Entscheidungsstichwort (Thema)
Fortführung eines ererbten Handelsgeschäfts durch Minderjährige in ungeteilter Erbengemeinschaft
Leitsatz (amtlich)
Nach der Entscheinung des BVerfG, NJW 1986, 1859, daß es mit dem GG nicht vereinbar ist, daß Eltern ihre Kinder kraft elterlicher Vertretungsmacht bei Fortführung eines ererbten Handelsgeschäfts in ungeteilter Erbengemeinschaft finanziell unbegrenzt verpflichten können, ist das Verfahren bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber auszusetzen.
Normenkette
BGB § 1629 Abs. 1, § 1643 Abs. 1; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1
Tenor
Das Verfahren wird ausgesetzt.
Gründe
I.
Die Beklagten sind 1964 und 1969 geboren. Zusammen mit ihrer Mutter haben sie ihren 1974 gestorbenen Vater beerbt. Dieser hat als Einzelkaufmann einen Landmaschinenhandel betrieben. Nach seinem Tode führte die Mutter das Handelsgeschäft mit den Beklagten in ungeteilter Erbengemeinschaft unter der bisherigen Firma (nachfolgend: Firma A.) fort. Eine entsprechende Eintragung im Handelsregister erfolgte im Juli 1974.
Die Firma A. geriet Anfang Januar 1981 in Zahlungsschwierigkeiten. Am 11. Februar 1981 gab die Mutter der Beklagten im eigenen und in deren Namen sowie namens der Firma A. ein notariell beurkundetes Schuldanerkenntnis über rund 851.000 DM nebst Zinsen zu Gunsten der Klägerin ab. Diese hatte aus Geschäftsbeziehungen mit der Firma A. erhebliche offene Forderungen. Ferner unterwarf sich die Mutter namens aller Beteiligten der sofortigen Zwangsvollstreckung aus der Urkunde. Das Vormundschaftsgericht hat die zu der Urkunde beantragte Genehmigung nicht erteilt. Vielmehr hat es der Mutter unter gleichzeitiger Pflegerbestellung die Vermögensfürsorge für die Beklagten entzogen. Der Pfleger hat die Verbindlichkeit des Schuldanerkenntnisses für die Beklagten bestritten.
Mit der Klage hat die Klägerin begehrt festzustellen, daß das Schuldanerkenntnis auch gegenüber den Beklagten wirksam ist. Das Landgericht und das Oberlandesgericht haben die Klage abgewiesen. Der Senat hat ihr stattgegeben (Urt. v. 8. Oktober 1984 - II ZR 223/83, BGHZ 92, 259). Auf die Verfassungsbeschwerde der Beklagten hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluß vom 13. Mai 1986 - 1 BvR 1542/84 (WM 1986, 828 = ZIP 1986, 975) diese Entscheidung aufgehoben und die Sache an den Senat zurückverwiesen.
II.
1.
Das Bundesverfassungsgericht ist der Ansicht, daß Eltern ihre Kinder kraft elterlicher Vertretungsmacht (§ 1629 BGB) bei Fortführung eines ererbten Handelsgeschäfts in ungeteilter Erbengemeinschaft finanziell nicht unbegrenzt verpflichten können; das sei mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht Minderjähriger (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) nicht vereinbar. Mit Gesetzeskraft hat es ausgesprochen, "daß § 1629 Abs. 1 i.V.m. § 1643 Abs. 1 BGB insoweit mit Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG nicht vereinbar ist, als danach Eltern im Zusammenhang mit der Fortführung eines zu einem Nachlaß gehörenden Handelsgeschäfts ohne vormundschaftsgerichtliche Genehmigung Verbindlichkeiten zu Lasten ihrer minderjähriger Kinder eingehen können, die über deren Haftung mit dem ererbten Vermögen hinausgehen" (vgl. auch BGBl. 1986 I 863). Dieser Punkt, so führt das Bundesverfassungsgericht in den Gründen seiner Entscheidung aus, sei vom Gesetzgeber nunmehr verfassungskonform zu regeln; "dabei genüge eine Regelung den Anforderungen des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, welche die Fortführung eines Handelsgeschäfts durch Minderjährige von einer vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung abhängig macht oder welche Minderjährige als Miterben eines Handelsgeschäfts jedenfalls nicht über den Umfang des ererbten Vermögens hinaus zu Schuldnern werden läßt".
2.
Stellt das Bundesverfassungsgericht fest, daß eine Norm mit dem Grundgesetz ganz oder teilweise nicht vereinbar ist, spricht es aber die vollständige oder teilweise Nichtigkeit der Norm nicht aus, weil - wie hier - mehrere gesetzliche Möglichkeiten für eine verfassungskonforme Regelung bestehen, so hat das grundsätzlich die Wirkung, daß die Gerichte die Vorschrift ab sofort in dem sich aus der Entscheidungsformel und den Gründen ergebenden Ausmaß nicht mehr anwenden dürfen und ein anhängiges Verfahren bis zur verfassungskonformen Neuregelung durch den Gesetzgeber aussetzen müssen (vgl. BGHZ 80, 87, 89; BGH LM BGB § 242 Bd Nr. 27; BGH, NJW 1980, 2084, 2085; Heußner, NJW 1982, 257 ff.). Ausnahmsweise können allerdings die Anwendungssperre und das Aussetzungsgebot entfallen, wenn die Besonderheit der für verfassungswidrig erklärten Norm es aus verfassungsrechtlichen Gründen, insbesondere aus solchen der Rechtssicherheit, notwendig macht, die Vorschrift als Regelung für die Übergangszeit bestehen zu lassen, damit für diese Zeit nicht ein Zustand eintritt, der von der verfassungsmäßigen Ordnung noch weiter entfernt ist als der bisherige (Heußner a.a.O. mit weiteren Nachw.). Davon kann hier offensichtlich keine Rede sein. Nicht näher erörtert zu werden braucht die Ansicht von Karsten Schmidt (BB 1986, 1238, 1239), daß der Senat sogleich entscheiden könne, wenn er zu dem Ergebnis kommt, daß nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts keine Regelung denkbar ist, die zu einer persönlichen Haftung der Beklagten führt. Denn als verfassungskonform ließe sich nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts beispielsweise eine Regelung denken, wonach Verbindlichkeiten, die Eltern ohne vormundschaftsgerichtliche Genehmigung zu Lasten ihrer minderjährigen Kinder bei der Fortführung eines zu einem Nachlaß gehörenden Handelsgeschäfts eingehen, jedenfalls bis zu der Höhe wirksam sind, die das ererbte Vermögen oder dessen Wert im Zeitpunkt der Eingehung nicht übersteigt. Bei einer derartigen Regelung wäre vorliegend aber bedeutsam, daß der Nachlaß, an dem die beiden Beklagten jeweils zu einem Drittel beteiligt sind, bei Abgabe des Schuldanerkenntnisses am 11. Februar 1981 neben dem Handelsgeschäft auch ein Wohnhaus umfaßt hat, dessen Wert in der zwischen der Mutter der Beklagten und der Klägerin ebenfalls am 11. Februar 1981 abgeschlossenen Sicherungs- und Tilgungsvereinbarung mit 600.000 DM beziffert ist. Daraus könnte sich eine anteilige Haftung der Beklagten und damit die (teilweise) Wirksamkeit des Schuldanerkenntnisses ergeben.
3.
Demnach ist das Verfahren bis zu einer Neuregelung des Gesetzgebers auszusetzen.
Unterschriften
Dr. Kellermann,
Dr. Bauer,
Bundschuh,
Hesselberger,
Röhricht
Fundstellen