Dr. Alfred Simlacher, Dr. Stephan Vossel
Rn. 721
Stand: EL 44 – ET: 12/2024
§ 274 Abs. 3 sieht eine Ausnahme für die Bilanzierung latenter Steuern dem Grunde und der Höhe nach im Zusammenhang mit Mindeststeuergesetzen vor. Verpflichtend anzuwenden ist die Vorschrift auf JA und KA für GJ, die nach dem 28.12.2023 endeten (vgl. Art. 91 Abs. 2 Satz 1 EGHGB). Eine vorzeitige Anwendung ist bereits auf JA und KA (Wahlrecht), deren GJ nach dem 31.12.2022 endeten, zulässig (vgl. Art. 91 Abs. 2 Satz 2 EGHGB). Voraussetzung hierfür ist, dass diese JA und KA bis zum Ablauf des 28.12.2023 noch nicht festgestellt bzw. gebilligt wurden, und Angaben nach § 285 Nr. 30a (bzw. § 314 Abs. 1 Nr. 22a) in der ab dem 28.12.2023 geltenden Fassung gemacht werden.
Rn. 722
Stand: EL 44 – ET: 12/2024
§ 274 Abs. 3 schließt die Wirkung auf latente Steuern aus, welche resultieren aus
(1) |
dem (deutschen) MinStG, |
(2) |
ausländischen Mindeststeuergesetzen, die der Umsetzung der Mindestbesteuerungs-R dienen, oder |
(3) |
ausländischen Mindeststeuergesetzen, die die Mustervorschriften der OECD für eine globale Mindestbesteuerung umsetzen. |
Rn. 723
Stand: EL 44 – ET: 12/2024
Der Regelungsumfang des § 274 Abs. 3 wird verschiedentlich weit interpretiert, weil der Anwendungsbereich der Ausnahmeregelung bezüglich der Bilanzierung von latenten Steuern aus der Anwendung von Mindeststeuergesetzen unterschiedlich weit gefasst werden kann (vgl. etwa BeckOGK-HGB (2023), § 274, Rn. 98ff.). Unstrittig ist indes, dass es sich bei § 274 Abs. 3 vor dem Hintergrund des Wortlauts und der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drs. 20/8668, S. 240) um eine verpflichtende Ausnahme handelt (vgl. BeckOGK-HGB (2023), § 274, Rn. 98; DRS 18.B21). Somit bleibt auch für eine freiwillige Abbildung von Steuereffekten aus den Mindeststeuergesetzen i. R.d. latenten Steuern kein Raum, selbst wenn hierdurch bspw. eine bessere Darstellung der VFE-Lage i. S. d. § 264 Abs. 2 Satz 1 erreicht werden könnte. Auch weitergehende Anhangangaben nach § 264 Abs. 2 Satz 2 sind – außerhalb des Anwendungsbereichs von § 285 Nr. 30a – nicht zu tätigen.
Rn. 724
Stand: EL 44 – ET: 12/2024
Der konkrete Umfang der Vereinfachungsregelung nach § 274 Abs. 3 ist diskussionswürdig. Der Gesetzgeber spricht von einer Ausnahme von der Bilanzierung latenter Steuern, wodurch die Komplexität der Umsetzung des MinStG sowie ausländischer Mindeststeuergesetze reduziert werden soll (vgl. BT-Drs. 20/8668, S. 240). Hieraus lässt sich eine umfassende Anwendbarkeit auf alle Facetten der Bilanzierung latenter Steuern ableiten, zumal im Gesetzgebungsprozess unterstrichen wurde, dass nicht nur der erstmalige Ansatz, sondern auch die Bewertung bereits gebildeter latenter Steuern erfasst werden soll (vgl. BT-Drs. 20/9190, S. 167). Für eine restriktive Auslegung spricht der enge Wortlaut, wonach nicht der "Ansatz und die Bewertung von latenten Steuern" adressiert, sondern vielmehr auf die "Differenzen aus der Anwendung" von Gesetzen abgestellt wird. Aufgrund des expliziten Differenzbezugs sind Steuerminderungspotenziale nach § 274 Abs. 1 Satz 4 wohl nicht von Abs. 3 erfasst. Hierfür spricht auch, dass im ersten Entwurf der Norm (damals noch als weiterer Satz des § 274 Abs. 1) ein expliziter Bezug auf § 274 Abs. 1 Satz 1f. bestand (vgl. BT-Drs. 20/8668, S. 80). Weiterhin spricht § 274 Abs. 3 nur "Differenzen aus der Anwendung" der Mindeststeuergesetze an und nicht Steuerwirkungen der Mindeststeuergesetze auf Differenzen i. A. Der Begriff "Differenzen" kann nur i. S. d. § 274 Abs. 1 Satz 1 verstanden werden, bedeutet also Wertabweichungen zwischen Handels- und Steuerrecht bei VG, Schulden und RAP. Der Wortlaut des § 274 Abs. 3 bezieht sich nach hier vertretener Ansicht somit nur auf Differenzen, welche durch die Mindeststeuergesetze (zusätzlich) verursacht werden. Ob solche originär mindestbesteuerungsbedingten Differenzen bestehen, wird als ungeklärt angesehen (vgl. stellvertretend Scholz, StuB 2023, S. 784 (786), mit Verweis auf die Stellungnahme des DRSC (2023), S. 1f., zum Entwurf eines Mindestbesteuerungs-R-UG). Sollte diese wortlautbezogene Auslegung zutreffen, wäre der Anwendungsbereich des § 274 Abs. 3 gering.
Rn. 725
Stand: EL 44 – ET: 12/2024
Eine Ausweitung des Anwendungsbereichs könnte hiervon ausgehend auf den Sinn und Zweck der Vorschrift abstellen. Denn der Gesetzgeber wollte § 274 Abs. 3 der Ausnahme in IAS 12.4A nachbilden (vgl. BT-Drs. 20/8668, S. 240). IAS 12.4A wählt einen anderen Ansatz als § 274 Abs. 3, indem er durch die Formulierung "Abweichend von den Anforderungen dieses Standards" auf "Latente Steueransprüche und latente Steuerschulden im Zusammenhang mit Säule-2-Ertragsteuern" abstellt und nicht Differenzen adressiert. Damit formuliert IAS 12.4A wesentlich zielgenauer, indem er auf die latenten Steuern selbst abstellt. Eine Auslegung des § 274 Abs. 3 im Einklang mit IAS 12.4A würde daher zu einer umfassenden Anwendbarkeit der Vorschrift führen. Gegen dieses Vorgehen ist jedoch einzuwenden, dass der Wille des Gesetzgebers bei der Interpretation nur insoweit berück...