Entscheidungsstichwort (Thema)
Anordnung von Nacherbfolge der überlebenden Kinder eines Erblassers
Leitsatz (amtlich)
Der Anwendung von § 2107 BGB steht es nicht entgegen, daß der eingesetzte Nacherbe ebenfalls ein Abkömmling des Erblassers und mit diesem sogar näher verwandt ist als der Nachkomme des eingesetzten Vorerben.
Normenkette
BGB § 2107
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 20. Februar 1980 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, wie es die Widerklage betrifft; im übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Erbfolge nach dem am 24. August 1955 verstorbenen Oberregierungsrat Dr. jur. Theodor W., Der Erblasser hinterließ drei Kinder und zwar die Beklagten und die Mutter der Klägerin. In seinem eigenhändigen Testament vom 22. März 1953 setzte der Erblasser seine drei Kinder zu Erben zu je 1/3 ein. Dabei ordnete er an, drei zum Nachlaß gehörige Grundstücke auf die Dauer von dreißig Jahren nicht auseinanderzusetzen. Außerdem heißt es in dem Testament:
"Für den Fall, daß eines meiner Kinder vor mir stirbt, sollen die anderen Kinder die Ersatzerben sein. Für den Fall des Todes meiner Kinder nach meinem Tode bestimme ich, daß die anderen Kinder zu gleichen Teilen die Nacherben des verstorbenen Kindes sein sollen, solange die auf mein Ableben eingetretene Erbengemeinschaft besteht."
Die Beklagte zu 2) heiratete am 7. Juni 1955 einen amerikanischen Staatsangehörigen; aus dieser Ehe ging eine im April 1957 geborene Tochter hervor. Kurz nach der vom Erblasser mißbilligten Eheschließung verfügte dieser unter dem 8. Juli 1955 folgende Ergänzung zu seinem Testament:
"Das vorstehende Testament ergänze ich wie folgt: Wenn eines meiner Kinder oder ein Rechtsnachfolger derselben vorzeitig die Auseinandersetzung verlangt, soll dieses Kind oder dessen Rechtsnachfolger nur den Pflichtteil erhalten."
Der Beklagte zu 1) ist kinderlos und unverheiratet. Die Klägerin wurde am ... nichtehelich geboren. Ihre Mutter starb am 3. Februar 1974; sie wurde von der Klägerin allein beerbt.
Unstreitig sind die drei Kinder des Erblassers zunächst dessen Vorerben zu Je 1/3 geworden; diese Erbengemeinschaft ist bislang nicht auseinandergesetzt.
Die Klägerin nimmt für sich in Anspruch, als Alleinerbin ihrer Mutter deren Anteil am Nachlaß des Großvaters erlangt zu haben. Demgegenüber beanspruchen die Beklagten diesen Erbteil für sich, weil der Erblasser sie insoweit zu seinen Nacherben eingesetzt habe. In diesem Zusammenhang verlangt die Klägerin von den Beklagten im vorliegenden Verfahren bestimmte Zahlungen, Auskünfte und Rechnungslegung sowie Feststellung ihrer Rechtsstellung nach dem Erblasser. Die Beklagten haben Klageabweisung und - widerklagend - die Feststellung beantragt, daß die Klägerin nicht Nacherbin des Erblassers nach den Beklagten sei, und zwar auch dann nicht, wenn die Beklagten ohne Hinterlassung von Abkömmlingen sterben sollten.
Das Landgericht hat durch Teilurteil die Widerklage abgewiesen und auf die Klage festgestellt, daß die Klägerin mit dem Tode ihrer Mutter deren Vollerbin hinsichtlich des Ein-Drittel-Erbteils am Nachlaß des Großvaters geworden sei. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit der Revision erstreben die Beklagten die Abweisung der Feststellungsklage der Klägerin sowie eine Feststellung entsprechend ihrer Widerklage.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat nur teilweise Erfolg.
I.
Unbegründet ist das Rechtsmittel, soweit die Beklagten mit ihm die Abweisung der Feststellungsklage der Klägerin erstreben.
Das Berufungsgericht führt hierzu aus, der Erblasser habe für den Fall, daß eines seiner Kinder nach dem Erbfall, aber während des Bestehens der Erbengemeinschaft sterben sollte, die Nacherbfolge seiner überlebenden Kinder angeordnet. Die Nacherbfolge sei Jedoch bezüglich der inzwischen verstorbenen Mutter der Klägerin hinfällig geworden. Diese habe die Klägerin hinterlassen und sei deshalb gemäß § 2107 BGB rückwirkend zur Vollerbin geworden; in diese Rechtsstellung sei die Klägerin eingerückt.
Bei § 2107 BGB handele es sich um eine dispositive Ergänzungsvorschrift; diese sei hier nicht abbedungen. Für einen abweichenden Villen des Erblassers enthielten dessen letztwillige Verfügungen keinerlei Anhaltspunkte. Auf mündliche Äußerungen des Erblassers über einen abweichenden Willen komme es nicht an.
Hiergegen wendet sich die Revision ohne Erfolg.
1.
Ohne Rechtsverstoß geht das Berufungsgericht davon aus, daß der Erblasser seine Kinder für die Zeit des Bestehens der Erbengemeinschaft nur zu Vorerben eingesetzt hat; Nacherben sollten insoweit die überlebenden Kinder zu gleichen Teilen sein. Da die Kinder zur Zeit der Errichtung des Testaments vom 22. März 1953 und seiner Ergänzungen noch keine eigenen Abkömmlinge hatten, stellt das Berufungsgericht hier zutreffend auf § 2107 BGB ab. Nach dieser Vorschrift ist bei einer derartigen Sachlage anzunehmen, daß der Nacherbfall nur dann eintritt, wenn der zum Vorerben eingesetzte Abkömmling ohne eigene Nachkommenschaft stirbt. Hat er dagegen eigene Nachkommen, dann ist er rückwirkend Vollerbe geworden, und die Nacherbfolge tritt nicht ein. Mit dieser Regelung stellt sich das Gesetz nicht gegen den Willen des Erblassers, es geht vielmehr umgekehrt von der Erfahrung aus, daß der Erblasser die (künftigen) Nachkommen eines von ihm bedachten Abkömmlings im allgemeinen nicht zugunsten anderer von dem Vermögen ausschließen will, das er hinterläßt (Urteil des IV. Zivilsenats vom 24. Oktober 1979 - IV ZR 31/78 = LM BGB § 2107 Nr. 1 unter I 2).
Diese gesetzliche Anordnung des § 2107 BGB, die als sogenannte Ergänzungsregel verstanden wird, gilt unabhängig davon, ob der Erblasser tatsächlich einen ihrem Inhalt und ihren Rechtsfolgen entsprechenden Willen hatte; sie ist nach allgemeiner Auffassung nicht zwingend (vgl. bereits die Motive zum Entwurf des BGB Band V S. 89). Daher greift sie nicht ein, wenn der Erblasser eine abweichende Bestimmung getroffen hat, also zum Ausdruck gebracht hat, daß die Nacherbschaft auch dann eintreten soll, wenn der zum Vorerben eingesetzte Abkömmling eigene Nachkommenschaft hinterläßt. Derartige abweichende Bestimmungen bedürfen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (a.a.O. unter I 4) und nach der im Schrifttum vorherrschenden Auffassung aber der Form einer Verfügung von Todes wegen; sie brauchen nicht ausdrücklich erklärt zu werden, können sich vielmehr auch durch Auslegung ergeben. Dem von § 2107 BGB abweichenden Willen des Erblassers kann indessen nach den allgemeinen Grundsätzen der Testamentsauslegung nur dann Geltung verschafft werden, wenn für ihn in der Verfügung von Todes wegen wenigstens ein gewisser Anhalt vorhanden ist (BGH aaO).
2.
Das Berufungsgericht läßt offen, ob der Erblasser bei der Errichtung des Testaments vom 22. März 1953 und seiner Ergänzungen einen von § 2107 BGB abweichenden Willen hatte oder nicht. Darauf komme es nicht an, weil die letztwilligen Verfügungen keinerlei Anhaltspunkte für einen derartigen Willen enthielten.
Diese Auffassung ist rechtlich nicht zu beanstanden. Einen Anhaltspunkt dafür, daß die vom Erblasser angeordnete Nacherbfolge auch dann eintreten soll, wenn das verstorbene Kind eigene Nachkommenschaft hinterläßt, enthalten die Verfügungen von Todes wegen in der Tat nicht.
Keinen geeigneten Anhalt in diesem Sinne bildet es nach Auffassung des erkennenden Senats zunächst, daß die Nacherbeneinsetzung in dem Testament von 1953 eine Einschränkung nach Art des § 2107 BGB nicht enthält. Allerdings setzt sich § 2107 BGB über den Wortlaut des Testaments hinweg, indem er den vom Erblasser bedachten Abkömmling unter Umständen nachträglich zum Vollerben werden läßt, obwohl dieser im Testament nur zum Vorerben eingesetzt ist. So gesehen scheint der Wortlaut in der Tat eher gegen die von § 2107 BGB angeordnete Rechtsfolge und mehr für einen davon abweichenden Willen des Erblasser zu sprechen. Eine solche Sicht ist aber nicht gerechtfertigt, weil sie nicht genügend Bedacht auf die Funktion nimmt, die § 2107 BGB zukommt. Denn der von § 2107 BGB vorausgesetzte Wortlaut begründet die dort angeordnete Ergänzung gerade erst und kann eben diese Ergänzung nicht zugleich wieder in Frage stellen. Aber auch der übrige Inhalt der Testamente des Erblassers enthält keinen Anhalt für eine von § 2107 BGB abweichende Bestimmung des Erblassers. Das gilt auch für die von den Beklagten hervorgehobene Kombination der verschiedenen, vom Erblasser verfügten Maßnahmen, nämlich des Auseinandersetzungsverbots, der Anordnung der Nacherbfolge und der Verwirkungsklausel. Diese Maßnahmen zeigen zwar, daß der Erblasser den Kern seines Vermögens, nämlich den B. Hof, 30 Jahre lang nach seinem Tode (also jedenfalls bis 1985) zusammenhalten wollte; er mag auch bedacht und gewollt haben, daß sein Nachlaß infolge der von ihm angeordneten Nacherbschaften unter Umständen in der Hand eines seiner Kinder wieder zusammenkommen konnte. Ob der Erblasser diese Folge aber auch für den Fall gewollt hat, daß seine Kinder eigene Abkömmlinge hinterließen (die dann - obwohl seine Enkel - insoweit leer ausgingen), oder ob er diesen Fall überhaupt bedacht hat, ist dem Testament und insbesondere dem angeführten Bündel von Maßnahmen auch nicht andeutungsweise zu entnehmen. Das gilt umso mehr, als der Erblasser die von ihm verfügte Nacherbfolge selbst mit einer einschneidenden Einschränkung versehen hat. Danach soll die Nacherbfolge (mit der Möglichkeit einer daraus sich ergebenden späteren Vereinigung seines Nachlasses in der Hand eines Kindes) nach der Vorstellung des Erblassers keineswegs unter allen Umständen eintreten, und zwar jedenfalls dann nicht, wenn die nach ihm entstandene Erbengemeinschaft nicht mehr bestehen sollte.
3.
Das Berufungsurteil ist auch nicht etwa deshalb zu beanstanden, weil § 2107 BGB - wie die Revision meint - in einem Fall wie dem vorliegenden nicht einschlägig sei.
Die Revision macht geltend, § 2107 BGB greife nur dann ein, wenn der Erblasser seinem von ihm bedachten (zunächst kinderlosen) Abkömmling einen familienfremden Nacherben bestimmt habe. Sei der als Nacherbe Bedachte ebenfalls ein Abkömmling, und sei dieser sogar näher mit dem Erblasser verwandt als derjenige, den § 2107 BGB im Auge habe, dann sei kein Grund vorhanden, den eingesetzten Abkömmling zurückzusetzen. Dieser Auffassung vermag der Senat in Übereinstimmung mit den Vorinstanzen nicht zu folgen.
Der Bundesgerichtshof hatte sich (aaO) bereits damit zu befassen, ob § 2107 BGB auch dann Anwendung findet, wenn der zum Nacherben eingesetzte Abkömmling und der Nachkomme des zum Vorerben eingesetzten Abkömmlings, den § 2107 BGB meint, mit dem Erblasser gleich nahe verwandt sind. Er hat diese Frage bejaht. Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung auch für die Fälle der hier vorliegenden Art an, weil das Gesetz die durch § 2107 BGB bewirkte Festigung der Stammeserbfolge auch insoweit nicht einschränkt. Allerdings wird hier erheblich häufiger als bei Fremden davon auszugehen sein, daß der Erblasser die dispositive Vorschrift des § 2107 BGB ausschließen wollte, und zwar eher noch öfter als in den Fällen gleich naher Verwandtschaft (vgl. BGH aaO).
II.
Dagegen kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben, soweit es die Abweisung der Widerklage durch das Landgericht bestätigt.
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die Nacherbenanwartschaft der Mutter der Klägerin nach den Beklagten sei entweder gemäß § 2108 Abs. 2 BGB vererblich und infolge Erbgangs auf die Klägerin übergegangen, oder aber die Klägerin sei gemäß § 2069 BGB Ersatznacherbin nach den Beklagten geworden. Dafür, daß sowohl die Vererblichkeit des Nacherbenrechts als auch die Anwendbarkeit des § 2069 BGB ausgeschlossen sein sollte, seien keine Anhaltspunkte hervorgetreten. Die mit der Widerklage begehrte Feststellung könne daher nicht getroffen werden.
Das Berufungsurteil hält der rechtlichen Nachprüfung durch den Senat insoweit nicht stand.
1.
Zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, daß die Klägerin entweder gemäß § 2108 BGB oder gemäß § 2069 BGB die Stellung einer Nacherbin ihres Großvaters nach den Beklagten erlangt haben könnte. Bei beiden Vorschriften handelt es sich um gesetzliche Auslegungsregeln (einerseits RGZ 169, 38; 142, 173; 106, 355; BGH, Urteil vom 23. Januar 1963 - V ZR 82/61 = LM BGB § 2108 Nr. 1; andererseits RGZ 142, 173; 99, 86), denen gegenüber die individuelle Auslegung den Vorrang hat (BGHZ 33, 60, 63). An der gebotenen umfassenden individuellen Auslegung unter beiden Gesichtspunkten hat das Berufungsgericht es fehlen lassen.
Das Berufungsgericht hat insbesondere nicht erwogen, ob nicht das Testament von 1953 selbst dafür spricht, daß der Erblasser das Nacherbenanwartschaftsrecht der Mutter der Klägerin unvererblich stellen wollte. Besonderer Anlaß zu einer solchen Prüfung bestand schon deshalb, weil das Testament möglicherweise dahin zu verstehen ist, daß der Erblasser seiner verstorbenen Tochter als seiner Nacherbin nach den Beklagten in der Person des Längstlebenden der Geschwister zugleich einen weiteren Nacherben (Nachnacherben) bestimmt hat. In diese Richtung weisen auch die von den Beklagten behaupteten und unter Beweis gestellten Äußerungen des Erblassers.
Sollte das Testament so zu verstehen sein, was das Berufungsgericht ggfs. unter vollständiger Würdigung aller Umstände zu prüfen haben wird, dann kann schon daraus auf die Unvererblichkeit der Nacherbenanwartschaft der Mutter der Klägerin geschlossen werden. Da der Nachlaß nach dem Willen des Erblassers in solchen Fällen dem ersten Nacherben nur für die Dauer seines Lebens gehören soll, rückt der eingesetzte zweite Nacherbe auf, wenn der erste vor Eintritt des ersten Nacherbfalles stirbt (ebenso Planck/Flad, 4. Aufl. § 2108 BGB Anm. 3; Johannsen in BGB-RGRK, 12. Aufl. § 2108 Rdn. 11; Palandt/Keidel, 40. Aufl. § 2108 BGB Anm. 2). Daß auch die Einsetzung eines Nachnacherben unter den Voraussetzungen des § 2107 BGB nachträglich unwirksam werden kann, wäre hier ohne Bedeutung, weil der erste Nacherbe (Mutter der Klägerin) den ersten Nacherbfall nicht erlebt hat und weil er daher insoweit nicht selbst Erbe geworden wäre, so daß § 2107 BGB nicht eingreifen könnte.
Diese Gesichtspunkte können aber in gleicher Weise auch im Rahmen der dem Berufungsgericht weiter obliegenden Prüfung Bedeutung erlangen, ob die Klägerin gemäß § 2069 BGB Ersatznacherbin ihres Großvaters nach den Beklagten ist oder nicht. Auch insoweit bedarf die Sache noch weiterer Aufklärung, die der Senat nicht vornehmen kann.
2.
Durch die Abweisung der negativen Feststellungswiderklage der Beklagten als unbegründet hat das Berufungsgericht das logische Gegenteil des begehrten Ausspruchs festgestellt. Bliebe das angefochtene Urteil insoweit bestehen, dann stünde damit rechtskräftig fest, daß die Klägerin Nacherbin ihres Großvaters nach den Beklagten ist, falls die Beklagten ohne Hinterlassung von Abkömmlingen versterben sollten (BGH, Urteil vom 12. Dezember 1974 - II ZR 113/73 = NJW 1975, 1320 m.w.N.).
Das Berufungsgericht hat hier aber übersehen, daß die vom Erblasser angeordnete Nacherbfolge nach den Beklagten nach dem Inhalt des Testaments von 1953 nicht in jedem Fall, sondern nur dann eintreten soll, wenn die Erbengemeinschaft nach dem Erblasser noch besteht. Auch aus diesem Grunde kann die angefochtene Entscheidung nicht aufrechterhalten werden.
Unterschriften
Dr. Hoegen,
Dehner,
Dr. Schmidt-Kessel,
Rassow,
Dr. Zopfs
Fundstellen
Haufe-Index 1456157 |
NJW 1981, 2743 |