Leitsatz
Auslieferungsfahrer, die von ihrem Auftraggeber vorgegebene Touren mit dessen Fahrzeugen erledigen, sind regelmäßig wegen fehlender Selbstständigkeit keine Unternehmer; von den Fahrern ausgestellte Rechnungen eröffnen deshalb nicht das Recht zum Vorsteuerabzug.
Problematik
Ein Unternehmen betrieb die Möbelauslieferung und -montage zunächst mit eigenen Arbeitnehmern. Später vereinbarte es mit einem Dritten und 2 seiner bisherigen Arbeitnehmern (nach Kündigung) sog. Kooperationsverträge: Diese Personen sollten die Auslieferung und Montage als selbstständige Subunternehmer ausführen.
Als Gegenleistung war ein Prozentsatz des Warenwerts zzgl. USt der ausgelieferten Möbel – unter Garantie eines durchschnittlichen werktäglichen Warenvolumens – vereinbart. Die Subunternehmer hatten zweiwöchentlich Rechnungen zu stellen. Es durften nur die tatsächlichen Arbeitstage abgerechnet werden. Im Krankheits- oder Urlaubsfall hatten sie gleichwertige Ersatzpersonen einzusetzen.
Das Finanzamt versagte dem Unternehmen den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der Fahrer; es erkannte die Fahrer nicht als selbstständig tätig (Unternehmer) an. Das Finanzgericht bestätigte das Finanzamt.
Konsequenzen für die Praxis
Die Frage, welche Kriterien zu selbstständiger unternehmerischer Tätigkeit führen und welche eine weisungsabhängige, nicht selbstständige Tätigkeit begründen, geht über den Bereich der Umsatzsteuer sowohl in den der Ertragsteuern (Lohnsteuer/Einkommensteuer) als auch in den des Arbeits- und Sozialrechts hinein.
Das Finanzgericht stützt sich hier auf die inzwischen allgemein angewandten Rechtsprechungsgrundsätze, nach denen das Gesamtbild der Verhältnisse maßgebend ist und die für und gegen die Selbstständigkeit sprechenden Merkmale, die im Einzelfall unterschiedlich gewichtet werden können, gegeneinander abzuwägen sind. Eine Bindung an die ertragsteuerrechtliche Beurteilung besteht für die Umsatzsteuer ebensowenig wie an eine sozialrechtliche oder arbeitsrechtliche Einordnung der Tätigkeit.
Dass dies für Betroffene - die auf den verschiedenen Sektoren ihrer Berufswelt trotz grundsätzlich gleicher Beurteilungskriterien unterschiedlich eingeordnet werden können - schwer nachvollziehbar sein mag, ist einerseits verständlich. Andererseits ist dieser "Freiraum" für das jeweilige Rechtsgebiet (eine fast zwangsläufige) Voraussetzung für die Abwicklung der in der jeweiligen Rechtspraxis auftauchenden Fragen.
Von den Argumenten des Finanzgerichts für die Nichtselbstständigkeit der Fahrer ist insbesondere Folgendes von Interesse:
- Die Fahrer übten Tätigkeiten aus, bei denen Weisungsabhängigkeit die Regel sei;
- die Fahrer hätten nicht das einem Unternehmer typische Unternehmerrisiko getragen, auch wenn sie keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheits- und Urlaubsfall hatten.
Das erstgenannte Kriterium hat sicher Indizwirkung im verwendeten Sinn. Das zweite Argument verwundert dagegen; denn gerade das Entgeltrisiko wird regelmäßig als das ausschlaggebende Abgrenzungskriterium gesehen. Welches "Unternehmerrisiko" soll bei solchen "Einfachtätigkeiten" noch gegeben sein? Man sollte erwägen, ob die Arbeitsmarktsituation auch eine Reaktion des Steuerrechts verlangt.
Die Umsatzsteuer jedenfalls ist m. E. nicht geeignet, durch einengende Zuerkennung von Selbstständigkeit soziale Notwendigkeiten zu sichern - jedenfalls nicht, solange man eine Bindung an Arbeits- oder Sozialrecht verneint.
Link zur Entscheidung
Hessisches FG, Urteil vom 28.10.2004, 6 K 1405/99Hessisches Finanzgericht, Urteil v. 28.10.2004, 6 K 1405/99, rechtskräftig.