Leitsatz (amtlich)
›Eine Zuwendung unter Lebenden, die ganz oder überwiegend unentgeltlich erfolgt (hier: zinsloses Darlehen), ist in der Regel als sittenwidrig anzusehen, wenn sie ausschließlich die geschlechtliche Hingabe des Empfängers belohnen oder ihn zur Fortsetzung der sexuellen Beziehungen bestimmen oder diese festigen will.
Wirken neben den sexuellen Motiven auch andere, achtenswerte oder wertneutrale Beweggründe mit, so kommt es entscheidend auf die sonstigen Umstände, insbesondere auch auf die Auswirkungen des Rechtsgeschäfts für Dritte an.‹
Verfahrensgang
OLG Oldenburg (Oldenburg) |
LG Osnabrück |
Tatbestand
Der Kläger und seine frühere Ehefrau waren mit den beklagten Eheleuten seit Jahren bekannt. Als die Ehefrau des Klägers sich 1978 von ihm trennte, kümmerten sich die Beklagten in freundschaftlicher Weise um den an Asthma leidenden - Kläger: Die Beklagte zu 2 verrichtete für ihn Haushaltsarbeiten. Der Kläger hielt sich häufig im Haus der Beklagten auf, nahm an ihren Mahlzeiten teil und übernachtete manchmal auch dort. Die Beklagte zu 2 verbrachte mit ihm mehrere Male ihren Urlaub. Spätestens seit Sommer 1980 kam es zwischen beiden zu geschlechtlichen Beziehungen, die auch dem Beklagten zu 1 bekannt wurden.
Als die Ehe des Klägers im Frühjahr 1980 geschieden wurde, verkaufte er zur Durchführung des Zugewinnausgleichs sein Hausgrundstück. Aus seinem Erlösanteil gewährte der Kläger den Beklagten am 10. November 1980 zur Ablösung eines Hausbaukredits ein zinsloses Darlehen von 60.000 DM. Die Parteien vereinbarten eine Rückzahlung in monatlichen Raten von 350 DM vom 1. Dezember 1980 bis zum 1. Dezember 1995 oder bis zum Ableben des Klägers.
In der Folgezeit verschlechterten sich die Beziehungen zwischen den Parteien und brachen Anfang 1982 ganz ab; die Ursachen sind streitig. Danach forderte der Kläger zunächst eine Erhöhung der monatlichen Tilgungsraten. Als die Beklagten dies ablehnten, ließ der Kläger das Darlehen durch Anwaltsschreiben vom 12. Mai 1982 kündigen und sofortige Rückzahlung des Restbetrages verlangen. Zur Begründung seiner Klage hat er geltend gemacht, die Beklagten hätten ihm bei Darlehensgewährung zugesichert, die Beklagte zu 2 werde ihn in jeder Beziehung unterstützen und ihn insbesondere auch bei Krankheit pflegen. Dieses Versprechen habe sie nicht gehalten.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Beklagten gemäß dem Klageantrag zur Zahlung des restlichen Darlehensbetrages verurteilt. Mit ihrer Revision begehren die Beklagten die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache.
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Der Darlehensvertrag sei gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig, weil er nicht maßgeblich auf das freundschaftliche Verhältnis der Parteien und die Hilfeleistungen der Beklagten zu 2 zurückzuführen sei, sondern die Zuwendung des Klägers vor allem im Hinblick auf die geschlechtlichen Beziehungen und in der Erwartung erfolgt sei, daß diese Beziehungen andauern würden. Die Beklagten hätten die bestehende Situation ausgenutzt. Zumindest auf ihrer Seite stelle sich deswegen die Annahme des Darlehens - gleichgültig, ob die Beklagte zu 2 den Kläger um das Geld gebeten oder ob dieser es von sich aus angeboten habe - als sittenwidrig dar. Auch wenn die Beklagten sich dessen nicht bewußt gewesen seien, genüge es für die Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB, daß sie die Tatumstände gekannt hätten. Der Rückforderungsanspruch des Klägers aus § 812 Abs. 1 BGB sei nicht gemäß § 817 Satz 2 BGB ausgeschlossen. Dabei könne dahingestellt bleiben, ob auch die Darlehenshingabe als sittenwidrig anzusehen sei. Auf jeden Fall könne nicht festgestellt werden, daß der Kläger bei Vertragsschluß das Bewußtsein gehabt habe, sittenwidrig zu handeln.
Gegen diese Begründung bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken. Die Feststellungen des Berufungsgerichts rechtfertigen die Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB nicht.
II.
1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Senatsurteil BGHZ 53, 369; Urteil vom 29. Juni 1973 - V ZR 187/71 = NJW 1973, 1645; Urteil vom 10. November 1982 IV a ZR 83/81 = NJW 1983, 674; vgl. auch Johannsen WM 1971, 918 m.w.Nachw.) sind Zuwendungen unter Lebenden ebenso wie Verfügungen von Todes wegen nicht schon deshalb als sittenwidrig anzusehen, weil zwischen dem Verfügenden und dem Empfänger außereheliche, insbesondere ehebrecherische sexuelle Beziehungen bestanden haben. Es geht im Rahmen des § 138 Abs. 1 BGB nicht um Sanktionen für ein unsittliches Verhalten, sondern allein um die Frage der Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts (BGHZ 53, 375). Grundsätzlich ist es ohne Bedeutung, welche Beweggründe etwa einen Erblasser veranlaßt haben, bei der Verteilung seines Nachlasses von der gesetzlichen Erbfolge abzuweichen; sein Wille ist grundsätzlich auch dort zu respektieren, wo seine Motive keine Achtung verdienen (BGHZ 53, 374). Das gilt nicht nur für letztwillige Verfügungen sondern auch für Rechtsgeschäfte unter Lebenden. Nach der Wertordnung des Bürgerlichen Gesetzbuches kommt dem Grundsatz der Vertrags- und Testierfreiheit überragende Bedeutung zu.
Durch § 138 Abs. 1 BGB wird dieser Grundsatz allerdings eingeschränkt. Im Rahmen der notwendigen Würdigung des Gesamtcharakters eines Rechtsgeschäfts kann der unredlichen Gesinnung eines oder mehrerer Beteiligter Bedeutung zukommen, wenn sie in dem Rechtsgeschäft zum Ausdruck kommt. So ist eine Zuwendung, die ganz oder überwiegend unentgeltlich erfolgt, in der Regel als sittenwidrig anzusehen, wenn sie ausschließlich die geschlechtliche Hingabe belohnen oder den Empfänger zur Fortsetzung der sexuellen Beziehungen bestimmen oder diese festigen will (BGHZ 53, 376). Fehlt es an der Ausschließlichkeit der sexuellen Motive, wirken vielmehr auch andere, achtenswerte oder wertneutrale Beweggründe bei der unentgeltlichen Zuwendung mit, so kommt es entscheidend auf die sonstigen Umstände, insbesondere auch auf die Auswirkungen des Rechtsgeschäfts für Dritte an: Eine letztwillige Zuwendung an den Partner einer außerehelichen Lebensgemeinschaft kann als sittenwidrig anzusehen sein, wenn die zurückgesetzten Erben in einem engen familienrechtlichen Verhältnis zum Erblasser standen und durch die Zurücksetzung wirtschaftlich erheblich getroffen werden (BGHZ 53, 377/78). Das gleiche gilt, wenn eine unter Lebenden gemachte unentgeltliche Zuwendung an den Partner einer außerehelichen Geschlechtsbeziehung zur Gefährdung von Unterhaltsansprüchen oder zur Aushöhlung eines Erbvertrags mit einem nahen Angehörigen führt (Urteil vom 29. Juni 1973 aaO S. 1646).
Ob das Berufungsgericht bei der Beurteilung des Darlehensvertrages der Parteien von diesen rechtlichen Maßstäben ausgegangen ist, läßt das angefochtene Urteil nicht eindeutig erkennen. Es ist nicht auszuschließen, daß es die Voraussetzungen des § 138 Abs. 1 BGB rechtsfehlerhaft schon allein deswegen bejaht hat, weil innerhalb einer Vielzahl von Motiven den Geschlechtsbeziehungen zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 2 das stärkere Gewicht zukam. Jedenfalls reichen die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht aus, um das gesamte Rechtsgeschäft als sittenwidrig zu bewerten:
Es lag zwar eine unentgeltliche Zuwendung vor, weil das Darlehen zinslos gewährt wurde und die Rückzahlung in recht kleinen Raten sich über 15 Jahre erstrecken, beim Tode des Klägers sogar vorzeitig enden sollte.
Diese Zuwendung war nach den Feststellungen des Berufungsgerichts aber auf seiten des Klägers nicht so ausschließlich durch unredliche Beweggründe geprägt, daß allein deswegen das Rechtsgeschäft als sittenwidrig anzusehen wäre. Im angefochtenen Urteil wird zwar ausgeführt, daß vor allem die bisherigen geschlechtlichen Beziehungen zur Beklagten zu 2 und die Erwartung ihrer Fortsetzung maßgeblich gewesen, andere Gründe demgegenüber aber zurückgetreten seien. Damit wird den sexuellen Motiven zwar entscheidendes Gewicht beigemessen, nicht aber deren Ausschließlichkeit festgestellt. Dazu hätte es - wie die Revision mit Recht rügt - auch der Auseinandersetzung mit der Tatsache bedurft, daß der Kläger selbst in den Vorinstanzen stets - in den Schriftsätzen sogar ausschließlich vorgetragen hatte, er habe auf die Verzinsung nur wegen der freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Parteien und aufgrund der Zusage verzichtet, die Beklagte werde ihm weiterhin Hilfe leisten. Erst durch die persönliche Anhörung der Parteien in der Berufungsverhandlung hatte das Oberlandesgericht erfahren, daß die Beziehungen der Parteien nicht auf freundschaftliche Bindungen beschränkt geblieben waren, sondern daß es zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 2 auch zu geschlechtlichen Beziehungen gekommen war und der Beklagte zu 1 davon erfahren hatte.
Sonstige Umstände, die es rechtfertigen, den Darlehensvertrag als sittenwidrig anzusehen, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Der Kläger selbst wurde nach den zur Zeit des Vertragsschlusses gegebenen Verhältnissen - darauf kommt es im Rahmen der Prüfung des § 138 Abs. 1 BGB an (vgl. Senatsurteil vom 30. Juni 1983 - III ZR 114/82 = ZIP 1983, 1047, 1048 zu II 1 m.w.Nachw.) - durch die Darlehenshingabe nicht in wirtschaftliche Schwierigkeiten gebracht. Die Frage, welche Auswirkungen die Darlehensgewährung für unterhalts- oder erbberechtigte Angehörige des Klägers - etwa für seinen mongoloiden Sohn - hatte, ist im Berufungsurteil überhaupt nicht angesprochen worden.
Die Begründung des Berufungsgerichts, die Beklagten hätten durch die Annahme des Geldes die Situation des Klägers ausgenutzt und dadurch gegen die guten Sitten verstoßen, vermag allein eine Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB nicht zu rechtfertigen. Da das Berufungsgericht insoweit keine Feststellungen getroffen hat, muß in der Revisionsinstanz davon ausgegangen werden, daß nicht die Beklagten den Kläger um das Darlehen gebeten hatten, sondern daß er ihnen von sich aus das zinslose Darlehen angeboten hatte und dabei von Beweggründen geleitet wurde, die sein Handeln nicht als sittenwidrig erscheinen ließen. Dann aber kann allein in der Annahme des Geldes durch die Beklagten kein Grund dafür gesehen werden, dem Darlehensvertrag von vornherein jede rechtliche Wirksamkeit zu versagen und den Kläger auf Ansprüche aus § 812 BGB zu beschränken.
2. Auch bei der Prüfung des § 817 Satz 2 BGB durfte sich das Berufungsgericht nicht auf die Feststellung beschränken, durch die Annahme des Darlehensbetrages hätten jedenfalls die Beklagten gegen die guten Sitten verstoßen, es könne dahingestellt bleiben, ob auch die Hingabe des Darlehens als sittenwidrig anzusehen sei, weil nicht festzustellen sei, daß der Kläger bei Vertragsschluß das Bewußtsein gehabt habe, sittenwidrig zu handeln. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats ist für die Anwendung des § 817 Satz 2 BGB ein bewußt sittenwidriges Handeln nicht in jedem Falle nötig. Es kann vielmehr genügen, wenn der Handelnde vor der Bewertung seines Tuns leichtfertig die Augen verschließt (Senatsurteil vom 2. Dezember 1982 - III ZR 90/81 = ZIP 1983, 282, 287 zu V 1 b m.w. Nachw.). Es bedarf daher auch in diesem Zusammenhang der Entscheidung, ob die Darlehenshingabe gegen die guten Sitten verstieß und ob diese Wertung sich dem Kläger aufdrängen mußte.
3. Da das angefochtene Urteil schon aus materiellen Gründen aufzuheben ist, bedarf es keiner Entscheidung über die weiteren Verfahrensrügen der Revision. Nach der Zurückverweisung haben die Parteien Gelegenheit, ihren Vortrag zu allen Punkten zu ergänzen, die für die bei der Prüfung der Sittenwidrigkeit vorzunehmende Gesamtwürdigung von Bedeutung sein können.
Kommt das Berufungsgericht nicht zu Feststellungen, die eine Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB rechtfertigen, so wird es prüfen müssen, ob der Kläger das auf bestimmte Zeit gewährte Darlehen aus wichtigem Grund vorzeitig wirksam gekündigt hat oder zumindest gemäß § 242 BGB eine Anpassung der Zins- und Rückzahlungsvereinbarungen an die veränderten Verhältnisse verlangen kann (Senatsurteile vom 16. Dezember 1968 - III ZR 151/66 = WM 1969, 335, 336 zu III; vom 19. September 1979 - III ZR 93/76 = WM 1979, 1176, 1178 zu II, 1; vom 10. Januar 1980 - III ZR 108/78 = WM 1980, 380 zu A II, 4; vom 5. März 1981 - III ZR 115/80 = NJW 1981, 1666 zu 4; ferner auch vom 10. Juli 1975 - III ZR 16/74 = Betrieb 1975, 2032 zu I; vom 10. November 1977 - III ZR 39/76 = NJW 1978, 947 zu II, 3 - 6).
Fundstellen
Haufe-Index 2992723 |
NJW 1984, 2150 |
FamRZ 1984, 1211 |
ZIP 1984, 545 |
DAVorm 1984, 1036 |
JZ 1984, 583 |