Leitsatz (amtlich)
Ein Prozeßbürge, der wegen einer Schadensersatzpflicht des Hauptschuldners aus § 717 Abs. 2 ZPO in Anspruch genommen wird, nachdem das vorläufig vollstreckbare Urteil aus verfahrensrechtlichen Gründen aufgehoben worden ist, kann sich gegenüber dem Anspruch auf Ersatz des Schadens, der in der Leistung zur Abwendung der Vollstreckung besteht, nicht darauf berufen, der Hauptschuldner habe gegen den Anspruch mit der ursprünglich titulierten und anderweitig rechtshängigen Forderung aufgerechnet. Dieser Einwand ist jedoch in einem solchen Falle zulässig gegen den Anspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO auf Ersatz eines weitergehenden Schadens.
Ein Schadensersatzanspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO entfällt nicht, soweit dem Gläubiger die Klageforderung durch ein weiteres vorläufig vollstreckbares Urteil erneut zuerkannt wird, sondern erst mit der Rechtskraft eines solchen Urteils.
Normenkette
ZPO § 717 Abs. 2; BGB §§ 765, 767 Abs. 1 S. 1
Tenor
Auf die Revision der Streithelferin der Beklagten wird – unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels – das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Bamberg vom 3. April 1996 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Beklagte verurteilt worden ist, der Klägerin einen „Zinsschaden” von 14.387,46 DM zu ersetzen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin nimmt die beklagte Bank aus einer Prozeßbürgschaft in Anspruch.
In einem – seit 1987 schwebenden – Bauprozeß war die Klägerin des vorliegenden Rechtsstreits (fortan: Klägerin) durch Urteil des Landgerichts vom 14. Juli 1992 verurteilt worden, an die K. GmbH – Streithelferin der Beklagten (im folgenden: Streithelferin) – Werklohn von 131.138,51 DM nebst Zinsen zu zahlen und die Prozeßkosten überwiegend zu tragen; insoweit war dieses Urteil gegen Sicherheitsleistung von 205.000 DM vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte übernahm am 3. August 1992 im Auftrag ihrer Streithelferin gegenüber der Klägerin dieses Rechtsstreits eine Prozeßbürgschaft bis zum Höchstbetrag von 205.000 DM. Die Klägerin zahlte zur Abwendung der Zwangsvollstreckung an die Streithelferin 190.612,54 DM. Durch Urteil des Oberlandesgerichts vom 21. März 1994 wurde das erstinstanzliche Urteil vom 14. Juli 1992 im Parallelprozeß wegen eines Verfahrensfehlers aufgehoben; die Sache wurde zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.
Die Klägerin hat im vorliegenden Rechtsstreit von der beklagten Bürgin Erstattung der gezahlten Summe nebst Zinsen sowie eines „Zinsschadens” von 14.387,46 DM für die Zeit vom 13. Oktober 1992 bis zur Klageerhebung am 13. Juni 1994 verlangt. Die Streithelferin hat gegen die Klageforderung aufgerechnet mit dem – im Parallelprozeß eingeklagten – Anspruch auf Werklohn nebst Zinsen. Außerdem hat sie den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung erhoben mit der Begründung, die Klägerin habe den zurückgeforderten Betrag alsbald zurückzugewähren, weil der Werklohnanspruch begründet sei. Auf diese Einwendungen ihrer Streithelferin hat sich die Beklagte berufen.
Das Landgericht hat der Bürgschaftsklage bis auf einen Teil der Zinsforderung stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Streithelferin zurückgewiesen. Mit der Revision erstrebt diese weiterhin die Abweisung der Klage.
Nach Erlaß des angefochtenen Berufungsurteils hat das Landgericht im Parallelprozeß am 24. Mai 1996 die Klägerin des vorliegenden Rechtsstreits verurteilt, an die Streithelferin Werklohn von 160.873,78 DM nebst 8,25 % Zinsen von 131.138,51 DM seit dem 14. April 1987 zu zahlen und die überwiegenden Prozeßkosten zu tragen; insoweit ist das Urteil gegen Sicherheitsleistung von 300.000 DM vorläufig vollstreckbar. Diese Entscheidung hat das Oberlandesgericht am 28. April 1997 in Höhe von 144.958,58 DM nebst Zinsen bestätigt; die verurteilte Klägerin des vorliegenden Rechtsstreits darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 320.000 DM abwenden, wenn nicht die Streithelferin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Revision eingelegt.
Entscheidungsgründe
Die Revision im vorliegenden Rechtsstreit hat nur zu einem geringen Teil Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, daß die Prozeßbürgschaft der Beklagten einen Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Streithelferin (Hauptschuldnerin) aus § 717 Abs. 2 ZPO betrifft (§ 765 BGB; vgl. BGH, Urt. v. 20. November 1978 – VIII ZR 243/77, NJW 1979, 417).
Nach der Bürgschaftsurkunde haftet die Beklagte für einen Schadensersatzanspruch, der der Klägerin in dem – hier vorliegenden – Fall der Aufhebung des vorläufig vollstreckbaren Urteils des Landgerichts im Parallelprozeß vom 14. Juli 1992 durch eine Leistung zur Abwendung der Vollstreckung entsteht. Einen solchen Anspruch hat die Klägerin aus § 717 Abs. 2 ZPO. Ihre Zahlung zur Abwendung der Vollstreckung hat nicht zur Erfüllung einer – im Parallelprozeß eingeklagten – Werklohnforderung der Streithelferin geführt (§ 362 BGB), weil diese Leistung unter dem Vorbehalt stand, daß eine entsprechende Schuld rechtskräftig festgestellt wird (vgl. BGHZ 86, 267, 269; BGH, Urt. v. 22. Mai 1990 – IX ZR 229/89, NJW 1990, 2756). Zur Auslösung der Schadensersatzpflicht genügte die Aufhebung des vorläufig vollstreckbaren Urteils des Landgerichts aus verfahrensrechtlichen Gründen, weil damit die Grundlage der Vollstreckung weggefallen ist (RG JW 1926, 816, 817; BGH, Urt. v. 28. Oktober 1958 – VIII ZR 431/56, LM ZPO § 551 Ziff. 1 Nr. 27; Beschl. v. 4. Mai 1972 – III ZR 218/68, LM ZPO § 91 a Nr. 32; BAG NJW 1962, 1125, 1126). Daran hat das Urteil des II. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 21. April 1980 (II ZR 107/79, NJW 1980, 2527, 2528) entgegen der Ansicht der Revision nichts geändert. Vielmehr hat diese Entscheidung sich nicht auf den – hier vorliegenden – Fall erstreckt, daß das vorläufig vollstreckbare Urteil der Vorinstanz aus prozeßrechtlichen Gründen aufgehoben wurde.
II.
Die Revision beanstandet mit geringem Erfolg, daß das Berufungsgericht die von der Streithelferin erklärte Aufrechnung mit einer im Parallelprozeß eingeklagten Werklohnforderung für unzulässig gehalten hat. Dazu hat das Berufungsgericht ausgeführt: § 717 Abs. 2 ZPO bezwecke, die Vermögensverschiebung infolge der verfrühten Vollstreckung so schnell wie möglich rückgängig zu machen. Damit sei eine Aufrechnung mit der Klageforderung des Parallelprozesses unvereinbar. Müßte das Gericht im Schadensersatzprozeß eine solche Aufrechnung prüfen, so wäre § 717 Abs. 2 ZPO ausgehöhlt. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Klageanspruch im Parallelprozeß oder bis zur Klärung der zur Aufrechnung gestellten Gegenforderung im Schadensersatzrechtsstreit dürfte der Vollstreckungsgläubiger die beigetriebene oder zur Abwendung der Vollstreckung erbrachte Leistung behalten, obwohl die gerichtliche Anordnung, die sein Vorgehen erlaubt habe, nicht mehr bestehe. Gerade dies solle die Risikohaftung nach § 717 Abs. 2 ZPO verhindern.
Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Nachprüfung überwiegend stand.
1. Die von der Streithelferin erklärte Aufrechnung mit der Klageforderung des Parallelprozesses hat nicht zum Erlöschen des Schadensersatzanspruchs der Klägerin aus § 717 Abs. 2 ZPO geführt, soweit dieser sich auf die Erstattung der zur Abwendung der Vollstreckung gezahlten 190.612,54 DM erstreckt (§§ 387-389 BGB); infolgedessen ist die beklagte Prozeßbürgin von ihrer entsprechenden Haftung nicht befreit worden (§§ 765, 767 Abs. 1 Satz 1 BGB). Der Aufrechnung steht zwar nicht entgegen, daß die Gegenforderung rechtshängig ist (§ 261 ZPO; BGHZ 57, 242, 244). Für diesen überwiegenden Teil des Schadensersatzanspruchs ist jedoch die Streitfrage, ob der Zweck des § 717 Abs. 2 ZPO eine Aufrechnung ausschließt (vgl. zusammenfassend Pecher, Die Schadensersatzansprüche aus ungerechtfertigter Vollstreckung 1967, S. 94 ff.; ders., ZZP – 94. Band – 1981, 446, 447 ff.; Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht 1970, S. 248 ff., 257 ff.; Häsemeyer, Schadenshaftung im Zivilrechtsstreit 1979, S. 9, 81, 117 ff.), mit dem Berufungsgericht zu bejahen.
a) Der durch Novelle von 1898 eingeführte § 717 Abs. 2 ZPO ist zunächst ebenso wie die bis 1900 geltende Vorschrift des § 655 Abs. 2 CPO 1879 rein prozeßrechtlich verstanden worden. Nach jener Bestimmung war, soweit ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil aufgehoben oder abgeändert wurde, der Kläger auf Antrag des Beklagten – im anhängigen Verfahren – zur Erstattung der Zahlung oder Leistung zu verurteilen, die aufgrund des Urteils erbracht worden war (vgl. Pecher ZZP a.a.O. 446 ff.). Dieser Tatbestand wurde im Kern in § 717 Abs. 2 ZPO übernommen; diese Vorschrift gewährt dem Beklagten allerdings einen „Anspruch auf Schadensersatz”, der auch Vermögensnachteile umfaßt, die über die Leistung zur Abwendung der Vollstreckung hinausgehen.
Das Reichsgericht hat auch diese Bestimmung als eine ausschließlich prozessuale Maßregel gewertet, die nach Aufhebung des vorläufig vollstreckbaren Urteils die Vermögensverschiebung infolge der Vollstreckung ausgleichen solle und nach ihrem Zweck Einwendungen aufgrund des materiellen Rechts nicht zulasse (RGZ 64, 278, 282 f.; 103, 352, 353 f. m. w. N.). Deswegen hat das Reichsgericht es für unzulässig gehalten, nach Aufhebung des vorläufig vollstreckbaren Urteils mit der Klageforderung gegen den Schadensersatzanspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO aufzurechnen (RG JW 1926, 816, 817). Dementsprechend hat es angenommen, daß nicht gegen einen Erstattungsanspruch aus § 717 Abs. 3 ZPO im anhängigen Rechtsstreit mit der Klageforderung aufgerechnet oder wegen dieser Forderung ein Zurückbehaltungsrecht geltend gemacht werden dürfe (RG JW 1933, 1130 f.).
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in seinem Urteil vom 28. Oktober 1958 (VIII ZR 431/56, a.a.O.) unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts ausgeführt, gegenüber dem Anspruch aus § 717 Abs. 2, 3 ZPO könne jedenfalls im anhängigen Prozeß nicht mit der Klageforderung aufgerechnet werden. Das Bundesarbeitsgericht (NJW 1962, 1125, 1126) hat die Ansicht vertreten, materiell-rechtliche Einwendungen gegen einen Anspruch aus § 717 Abs. 3 ZPO seien nur dann zu berücksichtigen, wenn sie – wie bei Aufrechnung mit einer unstreitigen Gegenforderung – im Einklang stünden mit dem Zweck dieser Bestimmung, nach Aufhebung des Urteils, das die Vollstreckung ermöglicht habe, die dadurch bewirkte Vermögensverschiebung so schnell wie möglich rückgängig zu machen.
b) Soweit die Klägerin verlangt, ihre Zahlung zur Abwendung der Vollstreckung zu erstatten, folgt der Senat der prozeßrechtlichen Sicht des § 717 Abs. 2 ZPO mit der Maßgabe, daß materiell-rechtliche Einwände gegen diesen Teil des Schadensersatzanspruchs nur zulässig sind, wenn sie mit dem Sinn und Zweck der Vorschrift, dem Vollstreckungsschuldner bezüglich dieses Teils seines Schadens sofortigen Ersatz zu sichern, vereinbar sind. Die von der Streithelferin erklärte Aufrechnung mit der ursprünglich titulierten Forderung ist damit unvereinbar. Daran ändert es nichts, daß, falls diese Forderung dem Vollstreckungsgläubiger (Streithelferin) rechtskräftig zuerkannt wird, feststeht, daß der Vollstreckungsschuldner (Klägerin) keinen Schadensersatzanspruch hatte. Ein gesetzlicher Anspruch kann nach seinem Sinn und Zweck einem besseren Recht des anderen Teils zeitweise entgegenstehen; insoweit verweist Pecher (ZZP a.a.O., 456) zu Recht darauf, daß gegenüber den Besitzschutzansprüchen aus §§ 861 Abs. 1, 862 Abs. 1 BGB Einwendungen aus (besserem) materiellem Recht grundsätzlich ausgeschlossen sind (§§ 863, 864 BGB), um dem Besitzer eine rasche Wiederherstellung seines durch verbotene Eigenmacht beeinträchtigten Besitzstandes zu ermöglichen (vgl. BGH, Urt. v. 21. Februar 1979 – VIII ZR 124/78, NJW 1979, 1358).
§ 717 Abs. 2 ZPO soll gewährleisten, daß derjenige, der aufgrund eines vorläufig vollstreckbaren Urteils in Anspruch genommen worden ist, seine Leistung zur Abwehr der Vollstreckung nach Aufhebung des Titels sogleich zurückerhält. Diesen Schutz genoß der Vollstreckungsschuldner schon nach § 655 Abs. 2 CPO 1879. Die Ersetzung dieser prozessualen Erstattungsregel durch § 717 Abs. 2 ZPO sollte die Rechtsstellung des Vollstreckungsschuldners nicht verschlechtern. In den Motiven heißt es, gegenüber der Befugnis des Gläubigers, seinen Anspruch vor rechtskräftiger Feststellung zwangsweise durchzusetzen, sei es eine Forderung der Billigkeit, daß der auf eigene Gefahr handelnde Gläubiger dem Schuldner den Vollstreckungsschaden nach Aufhebung des vorläufig vollstreckbaren Titels zu ersetzen habe (Hahn/Mugdan, Die gesamten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen – Bd. 8 – 1898 S. 135, 393 f.). Dementsprechend wird die Schadensersatzpflicht aus dieser Vorschrift nach deren Wortlaut allein durch den prozessualen Tatbestand der Aufhebung oder Änderung eines vorläufig vollstreckbaren Urteils ausgelöst; an die materielle Rechtslage bezüglich der eingeklagten Forderung des Vollstreckungsgläubigers wird nicht ausdrücklich angeknüpft (vgl. BGHZ 85, 110, 113). Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat § 717 Abs. 2 ZPO auf den allgemeinen Rechtsgedanken zurückgeführt, daß der Gläubiger aus einem noch nicht endgültigen Titel auf eigene Gefahr vollstreckt. Nach einer Aufhebung oder Änderung des nur vorläufigen Urteils, das den Kläger zur vorzeitigen Vollstreckung berechtigte, soll der daraus folgende Schaden des Beklagten aufgrund einer schuldunabhängigen Risikohaftung des Klägers ausgeglichen werden (BGHZ 54, 76, 80 f.; 62, 7, 9; 85, 110, 113; 95, 10, 13; BGH, Urt. v. 3. Juli 1984 – VI ZR 264/82, NJW 1985, 128; v. 30. November 1995 – IX ZR 115/94, WM 1996, 796, z. V. b. in BGHZ 131, 233). Die vorläufige Vollstreckbarkeit dient innerhalb des Rechtsmittelsystems, das den Schuldner schützt, dem Interesse des Gläubigers; dessen Haftung aus § 717 Abs. 2 ZPO soll die sich daraus ergebenden unvermeidlichen Nachteile des Schuldners ausgleichen, falls die vorläufige Vollstreckbarkeit außer Kraft gesetzt wird (BGHZ 85, 110, 113).
Mit dem Sinn und Zweck des § 717 Abs. 2 ZPO, dem Vollstreckungsschuldner die umgehende Erstattung seiner Leistung zur Abwendung der Vollstreckung zu sichern, sobald dem Vollstreckungsgläubiger nicht mehr das Privileg eines vorläufigen Titels zur Verfügung steht, wäre es entgegen der überwiegenden Meinung im Schrifttum (Stein/Jonas/Münzberg, ZPO 21. Aufl. § 717 Rdnr. 33, 34, 47; MünchKomm/Krüger, ZPO 1992 § 717 Rdnr. 19, 20; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO 55. Aufl. § 717 Rdnr. 11; Wieczorek/Schütze, ZPO 2. Aufl. § 717 Anm. C III b 1; Zöller/Herget, ZPO 20. Aufl. § 717 Rdnr. 11) nicht zu vereinbaren, gegen die entsprechende – hier in einem gesonderten Verfahren geltend gemachte – Schadensersatzforderung die Aufrechnung mit dem streitigen Klageanspruch des Parallelprozesses zuzulassen (Pecher ZZP a.a.O., 457 f.; Baur/Stürner, Zwangsvollstreckungs-, Konkurs- und Vergleichsrecht – Bd. I – 12. Aufl. Rdnr. 15.42; Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz – Bd. I – 2. Aufl. § 717 Rdnr. 15). Anderenfalls müßte die Klägerin auf den Ausgleich ihres Vollstreckungsschadens warten bis zur rechtskräftigen Entscheidung, ob die zur Aufrechnung gestellte Werklohnforderung der Streithelferin besteht. Da diese Forderung Gegenstand des Parallelprozesses ist, bestünde nämlich die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen in den beiden Rechtsstreiten, so daß der vorliegende Bürgschaftsprozeß bis zur endgültigen Erledigung des Parallelprozesses gemäß § 148 ZPO ausgesetzt werden müßte (vgl. RGZ 65, 66, 68 zu § 945 ZPO; Stein/Jonas/Münzberg, a.a.O. § 717 Rdnr. 47); die beklagte Prozeßbürgin wäre an den Ausgang jenes Rechtsstreits gebunden (vgl. BGH, Urt. v. 19. März 1975 – VIII ZR 250/73, NJW 1975, 1119, 1121). Ein solcher Aufschub des Schadensausgleichs würde den von § 717 Abs. 2 ZPO bezweckten Schutz des Vollstreckungsschuldners aushöhlen und das Interesse des Vollstreckungsgläubigers einseitig bevorzugen (vgl. Saenger JZ 1997, 222, 228). Dieser dürfte die Leistung des Vollstreckungsschuldners, die er aufgrund eines vorläufigen Titels erlangt hat, auch nach dessen Aufhebung einstweilen behalten und nutzen; in diesem Falle hätte der Vollstreckungsgläubiger kein Interesse an einer Sicherheitsleistung und Vollstreckung aus einem neuen vorläufig vollstreckbaren Urteil zu seinen Gunsten, soweit er die geforderte Leistung bereits erhalten hat. Auf diese Weise könnte der Vollstreckungsgläubiger mit der Aufrechnung den Schadensersatz hinausschieben bis zum rechtskräftigen Abschluß des Parallelprozesses; bis dahin trüge der Vollstreckungsgläubiger nicht das Risiko einer Insolvenz des Vollstreckungsschuldners, weil er sich gleichsam die Vorteile eines Arrestes oder einer Hinterlegung gesichert hätte. Dies könnte den Vollstreckungsschuldner in eine Liquiditätsenge und sogar zum Konkurs führen, vor allem dann, wenn der andere Rechtsstreit – wie hier – lange andauert.
c) Danach wertet der Senat die Vorschrift des § 717 Abs. 2 ZPO insoweit, als die Leistung zur Abwendung der Vollstreckung zu ersetzen ist, als Instrument innerprozessualer Waffengleichheit und nicht – wie der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in seinem Urteil vom 21. April 1980 (II ZR 107/79, NJW 1980, 2527, 2528 mit abl. Anm. Pecher ZZP a.a.O., 446 ff.) in einem Fall, der auch nach Ansicht des II. Zivilsenats anders gelagert war – als materielle Rechtszuweisungsnorm.
d) Da gegen diesen Teil des Schadensersatzanspruchs wegen des Zwecks des § 717 Abs. 2 ZPO nicht mit der rechtshängigen Werklohnforderung aufgerechnet werden kann, ist auch der Arglisteinwand (§ 242 BGB) unbeachtlich, der ebenfalls auf eine Begründetheit dieser Forderung gestützt wird.
2. Dagegen folgt der Senat der – im Urteil des II. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 21. April 1980 (II ZR 107/79, a.a.O.) betonten – materiell-rechtlichen Sicht des § 717 Abs. 2 ZPO insoweit, als der Vollstreckungsschuldner einen Anspruch aus dieser Vorschrift auf Ersatz seines weiteren Schadens hat, der über den Nachteil infolge der Leistung zur Abwendung der Vollstreckung hinausgeht. Im vorliegenden Falle handelt es sich dabei um den „Zinsschaden” von 14.387,46 DM, den die Klägerin nach unbeanstandeter tatrichterlicher Feststellung in der Zeit vom 13. Oktober 1992 bis 13. Juni 1994 infolge ihrer Zahlung an die Streithelferin erlitten hat. Gegen den Anspruch auf Ersatz dieses weitergehenden Schadens ist die Aufrechnung der Streithelferin mit der Klageforderung des Parallelprozesses entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts zulässig.
a) Der Gesetzgeber hat es als Gebot der Billigkeit angesehen, in § 717 Abs. 2 ZPO über die Vorschrift des § 655 Abs. 2 CPO 1879 hinaus, die einen Anspruch auf Erstattung der erzwungenen Leistung gewährte, dem Vollstreckungsschuldner einen schuldunabhängigen „Anspruch auf Schadensersatz” zuzubilligen, vor allem mit Rücksicht auf solche Fälle – etwa im gewerblichen Rechtsschutz –, in denen eine vorläufige Verurteilung zu einer Handlung oder zu einem Unterlassen vollstreckt wird und daraus ein hoher Schaden entstehen kann (Hahn/Mugdan, a.a.O. 393 f.). Der Vollstreckungsschuldner sollte bezüglich des Schadens, der seine Leistung zur Abwendung der Vollstreckung übersteigt, nicht auf einen deliktischen Ersatzanspruch angewiesen sein, der den Nachweis eines Verschuldens voraussetzt. Diese Entstehungsgeschichte, die die Rechtsstellung des Vollstreckungsschuldners verbessert, bietet jedoch keinen zwingenden Anhaltspunkt dafür, daß auch ein solcher weitergehender Schaden sogleich nach Aufhebung des vorläufig vollstreckbaren Urteils zu ersetzen ist. Anders ist dies nur für den Schadensteil, der die Leistung zur Abwendung der Vollstreckung betrifft; insoweit folgt die Notwendigkeit des umgehenden Ersatzes daraus, daß schon vor Einführung des § 717 Abs. 2 ZPO eine entsprechende Pflicht zur Erstattung bestand und der Gesetzgeber die Rechtsstellung des Vollstreckungsschuldners mit der neuen Vorschrift nicht verschlechtern wollte. Diese begründet wegen eines weiteren Schadens des Vollstreckungsschuldners keine prozessuale Erstattungspflicht, sondern einen materiell-rechtlichen Schadensersatzanspruch, der allen Einwendungen und Einreden in der Sache ausgesetzt ist, ohne daß insoweit Sinn und Zweck der Norm entgegenstehen. Dementsprechend ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, daß der Schadensersatzanspruch des Vollstreckungsschuldners durch ein Mitverschulden (§ 254 BGB) beeinträchtigt werden kann (Hahn/Mugdan, a.a.O. 394). Danach kann auch mit der ursprünglich titulierten Forderung gegen den Anspruch auf Ersatz desjenigen Schadens, der die Leistung zur Abwendung der Vollstreckung übersteigt, unbeschränkt aufgerechnet werden.
Somit ist es von Gesetzes wegen unumgänglich, den Schadensersatzanspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO aufzuspalten, falls dagegen materiell-rechtliche Einwände erhoben werden. Da ein solcher Anspruch, wie noch ausgeführt wird, durch die rechtskräftige Entscheidung über die ursprünglich titulierte Forderung bedingt ist, ergibt sich für den Vollstreckungsschuldner der Nachteil, daß er bis zu diesem Zeitpunkt das Risiko einer Insolvenz des Vollstreckungsgläubigers insoweit zu tragen hat, als der Schaden über die Leistung zur Abwendung der Vollstreckung hinausgeht. Dies wäre aber nicht anders gewesen, wenn der Vollstreckungsschuldner vor Einführung des § 717 Abs. 2 ZPO Ersatz eines solchen Schadens aus unerlaubter Handlung geltend gemacht hätte. Danach muß der Vollstreckungsschuldner insoweit nach Aufrechnung mit einer Gegenforderung auch in Kauf nehmen, daß, falls kein Vorbehaltsurteil gemäß § 302 ZPO ergehen kann, der Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen Erledigung des anderen Prozesses gemäß § 148 ZPO ausgesetzt wird, um die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen zu vermeiden.
b) Diese Beurteilung weicht nicht ab von den Entscheidungen des VIII. Zivilsenats vom 28. Oktober 1958 (VIII ZR 431/56, LM ZPO § 551 Ziff. 1 Nr. 27) und des Bundesarbeitsgerichts (NJW 1962, 1125, 1126). Diese betrafen nur Ansprüche auf Erstattung einer Leistung zur Abwendung der Vollstreckung, nicht aber auf Ausgleich eines weitergehenden Nachteils.
III.
Ohne Erfolg beruft sich die Revision hilfsweise darauf, daß nach Erlaß des angefochtenen Urteils Land- und Oberlandesgericht im Parallelprozeß die Klägerin des vorliegenden Bürgschaftsprozesses erneut – und in erhöhtem Umfang – zur Werklohnzahlung an die Streithelferin verurteilt haben. Diese unstreitige Tatsache ist im Revisionsverfahren zu berücksichtigen, weil schutzwerte Belange der übrigen Prozeßbeteiligten nicht entgegenstehen (vgl. BGHZ 104, 215, 221). Die Revision meint, ein Schadensersatzanspruch der Klägerin aus § 717 Abs. 2 ZPO sei auflösend bedingt gewesen durch eine Erneuerung des aufgehobenen erstinstanzlichen Urteils im Parallelprozeß.
1. Das Reichsgericht (RGZ 145, 328, 332 f.) hat angenommen, ein Schadensersatzanspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO müsse „von selbst wieder wegfallen”, wenn sich ergebe, daß das – später aufgehobene – Urteil dem Kläger das zugesprochen habe, was ihm von Rechts wegen gebührte. Der Anspruch „erlösche von selbst”, wenn durch eine spätere Verurteilung des Beklagten die von Anfang an gegebene Berechtigung des Klageanspruchs erwiesen werde. Dann müsse der bedingte Schadensersatzanspruch „in sich zusammenfallen”.
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat seinem Beschluß vom 4. Mai 1972 (III ZR 218/68, LM ZPO § 91 a Nr. 32) ausgeführt, der Vollstreckungsschuldner „verliere” seinen Schadensersatzanspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO in dem – hier nicht vorliegenden – Falle, daß das Urteil, das einen vorläufig vollstreckbaren Titel aufgehoben und den Schadensersatzanspruch zuerkannt habe, seinerseits durch ein Urteil in der Hauptsache zugunsten des Vollstreckungsgläubigers aufgehoben werde. Im Urteil des IX. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 22. Mai 1990 (IX ZR 229/89, NJW 1990, 2756) heißt es, ein Anspruch aus § 717 Abs. 3 ZPO habe nicht mehr bestanden, nachdem – nach Aufhebung des ersten Berufungsurteils – „wieder eine vorläufig vollstreckbare Entscheidung über die nämlichen Ansprüche … vorhanden” gewesen sei; nunmehr hätten die Zahlungen der Abwendung einer Zwangsvollstreckung aus diesem Urteil gedient. Das OLG Nürnberg (OLGZ 1973, 45, 47) hat entschieden, daß dem Vollstreckungsschuldner kein Schadensersatzanspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO zustehe, wenn das erstinstanzliche Urteil, aus dem vollstreckt worden sei, nach seiner Aufhebung wiederhergestellt werde.
Henckel (a.a.O. 265) ist der Ansicht, daß grundsätzlich der Schadensersatzanspruch bei einer neuen Entscheidung entfalle, weil § 717 Abs. 2 ZPO den Beklagten nicht davor schützen solle, wegen eines bestehenden Anspruchs Zwangsmaßnahmen zu erdulden; sie solle ihn nur davor bewahren, zu Unrecht in Anspruch genommen zu werden. Stein/Jonas/Münzberg (a.a.O., § 717 Rdnr. 15 mit Fußn. 70) meinen, ein Ersatzanspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO erlösche, wenn der Kläger nach Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und Zurückverweisung der Sache wiederum obsiege. Der Beklagte dürfe sich nicht auf eine Vermögensminderung berufen, die später doch eingetreten wäre oder die er zu dulden hätte, falls Beitreibung oder Leistung jetzt noch möglich wären. Daß der Beklagte dann den Nachteil zweimaliger Zwangsvollstreckung tragen müsse, sei nicht ungerecht, weil er das Risiko eines vorläufigen Sieges ebenso tragen müsse wie der Kläger.
2. Die Ansicht, ein Schadensersatzanspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO entfalle mit jeder neuen Verurteilung, hat im Schrifttum zu Recht Widerspruch gefunden (Pecher ZZP a.a.O. 454 f.; Häsemeyer a.a.O. 82, 110; Werner, Schadensersatz nach § 717 ZPO bei Bestätigung des aufgehobenen Urteils, Linzer Universitätsschriften – Beiträge zum Zivilprozeßrecht V – 1995, S. 163, 175; Saenger a.a.O. 226, 228). Ein solcher Anspruch ist nicht auflösend bedingt durch eine neue vorläufig vollstreckbare Verurteilung des Vollstreckungsschuldners, deren Bestand ihrerseits in der Schwebe bleibt. Vielmehr ergibt erst die – hier noch nicht vorliegende – rechtskräftige Entscheidung über die Forderung des Vollstreckungsgläubigers, ob und in welchem Umfang ein Schadensersatzanspruch des Vollstreckungsschuldners aus § 717 Abs. 2 ZPO bestehenbleibt oder wegfällt (vgl. Baur, Studien zum einstweiligen Rechtsschutz 1967 S. 119 f.; Häsemeyer a.a.O. 81, 119; Münzberg, Festschrift für Lange 1992 S. 599, 602 m. Fußn. 12). Nur in diesem eingeschränkten Sinne sind die vorstehenden Erwägungen in Rechtsprechung und Literatur zu werten und zutreffend. An den weitergehenden Ausführungen in seinem Urteil vom 22. Mai 1990 (IX ZR 229/89, a.a.O. hält der Senat nicht fest.
3. Danach hat das Berufungsgericht rechtsirrtümlich den Rechtsstreit auch insoweit für entscheidungsreif gehalten, als der eingeklagte Bürgschaftsanspruch denjenigen Schaden der Klägerin betrifft, der ihre Zahlung an die Streithelferin in Höhe von 190.612,54 DM übersteigt. Insoweit ist noch zu klären, ob der Klageanspruch erloschen ist (§ 767 Abs. 1 Satz 1 BGB), weil die Streithelferin dagegen mit der Klageforderung des Parallelprozesses aufgerechnet hat.
Fundstellen
Haufe-Index 609745 |
BGHZ, 199 |
NJW 1997, 2601 |
NJW-RR 1998, 64 |
JR 1998, 282 |
JurBüro 1998, 52 |
ZIP 1997, 1558 |
MDR 1997, 1053 |
ZBB 1997, 384 |