Leitsatz (amtlich)
a) Der Sicherungsgeber hat bei formularmäßig bestellten, revolvierenden Globalsicherungen im Falle nachträglicher Übersicherung einen ermessensunabhängigen Freigabeanspruch auch dann, wenn der Sicherungsvertrag keine oder eine ermessensabhängig ausgestaltete Freigabeklausel enthält.
b) Bei formularmäßig bestellten, revolvierenden Globalsicherungen sind weder eine ausdrückliche Freigaberegelung noch eine zahlenmäßig bestimmte Deckungsgrenze noch eine Klausel für die Bewertung der Sicherungsgegenstände Wirksamkeitsvoraussetzungen.
c) Enthält die formularmäßige Bestellung revolvierender Globalsicherungen keine ausdrückliche oder eine unangemessene Deckungsgrenze, so beträgt diese Grenze (unter Berücksichtigung der Kosten für Verwaltung und Verwertung der Sicherheit), bezogen auf den realisierbaren Wert der Sicherungsgegenstände, 110% der gesicherten Forderungen.
d) Allgemeingültige Maßstäbe für die Bewertung der Sicherungsgegenstände bei Eintritt des Sicherungsfalles lassen sich im voraus weder bei der Sicherungsübereignung noch bei einer Globalabtretung festlegen.
e) Die Grenze für das Entstehen eines Freigabeanspruchs für Sicherungsgut liegt regelmäßig bei 150% des Schätzwerts (§ 237 Satz 1 BGB).
Normenkette
BGB § 138 Abs. 1, § 237 S. 1, §§ 398, 930; AGBG § 9 Abs. 2, § 6 Abs. 2
Tenor
Der Sicherungsgeber hat bei der formularmäßigen Sicherungsübereignung eines Warenlagers mit wechselndem Bestand und bei einer formularmäßigen Globalabtretung im Falle nachträglicher Übersicherung einen ermessensunabhängigen Freigabeanspruch auch dann, wenn der Sicherungsvertrag keine oder eine ermessensabhängig ausgestaltete Freigabeklausel enthält.
Die formularmäßige Sicherungsübereignung eines Warenlagers mit wechselndem Bestand und eine formularmäßige Globalabtretung sind auch dann wirksam, wenn eine (angemessene) Deckungsgrenze und Maßstäbe für die Bewertung der Sicherungsgegenstände nicht ausdrücklich festgelegt sind.
Enthält die formularmäßige Sicherungsübereignung eines Warenlagers mit wechselndem Bestand oder eine formularmäßige Globalabtretung keine ausdrückliche oder eine unangemessene Deckungsgrenze, so beträgt die Grenze (unter Berücksichtigung der Kosten für Verwaltung und Verwertung der Sicherheit), bezogen auf den realisierbaren Wert der Sicherungsgegenstände, 110% der gesicherten Forderungen.
Die Grenze für das Entstehen eines Freigabeanspruchs liegt regelmäßig bei 150% des maßgeblichen Schätzwertes (§ 237 Satz 1 BGB).
Tatbestand
A.
Die Parteien der beiden Vorlagesachen, die zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden worden sind, streiten über die Wirksamkeit formularmäßiger Globalabtretungen und Sicherungsübereignungen von Warenlagern mit wechselndem Bestand.
I.
1. Dem Vorlagebeschluß des IX. Zivilsenats vom 6. März 1997 (IX ZR 74/95, WM 1997, 750 ff.) liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Die beklagte Bank gewährte der Gemeinschuldnerin, deren Konkursverwalter der Kläger ist, Kredite über rund 1,35 Mio. DM. Zur Sicherung übereignete die Gemeinschuldnerin, eine Möbelherstellerin, der Beklagten das Warenlager und trat alle gegenwärtigen und künftigen Forderungen an sie ab.
Der formularmäßige Sicherungsübereignungsvertrag vom 22. Dezember 1982 enthält in Nr. 12 folgende Freigabeklausel:
„Für den Fall, daß der Wert der gesamten mit diesem Vertrag bestellten Sicherheiten die in Nr. 2 des Vertrages bestimmte Deckungsgrenze wesentlich und nicht vorübergehend überschreiten sollte, wird die Bank auf Verlangen des Sicherungsgebers Sicherheiten nach ihrer Wahl freigeben.”
In Nummer 2 ist bestimmt:
„Der Gesamtwert der übereigneten Waren muß … ständig mindestens … % der durch sie zu sichernden Ansprüche der Bank betragen … soll mindestens DM … betragen.
Für die Bewertung sind die Einkaufspreise oder – wenn der Sicherungsgeber das Sicherungsgut selbst erzeugt, be- oder verarbeitet hat – die Gestehungskosten anzusetzen. Wird der Wert des Sicherungsguts gemindert, so ist der Zeitwert anzusetzen; noch nicht gezahlte Einkaufspreise sind abzusetzen.”
Ein Prozentsatz oder ein DM-Betrag wurde an den vorgesehenen Stellen nicht eingesetzt.
In der formularmäßigen Globalabtretung vom 23. Dezember 1987 heißt es u.a.:
„4. Der Sicherungsgeber ist verpflichtet, dafür zu sorgen, daß die Gesamtsumme der abgetretenen Forderungen nominell mindestens 100 % des jeweils in Anspruch genommenen Kredits beträgt. Die Gesamtsumme der abgetretenen Forderungen soll mindestens DM 1.000.000 betragen.
13. Die Bank hat auf Verlangen des Sicherungsgebers ihre Rechte aus diesem Vertrag nach billigem Ermessen freizugeben, soweit sie diese nicht nur vorübergehend nicht mehr benötigt.”
Die Beklagte verkaufte ihre Kreditforderungen und die dafür bestellten Sicherheiten im Jahre 1990 für 700.000 DM. Der Kläger beansprucht davon gemäß § 816 Abs. 1 Satz 1 BGB 500.000 DM mit der Begründung: Die Beklagte habe über die Sicherheiten als Nichtberechtigte verfügt; die Sicherungsübereignung und die Globalabtretung seien unwirksam, da eine ausreichende Freigaberegelung fehle.
Landgericht und Oberlandesgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger die Klageforderung weiter.
2. Der IX. Zivilsenat ist der Auffassung, beide Sicherungsverträge seien nicht deshalb unwirksam, weil sie keine ausreichende Freigabeklausel enthielten:
a) Zwar genügten die Verträge nicht den Anforderungen der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung.
Im Sicherungsübereignungsvertrag fehle eine ausdrückliche zahlenmäßig bestimmte Deckungsgrenze, die der VII., VIII. und IX. Zivilsenat bei Globalabtretungen (BGHZ 109, 240, 245 ff.; 120, 300, 302; BGH, Urteile v. 26. April 1990, – VII ZR 39/89, WM 1990, 1326, 1327; v. 6. Dezember 1990 – VII ZR 334/89, WM 1991, 276; v. 19. Juni 1991 – VIII ZR 244/90, WM 1991, 1499, 1500; v. 25. November 1992 – VIII ZR 176/91, WM 1993, 213, 216; v. 8. Dezember 1993 – VIII ZR 166/93, WM 1994, 104, 105) und der VIII. und IX. Zivilsenat auch bei Sicherungsübereignungen von Warenlagern mit wechselndem Bestand (BGHZ 117, 374, 377 ff.; 124, 371, 376 f.; 124, 380, 386 f.; 125, 83, 87 f.) als Wirksamkeitsvoraussetzung angesehen hätten.
Die Globalabtretung entbehre einer vom VIII. und IX. Zivilsenat (BGHZ 109, 240, 245 ff.; 117, 374, 377; 120, 300, 302; 124, 371, 376 f.; 124, 380, 386 f.; 125, 83, 89; BGH, Urteile v. 19. Juni 1991 – VIII ZR 244/90, a.a.O.; v. 25. November 1992 – VIII ZR 176/91, a.a.O.; v. 8. Dezember 1993 – VIII ZR 166/93, a.a.O.) für erforderlich gehaltenen ermessensunabhängig ausgestalteten Freigabeklausel.
b) An dieser Rechtsprechung könne jedoch nicht uneingeschränkt festgehalten werden. Ein strikter Freigabeanspruch des Sicherungsgebers bei nicht nur vorübergehender nachträglicher Übersicherung sei auch ohne ausdrückliche Regelung jedem fiduziarischen Kreditsicherungsgeschäft immanent. Eine ermessensabhängig ausgestaltete Freigabeklausel sei lediglich als solche unwirksam. Eine ausdrückliche, zahlenmäßig festgelegte Deckungsgrenze sowie eine Klausel für die Bewertung des Sicherungsgutes seien keine Wirksamvoraussetzungen für revolvierende Globalsicherungen. Solche Sicherheiten seien auch ohne eine ausdrückliche, zahlenmäßig festgelegte Deckungsgrenze oder eine Klausel für die Bewertung des Sicherungsgutes rechtsgültig. Deckungsgrenze und Maßstäbe für die Bewertung der Sicherheiten könnten durch Auslegung des Sicherungsvertrages ermittelt werden.
3. Nachdem der VIII. Zivilsenat mitgeteilt hatte, daß er an seiner entgegenstehenden Rechtsauffassung nicht festhalte, hat der IX. Zivilsenat eine Anfrage gemäß § 132 Abs. 3 GVG an den VII. Zivilsenat gerichtet (abgedruckt in WM 1996, 1439 ff.). Der VII. Zivilsenat hat erklärt (abgedruckt in WM 1997, 311 ff.), er halte an seiner Rechtsauffassung, daß eine Globalabtretung ohne ausdrückliche Festlegung einer Deckungsgrenze nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig sei, nur für die Fälle fest, in denen sich die Dekkungsgrenze – wie etwa bei Geschäftszweigen mit erfahrungsgemäß hohem Ausfallrisiko – nicht durch Auslegung auf den Nominalwert der abgetretenen Forderungen festlegen lasse.
4. Der IX. Zivilsenat erachtet die Voraussetzungen für eine Vorlage der Sache an den Großen Senat für Zivilsachen zwar nicht wegen divergierender Rechtsmeinungen gemäß § 132 Abs. 2 GVG für gegeben. Er hält aber mit Rücksicht auf die Rechtsprechung des XI. Zivilsenats, der eine ermessensabhängig ausgestaltete Freigabeklausel ohne zahlenmäßig bestimmte Deckungsgrenze als wirksam ansieht (BGHZ 133, 25, 28 ff.; BGH, Beschl. v. 16. April 1996 – XI ZR 234/95, WM 1996, 902, 903), eine Entscheidung des Großen Senats zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung für geboten. Daher hat er ihm gemäß § 132 Abs. 4 GVG folgende Rechtsfragen zur Entscheidung vorgelegt:
a) Hat der Sicherungsgeber, falls bei einer formularmäßigen Sicherungsübereignung eines Warenlagers mit wechselndem Bestand oder einer formularmäßigen Globalabtretung eine nachträgliche Übersicherung eintritt, einen ermessensunabhängigen Freigabeanspruch auch dann, wenn der Sicherungsvertrag keine oder eine ermessensabhängige Freigabeklausel enthält?
b) Ist eine formularmäßige Sicherungsübereignung eines Warenlagers mit wechselndem Bestand oder eine formularmäßige Globalabtretung nur wirksam, wenn eine (angemessene) Deckungsgrenze und Maßstäbe für die Bewertung des Sicherungsgegenstands festliegen?
c) Kann – falls die Frage b) bejaht wird – der Sicherungsvertrag, der keine oder eine inhaltlich unangemessene Deckungsklausel enthält, um eine feste Deckungsgrenze mit festen Bewertungsmaßstäben ergänzt und deshalb für wirksam erachtet werden?
II.
1. Dem Vorlagebeschluß des XI. Zivilsenats vom 13. Mai 1997 (XI ZR 234/95, WM 1997, 1197 ff.) liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Die beklagte Bank gewährte einem Einzelkaufmann einen Betriebsmittelkredit. Zur Sicherung trat ihr dieser alle gegenwärtigen und künftigen Forderungen gegen Drittschuldner mit den Anfangsbuchstaben A – W ab. In der formularmäßigen Globalabtretung vom 20. August 1974 heißt es u.a.:
„6… Sobald die abgetretenen Forderungen die Forderungen der Bank gegen den Schuldner um mehr als … % übersteigen, wird die Bank dem Schuldner auf dessen Verlangen nach ihrer Wahl Forderungen bis zur Höhe des Mehrbetrages zurückübertragen.”
Ein Prozentsatz wurde in das Formular nicht eingefügt. Die unter Nr. 13 des Vertrages für anwendbar erklärten Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten enthielten in der damals geltenden Fassung in Nr. 19 Abs. 7 folgende Bestimmung:
„Die Bank ist verpflichtet, auf Verlangen des Kunden Sicherungsgegenstände nach ihrer Wahl freizugeben, soweit der Wert des Sicherungsgutes die vereinbarte Deckungsgrenze nicht nur vorübergehend überschreitet. Ist keine Deckungsgrenze vereinbart, so hat die Bank auf Verlangen des Kunden Sicherungsgegenstände nach billigem Ermessen freizugeben, soweit sie diese nicht nur vorübergehend nicht mehr benötigt.”
Im Jahre 1984 pfändete der Kläger eine der abgetretenen Forderungen. Den von der Drittschuldnerin erlangten Betrag von 20.975,62 DM gab er mit Rücksicht auf die Globalabtretung an die Beklagte heraus. Mit der Klage verlangt er dessen Rückzahlung, da die Globalabtretung mangels einer ausdrücklich festgelegten Deckungsgrenze unwirksam sei.
Landgericht und Oberlandesgericht haben der auf § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB gestützten Klage stattgegeben. Mit der – zugelassenen – Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
2. Der XI. Zivilsenat möchte die Globalabtretung trotz Fehlens einer ausdrücklichen, zahlenmäßig bestimmten Deckungsgrenze als wirksam ansehen. Er sieht sich daran, nachdem der VIII. und der IX. Zivilsenat eine ausdrückliche Deckungsgrenze nicht mehr als Wirksamkeitsvoraussetzung betrachten, noch durch die Rechtsprechung des VII. Zivilsenat gehindert. Danach sind Globalabtretungen ohne ausdrückliche Deckungsgrenze gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig (Urteile v. 26. April 1990 – VII ZR 39/89 und v. 6. Dezember 1990 – VII ZR 334/89, jeweils a.a.O.). An dieser Rechtsauffassung hat der VII. Zivilsenat, wie dargelegt, nach Anfrage gemäß § 132 Abs. 3 GVG für Fälle festgehalten, in denen sich die Deckungsgrenze wegen eines hohen Ausfallrisikos nicht durch Auslegung auf den Nominalwert der abgetretenen Forderungen festlegen lasse.
3. Da das Berufungsgericht zum Ausfallrisiko keine Feststellungen getroffen hat, die Sache unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung des VII. Zivilsenats also zurückverwiesen werden müßte, hat der XI. Zivilsenat die Sache dem Großen Senat für Zivilsachen wegen divergierender Rechtsmeinungen gemäß § 132 Abs. 2 GVG zur Entscheidung folgender Rechtsfrage vorgelegt:
Ist eine formularmäßige Globalabtretung oder eine formularmäßige Sicherungsübereignung eines Warenlagers mit wechselndem Bestand auch dann wirksam, wenn eine (angemessene) Deckungsgrenze und Maßstäbe für die Bewertung des Sicherungsgutes nicht ausdrücklich festgelegt sind?
Entscheidungsgründe
B.
Der Große Senat für Zivilsachen bejaht die Vorlagefrage des XI. Zivilsenats und die Vorlagefrage a) des IX. Zivilsenats. Die Vorlagefragen b) und c) des IX. Zivilsenats beantwortet er wie aus dem Tenor ersichtlich.
Die Vorlagen des IX. und des XI. Zivilsenats sind gemäß § 132 Abs. 2 und 4 GVG zulässig.
II.
1. Der Große Senat bejaht die Vorlagefrage a) des IX. Zivilsenats. Der Sicherungsgeber hat im Falle der Übersicherung einen ermessensunabhängigen Freigabeanspruch auch dann, wenn der Sicherungsvertrag keine oder eine ermessensabhängig ausgestaltete Freigabeklausel enthält.
a) Sicherheitshalber abgetretene Forderungen und Sicherungseigentum sind nichtakzessorische fiduziarische Sicherheiten. Jeder Vertrag über die Bestellung einer derartigen Sicherheit begründet auch ohne ausdrückliche Vereinbarung ein Treuhandverhältnis. Das gilt ohne Rücksicht darauf, ob es sich um einen Individual- oder um einen Formularvertrag handelt, ob er eine Singularsicherheit oder revolvierende Globalsicherheiten zum Gegenstand hat (BGHZ 133, 25, 30 m. w. N.; BGH, Beschl. v. 6. März 1997 – IX ZR 74/95, WM 1997, 750, 753). Aus der Treuhandnatur des Sicherungsvertrages ergibt sich – abgesehen vom Fall auflösend bedingter Sicherungsübertragungen – die Pflicht des Sicherungsnehmers, die Sicherheit schon vor Beendigung des Vertrages zurückzugewähren, wenn und soweit sie endgültig nicht mehr benötigt wird. Diese Pflicht folgt gemäß § 157 BGB aus dem fiduziarischen Charakter der Sicherungsabrede sowie der Interessenlage der Vertragsparteien (vgl. BGHZ 124, 371, 375 ff.; 124, 380, 384 ff. m. w. N.; 133, 25, 30; BGH, Beschlüsse v. 6. März 1997 – IX ZR 74/95, a.a.O.; v. 13. Mai 1997 – XI ZR 234/95, WM 1997, 1197, 1199; a.A. Serick ZIP 1995, 989, 992 f.; WM 1997, 345 ff.). Soweit Sicherheiten nicht nur vorübergehend nicht mehr benötigt werden, also eine endgültige Übersicherung vorliegt, ist ihr weiteres Verbleiben beim Sicherungsnehmer ungerechtfertigt.
Die Entscheidung, ob Sicherungsgegenstände freigegeben werden, liegt deshalb nicht im Ermessen des Sicherungsnehmers. Wenn und soweit eine nicht nur vorübergehende nachträgliche Übersicherung des Sicherungsnehmers eintritt, ist eine (Teil-) Freigabe vielmehr zwingend erforderlich. Einen Ermessensspielraum hat der Sicherungsnehmer nur bei der Entscheidung, welche von mehreren Sicherheiten er freigeben will. Dies folgt aus § 262 BGB und entspricht dem Rechtsgedanken des § 1230 Satz 1 BGB (BGH, Beschlüsse v. 6. März 1997 – IX ZR 74/95, WM 1997, 750, 754; v. 13. Mai 1997 – XI ZR 234/95, WM 1997, 1197, 1199).
b) Dieser vertragliche Anspruch des Sicherungsgebers auf Rückgabe nicht mehr benötigter Sicherheiten besteht auch dann, wenn der Sicherungsvertrag eine ausdrückliche Freigaberegelung nicht enthält (so schon BGH, Urteile v. 30. Mai 1960 – VII ZR 257/59, WM 1960, 855, 856; v. 5. November 1964 – VII ZR 2/63, WM 1965, 84, 85; v. 4. Oktober 1965 – VII ZR 185/63, WM 1966, 13, 15). Die Beteiligten können zwar, müssen aber nicht eine ausdrückliche Regelung treffen. Das ergibt sich aus dem Prinzip der Vertragsfreiheit und dem daraus folgenden Recht, die mehr oder minder große Regelungsdichte eines Vertrages zu bestimmen. Eine ausdrückliche Regelung des vertraglichen Freigabeanspruchs ist deshalb auch bei formularmäßigen revolvierenden Globalsicherheiten keine Wirksamkeitsvoraussetzung (BGHZ 133, 25, 31 f.; BGH, Beschl. v. 6. März 1997 – IX ZR 74/95, WM 1997, 750, 754).
c) Eine Beschränkung des vertraglichen Freigabeanspruchs durch eine Regelung, die die Freigabe in das Ermessen des Sicherungsnehmers stellt, ist bei formularmäßigen Sicherungsabtretungen und Sicherungsübereignungen wegen Verstoßes gegen § 9 AGBG unwirksam.
Eine solche Regelung, die nicht lediglich deklaratorische Wirkung hat und deshalb nach § 8 AGBG kontrollfähig ist, schränkt wesentliche Rechte und Pflichten, die sich aus der Natur des Sicherungsvertrages ergeben, ein (§ 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG). Sie ersetzt den ermessensunabhängigen Freigabeanspruch durch einen bloßen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung innerhalb der Grenzen der Billigkeit.
Die Beschränkung des Sicherungsgebers auf einen solchen Freigabeprüfungsanspruch gefährdet in der Regel das Erreichen des Vertragszwecks (§ 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG). Eine ermessensabhängige Freigaberegelung eröffnet dem Sicherungsnehmer einen zweckwidrigen Entscheidungsspielraum, obwohl feststeht, daß er das Sicherungsgut teilweise nicht mehr benötigt. Seine Entscheidung unterliegt zwar gemäß § 315 Abs. 3 BGB der richterlichen Nachprüfung, jedoch beschränkt darauf, ob sie die Grenzen der Billigkeit überschreitet. Unter dieser Voraussetzung bestünde ein Freigabeanspruch des Sicherungsgebers nur dann, wenn sich der Ermessensspielraum des Sicherungsnehmers ausnahmsweise auf Null reduziert hätte.
Die Ersetzung des vertraglichen Freigabeanspruchs durch einen Anspruch auf Ermessensausübung nach Billigkeit benachteiligt den Sicherungsgeber entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen (§ 9 Abs. 1 und 2 AGBG). Der Sicherungsgeber hat ein schutzwürdiges Interesse daran, über Sicherungsgegenstände, die zur Absicherung des Sicherungsnehmers nicht benötigt werden, schnell frei verfügen, insbesondere sie zur Kreditbeschaffung verwenden zu können. Diese Möglichkeit wird beeinträchtigt, wenn sich seine Rechte auf eine ermessensfehlerfreie Prüfung und Entscheidung seines Freigabeverlangens durch den Sicherungsnehmer beschränken (BGH, Beschl. v. 6. März 1997 – IX ZR 74/95, WM 1997, 750, 755).
d) Die Unwirksamkeit einer ermessensabhängigen Freigaberegelung führt nicht zur Gesamtnichtigkeit formularmäßiger Sicherungsübertragungen. An die Stelle der unwirksamen Freigabeklausel tritt vielmehr auch bei revolvierenden Globalsicherheiten der ermessensunabhängige Freigabeanspruch des Sicherungsgebers (§ 6 Abs. 2 AGBG; BGHZ 133, 25, 32 ff.; BGH, Beschl. v. 6. März 1997 – IX ZR 74/95, WM 1997, 750, 754).
Die Anwendung des § 6 Abs. 2 AGBG verstößt nicht gegen die verfassungsrechtlich geschützte Privatautonomie. Die fiduziarische Rechtsnatur eines Sicherungsvertrages wird nicht dadurch beseitigt, daß die Freigabe von Sicherheiten in das billige Ermessen des Sicherungsnehmers gestellt wird (BGHZ 133, 25, 30). Eine formularmäßige ermessensabhängige Freigabeklausel reduzierte lediglich den Freigabeanspruch auf einen Freigabeprüfungsanspruch. Wenn diese Freigabeklausel unwirksam ist, tritt der ermessensunabhängige Freigabeanspruch wieder hervor (BGH, Beschl. v. 6. März 1997 – IX ZR 74/95, a.a.O.).
Der Anwendung des § 6 Abs. 2 AGBG steht auch das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion nicht entgegen (BGHZ 124, 371, 375 f.; 133, 25, 33). Dieses bedeutet, daß eine vorformulierte einheitliche Vertragsklausel, die gegen § 9 AGBG verstößt, nicht auf den gerade noch zulässigen Inhalt zurückgeführt und damit aufrechterhalten werden darf (vgl. BGHZ 84, 109, 114 ff.; 92, 312, 314 f.; 115, 324, 326); statt dessen gilt anstelle dieser zu weitgehenden Klausel das für den jeweiligen Vertrag maßgebliche Gesetzesrecht. Genau diese Rechtsfolge wird auch im vorliegenden Falle verwirklicht. Die unangemessen beschränkende, vorformulierte Freigabeklausel ist unwirksam; die Berücksichtigung des Freigabeanspruchs stellt sodann den Rechtszustand her, der ohne die unwirksame Klausel bestünde. Dagegen gebietet § 9 i.V.m. § 6 Abs. 1 AGBG im Regelfall gerade nicht, zugleich der weiteren, für sich angemessenen Vertragsgestaltung die Anerkennung zu versagen.
2. Der Große Senat bejaht auch die Vorlagefrage des XI. Zivilsenats.
a) Die ausdrückliche Festlegung einer zahlenmäßig bestimmten, angemessenen Deckungsgrenze, d.h. einer Grenze zur Feststellung der Übersicherung, ist auch bei formularmäßigen Sicherungsverträgen über revolvierende Globalsicherheiten in keinem Falle Voraussetzung für die Wirksamkeit solcher Verträge. Die abweichende Ansicht des VII. Zivilsenats (Beschl. v. 10. Oktober 1996 – IX ZR 74/95, XI ZR 234/95, WM 1997, 311 f.), Globalabtretungen ohne ausdrücklich festgelegte Deckungsgrenze seien bei einem erfahrungsgemäß hohen Ausfallrisiko nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig, teilt der Große Senat nicht.
aa) Im Falle nicht nur vorübergehender Übersicherung des Sicherungsnehmers hat der Sicherungsgeber, wie dargelegt, einen Freigabeanspruch. Wie der VII. Zivilsenat in seiner älteren Rechtsprechung anerkannt hat (BGH, Urteile v. 30. Mai 1960 – VII ZR 257/59, WM 1960, 855, 856; v. 5. November 1964 – VII ZR 2/63, WM 1965, 84, 85; v. 4. Oktober 1965 – VII ZR 185/63, WM 1966, 13, 15; s. auch Urt. v. 7. März 1974 – VII ZR 110/72, WM 1974, 389, 390), steht dieser Anspruch einer Annahme der Sittenwidrigkeit revolvierender Globalsicherheiten wegen nachträglicher Übersicherung sogar dann entgegen, wenn eine zahlenmäßig bestimmte Deckungsgrenze im Sicherungsvertrag nicht festgelegt ist. Der jeder Sicherungstreuhand immanente Anspruch ist auch in Geschäftszweigen mit hohem Ausfallrisiko ohne unzumutbare Beschwernisse durchzusetzen (s. u. 3.). Er vermeidet deshalb regelmäßig sowohl eine Knebelung des Sicherungsgebers als auch die Gefährdung anderer Gläubiger.
Unter diesen Umständen ist für eine Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB kein Raum. Sie wäre auch nicht sachgerecht, sondern würde dazu führen, daß selbst vollkaufmännische Unternehmen in Geschäftszweigen mit hohem Ausfallrisiko gehindert wären, mit Kreditinstituten individual- oder formularvertraglich eine Globalabtretung ohne ausdrückliche Festlegung der Deckungsgrenze wirksam zu vereinbaren. Für eine solch allgemeine Regel gibt es keinen Grund.
Die Annahme, Globalabtretungen ohne ausdrücklich festgelegte Deckungsgrenze seien sittenwidrig, würde dem Sicherungsnehmer gerade dann jeglichen Schutz versagen, wenn dieser besonders schutzbedürftig ist, weil das Ausfallrisiko branchenspezifisch hoch ist. Dieses Ergebnis ist vor allem dann befremdlich, wenn der Schuldner insolvent geworden und damit der Verwertungsfall eingetreten ist. In diesem Fall scheidet ein Freigabeanspruch aus, weil dann eine Gesamtverwertung aller Sicherheiten und abschließende Abrechnung möglich und geboten sind. Obwohl die Deckungsgrenze, die der Feststellung einer Übersicherung dient, in einem solchen Fall keine Rolle mehr spielt, könnte sich der Konkursverwalter mit Erfolg auf die Gesamtnichtigkeit der Globalabtretung gemäß § 138 Abs. 1 BGB berufen. Dies geht vor allem dann weit über die schutzwürdigen Interessen des Sicherungsgebers hinaus, wenn eine Übersicherung nie bestand, ein Freigabeanspruch also nie gegeben war (BGH, Beschlüsse v. 6. März 1997 – IX ZR 74/95, WM 1997, 750, 757; v. 13. Mai 1997 – XI ZR 234/95, WM 1997, 1197, 1201).
bb) Dadurch wird § 138 Abs. 1 BGB für die Beurteilung der Wirksamkeit formularmäßiger Globalsicherheiten nicht bedeutungslos. Sicherungsverträge können insbesondere wegen der Kumulation verschiedener Sicherheiten oder wegen anfänglicher Übersicherung gegen die guten Sitten verstoßen und deshalb nichtig sein (BGH, Urt. v. 28. April 1994 – IX ZR 248/93, WM 1994, 1161, 1163).
b) Auch eine ausdrückliche Festlegung der Maßstäbe für die Bewertung der Sicherungsgegenstände ist in keinem Falle Voraussetzung für die Wirksamkeit revolvierender Globalsicherungen. Soweit der VIII. und der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs für die Wirksamkeit der formularmäßigen Sicherungsübereignung eines Warenlagers mit wechselndem Bestand einen solchen Maßstab gefordert hatten (BGHZ 117, 374, 379; 125, 83, 89), halten beide Senate an ihrer Rechtsauffassung nicht mehr fest (vgl. BGH, Beschlüsse v. 11. Juli 1996 – IX ZR 74/95, WM 1996, 1439, 1443 und v. 6. März 1997 – IX ZR 74/95, WM 1997, 750, 756 f.). Nach Ansicht des Großen Senats kann eine solche Klausel schon deshalb nicht verlangt werden, weil es nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit im Belieben der Vertragsparteien steht, ob und mit welcher Dichte sie die Voraussetzungen des Freigabeanspruchs ausdrücklich regeln. Im übrigen gibt es keinen allgemeingültigen Maßstab, mit dessen Hilfe sich die Werthaltigkeit unbekannter künftiger Forderungen (BGHZ 130, 115, 124) oder von Sachgesamtheiten mit wechselndem Bestand bestimmen läßt. Dem Interesse der Beteiligten an einer einfachen Klärung der Anspruchsvoraussetzung dienen vielmehr widerlegliche Beweisregeln (näher unten 3. c).
3. Auf die Vorlagefrage b) des IX. Zivilsenats antwortet der Große Senat:
Bei formularmäßigen Sicherungsverträgen, in denen keine oder eine inhaltlich unangemessene Deckungsklausel festgelegt worden ist, beträgt die Deckungsgrenze – bezogen auf den realisierbaren Wert der Sicherungsgegenstände – 110% der gesicherten Forderungen. Die Grenze für das Entstehen eines Freigabeanspruchs liegt regelmäßig bei 150% des maßgeblichen Schätzwertes (§ 237 Satz 1 BGB).
a) Die Bejahung der Vorlagefrage des XI. Zivilsenats, ob formularmäßige revolvierende Globalsicherheiten auch dann wirksam sind, wenn eine (angemessene) Deckungsgrenze und Maßstäbe für die Bewertung des Sicherungsgutes nicht ausdrücklich festgelegt sind, beantwortet die Vorlagefrage b) des IX. Zivilsenats, ob solche Globalsicherheiten nur wirksam sind, wenn eine (angemessene) Deckungsgrenze und Maßstäbe für die Bewertung des Sicherungsgegenstands „festliegen”, nicht vollständig. Der IX. Zivilsenat hält in solchen Fällen zusätzlich eine Ergänzung des Sicherungsvertrages um eine feste Deckungsgrenze mit festen Bewertungsmaßstäben für möglich und nur mit Rücksicht darauf auch Sicherungsverträge, die keine oder eine inhaltlich unangemessene Deckungsklausel enthalten, für wirksam (BGH, Beschl. v. 6. März 1997 – IX ZR 74/95, WM 1997, 750, 756 ff.). „Festliegen” in Frage b) ist also im Sinne von „ausdrücklich vereinbart oder eindeutig zu ermitteln” zu verstehen.
b) Die Deckungsgrenze, deren Überschreitung die Übersicherung als Voraussetzung für den vertraglichen Freigabeanspruch anzeigt, ist aus dem Treuhandcharakter des Sicherungsvertrages unter Berücksichtigung des Vertragszwecks und der schutzwürdigen Interessen der Vertragspartner auch dann zu ermitteln, wenn eine ausdrückliche vertragliche Regelung fehlt. Eine Übersicherung ist regelmäßig gegeben, wenn der im Verwertungsfall realisierbare Wert der Sicherungsgegenstände die gesicherte Forderung um mehr als 10% übersteigt; hierbei bleibt die Frage der Bewertung des Sicherungsguts (dazu unten c) ausgeklammert.
aa) Dem Zweck eines Sicherungsvertrages, eine Absicherung des Sicherungsnehmers im Fall der Leistungsunfähigkeit des Schuldners zu gewährleisten, sowie dem Zweck des Freigabeanspruchs, die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit des Sicherungsgebers sicherzustellen, wird nur eine abstrakt-generelle Deckungsgrenze gerecht (BGH, Beschl. v. 6. März 1997 – IX ZR 74/95, WM 1997, 750, 755 f.).
(1) Eine konkret-individuelle Grenze, die sich an der bei Abschluß des Vertrages bestehenden Wertrelation zwischen dem Umfang der Sicherheiten und den gesicherten Forderungen orientiert und diese für die gesamte Vertragslaufzeit festschreibt, entspricht weder dem Inhalt noch dem Zweck des Sicherungsvertrages noch gewährleistet sie die Effizienz des Freigabeanspruchs.
Die dort vorausgesetzte individuelle Wertrelation wird in der Praxis von den Parteien gerade bei formularmäßigen Sicherungsverträgen in aller Regel weder festgelegt noch im Sinne einer Äquivalenzvorstellung erwogen. Sie ist nicht Inhalt des Vertrages und schon deshalb zur Bestimmung einer vertragsindividuellen Deckungsgrenze nicht geeignet. Auch wird der realisierbare Wert der Sicherheiten bei Abschluß des Vertrages in aller Regel nicht vermerkt. Zu einem späteren Zeitpunkt läßt er sich oftmals nicht mehr oder nur noch sehr schwer ermitteln. Eine konkret-individuelle Deckungsgrenze ist deshalb nicht praktikabel und trägt dem Interesse des Sicherungsgebers, seine wirtschaftliche Bewegungsfreiheit nicht über Gebühr eingeschränkt zu sehen, nicht ausreichend Rechnung. Eine solche Deckungsgrenze würde zudem bewirken, daß der Sicherungsnehmer an einer nicht erkannten oder in Erwartung eines anwachsenden und dann ausreichenden Sicherheitenvolumens bewußt in Kauf genommenen anfänglichen Untersicherung festgehalten würde. Der Zweck des Sicherungsvertrages, die Absicherung des Sicherungsnehmers zu gewährleisten, würde in solchen Fällen verfehlt.
(2) Diesem Zweck wird auch die von Serick (WM 1997, 2053, 2063 ff. und NJW 1997, 1529, 1532) vertretene Ansicht, gewohnheitsrechtlich gebe es eine individuelle, vom Gericht im Streitfall konkret und fallbezogen festzusetzende Haftobergrenze, nicht gerecht. Jedenfalls die in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beurteilten Voraussetzungen des Freigabeanspruchs im einzelnen stehen nicht gewohnheitsrechtlich fest (BGH, Beschl. v. 6. März 1997 – IX ZR 74/95, WM 1997, 750, 759; Canaris ZIP 1997, 813, 829; Bülow JZ 1997, 500, 503).
(3) Die Festlegung der Deckungsgrenze ist ferner nicht einer der Parteien des Sicherungsvertrages überlassen. Zwar kann nach § 315 Abs. 1 BGB einer Vertragspartei bei der Feststellung von Anspruchsvoraussetzungen ein Beurteilungsspielraum eingeräumt werden. Davon ist aber nur auszugehen, wenn der Sicherungsvertrag eine entsprechende Klausel enthält und diese, falls der Vertrag formularmäßig geschlossen worden ist, den anderen Vertragsteil nicht unangemessen benachteiligt (§ 9 Abs. 1 AGBG).
bb) Bei Ermittlung der Deckungsgrenze ist von dem Zweck nicht akzessorischer Sicherheiten auszugehen, den Gläubiger abzusichern, die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit des Schuldners aber nicht über Gebühr einzuschränken. Anknüpfen muß die Deckungsgrenze deshalb auf der einen Seite an die gesicherten Forderungen, auf der anderen Seite an den Wert der übertragenen Sicherheiten (Sicherungswert). Da sich in der Regel beide Größen ändern können, trägt grundsätzlich nur eine prozentuale, abstrakt-generelle Deckungsgrenze dem berechtigten Sicherungsinteresse des Gläubigers ausreichend Rechnung. Bei Einräumung eines bestimmten Kreditrahmens oder wenn die Höhe der gesicherten Forderung keinen Veränderungen unterliegt, kommt auch eine betragsmäßige Deckungsgrenze in Betracht.
(1) Sicherungswert ist der Erlös, der bei der Verwertung der Sicherheiten erzielt werden kann. Der Ansicht des IX. Zivilsenats (Beschl. v. 6. März 1997 – IX ZR 74/95, WM 1997, 750, 756 f.), soweit nichts anderes vereinbart sei, sei Sicherungswert bei abgetretenen Forderungen der Nennwert und bei sicherungsübereigneten Waren der Marktpreis oder, soweit ein solcher nicht existiere, der Einkaufs- oder der Herstellungspreis, folgt der Große Senat nicht.
Sicherheiten müssen sich bei Leistungsunfähigkeit des Schuldners, also vor allem im Falle der Insolvenz, bewähren (BGHZ 26, 185, 191; 130, 115, 126 f.; BGH, Urt. v. 21. Januar 1960 – VII ZR 170/58, WM 1960, 576, 578; BGH, Beschl. v. 6. März 1997 – IX ZR 74/95, WM 1997, 750, 756). Der Sicherungsnehmer darf nicht durch den Freigabeanspruch gezwungen werden, Sicherheiten freizugeben, die er im Falle einer späteren Insolvenz des Sicherungsgebers benötigen würde. Der Wert von Sicherheiten bemißt sich deshalb nach dem im Konkurs oder in der Gesamtvollstreckung des Schuldners zu erzielenden Verwertungserlös.
Dieser ist bei Forderungen nicht mit deren Nennwert identisch, sondern erfahrungsgemäß fast immer wesentlich niedriger. Gegen abgetretene Forderungen von Schuldnern in der Krise bestehen häufig durchgreifende Einwendungen. Drittschuldner machen erfolgreich Gewährleistungs- oder Zurückbehaltungsrechte geltend oder rechnen mit Gegenforderungen auf. Der Wert einer abgetretenen Forderung hängt entscheidend von der Bonität des Drittschuldners ab. Diese ist im Nennwert nicht berücksichtigt.
Auch der realisierbare Wert eines Warenlagers bleibt in der Krise des Schuldners erfahrungsgemäß in aller Regel erheblich hinter dem sonst erzielbaren Erlös zurück. Selbst soweit für Waren ein Marktpreis besteht, ist dieser insbesondere bei Marktverhältnissen mit geringer Nachfrage häufig nicht zu erzielen. Einkaufspreise oder Herstellungskosten von Waren lassen sich aus ganz unterschiedlichen Gründen meist nicht verwirklichen, etwa weil die Waren beschädigt, technisch veraltet oder unmodern sind oder weil sich die Marktverhältnisse grundlegend verschlechtert haben. Halbfertigfabrikate können häufig nur zum Schrottwert verkauft werden, weil sie auf den nicht mehr fortgeführten Betrieb des insolventen Schuldners zugeschnitten sind. Fertigprodukte lassen sich oftmals nicht zum Herstellungspreis verwerten, weil bei insolventen Unternehmen häufig nicht kostendeckend produziert wurde, oder weil für den Käufer weder die Gewährleistung noch die Ersatzteillieferung noch der notwendige Service sichergestellt sind (Rellermeyer WM 1994, 1009, 1018). Überdies ist der wirtschaftliche Wert sicherungsübereigneter Waren für den Sicherungsnehmer vielfach durch dingliche Rechte Dritter, z.B. Eigentumsvorbehalte von Lieferanten oder gesetzliche Pfandrechte von Vermietern, gemindert (BGH, Beschl. v. 13. Mai 1997 – XI ZR 124/95, WM 1997, 1197, 1200).
Eine Deckungsgrenze, die diese Umstände vernachlässigte, trüge dem berechtigten Sicherungsinteresse des Gläubigers nicht Rechnung. Sie führte meist dazu, daß der Sicherungsnehmer auf Verlangen Sicherheiten freizugeben hätte, auf die er im Falle der Insolvenz des Schuldners dringend angewiesen wäre. Ein solches Ergebnis ist mit dem Zweck des Sicherungsvertrages, den Gläubiger gerade auch im Konkurs oder in der Gesamtvollstreckung des Schuldners abzusichern, unvereinbar und entspricht nicht dem Willen verständiger Parteien (BGH, Beschl. v. 13. Mai 1997 – XI ZR 234/95, WM 1997, 1197, 1201).
(2) Der regelmäßige Zweck eines Sicherungsvertrages, den Gläubiger abzusichern, wird nur erreicht, wenn der im Falle der Insolvenz des Schuldners realisierbare Verwertungserlös der Sicherheiten – wie zu (1) dargestellt – die gesicherte Forderung abdeckt. Dies wird in der Regel erst durch eine Deckungsgrenze von 110% gewährleistet.
Eine Deckungsgrenze von lediglich 100% wäre unzureichend, weil erfahrungsgemäß bei der Verwertung von Sicherheiten Feststellungs- und Verwertungskosten und in einzelnen Fällen, insbesondere bei abgetretenen Forderungen, auch Rechtsverfolgungskosten anfallen. Diese mindern den Verwertungserlös, der für die Verrechnung auf die gesicherten Forderungen zur Verfügung steht. Die genannten Kosten hängen zwar von den Umständen des jeweiligen Einzelfalles ab, lassen sich im Interesse der Rechtssicherheit aber pauschalieren. Die Insolvenzordnung, die am 1. Januar 1999 in Kraft tritt, setzt die Feststellungskosten mit 4% und die Verwertungskosten mit 5% des Verwertungserlöses, die Kosten insgesamt also mit 9% an (§ 171 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 InsO). In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind diese und die in einzelnen Fällen anfallenden Rechtsverfolgungskosten durch einen pauschalen Aufschlag von 10% auf die Deckungssumme zutreffend berücksichtigt worden (BGHZ 94, 105, 115; 120, 300, 303; BGH, Beschl. v. 6. März 1997 – IX ZR 74/95, WM 1997, 750, 757).
Ein weiterer Aufschlag zur Abdeckung von Unsicherheiten bei der Bewertung der Sicherungsgegenstände (vgl. dazu BGHZ 94, 105, 115; 120, 300, 303; Wiegand/Brunner NJW 1995, 2513, 2517) oder von Zinsen (vgl. Schröter WM 1997, 2193, 2195) ist nicht anzuerkennen. Die Gefahr eines Mindererlöses muß vielmehr bei der Ermittlung des realisierbaren Wertes (unten c) berücksichtigt werden (Ganter WM 1996, 1705, 1710), während Zinsen in die gesicherte Forderung einzuberechnen sind.
Auch die steuerliche Behandlung der Verwertung von Sicherungsgegenständen rechtfertigt derzeit keinen regelmäßigen Aufschlag auf die Deckungsgrenze. Bei Verwertung von Sicherungsgut wird der Sicherungsnehmer nach gegenwärtiger Rechtslage im Ergebnis durchweg nicht mit der Umsatzsteuer belastet (vgl. BGHZ 58, 292, 294 f.; 77, 139, 141, 144 f., 148). Soweit der Sicherungsgeber – insbesondere künftig nach §§ 170 Abs. 2, 171 Abs. 2 Satz 3 InsO – bei der Verwertung sicherungsübereigneter Waren die Umsatzsteuer auszugleichen hat, ist dem einerseits durch einen entsprechenden Aufschlag auf die Deckungsgrenze von 110% Rechnung zu tragen, weil der auszugleichende Mehrwertsteuerbetrag (zur Zeit 15%) zur Tilgung der gesicherten Forderungen nicht zur Verfügung steht. Andererseits ist dann für das Entstehen des Freigabeanspruchs vom Nettoerlös nach Abzug des Umsatzsteuerbetrages auszugehen (s. u. c bb (3)).
cc) Die Ersetzung der Deckungsgrenze von 110% durch eine Regelung, die die Freigabe in das Ermessen des Sicherungsgebers stellt, ist bei formularmäßigen Sicherungsübertragungen nach § 9 AGBG unwirksam. Die gegenteilige Ansicht des XI. Zivilsenats (Beschl. v. 16. April 1996 – XI ZR 234/95, WM 1996, 902, 904) teilt der Große Senat nicht.
Eine solche Regelung schränkt wesentliche Rechte und Pflichten, die sich aus der Natur des Sicherungsvertrages ergeben, ein, gefährdet in der Regel das Erreichen des Zwecks des Sicherungsvertrags (§ 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG) und benachteiligt deshalb den Sicherungsgeber entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen (§ 9 Abs. 1 AGBG).
Diese Nachteile werden nicht dadurch ausgeglichen, daß eine ermessensabhängig gestaltete Freigabeklausel eine dem Einzelfall angepaßte Bewertung der Sicherungsgegenstände im Zreitpunkt des Freigabeverlangens ermöglichte, so daß der Risikozuschlag zum Vorteil des Sicherungsgebers niedriger ausfallen könnte. Eine situationsbezogene Bewertung des Sicherungsguts ist auch bei einer strikten, prozentualen Deckungsgrenze uneingeschränkt möglich.
dd) Die Unwirksamkeit einer Klausel, die dem Sicherungsnehmer bei der Beurteilung der Freigabevoraussetzungen einen Ermessensspielraum einräumt, hat auch bei revolvierenden Globalsicherungen nicht deren Gesamtnichtigkeit zur Folge. An die Stelle der unwirksamen Klausel tritt vielmehr die Deckungsgrenze von 110% also der Rechtszustand, der ohne die unwirksame Klausel bestünde (§ 6 Abs. 2 AGBG: BGH, Beschl. v. 6. März 1997 – IX ZR 74/95, WM 1997, 750, 758).
c) Die Durchsetzung des Freigabeanspruchs in der Praxis wird nicht durch Bewertungsschwierigkeiten unzumutbar behindert.
aa) Allerdings gibt es allgemeingültige branchenunabhängige Maßstäbe zur Bestimmung des realisierbaren Wertes von Sicherungsgegenständen bei Eintritt des Sicherungsfalles weder für abgetretene Forderungen noch für sicherungsübereignete Waren. Die Ansicht des IX. Zivilsenats, ein Vertrag ohne eine Klausel für die Bewertung der Sicherungsgegenstände könne durch Auslegung um feste Bewertungsmaßstäbe ergänzt werden (BGH, Beschl. v. 6. März 1997 – IX ZR 74/95, WM 1997, 750, 756 ff.), teilt der Große Senat nicht.
(1) Der bei Eintritt des Sicherungsfalles zu realisierende Wert der Sicherungsgegenstände ist, anders als die Deckungsgrenze, keine vertragsimmanente Größe, sondern vom Sicherungsvertrag losgelöst. Dieser Wert bestimmt sich entscheidend nach den (Markt-) Verhältnissen bei Eintritt des Sicherungsfalles, also insbesondere bei Insolvenz des Schuldners.
Bei Abschluß des regelmäßig längerfristigen Sicherungsvertrages ist unbekannt und nicht vorhersehbar, ob und wann der Sicherungsfall eintritt. Auch die (Markt-) Verhältnisse bei Eintritt des Sicherungsfalles lassen sich regelmäßig nicht sicher vorausbestimmen. Sie können deshalb nach dem Willen verständiger Parteien bei Abschluß des Sicherungsvertrages nicht in Form fester branchenunabhängiger allgemeingültiger Maßstäbe für die Bewertung des Sicherungsgutes berücksichtigt werden.
(2) Bei Abschluß einer Globalzession bestehen die erfaßten Forderungen vielfach noch nicht. Die Drittschuldner, von deren Bonität der realisierbare Wert der abgetretenen Forderungen entscheidend abhängt, sind in diesem Zeitpunkt oft unbekannt. Ihre Zahlungsbereitschaft in der Krise des Sicherungsgebers und vor allem ihre Bonität bei seiner Insolvenz sind im Zeitpunkt der Globalabtretung nicht vorauszusehen, sondern personenabhängig. Der bei Eintritt des Sicherungsfalles realisierbare Wert unbekannter künftiger Forderungen gegen nicht bekannte Drittschuldner läßt sich, wie auch der IX. Zivilsenat anerkennt (Beschl. v. 6. März 1997 – IX ZR 74/95, WM 1997, 750, 759), nicht bestimmen (BGHZ 130, 115, 124; BGH, Beschl. v. 13. Mai 1997 – XI ZR 234/95, WM 1997, 1197, 202).
(3) Gleiches gilt für die Sicherungsübereignung eines Warenlagers mit wechselndem Bestand. Bei Abschluß des Sicherungsvertrages sind weder der Umfang noch der genaue Inhalt des Warenlagers nach Eintritt des in unbekannter zeitlicher Ferne liegenden Sicherungsfalles bekannt. Ungewiß und nicht sicher bestimmbar ist weiter die künftige Entwicklung der Preise eingelagerter Rohstoffe, der Konjunktur, der Technik und der Marktverhältnisse in der jeweiligen Branche. Erst recht läßt sich nicht sicher abschätzen, welchen Einfluß der wirtschaftliche Zusammenbruch eines Sicherungsgebers auf den realisierbaren Wert seines Warenlagers hat. Wenn eine Auffanggesellschaft die Produktion weiterführt, ist insbesondere der Wert von Halbfertigerzeugnissen ein anderer als bei völliger Einstellung des Betriebs. Alle diese Umstände und preisbildenden Faktoren müßten feste Parameter für die Bewertung des Warenlagers bei Eintritt des Sicherungsfalles berücksichtigen und zutreffend gewichten. Allgemeingültige, branchenunabhängige Bewertungsmaßstäbe, die dies leisten, gibt es nicht (Nobbe ZIP 1996, 657, 664).
Insbesondere läßt sich der in der Insolvenz des Schuldners realisierbare Wert nicht mit dem im Zeitpunkt der Entscheidung über das Freigabeverlangen aktuellen Marktpreis – oder bei Waren, die keinen solchen haben, mit dem Einkaufs- oder Herstellungspreis – gleichsetzen. Selbst der Marktpreis verhältnismäßig wertbeständiger Rohstoffe kann aufgrund einer nicht voraussehbaren Marktentwicklung beim wirtschaftlichen Zusammenbruch des Schuldners ein wesentlich anderer sein als im Zeitpunkt des Freigabeverlangens. Dies gilt in noch viel stärkerem Maße bei anderen Rohstoffen (vgl. etwa OLG Braunschweig WM 1991, 802, 804). Zu berücksichtigen ist weiter, daß Warenlager zahlungsunfähiger Schuldner, die erfahrungsgemäß schon vor Eintritt der Insolvenz ihren Zahlungspflichten nicht mehr ausreichend nachkommen, oft in großem Umfang mit Rechten Dritter (Eigentumsvorbehalte, Vermieter- und Frachtführerpfandrechte) belastet sind, die für den Sicherungsnehmer den realisierbaren Wert erheblich mindern.
bb) Dennoch ist eine bloße Festlegung der Deckungsgrenze auf 110% der gesicherten Forderungen ohne jeden Anhaltspunkt für die Bewertung des Sicherungsgutes weder sach- noch praxisgerecht. Zur raschen Durchsetzung des Freigabeanspruchs bedarf es vielmehr einer Orientierungshilfe für die Bewertung der Sicherungsgegenstände.
Wenn über die Bewertung des Sicherungsgutes bei Eintritt des Sicherungsfalles ohne jede Vorgabe gestritten werden könnte und jedes zwar wenig wahrscheinliche, aber denkbare Risiko des Sicherungsnehmers bei der Ermittlung des Sicherungswertes zu berücksichtigen wäre, hätte der Freigabeanspruch keine nennenswerte Bedeutung. Die in nahezu jedem Streitfall notwendige Einholung eines kosten- und zeitaufwendigen Sachverständigengutachtens und dessen ungewisses Ergebnis würden den Sicherungsgeber in aller Regel davon abhalten, seinen Freigabeanspruch geltend zu machen. Eine angemessene Berücksichtigung des berechtigten Dispositionsinteresses des Sicherungsgebers gebietet es deshalb, die besonderen Schwierigkeiten, eine Übersicherung zu beweisen, durch eine einfache Vermutungs- und Beweislastregelung auszugleichen.
(1) Aus den §§ 232 ff. BGB läßt sich die widerlegliche Vermutung ableiten, daß dem Sicherungsinteresse des Gläubigers durch einen Abschlag von einem Drittel vom Nennwert abgetretener Forderungen (unten (bb)) oder vom Schätzwert sicherungsübereigneter Waren (unten (aa)) ausreichend Rechnung getragen wird.
Die §§ 232 ff. BGB enthalten Vorschriften sowohl über die Deckungsgrenze als auch über den Sicherungswert von bestimmten Forderungen und beweglichen Sachen. Danach erbringt die Verpfändung geeigneter beweglicher Sachen Sicherheit nur in Höhe von zwei Dritteln des Schätzwertes (§ 237 Satz 1 BGB). Für den Fall, daß die geleisteten Sicherheiten unter die genannten Wertgrenzen sinken, steht dem Sicherungsnehmer ein Ergänzungsanspruch zu (§ 240 BGB).
Diese Bestimmungen sind zwar, schon weil sie eine Hinterlegung bzw. Verpfändung erfordern, auf Sicherungsabtretungen und Sicherungsübereignungen nicht unmittelbar anwendbar. Eine Sicherheitsleistung durch Verpfändung einfacher Forderungen, die in aller Regel den Gegenstand von Globalabtretungen bilden, ist in §§ 232 ff. BGB nicht vorgesehen. Die Vorschriften lassen sich aber für revolvierende Globalsicherheiten nutzbar machen, weil sie Vorstellungen des Gesetzgebers über den Sicherungswert bestimmter Gegenstände offenbaren und ihnen außerdem eine Abwägung der widerstreitenden Interessen von Sicherungsgeber und -nehmer innewohnt (Schwab WM 1997, 1883, 1890). Der regelmäßige Sicherungswert ist danach bei beweglichen Sachen durch Anknüpfung an den Schätzwert, bei abgetretenen Forderungen an den Nennwert und jeweils durch einen pauschalen Risikoabschlag zu bemessen.
(aa) Der Schätzwert, d.h. der geschätzte aktuelle Verkehrswert (Liebelt-Westphal ZIP 1997, 230, 231), ist bei sicherungsübereigneten Waren der Marktpreis im Zeitpunkt der Entscheidung über das Freigabeverlangen. Bei Waren, die keinen solchen Preis haben, kann im Interesse einer möglichst einfachen und schnellen Durchsetzung des Freigabeanspruchs des Sicherungsgebers nicht auf den aktuellen Verkehrswert abgestellt werden. Anzuknüpfen ist dann vielmehr an den Einkaufspreis, wenn der Sicherungsgeber das Sicherungsgut gekauft hat, und an den Herstellungspreis, wenn er das Gut selbst hergestellt, oder verarbeitet hat (vgl. BGH, Urt. v. 11. Mai 1995 – IX ZR 170/94, WM 1995, 1394, 1395). Dies macht entbehrlich, in jedem Streitfall ein zeitaufwendiges Sachverständigengutachten einzuholen.
Zu berücksichtigen ist Sicherungsgut dabei nur insoweit, als Dritte daran kein vorrangiges Sicherungsrecht, z.B. einen Eigentumsvorbehalt oder ein Pfandrecht, haben. Ist dies der Fall, so mindert sich der Wert des Sicherungsgutes in Höhe der gesicherten Ansprüche des Dritten, weil nur der restliche Teil dem Sicherungsnehmer zur Verfügung steht.
(bb) Bei Globalabtretungen ist vom Nennwert der abgetretenen Forderungen im Zeitpunkt der Entscheidung über das Freigabebegehren auszugehen. Nicht zu berücksichtigen sind Forderungen, die der Sicherungsnehmer wegen eines Abtretungsverbots oder eines branchenüblichen verlängerten Eigentumsvorbehalts nicht erworben hat. Gleiches gilt, soweit abgetretene Forderungen einredebehaftet sind, weil die zugrundeliegenden Lieferungen oder Leistungen nicht vollständig erbracht wurden, oder wenn ihnen aufrechenbare Forderungen gegenüberstehen. Die Forderungen haben für den Sicherungsnehmer dann keinen realen oder einen entsprechend geminderten Sicherungswert.
(2) Der Bewertungsabschlag von einem Drittel (§ 237 Satz 1 BGB) bei beweglichen Sachen führt dazu, daß ein Freigabeanspruch regelmäßig erst besteht, wenn der Marktpreis bzw. der Einkaufs- oder der Herstellungspreis der sicherungsübereigneten Waren, soweit sie zu berücksichtigen sind und andere Sicherheiten nicht zur Verfügung stehen, 150% der gesicherten Forderungen ausmacht. Entsprechendes gilt bei Globalzessionen für den Nennwert der berücksichtigungsfähigen Forderungen. Der geringere Abschlag, den § 234 Abs. 3 und § 236 BGB – nur – für die Hinterlegung mündelsicherer Wertpapiere oder die Verpfändung von Schuldbuchforderungen gegen den Bund oder ein Bundesland vorsieht, ist nicht verallgemeinerungsfähig (vgl. BGH, Beschl. v. 13. Mai 1997 – XI ZR 234/95, WM 1997, 1197, 1201). Bei der Abtretung anderer Ansprüche ist das Ausfallrisiko des Sicherungsnehmers vielmehr zumindest ebenso hoch wie das Risiko, in der Insolvenz des Schuldners den im Zeitpunkt der Freigabeentscheidungen aktuellen Marktpreis bzw. den Einkaufs- oder den Herstellungspreis nicht erzielen zu können. Auch wenn der für bewegliche Sachen vorgesehene Risikoabschlag nicht immer paßt (vgl. BGH, Urt. v. 21. November 1995 – XI ZR 255/94, WM 1996, 56, 57), setzt der Große Senat – zumal abgetretene Forderungen oftmals aus der Veräußerung sicherungsübereigneter Waren zum Verkehrswert resultieren – den Abschlag bei abgetretenen Forderungen ebenfalls mit einem Drittel an.
(3) In diesem Zuschlag von 50% ist der Anteil von 10% für Feststellungs-, Verwertungs- und Rechtsverfolgungskosten (oben 3. b), nicht aber eine beim Sicherungsnehmer anfallende Belastung mit Umsatzsteuer (s. o. b bb (2)) enthalten. Solche Kosten fallen im gewissen Umfang auch in den in §§ 232 ff. BGB geregelten Fällen an. Daß sie im Ergebnis den zur Befriedigung der gesicherten Forderung zur Verfügung stehenden Erlös schmälern, ist deshalb bereits im gesetzlich geregelten Abschlag berücksichtigt. Mehrwertsteuer in der heutigen Form gab es bei Verabschiedung des Bürgerlichen Gesetzbuchs nicht.
Die Deckungsgrenze von 110% wird sich also praktisch im allgemeinen nur auswirken, wenn ein ins Gewicht fallendes Verwertungsrisiko nicht besteht.
(4) Der Zuschlag von 50% stellt, zumal die §§ 232 ff. BGB nicht auf Globalabtretungen und Sicherungsübereignungen zugeschnitten sind und keine für alle Fälle passende Regelung enthalten, zwar nur eine Orientierungshilfe dar. Diese bewirkt aber, daß derjenige, der behauptet, ein Abschlag von einem Drittel oder eine Freigabegrenze von 150% – bezogen auf den Nennwert von Forderungen und den Marktpreis bzw. den Einkaufs- oder Herstellungspreis von Waren – sei im Streitfall unangemessen, dies substantiiert darzulegen und zu beweisen hat. Das gilt auch dann, wenn die Parteien den Abschlag bzw. die Deckungsgrenze formularvertraglich ohne Rücksicht auf die konkrete Risikolage anders festgelegt haben (§ 9 AGBG), während eine angemessene Vorausbestimmung des Sicherungswerts jeweils mit Bezug auf die besonderen Verhältnisse konkret abzugrenzender Wirtschaftsbranchen die Sicherungsgeber nicht ohne weiteres unangemessen benachteiligt.
Der allgemeine Vortrag, bei der Verwertung von Sicherungsgut werde oft nur die Hälfte des Verkehrswertes erzielt, reicht insoweit nicht aus. Diese Erfahrungstatsache war dem Gesetzgeber der §§ 232 ff. BGB bekannt (Motive zum BGB I.S. 390); gleichwohl hat er sich nicht für eine Deckungsgrenze von 200% entschieden. Zur Durchsetzung eines von § 237 Satz 1 BGB abweichenden Abschlags ist deshalb der Nachweis konkreter (Erfahrungs-) Tatsachen erforderlich, die belegen, daß der gesetzliche Abschlag den besonderen Verhältnissen der Branche oder des Sicherungsgebers überhaupt nicht gerecht wird, sondern unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles gemäß § 287 ZPO erheblich anders zu bemessen ist und deshalb zu einem ganz anderen Sicherungswert führen muß.
Fundstellen