Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, inwieweit die ohne nähere Bestimmung erfolgte Schlußzahlung des Konkursverwalters einer GmbH auf die Konkursforderung der AOK auf offene Arbeitgeber- bzw. Arbeitnehmeranteile zu verrechnen ist.
Normenkette
BGB §§ 366, 823; RVO a.F. § 533
Verfahrensgang
Saarländisches OLG (Urteil vom 16.06.1978) |
LG Saarbrücken |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Saarbrücken vom 16. Juni 1978 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Revision fallen den Beklagten zur Last.
Tatbestand
Die Klägerin nimmt als Träger der sozialen Krankenversicherung im Saarland die beiden Beklagten auf Ersatz des Schadens in Anspruch, der ihr dadurch entstanden ist, daß diese in ihrer früheren Eigenschaft als Geschäftsführer der im August 1973 in Konkurs geratenen G., Gesellschaft für Karosserie- und Fahrzeugbau mbH, die auf den Monat Juni desselben Jahres entfallenden, von den voll ausgezahlten Löhnen einbehaltenen Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung am Fälligkeitstag, nämlich am 10. Juli 1973, nicht abgeführt haben.
Das Landgericht hat die Beklagten entsprechend dem Klageantrag zur Zahlung von 5.167,55 DM verurteilt.
Im Berufungsrechtszug haben die Parteien übereinstimmend die Hauptsache in Höhe von 1.485,60 DM für erledigt erklärt; die Klägerin hatte nämlich (nur) in dieser Höhe eine nach Aufhebung des Konkursverfahrens vom Konkursverwalter auf ihre bevorrechtigte Gesamtforderung von 10.672,05 DM geleistete Zahlung von 6.990,10 DM auf die Klageforderung, im übrigen auf die ihr noch für den gleichen Zeitraum zustehenden Arbeitgeberanteile angerechnet.
Hinsichtlich des Restes hatte die Berufung der Beklagten keinen Erfolg. Diese begehren mit ihrer (zugelassenen) Revision weiterhin Klageabweisung.
Entscheidungsgründe
I.
1. Das Berufungsgericht hält unter ausdrücklicher Billigung der in den wesentlichen Teilen in Bezug genommenen landgerichtlichen Urteilsgründe die beiden Beklagten für verpflichtet, der Klägerin aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 533, 536 Nr. 2 RVO Schadensersatz in Höhe des noch verbleibenden Ausfalls an den Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung zu leisten. Es weist klarstellend insbesondere darauf hin, daß den Beklagten nicht zum Vorwurf gemacht werde, nicht noch vor dem 10. Juli 1973, dem Fälligkeitstage, die Arbeitnehmeranteile abgeführt zu haben, sondern daß deren schuldhaftes Verhalten darin liege, trotz Kenntnis eines sehr naheliegenden Unvermögens zur termingerechten Abführung dieser Anteile die vollen Nettolöhne ausgezahlt zu haben.
Dies hält jedenfalls im Ergebnis den Angriffen der Revision stand.
2. Die Revision wendet sich nicht dagegen, daß das Berufungsgericht einen Verstoß gegen den objektiven Tatbestand des im maßgeblichen Zeitpunkt noch geltenden § 533 RVO bejaht hat. Die Beklagten stellen vielmehr selbst nicht in Abrede, daß sie die Löhne für den Monat Juni 1973 voll an die Arbeiter ihres Unternehmens ausgezahlt und dabei die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung einbehalten, jedoch am Fälligkeitstage nicht an die berechtigte Kasse, nämlich die Klägerin, abgeführt haben. Sie rügen jedoch, das Berufungsgericht habe ihnen zu Unrecht vorsätzliches Handeln vorgeworfen, und machen geltend, nur durch ein nicht vorhersehbares, ihren Antrag zur Eröffnung des gerichtlichen Vergleichsverfahrens vom 6. Juli 1973 auslösendes Ereignis an der Abführung der Beitragsteile gehindert worden zu sein.
Dieser Einwand vermag jedoch gegenüber der vom Berufungsgericht bestätigten Verurteilung zur Schadenersatzleistung nicht durchzugreifen.
a) Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 28. Juni 1960 (VI ZR 146/59 = VersR 1960, 748) ausgeführt, daß das Vorhandensein oder die Aussicht anderweitiger Deckung grundsätzlich nicht von der gesetzlichen Verpflichtung befreit, diejenigen Beträge zur fälligkeitsgemäßen Abführung an die berechtigte Kasse i.S. von § 533 RVO bereitzuhalten, die den Arbeitnehmern bei der Lohnauszahlung einbehalten wurden. Bei diesen Beitragsanteilen handelt es sich nicht um Gelder, die bis zur Abführung der freien Verfügung des Arbeitgebers unterliegen; dieser ist vielmehr gleich einem Treuhänder seiner Arbeiter in seiner Verfügungsbefugnis beschränkt und darf nur in der Weise die einbehaltenen Beiträge verwenden, daß er sie an den Sozialversicherungsträger abführt. Damit erfüllt der Arbeitgeber nicht eine in ihrem Ursprung eigene Schuld; er leistet vielmehr einen wirtschaftlich dem Einkommen seiner Arbeiter zuzurechnenden Betrag an deren Stelle und vermindert daher nicht sein eigenes Vermögen, sondern führt ab, was er aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung vorher nicht als Lohnteil ausgezahlt hat (vgl. hierzu Senatsurteile vom 7. Juni 1963 – VI ZR 144/62 = VersR 1963, 1034 und vom 29. Februar 1972 – VI ZR 199/70 = BGHZ 58, 199). Demzufolge waren die beiden Beklagten gehalten, die auf die zum 30. Juni 1973 ausgezahlten Löhne entfallenden Arbeitnehmerbeiträge so bereitzuhalten, daß sie am 10. Juli, dem Fälligkeitstage, unabhängig von ausstehenden Zahlungseingängen und von der Möglichkeit, über entsprechenden Bankkredit zu verfügen, in der Lage waren, diese an die Klägerin abzuführen. Dagegen aber haben die Beklagten nach ihrem eigenen Vorbringen offensichtlich verstoßen. Sie vermögen sich daher nicht auf ein plötzlich eintretendes Ereignis zu berufen, das unerwartet zu finanziellen Schwierigkeiten ihrer Gesellschaft und zu einer Kreditsperre geführt hat mit der Folge, daß sie außerstande gesetzt wurden, die einbehaltenen Beitragsanteile abzuführen. Daß sie, bereits im Zeitpunkt der letzten Lohnauszahlung wegen zu geringer flüssiger Mittel nicht in der Lage gewesen seien, die einbehaltenen Arbeitnehmeranteile in gesicherter Weise bereitzustellen, ohne die Fortführung des Unternehmens zu gefährden, haben die Beklagten nicht geltend gemacht. Aber auch dann durfte von einer solchen Bereitstellung der zu Lasten der Arbeitnehmer auch bereits lohnsteuerlich erfaßten Anteile nicht abgesehen werden, um diese Mittel im Unternehmen anderweitig zu nützen, wie es die Beklagten offensichtlich getan haben.
b) Demnach stellen die Beklagten ein vorsätzliches Handeln vergeblich in Abrede. Sie kannten ihre Verpflichtung zur Abführung der eingehaltenen Beitragsanteile und kamen dieser bewußt nicht nach; sie haben daher diese Beträge der Klägerin vorenthalten(Senatsurt. v. 28. Juni 1960 a.a.O.). Für ihre Ersatzpflicht gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 533, 536 Nr. 2 RVO genügt es, daß sie sich dieses Verstosses gegen die Pflicht zur Beitragsabführung bewußt gewesen sind. Auf eine Schädigung der Klägerin brauchte sich ihr Vorsatz nicht zu erstrecken. Deshalb ist es unerheblich, wenn sie darauf vertraut haben, die Beitragsschuld zum Fälligkeitstag mit Mitteln aus einem Kredit erfüllen zu können. Wie schon ausgeführt wurde, waren sie zur unbedingten Sicherstellung der einbehaltenen Beitragsanteile verpflichtet und können sich nicht auf ein unverschuldetes Unvermögen berufen, wenn nach der Verletzung dieser Pflicht die erwartete Möglichkeit der Wiederbeschaffung der abzuführenden, jedoch zwischenzeitlich anderweitig verwendeten Gelder – ganz gleich aus welchen Gründen – nicht eintrat.
II.
Die Revision vermag auch nicht mit ihrer Ansicht durchzudringen, die Klägerin habe die nach Aufhebung des Konkursverfahrens durch den Konkursverwalter an sie auf ihre Beitragsforderung geleistete Schlußzahlung vorrangig auf die noch geschuldeten Arbeitnehmeranteile verrechnen müssen.
1. Das Berufungsgericht geht von der unbestrittenen Tatsache aus, daß der Konkursverwalter bei seiner Leistung an die Klägerin keine Bestimmung über deren Verrechnung getroffen hat. Es folgert daraus, daß die Klägerin daher gemäß § 366 Abs. 2 BGB verfahren und die erhaltene Zahlung zunächst auf entstandene Kosten und Säumniszuschläge sowie auf die ausstehenden Arbeitgeberanteile verrechnen durfte.
Diese Auffassung ist zutreffend.
2. a) Die Beklagten übersehen, daß es sich bei der Schlußzahlung des Konkursverwalters nicht um eine (Teil-)Leistung von Versicherungsbeiträgen handelte, die noch während des Fortbestehens und weiterer werbender Tätigkeit des in Konkurs geratenen Unternehmens erbracht wurde. Die Rechtsprechung, welche die Verrechnung von laufenden, wenn auch rückständigen Beitragszahlungen hälftig auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile billigt (vgl. z.B. Senatsurteile vom 7. November 1961 – VI ZR 5/61 = VersR 1962, 24 – und vom 7. Juni 1963 – a.a.O.) und auf die sich die Beklagten berufen, kann daher im Streitfall nicht zur Anwendung gelangen. Die hälftige Verrechnung der Beitragszahlungen, die von einem noch arbeitenden Unternehmen vor Konkurseröffnung geleistet wurden, ohne die gesamte fällige Beitragsschuld abzudecken, rechtfertigt sich, wie in den genannten Urteilen zum Ausdruck gebracht wurde, daraus, daß sie dem gemäß bisheriger Übung auch der einzugsberechtigten Kasse erkennbaren Willen des zahlenden Unternehmens entspricht; ein Gleiches hat nach Konkurseröffnung auch für Zahlungen des Konkursverwalters zu gelten, die er im Stadium einer, wenn auch zeitlich begrenzten Fortsetzung des dem Gemeinschuldner gehörenden Betriebes zu leisten hat. In beiden Alternativen geht es um die rechtliche Verantwortung der die Zahlung bewirkenden Personen; ihnen kann nicht unterstellt werden, gerade auf den Beitragsteil nicht leisten zu wollen, für den sie möglicherweise selbst einzustehen haben und dessen Nichtabführung sie der strafrechtlichen Verfolgung aussetzt.
b) Im Streitfall jedoch handelt es sich um eine Schlußzahlung des Konkursverwalters auf über das Bestehen der Gemeinschuldnerin hinaus offengebliebene Beiträge, in deren Gesamtbetrag Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteile enthalten waren. Diese Beitragsschuld ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht erst nach Eröffnung des Konkursverfahrens entstanden, denn dann könnten die Beklagten dafür nicht in Anspruch genommen werden. Schon aus diesem Grunde kann dieser Zahlung nicht ein Wille des leistenden Konkursverwalters unterstellt werden, vorrangig oder anteilmäßig den Teil der gesamten Schuld zu tilgen, für den die Beklagten einzustehen haben. Diese waren z.Zt. der Schlußzahlung nicht mehr handlungsberechtigtes Organ der Gemeinschuldnerin, die mit der Konkurseröffnung der Auflösung verfiel (§ 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG); sie waren daher auch nicht in der Lage, ihr eigenes Interesse von dem für die aufgelöste Gesellschaft handelnden Konkursverwalter wahren zu lassen und dessen Beachtung von der Klägerin zu verlangen.
3. Demnach führt die vom erkennenden Senat mehrfach bestätigte Anwendbarkeit der §§ 366, 367 BGB (Urt. v. 11. Juni 1968 – VI ZR 191/66 – VersR 1968, 964 m.w.Nachw.) in Bezug auf die hier streitige Schlußzahlung des Konkursverwalters dazu, daß es der Klägerin freigestellt war, zunächst ihre Kosten und Säumniszuschläge (§ 367 BGB) und nachfolgend ihre Restforderung hinsichtlich der Arbeitgeberanteile als getilgt anzusehen, weil sie für diese Beiträge keine weiteren Schuldner hatte. Der Ansicht der Revision, derzufolge im Streitfall der Gesichtspunkt der Lästigkeit der Forderung zu Gunsten der Beklagten vorrangig zur Geltung kommen müsse, steht der ausdrückliche Wortlaut des § 366 BGB ebenso entgegen wie dem Versuch, den Beklagten auch nach Leistung durch den hierzu allein berechtigten Konkursverwalter eine Bestimmung über die Verrechnung zuzugestehen. Es kann auch keinem Zweifel unterliegen, daß für die Klägerin die Forderung auf Zahlung der rückständigen Arbeitgeberanteile die geringere Sicherheit bot. Blieb diese Forderung nämlich ganz oder teilweise bei der Schlußverteilung (§ 161 KO) unbefriedigt, so bestand keine Aussicht, nach Aufhebung des Konkurses von der aufgelösten Gemeinschuldnerin Zahlung zu erlangen, während die Klägerin hinsichtlich der Arbeitnehmeranteile die beiden Beklagten als weitere Schuldner in Anspruch nehmen kann (vgl. Weber in RGRK 12. Aufl. Anm. 13 zu § 366 BGB).
Unterschriften
Dunz, Scheffen, Dr. Steffen, Dr. Kullmann, Dr. Deinhardt
Fundstellen
Haufe-Index 1742387 |
Nachschlagewerk BGH |
ZIP 1980, 430 |