschaffung, z. T. an die Einzelveräußerbarkeit oder begrifflich etwas weiter an die Einzelverwertbarkeit knüpft (vgl. ADS (1998), § 246, Rn. 15ff.; HdR-E, Kap. 4, Rn. 92ff.; Baetge/Kirsch/Thiele (2021), S. 160ff.). Die Mehrheit der dieses Merkmal betonenden handelsrechtlichen Beiträge stellt dabei auf die Einzelverwertbarkeit ab, die gegeben ist, wenn der betreffende Gegenstand entweder einzeln veräußert werden kann oder bei einem Kauf entgegenstehenden Veräußerungsverboten mittels eines andersartigen Rechtsgeschäfts – etwa durch entgeltliche Nutzungsüberlassung – in Geld transformierbar ist (vgl. Coenenberg/Haller/Schultze (2021), S. 84), so dass auch an sich nicht übertragbare Rechte VG sein können (vgl. ADS (1998), § 246, Rn. 18f.; Beck Bil-Komm. (2022), § 247 HGB, Rn. 290f.; Baetge/Kirsch/Thiele (2021), S. 162ff.). Begründet wird die Bedeutung dieses Merkmals mit der aus den Zwecken der handelsrechtlichen RL u. a. ableitbaren Pflicht des Kaufmanns, sich Rechenschaft über das Schuldendeckungspotenzial seines betrieblichen Vermögens zu verschaffen. Auch von den Vertretern dieser Meinung wird anerkannt, dass das Schuldendeckungspotenzial i. R.d. handelsrechtlichen RL nur unter Berücksichtigung der Bewertungsgrundsätze des § 252 Abs. 1, insbesondere des Fortführungsgrundsatzes zu ermitteln ist; zieht man weiterhin in Betracht, dass nach ganz allg. Meinung für die Ermittlung einer evtl. bestehenden Überschuldung nicht auf einen aus der kaufmännischen Buchhaltung abgeleiteten, den GoB entsprechenden Zwischenabschluss oder JA, sondern auf einen besonderen Status abzustellen ist, verliert dieses Argument allerdings an Gewicht. Überzeugender wirkt, dass dem Begriff des "Vermögens" das Merkmal der "Verwertbarkeit" immanent ist und ebenso dem "Gegenstand" die Abgrenzung zu anderen Gegenständen, so dass die Verwertbarkeit als einzelner Gegenstand aus dem VG deduziert werden kann.
- die aus dem Einzelbewertungsgrundsatz (vgl. § 252 Abs. 1 Nr. 3) abgeleitete selbständige Bewertungsfähigkeit des betreffenden Objekts (vgl. Moxter (2007), S. 8f.). Danach muss ein Gut innerhalb des Gesamtvermögens einzeln bewertet werden können. Dies setzt auch die Werthaltigkeit des Objekts voraus.
- die eigenständige "Greifbarkeit" (vgl. Moxter, in: FS Havermann (1995), S. 487 (491); Moxter (2007), S. 6ff.; Baetge/Kirsch/Thiele (2021), S. 166), um von anderen VG abgrenzbar bewertet werden zu können. Ein Gut ist greifbar, wenn es bei einer Veräußerung des UN als Einzelheit ins Gewicht fällt bzw. dem UN künftig zugute kommt. Für Zwecke der Folgebewertung muss sich zumindest feststellen lassen, ob das betreffende Objekt noch greifbar vorhanden ist und einen eigenständigen vermögenswerten Vorteil für das UN darstellt.
Rn. 19a
Stand: EL 36 – ET: 06/2022
Strittig (vgl. im Übrigen HdR-E, Kap. 4, Rn. 92ff.; HdR-E, HGB § 246, Rn. 6ff.) ist, ob die Einzelverwertbarkeit zwingende Voraussetzung für die Annahme eines VG ist (vgl. so HdR-E, Kap. 4, Rn. 96; Baetge/Kirsch/Thiele (2021), S. 164f.; HdR-E, HGB § 246, Rn. 7; ADS (1998), § 246, Rn. 26ff.; HdJ, Abt. II/2 (2017), Rn. 7ff.) oder das Merkmal der Einzelbewertbarkeit stärkere Bedeutung hat und es zusätzlich nur auf die grds. Übertragbarkeit, wenn auch ggf. zusammen mit anderen VG oder dem gesamten Betrieb ankommt (vgl. so wohl Moxter (2007), S. 7, in Anlehnung an die ständige Rspr. des BFH; dazu etwa BFH, Urteil vom 26.08.1992, I R 24/91, BStBl. II 1992, S. 977 (978), m. w. N.). In der RegB zum BilMoG wurde explizit darauf hingewiesen, dass ein handelsrechtlicher VG vorliegt, wenn das selbst geschaffene Gut nach der Verkehrsauffassung einzeln verwertbar ist (BT-Drs. 16/10067, S. 50). Durch die Hervorhebung dieses Begriffsmerkmals i. R.d. RegB ist das entscheidende Merkmal des VG die eigenständige abstrakte Verwertbarkeit durch Veräußerung, Nutzungsüberlassung, bedingten Verzicht oder Zwangsvollstreckung (vgl. Baetge/Kirsch/Thiele (2021), S. 165; so nun auch DRS 24.17f.; Bonner HGB-Komm. (2016), § 248, Rn. 30ff.). Die hinreichende Greifbarkeit i. S. v. Abgrenzbarkeit unter Berücksichtigung der allg. Verkehrsauffassung sowie die Einzelbewertbarkeit sowohl anlässlich der Erstbewertung als auch bei Folgebewertungen sind indes Merkmale des steuerlichen WG-Begriffs. Im Bilanzsteuerrecht wird nämlich abweichend vom Handelsrecht der Begriff des WG statt des VG verw...