Leitsatz (amtlich)

Stellt der Gerichtsvollzieher fest, daß Siegelmarken an Waren eines Lagers, die für einen Gläubiger gepfändet worden waren, infolge von Maßnahmen des Schuldners fehlen, und liegt zu diesem Zeitpunkt eine ganz unverhältnismäßig große Zahl weiterer Pfändungen von Teilen des Lagers für verschiedene Gläubiger vor, so ist in der Regel die Befriedigung des Gläubigers so gefährdet, daß für den Gerichtsvollzieher die Amtspflicht besteht, die Pfandstücke aus dem Gewahrsam des Schuldners zu entfernen.

 

Tenor

Die Revision des Streitgehilfen des beklagten Landes gegen das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg (Oldb) vom 13. März 1957 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Revision hat der Revisionsführer zu tragen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Am 16. November 1953 pfändete der Revisionsführer wegen einer vollstreckbaren Forderung von 1.997,53 DM nebst Zinsen und Kosten im Auftrage der Klägerin bei dem Kaufmann W… in Quakenbrück einen größeren Posten Waren im Schätzwerte von 2.562 DM; er ließ die Pfandstücke im Gewahrsam des Schuldners und setzte einen Versteigerungstermin auf den 18. Dezember 1953 an, der Termin wurde nicht abgehalten da der Schuldner Ratenzahlungen versprach. Vom 15. Januar bis zum 17. Juli 1954 setzte das Amtsgericht Quakenbrück als Vollstreckungsgericht die Verwertung der Pfandstücke aus und gab dem Schuldner auf, monatliche Abzahlungen von 300 DM zu leisten; die ausgebrachte Pfändung wurde ausdrücklich aufrecht erhalten. Da der Schuldner den auferlegten Zahlungsverpflichtungen nicht ordnungsgemäß nachkam, wurde auf Antrag der Klägerin der Einstellungsbeschluß des Amtsgerichts am 17. Juli 1954 wieder aufgehoben. Die Klägerin erteilte unter dem 28. Juli 1954 dem Revisionsführer erneut Vollstreckungsauftrag; zur Versteigerung kam es jedoch nicht mehr. Am 17. August 1954 fiel nämlich der Schuldner W… in Konkurs, und mit Beschluß vom 29. Dezember 1954 in den Akten M 378/54 hob das Amtsgericht Quakenbrück auf Erinnerungen des Konkursverwalters und des Schuldners die von 74 Gläubigern darunter der Klägerin, gegen W… ausgebrachten Pfändungen auf. In der Begründung heißt es: Die Pfändungen seien nicht ordnungsmäßig, weil sich nicht mehr feststellen lasse, für welche Gläubiger die Zahlreichen Sachen gepfändet worden seien; in wie vielen Fällen sei ein Pfandrecht von vornherein nicht entstanden, weil die Pfändungen nicht genügend kenntlich gemacht worden seien, während in Fällen, in denen Pfandsiegel angelegt worden seien, das Pfandrecht untergangen sei, weil die Identität der gepfändeten Gegenstände nicht mehr nachgewiesen werden könne.

Die Klägerin verlangt, soweit sie wegen ihrer Forderung gegen W… nicht befriedigt worden ist, von dem beklagten Land Schadensersatz mit der Begründung, der Revisionsführer habe bei der Ausführung der Vollstreckungsaufträge in mehrfacher Hinsicht seine Amtspflicht verletzt und dadurch den ihr entstandenen Schaden verursacht. Die Klägerin hat zuletzt beantragt, das beklagte Land zu verurteilen, an sie 853,93 DM nebst 12% Zinsen von 2.711,55 DM seit dem 1. Februar 1952 zu zahlen.

das beklagte Land hat um Klageabweisung gebeten und ausgeführt:

Die Pfändung am 16. November 1953 sei ordnungsgemäß erfolgt. Der vollstreckende Gerichtsvollzieher könne nicht dafür verantwortlich gemacht werden, daß der Schuldner gepfändete Sachen, in seinem Geschäftsbetrieb ausgewechselt oder verkauft habe. Im Übrigen seien die gepfändeten Waren Vollstreckungsschuldner W… unter Eigentumsvorbehalt geliefert worden, so daß die Klägerin die Pfandstücke den Lieferanten hätte herausgeben müssen. Die Klägerin habe sich den Schaden auch selbst zuzuschreiben weil sie die Vollstreckung nicht beschleunigt betrieben und insbesondere gegen den formell und sachlich unrichtigen Beschluß des Amtsgerichts vom 29. Dezember 1954 ein Rechtsmittel nicht eingelegt habe. Der Schuldner W… habe seine Schuld auch bis auf einen Betrag von 633,03 DM abgetragen. Wenn die Klägerin jetzt die ihr nach dem Vollstreckungsbefehl zustehenden 12% Zinsen verlange, so handle sie sittenwidrig. Denn die Bankzinsen seien heute niedriger und die Klägerin habe auch nicht nachgewiesen, daß sie Bankzinsen in Anspruch genommen habe. Im übrigen müsse die Klägerin bei der Berechnung der Klageforderung die Zahlungen des Schuldners W… zunächst auf die Zinsen verrechnen.

Nachdem das beklagte Land dem Revisionsführer den Streit verkündet hat, ist dieser als Streitgehilfe des beklagten Landes dem Rechtsstreit beigetreten. Er hat insbesondere noch vorgetragen: Er habe keine Verpflichtung zum Wegschaffen der Pfandgegenstände und zu einer laufenden Kontrolle der im Gewahrsam des Schuldners belassenen Pfandstücke gehabt. Er sei zum 1. Juni 1954, von Quakenbrück versetzt worden und habe seinem Nachfolger seine Akten ordnungsmäßig übergeben. Kurz vorher habe er den Bestand der Pfandstücke geprüft und Siegelmarken neu angebracht, soweit sie infolge von Maßnahmen des Schuldners W… nicht mehr vorhanden gewesen seien, dabei habe er festgestellt, daß die für die Klägerin gepfändeten Waren noch vollständig vorhanden gewesen seien. Wahrscheinlich habe sich der Schuldner den Wechsel des Gerichtsvollziehers zunutze gemacht, um gepfändete Sachen in seinem Geschäft zu verkaufen.

Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme das beklagte Land zur Zahlung von 835,93 DM sowie von 12% Zinsen von 2.711,55 DM seit dem 1. Februar bis zum 3. September 1954 unter Berücksichtigung der jeweiligen Abschlagzahlungen des Schuldners W… sowie von 4% Zinsen von dem Restbetrage seit dem 4. September 1954 verurteilt und im übrigen die Klage abgewiesen.

Gegen dieses Urteil hat das beklagte Land Berufung eingelegt und diese begründet, die Fortführung der Berufung jedoch dem Streitgehilfen überlassen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung zurückgewiesen.

Hiergegen richtet sich die nunmehrige Revision des Streitgehilfen, mit der er den Antrag auf Klagabweisung weiter verfolgt. Die Klägerin bittet um die Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

1.) Das Berufungsgericht geht davon aus, daß der Revisionsführer die am 16. November 1953 vorgenommene Pfändung ordnungsmäßig bewirkt habe, und stellt fest, daß im Zeitpunkt der Konkurseröffnung der Vollstreckungsschuldners bei diesem die zugunsten der Klägerin gepfändeten Sachen nicht mehr nachzuweisen waren, weil eine übergroße Anzahl von Pfändungen vorgenommen war – zu denen die Klägerin nicht gehört – abgesehen, nicht mehr festgestellt werden konnte, für welche Gläubiger die noch vorhandenen Sachen gepfändet waren.

Das Oberlandesgericht sieht eine schuldhafte Pflichtwidrigkeit des Revisionsführers in folgendem: Nach § 808 Abs. 2 ZPO und der für den Revisionsführer geltenden PR. Geschäftsanweisungen für die Gerichtsvollzieher habe der Revisionsführer nach der Pfändung die Pfandstücke im Gewahrsam des Vollstreckungsschuldners nur belassen dürfen, wenn dadurch die Befriedigung der Klägerin nicht gefährdet wurde. Wie ein Vergleich der Nummern der von dem Revisionsführer geführten Dienstregister ergebe, seien am 16. November 1953, als der Revisionsführer im Auftrag der Klägerin bei W… pfändete, bereits über 70 Pfändungen zugunsten anderer Gläubiger ausgebracht gewesen. Bei dieser ungewöhnlich großen Zahl von Pfändungen habe, wie der Revisionsführer ohne weiteres hätte erkennen können und müssen, die Gefahr bestanden, daß die Übersicht verloren gehe und sich später nicht mehr feststellen lasse, zu welchem Vollstreckungsverfahren die einzelnen Pfandstücke gehörten. Diese Gefahr sei umso mehr vorhanden gewesen, als der Revisionsführer die für die Klägerin gepfändeten Sachen im Pfändungsprotokoll nur der Gattung nach bestimmt und es entgegen den Vorschriften der Geschäftsanweisungen unterlassen habe, besondere Merkmale und Kennzeichen, wie Hersteller, Fabrikmarke, Artikelbezeichnung, Farbe im Pfändungsprotokoll zu vermerken. Andererseits habe der Revisionsführer sich sagen müssen, daß der Schuldner bei der übergroßen Zahl von Pfändungen aller Voraussicht nach nicht mehr in der Lage sein werde, seinen Verpflichtungen nachzukommen und sein Geschäft in geordneter Weise fortzuführen, und daß sich leicht Unregelmäßigkeiten im Geschäftsbetriebe einstellen könnten. Er sei deshalb nach § 808 Abs. 1 ZPO und nach der für ihn geltenden Geschäftsanweisung verpflichtet gewesen, die Pfandstücke auf die Pfandkammer zu bringen. Diese Amtspflicht, die ihm gerade der Klägerin als Vollstreckungsgläubigerin gegenüber oblegen habe, habe der Revisionsführer schuldhaft verletzt. Er könne sich zu seiner Entlastung auch nicht darauf berufen, daß er seine Akten bei seiner Versetzung zum 1. Juni 1954 ordnungsmäßig seinem Nachfolger übergeben und vorher fehlende Siegelmarken neu angebracht habe. Er sei vielmehr verpflichtet gewesen, die Pfandstücke, die er nach seinen Angaben damals noch vollständig bei dem Schuldner W… vorgefunden habe, auf die Pfandkammer zu bringen; hätte er dies getan, dann hätten die Pfandstücke zugunsten der Klägerin verwertet werden können.

2.) Die Revision rügt zunächst verfahrensmäßig (§§ 128, 286 ZPO), daß das Berufungsgericht für seine Feststellung, am Tage der Pfändung (16. November 1953) bereits über 70 Pfändungen zugunsten anderer Gläubiger ausgebracht gewesen, die Dienstregister des Revisionsführers verwendet habe, die nicht Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen seien. Soweit das Oberlandesgericht auch für die Zeit der Überprüfung der Pfandstücke durch den Revisionsführer kurz vor seiner Versetzung zum 1. Juni 1954 eine Verpflichtung angenommen habe, die Pfandstücke auf die Pfandkammer zu bringen, erhebt die Revision eine Verfahrensrüge nach § 139 ZPO; der Revisionsführer hätte nämlich behauptet und unter Beweis gestellt, daß er zur Übergabe seiner Dienstgeschäfte nur zwei Tage Zeit gehabt hätte, so daß es ihm unmöglich gewesen wäre, außer den ordnungsgemäßen Übergabearbeiten auch noch die Sachen in die Pfandkammer zu bringen. Abgesehen hiervon sei seine Entschließung, die Pfandstücke bei der Pfändung im Gewahrsam des Schuldners zu belassen, durch die Beschlüsse des Amtsgerichts – Vollstreckungsgericht – Quakenbrück vom 15. Januar 1954 und 5. Februar 1954 (in den Akten M 13/54), durch die die Verwertung der Pfandstücke ausgesetzt wurde, gedeckt. Wenn schon das Vollstreckungsgericht der Ansicht gewesen sei, daß trotz vieler Pfändungen die Aussetzung der Verwertung zulässig sei und eine Gefährdung des Gläubigers nicht eintreten könne (§ 813a ZPO), müsse erst recht der Gerichtsvollzieher dieser Ansicht sein können.

3.) Diese Revisionsrügen greifen nicht durch; zum Teil sind sie auch unerheblich.

Die Amtspflichten des Gerichtsvollziehers, auch gegenüber dem die Zwangsvollstreckung betreibenden Gläubiger, ergeben sich aus dem Gesetz, insbesondere aus der Zivilprozeßordnung, und aus den für den Gerichtsvollzieher geltenden allgemeinen Dienstanweisungen. Nach 808 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 71 der hier maßgeblichen Pr. Geschäftsanweisung für die Gerichtsvollzieher vom 24. März 1914 i.d.F. der AV vom 15. Mai 1930 (Pr. MinBl S. 142; die späteren Abänderungen sind nicht einschlägig), die im Bezirk des Amtsgerichts Quakenbrück noch bis zum 31. Dezember 1954 galt (vgl. AV des NdS MdJ vom 31. Juli und 3. September 1954 S. 143 und 164) hat der Gerichtsvollzieher Gegenstände der hier gepfändeten Art (Teppiche, Brücken, Läufer, Reisetaschen, Aktenmappen usw.) im Gewahrsam des Schuldners zu belassen sofern nicht hierdurch die Befriedigung des Gläubigers gefährdet wird. § 71 Ziff. 1 S. 4 und 5 der Geschäftsanweisung bestimmt, daß der Gerichtsvollzieher nach Prüfung aller Umstände selbständig zu beurteilen hat, ob eine solche Gefährdung vorliegt oder nach der Pfändung einzutreten droht, und daß der Gerichtsvollzieher die Pfandstücke nachträglich an sich zu nehmen hat, wenn eine Gefährdung des Gläubigers erst später erkennbar wird. Außerdem schreibt § 71 Ziff. 9 der Geschäftsanweisung vor: „Sind die zur Ersichtlichmachung der Pfändung getroffene Vorkehrungen später beseitigt oder die angebrachten Siegelabdrücke usw. abgefallen, so hat der Gerichtsvollzieher, sobald er davon Kenntnis erlangt, für die Erneuerung der Ersichtlichmachung zu sorgen, auch zu prüfen, ob durch weitere Belassung der Pfandstücke im Gewahrsam des Schuldners die Befriedigung des Gläubigers gefährdet wird; bejahendenfalls sind die Pfandstücke aus dem Gewahrsam des Schuldners zu entfernen.”

Es kann offen bleiben, ob der Revisionsführer bereits bei der im Auftrag der Klägerin durchgeführten Pfändung am 16. November 1953 verpflichtet war, die Pfandstücke wegen einer Gefährdung der Klägerin mit Rücksicht auf die – nach der von der Revision angegriffenen Feststellung des Berufungsgerichts – weiteren etwa 70 Pfändungen zugunsten anderer Gläubiger in die Pfandkammer zu verbringen. Denn nach dem eigenen Vortrag des Revisionsführers in der Berufungsinstanz, den das beklagte Land gegen sich gelten lassen muß (§§ 74, 67 ZPO) und von dem offenbar auch das Berufungsgericht ausgeht, hat er bei der Überprüfung der Pfandstücke kurz vor seiner Versetzung zum 1. Juni 1954 selbst festgestellt, daß an diesen Pfandgegenständen angebrachte Siegelmarken infolge von Maßnahmen des Schuldners fehlten. Außerdem lagen nach dem Inhalt der Akten des Vollstreckungsgerichts Quakenbrück M 378/54, die nach dem Urteilstatbestand Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, mindestens zu diesem Zeitpunkt etwa 63 (Bl. 11-19 der Beiakten: 74 abzüglich der späteren, von anderen Gerichtsvollziehern vorgenommenen 11) Pfändungen anderer Gläubiger vor. Gerade weil Siegelmarken an Pfandstücken fehlten, außerdem eine ganz unverhältnismäßig große Zahl weiterer Pfändungen vorlag, mußte der Revisionsführer von Amts wegen besonders sorgfältig prüfen, ob durch ein Belassen der zugunsten der Klägerin gepfändeten, nach Darstellung des Revisionsführers noch vollständig vorhandenen Pfandstücke im Gewahrsam des Schuldners eine Gefährdung der Gläubigerinteressen der Klägerin bestand (§ 71 Ziff. 1 und 9 der Geschäftsanweisung). Daß bei einer derartigen außergewöhnlichen Situation mindestens zu diesem späteren Zeitpunkt eine Gefährdung der Klägerin zu bejahen und deshalb der Revisionsführer auch verpflichtet war, die zugunsten der Klägerin gepfändeten Gegenstände aus dem Gewahrsam des Schuldners zu entfernen, hat das Berufungsgericht ohne Rechtsirrtum angenommen.

Bei dieser Sachlage gehen die Verfahrensrügen nach §§ 128, 286 ZPO ins Leere, da es auf den Zeitpunkt der Pfändung 16. November 1953 nicht ankommt. Die von der Revision erhobene Rüge nach § 139 ZPO greift deshalb nicht durch, weil der Revisionsführer auch dann, wenn er nur zwei Tage Zeit zur Übergabe der Dienstgeschäfte gehabt hätte, er unschwer die Verbindung der Pfandstücke in die Pfandkammer hätte veranlassen oder anordnen können, zumal es hierfür keiner besonderen mühevollen und zeitraubenden Tätigkeit bedarf.

Der Revisionsführer kann sich zu seiner Entschuldigung nicht auf die die Verwertung der Pfandstücke aussetzenden Beschlüsse der Amtsgerichts Quakenbrück vom 15. Januar 1954 und 5. Februar 1954 berufen. Abgesehen davon, daß diese Beschlüsse zeitlich einige Monate vorher lagen, sind vor allem Sinn und Ziel dieser Tätigkeit des Vollstreckungsgerichts nach § 813a ZPO grundsätzlich verschieden von der hier allen in Rede stehenden Obliegenheit des Gerichtsvollziehers die Art und Weise der Zwangsvollstreckung (nach § 813 Abs. 2 ZPO) zum Gegenstand hat. Außerdem ist der Gerichtsvollzieher zu einer Entfernung der Pfandstücke auch dann befugt und verpflichtet, wenn – wie hier – unter ausdrücklicher Aufrechterhaltung der Pfändung lediglich die Verwertung ausgesetzt worden ist. Denn das Verbringen der Pfandstücke in die Pfandkammer bedeutet nicht eine „Fortsetzung der Zwangsvollstreckung”, sondern lediglich eine Änderung in der Ausübung des dem Gerichtsvollzieher zustehenden Besitzes (Sattelmacher-Lentz, Das Gerichtsvollzieherwesen in Preußen, Aufl. 1930/33 Anm. 2 zu § 71 der Geschäftsanweisung).

Auch wenn man davon ausgeht, daß dem Gerichtsvollzieher, grundsätzlich eine Obhutspflicht für die im Gewahrsam des Schuldners belassenen Gegenstände nicht obliegt (RGZ 137, 153, 155, 138, 40, 42), so muß er doch bei Gefährdung der Befriedung des Gläubigers, sobald er davon erfährt, die zur Abwehr notwendigen Maßnahmen auch von Amts wegen treffen; dazu gehört insbesondere die nachträgliche Entfernung der gefährdeten Sachen aus dem Gewahrsam des Schuldners (§ 71 Ziff. 1 u. 9 der Geschäftsanweisung; RGZ 161, 109, 115).

Die Revision meint weiter, der Klageanspruch entfalle nach § 859 Abs. 3 BGB deshalb, weil die Klägerin nicht eine Erinnerung nach § 766 ZPO dagegen erhoben habe, daß der Revisionsführer die gefährdeten Sachen im Gewahrsam des Schuldners belassen habe. Diese Einwendung scheitert schon daran, daß insoweit ein Verschulden der Klägerin für diese Unterlassung (§ 839 Abs. 3 BGB) nicht angenommen werden kann. Es ist nämlich weder vorgetragen noch ergibt sich sonst ein Anhaltspunkt dafür, daß die Klägerin von der Entfernung der Siegelmarken, wie sie der Revisionsführer Ende Mai 1954 festgestellt hat, und von der ganz ungewöhnlich großen Zahl anderer Pfändungsgläubiger Kenntnis erlangt hat oder erlangen müßte.

A) Das Berufungsgericht hat auch den Ursachenzusammenhang zwischen der Amtspflicht des Revisionsführers und dem Schaden der Klägerin bejaht, indem es ausführt, daß die zugunsten der Klägerin gepfändeten Gegenstände nach dem eigenen Vorbringen des Revisionsführers Ende Mai 1954 bei der Überprüfung kurz vor seiner Versetzung noch vollständig vorhanden gewesen seien und demnach die Pfandstücke zugunsten der Klägerin hätten verwertet werden können, wenn der Revisionsführer sie zu diesem Zeitpunkt auf die Pfandkammer gebracht hätte.

Das läßt einen Rechtsirrtum nicht erkennen. Denn in diesem Falle wären die zugunsten der Klägerin gepfändeten Gegenstände auf der Pfandkammer ohne weiteres und äußerlich klar erkennbar festzustellen gewesen, und sie wären vor allem durch den späteren Beschluß des Amtsgerichts Quakenbrück vom 29. Dezember 1954 nicht berührt worden, mit dem fast alle Pfändungen, soweit sie Gegenstände betrafen, die im Gewahrsam des Schuldners belassen waren, für unzulässig erklärt und die Vollstreckungsmaßnahmen aufgehoben worden sind. Bei dieser Sachlage kommt es darauf, ob dieser Beschluß des Amtsgerichts Quakenbrück in allen Punkten rechtlich einwandfrei war – was von der Revision bezweifelt wird – nicht an. Dieser Beschluß konnte bei einem pflichtgemäßen Handeln des Revisionsführers – nämlich bei einem rechtzeitigen Verbringen der Pfandstücke in die Pfandkammer – von vornherein den eingetretenen Schaden nicht verursachen. Überdies ist er nach dem Sachverhalt mit ausgelöst worden durch die Art und Weise, wie der Gerichtsvollzieher vollstreckt hat. Sollte er dem Gesetz zuwider ergangen sein, so könnte das unter diesen Umständen höchstens dazu führen, daß neben die Haftung für die Amtspflichtverletzung des Gerichtsvollziehers die Haftung für eine Amtspflichtverletzung des Vollstreckungsgerichte träte.

Die in diesem Zusammenhang weiter erhobene Rüge der Revision, die Klägerin hätte schuldhaft ein Rechtsmittel gegen diesen Beschluß nicht erhoben (§ 839 Abs. 3 BGB), geht bei der dargelegten Rechtslage ins Leere.

da die Klägerin, wenn ihr Pfändungsrecht bestehen geblieben wäre, nach §§ 48, 49 Ziff. 2 KO ein Recht auf abgesonderte Befriedigung aus den zu ihren gepfändeten Gegenständen gehabt hätte, hat das Berufungsgericht bedenkenfrei angenommen, daß die Pfandkammer verbracht worden wären, zugunsten der Klägerin mit dem Erlös für ihre gesamte Forderung nebst den vom Landgericht zugesprochenen Zinsen und Nebenkosten befriedigt worden wäre. Soweit das Oberlandesgericht den Einwand, die zugunsten der Klägerin gepfändeten Gegenstände seien unter Eigentumsvorbehalt geliefert geliefert worden, unter Berufung auf § 1006 BGB zurückgewiesen hat, läßt dies einen Rechtsirrtum nicht erkenne. Die Revision ist darauf auch nicht mehr zurückgekommen.

Da das Berufungsurteil auch im übrigen, besonders was die Höhe des der Klägerin entstandenen Schaden anlangt, rechtlich bedenkenfrei ist, insoweit von der Revision auch keine Angriffe mehr erhoben werden, war die Revision des Streitgehilfen zurückzuweisen. Die ihm auferlegte Kostenlast ergibt sich aus §§ 97, 101 ZPO (LM Nr. 8 zu § 97 ZPO = Nr. 1 zu § 582 ZPO; Stein/Jonas/Schönke ZPO 18. Aufl. § 101 Anm. I mit weiteren Nachweisen der Rechtsprechung des Reichsgerichts).

 

Fundstellen

Haufe-Index 609510

MDR 1959, 282

Dieser Inhalt ist unter anderem im Erbschaftsteuergesetz-Kommentar enthalten. Sie wollen mehr?