A. Überblick
Rn. 1
Stand: EL 43 – ET: 08/2024
§ 29 GmbHG wurde durch das Bilanzrichtlinien-Gesetz (BiRiLiG) vom 19.12.1985 (BGBl. I 1985, S. 2355) neu gefasst. Während das alte Recht von dem Grundsatz ausging, dass der Gewinn in voller Höhe an die Gesellschafter ausgeschüttet wird, sollte die Neufassung des § 29 GmbHG eine Gewinnthesaurierung erleichtern. Dabei ist von Bedeutung, dass es seitdem nicht mehr möglich ist, stille Reserven zu legen, die nach altem Recht auch in Form von Willkürreserven zulässig waren (vgl. Scholz-GmbHG (2022), § 29, Rn. 5).
Rn. 2
Stand: EL 43 – ET: 08/2024
Die dispositive Regelung des 1985 neu gefassten § 29 GmbHG ermöglicht als Ausgleich für das Verbot, stille Reserven zu legen, dass die Gesellschafter mit einfacher Mehrheit einen Gewinnvortrag oder eine Einstellung in die Rücklagen beschließen können (vgl. § 29 Abs. 2 GmbHG). § 29 Abs. 1 GmbHG stellt außerdem klar, dass ein Anspruch auf Gewinn nur im Rahmen dieses von den Gesellschaftern zu fassenden Beschlusses (vgl. HdR-E, GmbHG § 29, Rn. 40ff.) und nur in dem Umfang besteht, der durch Gesetz (vgl. HdR-E, GmbHG § 29, Rn. 22ff.) und Satzung (vgl. HdR-E, GmbHG § 29, Rn. 26ff.) der Gewinnverteilung eröffnet ist (vgl. auch BGH, Urteil vom 17.02.1997, II ZR 41/96, BGHZ 134, S. 364, 367). Eine Besonderheit stellt in diesem Zusammenhang § 29 Abs. 4 GmbHG dar, der eine Ermächtigung der Geschäftsführer zur Bildung bestimmter, genau umschriebener Rücklagen (z. B. Wertaufholungsrücklage), enthält, diese Befugnis aber an die Zustimmung der Gesellschafter oder eines AR bindet. Diese Vorschrift erleichtert die Bildung betriebsnotwendiger Rücklagen und lässt insoweit das in § 29 Abs. 1 GmbHG geschützte Gewinninteresse der Gesellschafter zurücktreten. Unabhängig von dem in § 29 Abs. 2 GmbHG geschaffenen Entscheidungsspielraum steht es den Gesellschaftern nach wie vor offen, durch Satzung die Bildung beliebiger offener Rücklagen anzuordnen oder zuzulassen sowie Regelungen über die Mehrheitserfordernisse für entsprechende Gesellschafterbeschlüsse zu treffen (vgl. Lutter/Hommelhoff (2023), § 29 GmbHG, Rn. 36ff.). Zudem ist die gesetzliche Ermächtigung zum Ausschluss der Vollausschüttung ihrerseits vertragsdispositiv, d. h., die Satzung kann generell eine teilweise oder gänzliche Ausschüttung des Gewinns verbindlich anordnen (statutarisches Ausschüttungsgebot).
Für Altgesellschaften, mithin Gesellschaften, die vor dem 01.01.1986 im Handelsregister eingetragen wurden, galt allerdings zunächst weiterhin der Grundsatz der Vollausschüttung (vgl. hierzu auch Joost, in: FS GmbHG (1992), S. 289 (311f.)). Der Gesetzgeber hatte für diese Altgesellschaften in § 7 Abs. 1 GmbHÄndG eine Übergangsregelung geschaffen, deren wesentliches Element darin lag, durch eine vorläufige Registersperre die Gesellschafter einer solchen Gesellschaft dazu anzuhalten, ihre Verwendungsverfassung zu überprüfen und ggf. durch Satzungsänderung der neuen Rechtslage anzupassen (vgl. auch BGH, Urteil vom 26.09.1988, II ZR 34/88, BGHZ 105, S. 206). Vorher wurden sonstige Satzungsänderungen (z. B. Kap.-Erhöhung etc.) nicht in das Handelsregister eingetragen (vgl. HdR-E, GmbHG § 29, Rn. 57ff.).
Rn. 3
Stand: EL 43 – ET: 08/2024
Durch das sog. Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz (BilRUG) vom 17.06.2015 (BGBl. I 2015, S. 1245ff.) wurde § 29 Abs. 4 GmbHG angepasst. Die Änderungen beruhten auf dem Grundsatz der Maximalharmonisierung der Anhangangaben bei kleinen GmbH nach Art. 16 Abs. 3 der Bilanz-R 2013/34/EU (ABl. EU, L 182/19ff. vom 29.06.2013, ABl. EU, L 330/1ff. vom 15.11.2014, ABl. EU, L 334/86f. vom 21.11.2014, ABl. EU, L 429/1ff. vom 01.12.2021, ABl. EU, L 322/15ff. vom 16.12.2022, ABl. EU (Reihe L) – (EU) 2023/2864 vom 20.12.2023, ABl. EU (Reihe L) – (EU) 2023/2775 vom 21.12.2023). Die frühere Pflicht dieser Gesellschaften, bestimmte gesellschaftsrechtliche Sachverhalte zu Rücklagen im Anhang auszuweisen, wurde aufgehoben und durch ein Wahlrecht ersetzt (vgl. BT-Drs. 18/4050, S. 90).
B. Gewinnanspruch der Gesellschafter
Rn. 4
Stand: EL 43 – ET: 08/2024
Es ist zwischen dem Gewinnbezugsrecht (Gewinnbeteiligungsrecht) und dem Gewinnanspruch bzw. Gewinnauszahlungsanspruch zu unterscheiden (vgl. BeckOK-GmbHG (2023), § 29, Rn. 2f.).
§ 29 Abs. 1 GmbHG verleiht den Gesellschaftern grds. einen Anspruch auf den erwirtschafteten Jahresüberschuss der Gesellschaft (modifiziert um evtl. Gewinn- und Verlustvorträge) bzw. den Bilanzgewinn, soweit dieser nach Gesetz, Satzung oder Beschluss der Gesellschafter einer Ausschüttung an die Gesellschafter zugänglich ist. Der Gewinnanspruch des Gesellschafters fließt aus dem Mitgliedschaftsrecht, dem er als bedingter Anspruch (Anwartschaftsrecht) verbunden ist. Durch den Gewinnverwendungsbeschluss wandelt sich dieser mitgliedschaftsrechtliche Anspruch auf Gewinnausschüttung in ein klagbares Forderungsrecht um (vgl. zur Beschlussfassung über Bilanzfeststellung und Ergebnisverwendung HdR-E, GmbHG § 42a, Rn. 43ff.). Der Ausschüttungsanspruch setzt in dem gesetzlich umschriebenen Regelfall des § 29 GmbHG kumulativ voraus ...