Dr. Robert Weber, Julia Sieber
A. Regelungsgegenstand
I. Vertragsarten
Rn. 1
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
§ 291 AktG führt den Begriff des UN-Vertrags ein. Der UN-Vertrag fungiert als Oberbegriff und Sammelbezeichnung für die in den §§ 291f. AktG – nach h. M. abschließend (vgl. nur Baumbach/Hueck (1968), § 291 AktG, Rn. 1) – aufgeführten Vertragsarten und erfasst damit den BHV, den GAV, den Geschäftsführungsvertrag und den Gleichordnungskonzernvertrag (vgl. § 291 AktG) sowie als sog. "andere Unternehmensverträge" den Gewinngemeinschaftsvertrag, den TGAV, den Betriebspachtvertrag und den Betriebsüberlassungsvertrag (vgl. § 292 AktG). Die einheitliche Terminologie dient nicht nur der sprachlichen Vereinfachung, sondern kennzeichnet all jene Verträge, auf welche die §§ 293ff. AktG anwendbar sind (vgl. so Hüffer-AktG (2022), § 291, Rn. 1; § 292, Rn. 1). Lediglich für die in den §§ 291 Abs. 1, 292 Abs. 1 AktG genannten UN-Verträge sowie nach h. M. für den Betriebsführungsvertrag, der unter § 292 Abs. 1 Nr. 3 AktG – direkt oder analog – subsumiert wird, gelten die §§ 293ff. AktG; andere UN-Verträge unterliegen diesen Voraussetzungen nicht (vgl. mit a. A. BeckOGK-AktG (2022), § 292, Rn. 51).
Rn. 2
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Die UN-Verträge des § 291 Abs. 1 AktG werden von der h. M. als körperschaftliche Verträge qualifiziert, weil sie für die Dauer ihrer Gültigkeit verfassungsändernde Wirkungen entfalten und in die UN-Struktur eingreifen. Sie haben satzungsändernde Wirkung und werden daher als Satzungsänderungen auf Zeit bezeichnet. Ihr Schwerpunkt liegt weniger in der gegenseitigen Begründung von Rechten und Pflichten als vielmehr in der unmittelbaren Gestaltung der gesellschaftsrechtlichen Beziehungen zwischen den Vertragsparteien sowie zwischen dem abhängigen UN und den außenstehenden Aktionären (vgl. BGH, Urteil vom 14.12.1987, II ZR 170/87, NJW 1988, S. 1326; BGH, Beschluß vom 24.10.1988, II ZB 7/88, NJW 1989, S. 296; OLG Karlsruhe, Beschluß vom 14.11.1966, 6 Z 33/67, NJW 1967, S. 832; OLG Hamburg, Urteil vom 29.10.1999, 11 U 45/99, NZG 2000, S. 422; Emmerich/Habersack (2020), § 11, Rn. 20f.; Hüffer-AktG (2022), § 291, Rn. 2; MAH PersGesR (2019), § 26, Rn. 7; BeckOGK-AktG (2022), § 291, Rn. 29). Die Einordnung der BHV und GAV als Organisationsverträge darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie auch schuldrechtliche Elemente beinhalten und den Vertragsparteien gegenseitige Rechte und Pflichten auferlegen. Durch den Abschluss eines BHV oder GAV entsteht ein Dauerschuldverhältnis, das gemäß § 297 Abs. 1 AktG aus wichtigem Grund gekündigt werden kann (vgl. so für den GAV Emmerich/Habersack (2020), § 12, Rn. 2).
Rn. 3
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Die Rechtsnatur des Gleichordnungskonzernvertrags und der UN-Verträge des § 292 AktG ist dagegen umstritten. Überwiegend werden sie als schuldrechtliche Austauschverträge eingestuft (vgl. so Hüffer-AktG (2022), § 291, Rn. 34; a. A. BeckOGK-AktG (2022), § 291, Rn. 123). Diese Einordnung wird relevant bei der Auslegung der Verträge. Da Organisationsverträge nicht für einen festen Kreis von Gesellschaftern bestimmt sind, werden diese nach objektiven Gesichtspunkten einheitlich aus sich heraus und unter Rückgriff nur auf solche Unterlagen, die allg. zugänglich sind, ausgelegt. Für Dritte nicht erkennbare Umstände können zu ihrer Auslegung grds. nicht herangezogen werden. Demgegenüber kommt es bei schuldrechtlichen Vereinbarungen und Vertragsbestandteilen, denen schuldvertraglicher Charakter zukommt, auf den Verständnishorizont des konkreten Vertragspartners an und die Auslegung erfolgt nach den allg. Regeln der §§ 133, 157, 242 BGB (vgl. FG Bremen, Urteil vom 07.07.2005, 1 K 46/05, BeckRS 2005, 26 018 339; MünchKomm. AktG (2020), § 291, Rn. 35f.; BeckOGK-AktG (2022), § 291 Rn. 38f.).
Rn. 4
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Durch den Abschluss eines UN-Vertrags nach den §§ 291 Abs. 1f., 292 Abs. 1 Nr. 1 AktG und auch durch einen Betriebspacht- und Betriebsüberlassungsvertrag gemäß § 292 Abs. 1 Nr. 3 AktG werden die einzelnen UN zu verbundenen i. S. d. §§ 15ff. AktG. Der TGAV ist diesbezüglich differenziert zu bewerten. Nur wenn der andere Vertragsteil schon ein UN ist, kommt es zu einer UN-Verbindung i. S. d. § 15 AktG (vgl. Hüffer-AktG (2022), § 292, Rn. 12; KK-AktG (2004), § 291, Rn. 14, 16; § 292, Rn. 6, 8).
II. Vertragsparteien
Rn. 5
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Parteien eines UN-Vertrags nach § 291 Abs. 1 AktG sind ein MU und ein TU.
Rn. 6
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Das TU ist das verpflichtete UN, das gemäß § 291 Abs. 1 AktG eine AG, KGaA oder SE sein kann. Auch bei der Vorgesellschaft ist – anders als bei der Vorgründungsgesellschaft – von der Vertragsfähigkeit auszugehen, denn auch sie untersteht bereits weitgehend dem Recht des entstandenen UN (vgl. so KK-AktG (2004), § 291, Rn. 7). Nach gefestigter Rspr. kann auch eine GmbH einen UN-Vertrag gemäß § 291 Abs. 1 AktG abschließen; auf den Vertragsschluss, die Möglichkeit der Vertragsbeendigung und die Sicherungen zu Gunsten des UN, der Gläubiger und außenstehenden Aktionäre finden die Vorschriften des Aktienrechts grds. analoge ...