Entscheidungsstichwort (Thema)
Löschung des Gebrauchsmusters G 92 18 540
Leitsatz (amtlich)
a) Ob die Erfindung so deutlich und vollständig offenbart ist, daß ein Fachmann sie ausführen kann, ist im Gebrauchsmusterlöschungsverfahren im Rahmen des Löschungsgrundes des § 15 Abs. 1 Nr. 1 GebrMG zu prüfen.
b) Im Gebrauchsmusterlöschungsverfahren ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Prüfung der ausführbaren Offenbarung der Erfindung der Zeitpunkt der Anmeldung des Gebrauchsmusters oder der Prioritätszeitpunkt.
c) Bloße Zweifel an der Marktreife stehen der Ausführbarkeit nicht entgegen.
Normenkette
GebrMG § 15 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
BPatG (Aktenzeichen X ZB 12/98) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß des 5. Senats (Gebrauchsmuster-Beschwerdesenats) des Bundespatentgerichts vom 4. Dezember 1997 wird auf Kosten der Antragstellerin zurückgewiesen.
Der Wert des Gegenstandes der Rechtsbeschwerde wird auf 100.000,– DM festgesetzt.
Gründe
I. Die Antragsgegnerin ist eingetragene Inhaberin des aus einer Patentanmeldung abgezweigten, am 14. Juli 1994 eingetragenen deutschen Gebrauchsmusters G 92 18 540 (Streitgebrauchsmusters), dessen Schutzdauer verlängert wurde. Das Streitgebrauchsmuster betrifft eine „Flächenschleifmaschine” und umfaßt 12 Schutzansprüche. Schutzanspruch 1 lautet:
„Flächenschleifmaschine (1), insbesondere Winkel- oder Exzenterschleifer oder dergl., mit an einem Getriebegehäuse (9) beweglich angeordnetem Schleifteller (19), der durch Motordrehung, vorzugsweise eines Elektromotors (23), insbesondere oszillierend angetrieben wird, wobei ein Winkelgetriebe die Motordrehung auf den Schleifteller (19) überträgt, dadurch gekennzeichnet, daß eine biegsame Welle (33) als Winkelgetriebe dient.”
Die Rechtsbeschwerdeführerin hat die Löschung des Streitgebrauchsmusters beantragt und sich dazu zunächst auf fehlende Schutzfähigkeit gegenüber dem Stand der Technik berufen. Die Gebrauchsmusterabteilung I des Deutschen Patentamts hat unter Zurückweisung des Löschungsantrags im übrigen das Streitgebrauchsmuster teilweise gelöscht; wegen der Fassung, die das Streitgebrauchsmuster hierdurch erhalten hat, wird auf den angefochtenen Beschluß verwiesen. Auf Beschwerde der Rechtsbeschwerdeführerin, die sich im Beschwerdeverfahren auch auf mangelnde Ausführbarkeit gestützt hat, hat das Bundespatentgericht den angefochtenen Beschluß abgeändert und im übrigen die Beschwerde und den Löschungsantrag zurückgewiesen.
Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt die Antragstellerin die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Zurückverweisung der Sache an das Bundespatentgericht. Die Antragsgegnerin tritt der Rechtsbeschwerde entgegen.
II. Die infolge Zulassung statthafte Rechtsbeschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg.
1. Das Bundespatentgericht hat die Schutzfähigkeit des Streitgebrauchsmusters in der beschränkten Fassung, die es im Beschwerdeverfahren erhalten hat, bejaht. Hiergegen wendet sich die Rechtsbeschwerde vergeblich.
a) Das Bundespatentgericht ist davon ausgegangen, daß dieser Gegenstand neu ist. Dies wird von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffen und läßt Rechtsfehler nicht erkennen.
b) Ohne Erfolg stellt die Rechtsbeschwerde das Vorliegen eines erfinderischen Schritts zur Überprüfung. Die Beurteilung des Vorliegens eines erfinderischen Schritts liegt wie die der erfinderischen Tätigkeit beim Patent im wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet und ist insoweit einer Überprüfung in der Rechtsbeschwerdeinstanz grundsätzlich verschlossen (§ 18 Abs. 5 GebrMG i.V.m. § 107 Abs. 2 PatG; zuletzt für das Gebrauchsmusterrecht Sen.Beschl. v. 20.1.1998 - X ZB 5/96, NJW-RR 1998, 761, 762 - Induktionsofen, insoweit nicht in GRUR Int. 1998, 721 abgedruckt; vgl. für das Patentrecht Sen.Beschl. v. 2.3.1999 - X ZB 17/97, zur Veröffentlichung vorgesehen – künstliche Atmosphäre). Der angefochtene Beschluß kann insoweit lediglich darauf überprüft werden, ob er auf einem Verkennen des Rechtsbegriffs des „erfinderischen Schritts” und damit auf einer Verletzung materiellen Rechts beruht oder – bei entsprechender Verfahrensrüge (§ 18 Abs. 5 GebrMG i.V.m. § 102 Abs. 4 Nr. 3 PatG) – ob gegen prozessuale Vorschriften, die Lebenserfahrung oder Denkgesetze verstoßen worden ist oder ob bei der Entscheidungsfindung wesentliche Umstände außer acht gelassen worden sind (vgl. Sen.Beschl. v. 24.3.1987 - X ZB 23/85, GRUR 1987, 510, 512 - Mittelohrprothese; Beschl. v. 14.5.1996 - X ZB 4/95, GRUR 1996, 753, 756 - Informationssignal). Das kann nicht festgestellt werden.
aa) Das Bundespatentgericht hat im wesentlichen ausgeführt, im Unterschied zu der den nächstkommenden Stand der Technik bildenden deutschen Offenlegungsschrift 38 05 926, bei der der Exzenterträger mittels eines an ihm in herkömmlicher Weise befestigten Wälzlagers drehbar in einer Buchse gelagert sei, diene bei der Flächenschleifmaschine nach dem Streitgebrauchsmuster eine biegsame Welle, die einen unveränderbaren Winkel von 90° bis 130° zwischen der Achse des Motors und der des Schleiftellers überbrücke, als Winkelgetriebe. Der Exzenterträger sei zusätzlich im unteren Bereich des Gehäuses drehbar gelagert. Für eine derartige Ausgestaltung fänden sich auch in den übrigen Entgegenhaltungen keine Hinweise oder Anregungen. Das gelte auch für die den Einsatz biegsamer Wellen beschreibenden Entgegenhaltungen. Die aus dem Jahr 1935 stammende deutsche Patentschrift 622 243 weise den Fachmann explizit darauf hin, daß eine biegsame Welle zur Verbindung zweier im Winkel von 90° zueinander gelagerter Achswellen nur bedingt geeignet sei. Die dort vorgeschlagene Lösung, die biegsame Welle in eine Schleife zu legen und in einem losen Kreuzlager festzuhalten, werde der Fachmann wegen des großen Platzbedarfs für die Schleife und des zu erwartenden Verschleißes ungeeignet verwerfen. Auch die zeitliche Entwicklung spreche für diese Annahme. Weitere bekannte Lösungen mit biegsamen Wellen setzten voraus, daß ein Ende der Welle frei beweglich sei, und führten den Fachmann in eine ganz andere Richtung. Eine Zusammenschau ließe dem Fachmann angesichts der Unvereinbarkeit der Lösungen höchstens die Wahl, sich alternativ für eine von ihnen zu entscheiden. In der aus dem Jahr 1899 stammenden deutschen Patentschrift 107 016 sei lediglich von ca. 10 m langen, in gekrümmter Lage befindlichen biegsamen Wellen die Rede, die, wie der Fachmann ohne weiteres erkenne, schon wegen ihrer Abmessungen nicht für die Verwendung in Handgeräten geeignet seien.
bb) Die Rechtsbeschwerde ist der Ansicht, der angefochtene Beschluß nehme nur unzureichend zu dem Vortrag der Antragstellerin Stellung, daß es angesichts der Entgegenhaltungen nahegelegen habe, zur Lehre des Streitgebrauchsmusters zu kommen. Ein im Rechtsbeschwerdeverfahren beachtlicher Rechtsverstoß wird durch diese pauschale Behauptung nicht aufgezeigt.
cc) Die Rechtsbeschwerde macht weiter geltend, daß – nachdem das Bundespatentgericht zutreffend in der deutschen Patentschrift 622 243 einen Hinweis auf eine bedingte Eignung einer biegsamen Welle zur Verbindung zweier im Winkel von 90° gelagerter Arbeitswellen gesehen habe und sich seit 1935 die technischen Möglichkeiten ständig fortentwickelt hätten – in der Entwicklung einer entsprechend geeigneten Welle im Jahr 1992 ein erfinderischer Schritt nicht gesehen werden könne, da keine grundsätzlichen Vorbehalte gegen eine Verwendung einer derartigen Welle bestanden hätten. Auch hieraus ergibt sich kein im Rechtsbeschwerdeverfahren beachtlicher Rechtsfehler. Die Rechtsbeschwerde vermag nicht aufzuzeigen, daß das Bundespatentgericht erheblichen Streitstoff unberücksichtigt gelassen habe. Sie will diesen Stoff lediglich anders gewichtet und bewertet wissen. Hiermit kann sie angesichts der nur beschränkten Überprüfbarkeit der angefochtenen Entscheidung im Rechtsbeschwerdeverfahren keinen Erfolg haben.
2. Das Bundespatentgericht hat weiter geprüft, ob das Streitgebrauchsmuster in seiner zuletzt verteidigten Fassung wegen fehlender Ausführbarkeit zu löschen ist. Es hat nicht feststellen können, daß die Lehre nach Schutzanspruch 1 in seiner zuletzt verteidigten Fassung nicht ausführbar sei. Dies begegnet keinen durchgreifenden Bedenken.
a) Ob die Erfindung so deutlich und vollständig offenbart ist, daß ein Fachmann sie ausführen kann, ist im Gebrauchsmusterlöschungsverfahren bei entsprechendem Anlaß dann zu prüfen, wenn der Löschungsgrund der mangelnden Schutzfähigkeit geltend gemacht ist (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 GebrMG). Anders als das Patentrecht mit seinem Widerrufs- und Nichtigkeitsgrund des Fehlens einer ausführbaren Offenbarung (§ 21 Abs. 1 Nr. 2 PatG; Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 2 IntPatÜG; Art. 138 Abs. 1 Buchst. b EPÜ) kennt das Gebrauchsmusterrecht einen entsprechenden eigenständigen Löschungsgrund nicht. Die Rechtslage im Gebrauchsmusterrecht ist damit der im Patentrecht vor dem 1. Januar 1978 (Inkrafttreten der im Patentrecht durch das Gesetz über Internationale Patentübereinkommen [IntPatÜG]) geltenden Regelung vergleichbar. Dort ist die Ausführbarkeit allein als Teilaspekt der Schutzfähigkeit (Patentfähigkeit) behandelt worden. Daran hat sich im Gebrauchsmusterrecht nichts geändert.
b) Dem Bundespatentgericht ist weiter darin beizutreten, daß für die Prüfung der Ausführbarkeit bei Gebrauchsmustern auf die Verhältnisse am Anmelde- oder Prioritätstag abgestellt werden muß (vgl. aus der Rechtsprechung des BGH u.a. Urt. v. 1.4.1965 - Ia ZR 218/63, GRUR 1966, 141, 145 - Stahlveredlung; Urt. v. 27.11.1975 - X ZR 29/75, GRUR 1976, 213, 214 - Brillengestelle; Urt. v. 29.11.1983 - X ZR 87/78, GRUR 1984, 335, 336 f. - Hörgerät; BGHZ 112, 297, 301 - Polyesterfäden; Urt. v. 22.10.1991 - X ZR 73/89, BlPMZ 1992, 308, 309 f. - Antigenenachweis).
c) aa) Die Rechtsbeschwerdeführerin hat im Beschwerdeverfahren mangelnde Ausführbarkeit deshalb geltend gemacht, weil die lösungsgemäß beim Streitgebrauchsmuster vorgesehene, als Winkelgetriebe zur Übertragung der Drehung des Antriebsmotors auf den Schleifteller dienende biegsame Welle dem Fachmann an dem für den Zeitrang des Streitgebrauchsmusters maßgeblichen Tag nicht zur Verfügung gestanden habe. Sie hat sich dabei in erster Linie auf den Wissensstand bei der Antragsgegnerin berufen und dies damit zu belegen versucht, daß das mit der Entwicklung einer entsprechenden biegsamen Welle betraute Fachunternehmen diese erst ca. ein Jahr nach dem für den Zeitrang maßgeblichen Tag abgeschlossen habe. In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundespatentgericht hat die Antragstellerin diesen Vortrag ausweislich des angefochtenen Beschlusses (S. 9) so nicht mehr aufrechterhalten.
bb) Das Bundespatentgericht hat dazu im wesentlichen ausgeführt, es sei nicht festzustellen, daß der Fachmann die Lehre des Streitgebrauchsmusters hinsichtlich des Einsatzes biegsamer Wellen nicht habe ausführen können. Es sei nicht auszuschließen, daß die Beschaffung einer geeigneten Welle, die weitgehend eine Frage der richtigen Dimensionierung sei, durch den Fachmann möglich gewesen sei.
cc) Die Rechtsbeschwerde macht zunächst geltend, das Bundespatentgericht habe den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt. Die von ihm geäußerten Zweifel an der Nichtausführbarkeit hätten sich jedenfalls weitgehend beheben lassen, wenn der Antragsgegnerin aufgegeben worden wäre, ihren Vortrag zur Ausführbarkeit zu substantiieren und dafür Beweis anzutreten. In diesem Fall wäre es, so die Rechtsbeschwerde, der Antragstellerin möglich gewesen, den Vortrag zu bestreiten und sich hierzu auf Sachverständigen- und Zeugenbeweis zu berufen. Im Fall fehlenden oder unsubstantiierten Vortrags der Antragsgegnerin hätte, so die Rechtsbeschwerde, der Beschwerde stattgegeben werden müssen.
Ein Rechtsfehler wird mit dieser Begründung nicht aufgezeigt. Eine über die Wahrheitspflicht im Verfahren (§ 19 Abs. 1 GebrMG i.V.m. § 124 PatG) hinausgehende Mitwirkungspflicht bei der Klärung der Frage, ob die Lehre des Streitpatents ausführbar war, traf die Antragsgegnerin nicht. Auch die Rechtsbeschwerde vermag nicht aufzuzeigen, aus welchem Rechtssatz sich eine derartige Mitwirkungspflicht hätte ergeben sollen.
dd) Die Rechtsbeschwerde beanstandet weiter, daß das Bundespatentgericht zur Frage der Ausführbarkeit nicht den Zeugen K. vernommen habe. Es habe nichts im Wege gestanden, den Zeugen konkret dazu zu befragen, ob am Anmeldetag eine biegsame Welle, die dem Schutzanspruch 1 des Streitgebrauchsmusters genügt hätte, zur Verfügung gestanden habe.
Auch mit dieser Rüge vermag die Rechtsbeschwerde nicht durchzudringen. Hinreichender Anlaß zu einer Vernehmung dieses Zeugen bestand nämlich schon deshalb nicht mehr, weil die Antragstellerin ihren bisherigen Sachvortrag, die Entwicklung einer dem Schutzanspruch 1 des Streitgebrauchsmusters entsprechenden biegsamen Welle sei erst ca. ein Jahr nach dem für den Altersrang des Streitgebrauchsmusters maßgeblichen Tag abgeschlossen gewesen, nicht mehr aufrechterhalten hatte. Es ist nicht ersichtlich und wird auch von der Rechtsbeschwerde nicht aufgezeigt, zu welchem erheblichen Beweisthema der Zeuge hätte vernommen werden sollen. Zu einer Beweiserhebung „ins Blaue” hinein war das Bundespatentgericht jedenfalls nicht verpflichtet.
ee) Die Rüge einer Verletzung der Aufklärungspflicht erweist sich auch nicht aus anderen Gesichtspunkten als begründet. Allerdings gilt die Bestimmung des § 87 Abs. 1 Satz 1 PatG, nach der das Patentgericht den Sachverhalt von Amts wegen erforscht, auch für das Beschwerdeverfahren in Gebrauchsmusterlöschungssachen (vgl. Schäfers in Benkard, Rdn. 19 zu § 18 GebrMG; Franz Wuesthoff in Klauer/Möhring, Patentrechtskommentar, 3. Aufl., Rdn. 6 zu § 10 GebrMG). An das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten ist das Bundespatentgericht dabei nicht gebunden (vgl. BGH, Beschl. v. 10.5.1974 - I ZB 2/73, GRUR 1974, 661, 662 - St.-Pauli-Nachrichten; Beschl. v. 22.10.1987 - I ZB 9/86, GRUR 1988, 211, 212 - Wie hammas denn?, jeweils zum Verfahren in Warenzeichensachen). Das Bundespatentgericht hat die erforderlichen Ermittlungen regelmäßig selbst anzustellen (Schäfers in Benkard, Rdn. 3 zu § 87 PatG; vgl. zu der übereinstimmenden Regelung im Markenrecht Fezer, Markengesetz, Rdn. 1 zu § 73 MarkenG). Die Pflicht zur Erforschung des Sachverhalts ist indessen nicht unbegrenzt, wenngleich sie durch bloßen Ermittlungsaufwand nicht eingeschränkt wird (Benkard aaO. Rdn. 9; Busse Patentgesetz 5. Aufl. § 87 PatG Rdn. 9, jeweils gegen BPatG Mitt. 1978, 191, 193), jedenfalls solange sich die Ermittlungen noch in einem zumutbaren Rahmen halten (Fezer aaO. Rdn. 3). Ermittlungen „ins Blaue” hinein sind nicht geboten; es darf bestimmter Anhaltspunkte, die Nachforschungen in eine bestimmte Richtung lenken und sinnvoll erscheinen lassen können (BGH – Wie hammas denn?). Das Bundespatentgericht muß auch nicht beliebige Anhaltspunkte für die Auffassung eines Beteiligten ermitteln, dieser muß vielmehr mit hinreichender Deutlichkeit die Zielrichtung seiner Angriffe artikulieren (Sen.Beschl. v. 18.9.1990 - X ZB 3/90, Umdruck S. 15).
Auf dieser Grundlage war das Bundespatentgericht angesichts des von der Rechtsbeschwerdeführerin unterbreiteten Streitstoffs nicht gehalten, weitere Nachforschungen zur Frage der Ausführbarkeit anzustellen. Wie sich aus den Ausführungen im angefochtenen Beschluß mit hinreichender Deutlichkeit ergibt, lag die Schwierigkeit hinsichtlich der Ausführung der Lehre des Schutzrechts einzig darin, eine – an sich bekannte – biegsame Welle so auszulegen, daß vorzeitiger Ausfall vermieden werden konnte und sich für die Praxis ausreichende Standzeiten ergaben. Der Stand der Entwicklungsarbeiten, mit dem sich das Bundespatentgericht auseinandergesetzt hat, betraf ersichtlich solche Bemühungen, die sich auf die Entwicklung des dem Streitgebrauchsmuster entsprechenden Geräts der Gebrauchsmusterinhaberin bezogen. Bei solcher Entwicklungstätigkeit kann, wie der beschließende Senat erst kürzlich entschieden hat, im Regelfall und ohne Hinzutreten besonderer Umstände nicht von öffentlicher Zugänglichkeit der erlangten Kenntnisse ausgegangen werden (Sen.Urt. v. 10.11.1998 - X ZR 137/94 - Herzklappenprothese, zur Veröffentlichung vorgesehen). Entsprechendes muß für die Beurteilung der Frage gelten, ob die Entwicklungsergebnisse dem nacharbeitenden Fachmann zur Hand standen; nur in diesem Fall können sie bei der Beurteilung der Ausführbarkeit eine Rolle spielen. Der Stand der internen Entwicklungen bei der Gebrauchsmusterinhaberin ist demnach selbst dann, wenn mit der Weiterentwicklung von ihr Dritte beauftragt werden, regelmäßig kein geeigneter Ausgangspunkt für die Beurteilung der Ausführbarkeit der Erfindung, bei der es auf die Möglichkeiten und Kenntnisse ankommt, die außenstehenden Dritten eröffnet sind.
Somit war für die Beurteilung der Ausführbarkeit entscheidend, ob dem Fachmann sonst, d.h. aus frei zugänglichen Quellen oder unter bloßer Ausschöpfung seiner Kenntnisse und Fähigkeiten, die Mittel zur Verfügung standen, die er zur Ausführung der Erfindung benötigte. Hierzu hat die Rechtsbeschwerdeführerin keinen Angriff ausgeführt, auf den eine zielgerichtete Überprüfung aufbauen konnte.
Es ist zudem für die Ausführbarkeit der Erfindung ausreichend, daß die Lehre von einem Fachmann überhaupt ausgeführt werden kann; daß es gelegentlich zu „Ausreißern” kommt oder die Lehre in einzelnen Fällen versagt, ist nach der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich unerheblich (Sen.Urt. v. 4.7.1989 - X ZR 95/87, GRUR 1989, 899 - Sauerteig; vgl. Urt. v. 9.2.1993 - X ZR 40/90, Umdruck S. 8). Ebenso unerheblich ist es, ob die Ausführung gegen Gesetze, Normen oder Standards verstößt (Sen.Urt. v. 5.11.1996 - X ZR 53/94, Umdruck S. 24; BpatGE 34, 1, 4 f. = GRUR 1995, 394, dort auch unter den Gesichtspunkten der Brauchbarkeit und der fertigen Lehre). Auch die Frage der Marktreife (mit ausreichender Optimierung), um die der Streit der Beteiligten ersichtlich allein ging, ist für die Beurteilung der Ausführbarkeit unter rechtlichen Gesichtspunkten nicht ausschlaggebend. So hat schon das Reichsgericht ausgeführt, Patentreife liege bereits vor, wenn die Lösung mit solcher Klarheit und Bestimmtheit erkannt sei, daß ihre Ausführung im Bereich des durchschnittlichen fachlichen Könnens liege, möge auch das Festlegen einer verkaufsreifen Konstruktion noch ein Probieren von mehr oder minder langer Dauer erforderlich machen (RG, Urt. v. 18.12.1937 - I 261/36, GRUR 1938, 256, 261 - Kopiermaschine); der BGH hat diese Rechtsprechung jedenfalls im Grundsatz übernommen (vgl. BGH, Urt. v. 30.3.1951 - I ZR 58/50, GRUR 1951, 404, 407 - Wechselstromgeneratoren; Urt. v. 21.6.1960 - I ZR 114/58, GRUR 1960, 546, 549 - Bierhahn; Urt. v. 16.6.1961 - I ZR 162/57, GRUR 1962, 80, 81 - Rohrdichtung; Urt. v. 22.12.1964 - Ia ZR 27/63, GRUR 1965, 473, 475 - Dauerwellen I; BGHZ 45, 102 - Appetitzügler I; Urt. v. 5.5.1966 - Ia ZR 110/64, GRUR 1966, 558, 559 - Spanplatten; Urt. v. 10.11.1970 - X ZR 54/67, GRUR 1971, 210, 212 - Wildverbißverhinderung). Unter diesen Gesichtspunkten bestand für das Bundespatentgericht kein Anlaß, der Frage der Ausführbarkeit weiter nachzugehen.
Nach den Feststellungen im angefochtenen Beschluß steht außer Zweifel, daß taugliche biegsame Wellen in der Folge zur Verfügung gestellt werden konnten. Die Gebrauchsmusterinhaberin war ihrerseits nicht gehalten, Material gegen ihr eigenes Schutzrecht zu liefern, und hat dies auch nicht getan. Bei dieser Sachlage fehlte es an einer Grundlage für weiterführende Ermittlungen, die es erlaubt hätten, die vom Bundespatentgericht geäußerten, aber letztlich nicht auf eine konkrete tatsächliche Grundlage gestützten Zweifel an der Ausführbarkeit zum Anmeldezeitpunkt durch weitere Ermittlungen zu beseitigen.
d) Damit stellte sich auch die vom Bundespatentgericht als Anlaß für die Zulassung der Rechtsbeschwerde genommene Frage der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Gebrauchsmusterlöschungsverfahren nicht. Im Gebrauchsmusterlöschungsverfahren, das dem Amtsermittlungsgrundsatz unterliegt und das keine Beweisführungslast, sondern nur eine materielle Beweislast kennt, kann nicht ohne weiteres eine Entscheidung auf Grund der Verteilung der materiellen Beweislast getroffen werden. Die Frage nach der Beweislast stellt sich erst, wenn der entscheidenden Stelle entscheidungserhebliche tatsächliche Gesichtspunkte bekannt werden, die sich als nicht eindeutig feststellbar erweisen. Hieran fehlt es im vorliegenden Fall. Denkbare Möglichkeiten, die wie hier den Bereich der Spekulation nicht verlassen, können auch nicht über das Institut der materiellen Beweislast in der einen oder anderen Richtung zur Entscheidungsgrundlage gemacht werden.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 18 Abs. 5 Satz 2 GebrMG i.V.m. § 109 Satz 2 PatG. Eine mündliche Verhandlung hat der Senat nicht für erforderlich gehalten (§ 107 Abs. 1 PatG).
Unterschriften
Rogge, Maltzahn, Melullis, Scharen, Keukenschrijver
Fundstellen
Haufe-Index 539397 |
DB 1999, 2361 |
NJW-RR 2000, 920 |
GRUR 1999, 920 |
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