Prof. Dr. Eberhard Kalbfleisch, Prof. Dr. Sascha Mölls
A. Grundlegendes
Rn. 1
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Aus Gründen der Rechtssicherheit und des Bestandsschutzes des JA kann die Nichtigkeit des JA nur in schwerwiegenden Fällen geltend gemacht werden (vgl. § 256 AktG). Die Feststellung eines JA durch die HV ist nach Maßgabe des § 257 AktG anfechtbar. Der Feststellungsbeschluss, den eine HV in Bezug auf einen festzustellenden JA fasst, kann wie jeder andere HV-Beschluss angefochten werden, wenn er Gesetz oder Satzung verletzt. Die Regelung der Anfechtung des JA gemäß § 257 AktG verweist insofern auf die Anfechtung nach § 243 AktG. In der Praxis bleibt einer Anfechtung des JA aber nur wenig Raum. Nach § 257 Abs. 1 Satz 2 AktG ist eine Anfechtung wegen Inhaltsfehlern ausgeschlossen. Daraus folgt, dass die Anfechtung des JA nur auf Verfahrensfehler der HV bei der Feststellung des JA gestützt werden kann.
Die Vorschrift des § 257 AktG erfasst die Ausnahmefälle zur Feststellung eines JA, für die grds. der Vorstand und der AR berufen sind. Wenn Vorstand und AR den JA festgestellt haben, ist eine Anfechtung gar nicht möglich. § 257 AktG ist insoweit abschließender Natur (vgl. WP-HB (2021), Rn. B 390). Die Feststellungskompetenz liegt ausnahmsweise bei der HV, wenn die folgenden Vorschriften eingreifen:
Sollte ein Feststellungsbeschluss der HV ergehen, ohne dass diese dafür zuständig ist, liegt kein Fall des § 257 AktG vor. Der ergangene Beschluss ist kein Feststellungsbeschluss, so dass ein solcher Beschluss auch nicht die Wirkungen der Feststellung herbeiführen kann (vgl. HdR-E, AktG § 256). Die Vorschrift des § 257 AktG dient der Rechtssicherheit und dem Bestandsschutz des festgestellten JA und stellt klar, in welchem Umfang die allg. Anfechtungsregeln anwendbar sind (vgl. Hüffer-AktG (2022), § 257, Rn. 2).
B. Anfechtungsgründe (§ 257 Abs. 1 AktG)
Rn. 2
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Nach § 257 Abs. 1 Satz 2 AktG kann die Anfechtung nicht auf den Inhalt des JA gestützt werden. Durch diese Regelung wird die Anfechtungsmöglichkeit begrenzt. Wenn kein Nichtigkeitsgrund i. S. d. § 256 Abs. 1 Nr. 1 AktG vorliegt, besteht auch nicht die Möglichkeit, den Feststellungsbeschluss anzufechten. Mit der Anfechtung verfolgt werden können daher nur Verfahrensfehler, die bei der Feststellung des JA durch die HV aufgetreten sind. Voraussetzung einer erfolgreichen Anfechtung ist des Weiteren, dass der Feststellungsbeschluss auf dem geltend gemachten Verfahrensfehler ursächlich beruht (vgl. AktG-GroßKomm. (2020), § 257, Rn. 7, 9). Z.T. wird anstelle eines ursächlichen Beruhens des Beschlusses auf dem Verfahrensfehler auch einschränkend für die Anfechtung als ausreichend angesehen, dass der Verstoß für den Feststellungsbeschluss relevant ist (vgl. Hüffer-AktG (2022), § 257, Rn. 3f.). Dies ist allerdings wenig einsichtig. Eine Aufweichung der Anforderungen würde der Rechtssicherheit entgegenwirken. Der Bestandsschutz des festgestellten JA muss in der Abwägung mit den berechtigten Interessen des Anfechtungsklägers nur dann zurücktreten, wenn sich der Fehler auch zum Nachteil des Anfechtenden ausgewirkt hat. Das Erfordernis der Ursächlichkeit eines Fehlers ist Ausdruck dieses Interessenkonflikts.
Rn. 3
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Nachdem Verstöße gegen § 121 Abs. 2 und 3 oder 4 AktG als Verfahrensfehler bei der Einberufung und die fehlende Beurkundung als besonders gewichtige Fehler schon von § 256 Abs. 3 Nr. 1f. AktG mit der Folge der Nichtigkeit belegt sind, können alle übrigen Verfahrensfehler Anfechtungsgründe darstellen. In Betracht kommen hier insbesondere:
- die Nichteinhaltung der gesetzlichen Frist des § 123 AktG bei der Einberufung,
- die unrichtige Feststellung des Abstimmungsergebnisses,
- das Fehlen eines Vorschlags von Vorstand und AR zu einem Gegenstand der Tagesordnung,
- die Verletzung eines Auskunftsrechts durch unberechtigte Auskunftsverweigerung gemäß § 131 AktG sowie
- die Verletzung des Rechts eines Aktionärs auf Anwesenheit.
Soll mit der Berufung auf ein verletztes Auskunftsrecht die Feststellung eines JA angefochten werden, ist streitig, ob der Feststellungsbeschluss auf dem Verfahrensfehler ursächlich beruhen muss oder als Ausnahme zu dieser Regel lediglich eine Relevanz des Verfahrensmangels ausreicht. Begründet wird dies mit einem Hinweis auf die Regelung des § 243 Abs. 4 AktG, der zum Inhalt hat, dass in Bezug auf eine Anfechtung, die auf die Verletzung eines Auskunftsrechts gestützt wird, der Einwand unerheblich ist, dass die Beschlussfassung nicht beeinflusst worden ist (vgl. Hüffer-AktG (2022), § 257, Rn. 3). Die Rspr. stellt bei der Verletzung von Auskunftsrechten darauf ab, wie ein objektiv urteilender Aktionär bei richtiger Erteilung der Auskunft abgestimmt hätte (vgl. BGH, Urteil vom 29.11.1982, II ZR 88/81, BGHZ 86, S. 1 (3)). Im Ergebnis ist auch hi...