Entscheidungsstichwort (Thema)
Erbausschlagung
Leitsatz (amtlich)
- Schlägt der Erbe in einem Fall des § 2306 I 2 nicht aus, dann muß er die ihn beschwerenden Vermächtnisse und Auflassung grundsätzlich auch auf Kosten seines eigenen Pflichtteils voll tragen. Treten daneben auch noch Pflichtteilslasten auf, dann kann er die Vermächtnisse und Auflassung um den Betrag kürzen, um den die Pflichtteilslasten seinen eigenen Pflichtteil anderenfalls (zusätzlich) beeinträchtigen würden.
- Kosten der Testamentsvollstreckung bleiben bei der Berechnung des Pflichtteils grundsätzlich außer Betracht.
- § 2318 III BGB wirkt nicht zur zugunsten des pflichtteilsberechtigten Alleinerben, sondern kann auch auch bei einer Erbenmehrheit eingreifen.
- § 2319 BGB wirkt auch in das Innenverhältnis mehrerer Miterben hinein. Er schützt den pflichtteilsberechtigten Miterben vor dem Pflichtteilsanspruch eines Dritten in der Weise, daß er diesem gegenüber seinen eigenen ordentlichen Pflichtteil verteidigen kann.
Normenkette
BGB §§ 2306, 2311, 2318 Abs. 3, § 2319
Tatbestand
Der am 21. August 1978 verstorbene Erblasser hinterließ drei Söhne, und zwar aus seiner geschiedenen Ehe die Söhne Thomas und Christoph, sowie das am 8. September 1971 geborene, vom Erblasser anerkannte, nichteheliche Kind Raphael K. In seinem notariellen Testament vom 19. August 1978 setzte er die beiden ehelichen Söhne je zur Hälfte zu seinen Erben ein, ordnete Testamentsvollstreckung für die Zeit bis zur Vollendung des 32. Lebensjahres seines Sohnes Thomas an (21. September 1986) und setzte mehrere Vermächtnisse zugunsten der Klägerin aus. Testamentsvollstrecker ist der Beklagte.
Zum Nachlaß gehörte ein hälftiger Miteigentumsanteil an einem Hausgrundstück in B. Eines der Vermächtnisse war darauf gerichtet, der Klägerin ein auf 25 Jahre begrenztes Wohnrecht an diesem Grundstück zu gewähren bzw. zu verschaffen. Für den Fall, daß es nicht oder nicht auf Dauer gelinge, der Klägerin dieses Recht zu verschaffen, setzte er ihr ein Vermächtnis in Höhe von 150 000 DM aus; dieser Betrag sollte sich für jeden Monat um je 500 DM verringern, den die Klägerin nach seinem Tode kostenfrei in dem Haus gewohnt habe.
Die Klägerin konnte das Haus sechs Monate lang nutzen; danach wurde es veräußert. Demgemäß hat sie den Beklagten mit der Klage auf Zahlung von 147 000 DM nebst Zinsen in Anspruch genommen. Der Beklagte befürchtet, der Nachlaß werde bei Berücksichtigung vorrangiger Rechte anderer Nachlaßbeteiligter nicht ausreichen, um auch den eingeklagten Vermächtnisanspruch zu erfüllen; er lehnt deshalb eine Zahlung derzeit ab.
Das Landgericht hat die Klage als begründet angesehen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht teilweise als unzulässig und im übrigen als unbegründet zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag teilweise weiter. Das angefochtene Urteil war im Umfang des beschränkten Revisionsantrages aufzuheben; insoweit war die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Entscheidungsgründe
I.
Soweit das Berufungsgericht die Berufung für unzulässig hält, kann den hiergegen gerichteten Angriffen der Revision der Erfolg nicht versagt werden (von der weiteren Darstellung wird abgesehen).
II.
Für die neue Verhandlung gibt der Senat folgende Hinweise:
1.
Das Berufungsgericht geht davon aus, daß die Voraussetzungen für den eingeklagten Vermächtnisanspruch der Klägerin in Höhe von 147 000 DM gemäß § 2174 BGB an sich erfüllt sind und daß dieser Anspruch gemäß § 2213 BGB gegen den beklagten Testamentsvollstrecker geltend gemacht werden kann. Das ist rechtsfehlerfrei und wird von der Revision nicht angegriffen.
Ohne Rechtsverstoß nimmt das Berufungsgericht weiter an, daß die beiden ehelichen Söhne des Erblassers dessen Erben geworden seien, weil sie die Erbschaft erst nach Ablauf der hierfür vorgesehenen Frist (§§ 1944, 2306 Abs. 1 Satz 2 BGB) ausgeschlagen hätten und weil die Versäumung der Ausschlagungsfrist nicht wirksam angefochten sei (§§ 1956, 119, 121 BGB), sowie ferner, daß der anerkannte (BGHZ 85, 274, 277) nichteheliche Sohn des Erblassers infolge der Einsetzung der beiden ehelichen Söhne zu Erben gemäß § 1937 BGB von der Erbfolge ausgeschlossen sei und daher nur seinen Pflichtteil zu beanspruchen habe (vgl. BGHZ 80, 290).
2.
Nicht anzuschließen vermag sich der Senat dem Berufungsgericht aber, soweit es dem Beklagten das Recht abspricht, das eingeklagte Vermächtnis gemäß § 2318 BGB zu kürzen.
Dabei kann offen bleiben, ob der Beklagte ein Vermächtniskürzungsrecht gemäß § 2318 Abs. 1 BGB in den Vorinstanzen nicht geltend gemacht hat, wie das Berufungsgericht meint. Ein derartiges Kürzungsrecht ist nach der hierzu hilfsweise vorgenommenen, rechtsfehlerfreien Auslegung des notariellen Testaments von 1978 durch das Berufungsgericht jedenfalls gemäß § 2324 BGB ausgeschlossen.
3.
Das vom Beklagten ausdrücklich ausgeübte Kürzungsrecht des Erben gemäß § 2318 Abs. 3 BGB, das, wenn es besteht, in gleichem Umfang auch vom Testamentsvollstrecker geltend gemacht werden kann, hält das Berufungsgericht nach dem eigenen Vortrag des Beklagten nicht für gegeben. Es hält § 2318 BGB nur nach einer Gegenüberstellung mit § 2306 BGB für verständlich. Wenn - wie hier - die Voraussetzungen des § 2306 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht vorlägen und der pflichtteilsberechtigte Erbe den ihm hinterlassenen Erbteil auch nicht nach § 2306 Abs. 1 Satz 2 BGB ausgeschlagen habe, dann müsse er grundsätzlich die gesamte Vermächtnislast tragen, und zwar auch auf Kosten seines eigenen Pflichtteils; die Erfüllung der Vermächtnisse könne er daher nur verweigern, sofern und soweit sein Erbteil nicht ausreiche, um die Befriedigung eines anderen Pflichtteilsberechtigten (zu verweigern; gemeint ist offenbar:) vorzunehmen.
Mit diesem Inhalt wäre § 2318 Abs. 3 BGB eine überflüssige Vorschrift. Die Norm des § 2318 Abs. 3 BGB, deren Bedeutung aus dem Wortlaut und aus dem Sinnzusammenhang in der Tat nicht einfach zu erschließen ist, hat jedoch eine andere Funktion.
4.
Zutreffend an den Ausführungen des Berufungsgerichts ist, daß es § 2318 Abs. 3 BGB um das Rangverhältnis zwischen einem Vermächtnisanspruch und einem Pflichtteilsanspruch gegen einen Erben geht. Die Vorschrift regelt dieses Rangverhältnis aber nicht allgemein, sondern führt es nur für einen begrenzten Teilbereich näher aus.
Daß die Verbindlichkeiten der Erben aus den vom Erblasser angeordneten Vermächtnissen und Auflagen allgemein im Range hinter ihre Verbindlichkeiten gegenüber Pflichtteilsberechtigten zurückzutreten haben, ergibt sich vielmehr bereits aus den insoweit grundlegenden Bestimmungen der §§ 1992, 1991 Abs. 4 BGB, § 226 Abs. 2 Nr. 4, 5 KO. Demgegenüber betrifft § 2318 Abs. 3 BGB den speziellen Fall, in dem ein pflichtteilsberechtigter Erbe sich sowohl einem Pflichtteils- als auch einem Vermächtnisanspruch ausgesetzt sieht und infolge des Zusammentreffens beider Gefahr läuft, von dem ihm hinterlassenen Nachlaß so viel opfern zu müssen, daß ihm davon nichts oder jedenfalls weniger verbleibt, als sein eigener Pflichtteil ausmacht. Sind die Voraussetzungen des § 2318 Abs. 3 BGB erfüllt, dann gibt er dem Erben die Möglichkeit, den ererbten Nachlaß in Grenzen gegen das Vermächtnis (oder die Auflage) zu verteidigen. Das dort normierte Kürzungsrecht kommt damit dem pflichtteilsberechtigten Erben auf Kosten des Vermächtnisnehmers (oder Auflagebegünstigten) und unmittelbar in gewissem Sinne auch dem Inhaber des Pflichtteilsanspruchs zugute.
5.
Diese Regelung wirkt entgegen verbreiteter Auffassung (vgl. BGB-RGRK/Johannsen 12. Aufl. § 2318 BGB Rdn. 9; Erman/Schlüter, BGB 7. Aufl. § 2318 Rdn. 3; Staudinger/Ferid/Cieslar, BGB 12. Aufl. § 2318 Rdn. 35; Palandt/Edenhofer, BGB 44. Aufl. § 2318 Anm. 2 b) nicht nur zugunsten des pflichtteilsberechtigten Alleinerben, sondern kann auch bei einer Erbenmehrheit eingreifen. Die Gegenmeinung wird damit begründet (MünchKomm/Frank § 2318 Rdn. 11), § 2318 Abs. 3 BGB sei neben § 2319 nicht anwendbar, weil der erstere die Gefährdung des eigenen Pflichtteils durch Pflichtteilsansprüche Dritter voraussetze, was in den Fällen des § 2319 BGB infolge der dort getroffenen Regelung gerade nicht der Fall sei. Diese Begründung trifft aber nach der Auffassung des Senats nicht zu.
§ 2319 BGB, der zwar in erster Linie das Außenverhältnis nach der Teilung betrifft, aber auch in das Innenverhältnis hinein auf die Teilung vorwirkt (vgl. z. B. Soergel/Dieckmann aaO § 2319 Rdn. 2; Kipp/Coing, Erbrecht 13. Bearb. § 12 I 4), bewahrt den pflichtteilsberechtigten Miterben davor, einem Pflichtteilsgläubiger, der bei ihm Befriedigung wegen seines Pflichtteilsanspruchs sucht, von seinem Erbteil so viel preisgeben zu müssen, daß ihm weniger als sein eigener Pflichtteil verbleibt. Eine entsprechende Funktion kommt § 2328 BGB im Bereich der Pflichtteilsergänzung zu (vgl. dazu näher BGHZ 85, 274, 285 ff.). § 2319 BGB schützt den pflichtteilsberechtigten Erben aber ebensowenig wie § 2328 BGB vor einer Verminderung des erlangten Erbteils unter den eigenen (ordentlichen oder ergänzten) Pflichtteil, wenn er seinen Erbteil außer dem Zugriff durch einen Pflichtteils- oder Pflichtteilsergänzungsgläubiger zusätzlich auch noch dem Anspruch eines Vermächtnisnehmers ausgesetzt sieht. Wo Pflichtteilslast und Vermächtnisse (oder Auflagen) zusammentreffen und den eigenen Pflichtteil des pflichtteilsberechtigten Miterben gerade in ihrem Zusammenwirken gefährden, bleibt daher durchaus Raum für die Anwendung des § 2318 Abs. 3 BGB (vgl. Soergel/Dieckmann aaO § 2318 Rdn. 5; vgl. auch Planck/Greiff, BGB 4. Aufl. § 2319 Bem. 1; Staudinger/Ferid/Cieslar aaO § 2319 Rdn. 12; Lange/Kuchinke, Erbrecht 2. Aufl. § 39 VIII 4 Fn. 262; BGBR-GRK/Joahnnsen aaO § 2319 Rdn. 1). Dem pflichtsberechtigten Miterben diesen Schutz des § 2318 Abs. 3 BGB vorzuenthalten, ist vom Wortlaut der Vorschrift nicht geboten und der Sache nach nicht gerechtfertigt.
6.
Soweit es um die Frage geht, wie weit der Schutz reicht, den § 2318 Abs. 3 BGB dem pflichtteilsberechtigten (Mit-)erben bietet, darf allerdings die vom Berufungsgericht herangezogene Vorschrift des §§ 2306 BGB zur Vermeidung eines Wertungswiderspruchs (vgl. Soergel/Dieckmann aaO § 2319 Rdn. 2, § 2318 Rdn. 5) nicht außer Betracht bleiben.
Im Hinblick auf § 2306 Abs. 1 Satz 1 BGB kann § 2318 Abs. 3 BGB nur dort zu Anwendung kommen, wo dem pflichtteilsberechtigten Erben ein Erbteil hinterlassen ist, der im Sinne von § 2306 Abs. 1 Satz 2 BGB größer ist als die Hälfte des gesetzlichen Erbteils, und wo der Erbe diesen trotz Beschränkungen und Beschwerungen nicht ausgeschlagen hat. In Fällen dieser Art hat der Erbe es versäumt, sich mit Hilfe der Ausschlagung von den ihm auferlegten Beschränkungen und Beschwerungen zu befreien, und muß daher insbesondere die ihn beschwerenden Vermächtnisse und Auflagen grundsätzlich voll tragen, und zwar gegebenenfalls auch auf Kosten seines eigenen Pflichtteils.
Das hat das Berufungsgericht im Ansatz zutreffend erkannt. Es hat aber nicht gesehen, daß damit zugleich auch die Grenze der Belastungen erreicht ist, die dem pflichtteilsberechtigten Erben in § 2306 Abs. 1 Satz 2 BGB auf Kosten seines Pflichtteils zugemutet werden und die er sich - infolge Nichtausschlagung der Erbschaft - selbst zuzuschreiben hat. Deshalb kann er, wenn neben den Beschränkungen und Beschwerungen im Sinne von § 2306 BGB zusätzlich auch noch Pflichtteilslasten auftreten, infolgedessen drohende (erstmalige oder weitergehende) Eingriffe in seinen eigenen Pflichtteil abwenden. Er muß zwar die betreffenden Pflichtteilsansprüche erfüllen, kann aber gemäß § 2318 Abs. 3 BGB die Vermächtnisse und Auflagen entsprechend kürzen, und zwar gerade um den Betrag, um den die Pflichtteilslasten seinen eigenen Pflichtteil andernfalls (zusätzlich) beeinträchtigen würden (vgl. Staudinger/Ferid/Cieslar aaO § 2318 Rdn. 34; Planck/Greiff aaO § 2318 Anm. 4; Kipp/Coing aaO § 12 II 2 d; Lange/Kuchinke aaO § 39 VIII 3; Strohal, Erbrecht 3. Aufl. § 54 I; BGB-RGRK/Johannsen aaO § 2318 Rdn. 8; Johannsen WM 1970, 241). Der von Dieckmann (Soergel aaO § 2319 Rdn. 2) für den Bereich des § 2318 Abs. 3 BGB in Erwägung gezogenen Verschiebung der Belastungsgrenze des § 2306 Abs. 1 Satz 2 BGB vermag der Senat nicht näher zu treten; das Vermächtniskürzungsrecht des § 2318 Abs. 3 BGB berechtigt zur Verteidigung des eigenen Pflichtteils nur "wegen der Pflichtteilslast" und nicht auch wegen der Beschwerungen, die sich aus § 2306 Abs. 1 Satz 2 BGB ergeben. Mit dieser Auslegung des § 2318 Abs. 3 BGB läßt sich zwanglos auch ein Gleichlauf mit § 2307 Abs. 1 Satz 2 BGB sicherstellen.
7.
Bei der Berechnung des Pflichtteilsanspruchs des nichtehelichen Sohnes des Erblassers addiert das Berufungsgericht die von ihm zugrundegelegten Werte des Nachlasses und der Schenkungen an die Klägerin und errechnet daraus einen einheitlichen - ergänzten - Pflichtteilsanspruch. Das entspricht nicht der Gesetzeslage, nach der - trotz aller Ähnlichkeiten - der Pflichtteils- und der Pflichtteilsergänzungsanspruch bei ihrer Berechnung getrennt zu halten sind. Wird das nicht beachtet, dann kann das - auch im Hinblick auf § 2318 Abs. 3 BGB - durchaus zu unterschiedlichen Ergebnissen führen.
8.
Soweit es auf die Höhe der Pflichtteile ankommt, hat das Berufungsgericht Gelegenheit, seine Wertansätze auch im Hinblick auf das Vorbringen der Revision im einzelnen zu überprüfen. Kosten der Testamentsvollstreckung bleiben bei der Berechnung des Pflichtteils gemäß § 2311 BGB grundsätzlich außer Betracht (BGB-RGRK/Johannsen aaO § 2311 Nr. 7); ein Abzug kommt hier allenfalls in Betracht, soweit die Testamentsvollstreckung auch für den Pflichtteilsberechtigten von Vorteil ist (MünchKomm/Frank § 2311 Rdn. 11; Staudinger/Ferid/Cieslar aaO § 2311 Rdn. 67). Daß der Anspruch des Testamentsvollstreckers auf seine Vergütung (§ 2221 BGB) im Range vor den Vermächtnissen zu erfüllen ist, ergibt sich bereits aus §§ 1992, 1991 Abs. 4 BGB, § 226 KO. Die Klärung der Frage, wie sich das bei der Auseinandersetzung im einzelnen auswirkt, durfte das Berufungsgericht einem besonderen Verfahren gemäß § 785 ZPO überlassen; eines ausdrücklichen Vorbehalts im Urteil bedurfte es hierfür gemäß § 780 Abs. 2 ZPO nicht.
Fundstellen
Haufe-Index 1456198 |
BGHZ, 222 |
NJW 1985, 2828 |
JZ 1986, 87 |