Rn. 15
Stand: EL 33 – ET: 09/2021
Als Regelungszwecke des Sonderprüfungsverfahrens nach den §§ 258ff. AktG sind drei Ansatzpunkte zu nennen. Zum einen dient das Verfahren der Durchsetzung von Bewertungsvorschriften, soweit sie eine Unterbewertung verbieten. Ferner dient das Sonderprüfungsrecht dazu, die organschaftliche Zuständigkeit der HV, über die Verwendung des Jahresüberschusses der Gesellschaft zu bestimmen, zu schützen. Dieses Recht wird beeinträchtigt, wenn in dem, im Regelfall durch Vorstand und AR festgestellten, JA im Wege der Unterbewertung stille Reserven gebildet werden. Hierin liegt mittelbar der Entzug der Dispositionsbefugnis über einen real entstandenen – jedoch nicht ausgewiesenen – Jahresüberschuss (vgl. MünchKomm. AktG (2021) § 258, Rn. 3). In diesem Zusammenhang bildet auch der Schutz des Dividendenrechts des einzelnen Aktionärs einen Regelungszweck der §§ 258ff. AktG. Freilich steht damit nicht in erster Linie das Individualinteresse des einzelnen Gesellschafters an einer höheren Dividende im Mittelpunkt der Sonderprüfungsregeln; vielmehr ist dieser Schutzaspekt ein Rechtsreflex der grds. Kompetenzzuweisung hinsichtlich der Überschussverwendung an die HV. Schließlich dienen die §§ 258ff. AktG auch der Durchsetzung einer umfassenden, vollständigen und zutreffenden Berichterstattung im Anhang (vgl. MünchKomm. AktG (2021) § 258, Rn. 4). I.w.S. sind also auch der Grundsatz des true and fair view (der in § 264 Abs. 2 Satz 1 seine Verankerung im deutschen Bilanzrecht gefunden hat) und seine Auswirkungen auf die Berichtspflichten im Anhang (vgl. § 264 Abs. 2 Satz 2) in den Schutzbereich der Sonderprüfungsvorschriften einbezogen.
Rn. 16
Stand: EL 33 – ET: 09/2021
Die Bedeutung des Rechtsbehelfs der Sonderprüfung nach den §§ 258ff. AktG lässt sich nur vor dem Hintergrund eines möglichen Interessengegensatzes zwischen Anteilseignern und Vorstand (Management) erklären (Principal-Agent-Theorie; vgl. dazu auch Bea/Thissen, DB 1997, S. 787 (789)). Während der Vorstand an einer Ausschöpfung des Selbstfinanzierungspotenzials durch möglichst niedrige Bewertung der im JA ausgewiesenen Aktiva bzw. möglichst hohe Wertansätze bei den Passiva interessiert sein dürfte, entspricht es den Interessen der Anteilseigner regelmäßig eher, über die Verwendung eines möglichst großen Teils des tatsächlich erzielten Gewinns selbst beschließen zu können. Das genannte Ziel des Vorstands lässt sich i. R.d. Bewertung durch den Ansatz möglichst niedriger Werte für Aktiva und möglichst hoher Werte für Passiva erreichen. Abgesehen von einem durch die Maßgeblichkeit handelsbilanzieller Wertansätze für die StB (vgl. § 5 Abs. 1 EStG) möglicherweise bedingten Interesse der Aktionäre am Ausweis eines minimalen Gewinns, steht eine solche Bewertung grds. im Widerspruch zu den Zielsetzungen der Anteilseigner.
Da im Zuge der Aktienrechtsreform 1965 die Möglichkeit des Managements zur Bildung stiller Reserven stark eingeschränkt werden sollte, andererseits aber das Recht der Feststellung des JA bei Vorstand und AR verblieb (vgl. HdR-E, AktG § 258, Rn. 10), wurde durch das Recht der Sonderprüfung ein Instrument geschaffen, das – neben der Pflichtprüfung des JA durch den AP – geeignet ist, die im Interesse der Anteilseigner liegende Verhinderung einer unzulässigen Bildung stiller Reserven sicherzustellen (vgl. so auch Claussen, in: FS Barz (1974), S. 317 (320)). Das Erfordernis, einen (ergänzenden) Rechtsbehelf gegen unzulässige Unterbewertungen in das AktG aufzunehmen, ergibt sich daraus, dass die Rechtsfolge der Nichtigkeit gemäß § 256 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 AktG nur bei vorsätzlicher unrichtiger Wiedergabe oder Verschleierung der Vermögens- und Ertragslage eintritt und eine Anfechtung der Feststellung des JA wegen Verletzung von Bewertungsvorschriften ausscheidet (vgl. § 257 Abs. 1 Satz 2 AktG).
Rn. 17
Stand: EL 33 – ET: 09/2021
Zentraler Zweck der §§ 258ff. AktG ist somit, die Einhaltung der Bewertungsvorschriften, soweit sie eine Unterbewertung verbieten, bei der Aufstellung des JA zu gewährleisten. Insofern ist die Sonderprüfung der Anfechtung funktional vergleichbar. Gegen die Annahme einer solchen Funktion spricht auch nicht, dass seit dessen Einführung im AktG 1965 die Anwendung in der Praxis nur sehr selten erfolgte (vgl. so auch ADS (1997), § 258 AktG, Rn. 7; KK-AktG (2017), § 258, Rn. 10; MünchKomm. AktG (2021), § 258, Rn. 9). Einerseits ergänzt dieses Instrument die Pflichtprüfung durch den AP und kommt somit nur zum Tragen, wenn auch der AP den BV trotz Verstoßes des JA gegen Bewertungsvorschriften erteilt hat. Zum anderen entfaltet die Sonderprüfung – wie auch die JA-Prüfung – eine präventive Wirkung, die das Management veranlasst, vor dem Hintergrund drohender Konsequenzen eine Verletzung von Bewertungsvorschriften zu vermeiden (vgl. ADS (1997), § 258 AktG, Rn. 7).
Rn. 18
Stand: EL 33 – ET: 09/2021
Zweifel an der Sinnhaftigkeit der §§ 258ff. AktG, die z. T. durch den Versuch eines formalen Nachweises, die Stellung eines Antrags auf ...