Leitsatz (amtlich)
›a) Verlangt der Erwerber einer Sache Schadensersatz dafür, daß diese infolge eines fehlerhaft konstruierten oder mit Herstellungsfehlern versehenen Einzelteils beschädigt wird, und ist deshalb zu prüfen, ob sich der ursprüngliche Mangelunwert mit dem späteren Schaden deckt, dann kann als Bewertungsmaßstab für den Mangelunwert § 472 Abs. 1 BGB herangezogen werden.
b) Ein an einer Sache durch Herstellungs- oder Konstruktionsfehler von Einzelheiten entstandener Schaden kann die Herstellerhaftung auch dann auslösen, wenn sich der Schaden nicht in einer gewaltsamen Beschädigung oder Zerstörung verwirklicht (Ergänzung zu BGHZ 86, 256).‹
Verfahrensgang
LG Nürnberg-Fürth |
OLG Nürnberg |
Tatbestand
Im April 1980 kaufte der Kläger bei dem Beklagten einen in dessen Unternehmen hergestellten Kompressor. Im März 1982 entstanden erhebliche Schäden an dem Dieselmotor, der den Kompressor antrieb. Der Schaden ist darauf zurückzuführen, daß der Motor einige Zeit ohne Schmierung gelaufen war. Das wiederum beruhte darauf, daß das Ölablaufrohr unmittelbar am Anschlußstück zum Ölsumpf des Motors gebrochen war und daher das Öl aus dem Motor auslaufen konnte.
Der Kläger hat behauptet, das Ölablaßrohr sei nur an einer einzigen Stelle, nämlich dem Eintritt in das Motor- bzw. Kompressorgehäuse, befestigt gewesen. Dies sei ein Konstruktionsfehler. Das Rohr sei deshalb abgebrochen, weil darin infolge des Konstruktionsfehlers nach längerer Betriebszeit des Motors Schwingungen aufgetreten seien, die zu dem Bruch geführt hätten. Der Schaden hätte vermieden werden können, wenn lediglich eine weitere Abstützung des Ölablaßrohres am Chassis angebracht worden wäre.
Der Kläger verlangt von dem Beklagten Schadensersatz in Höhe von 5.703,28 DM aus dem Gesichtspunkt der Eigentumsverletzung (Kosten eines Austauschmotores, Gutachtenkosten und Mietkosten für Ersatzkompressor).
Landgericht und Oberlandesgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der (zugelassenen) Revision verfolgt der Kläger seinen Klageanspruch weiter.
Entscheidungsgründe
1. Das Berufungsgericht ist der Auffassung, in der Beschädigung des Kompressormotors habe sich, wenn man von dem Sachvortrag des Klägers ausgehe, kein Schaden verwirklicht, den zu vermeiden dem Beklagten im Integritätsinteresse des Klägers durch eine deliktische Sorgfaltspflicht aufgegeben gewesen sei. Der dem Kompressor von Anfang an anhaftende Defekt sei lediglich in dem durch ihn verkörperten Mangelunwert des Kompressors zutage getreten. So, wie sich der Schadensverlauf nach der Behauptung des Klägers darstelle, sei der Kompressor für den bestimmungsgemäßen Einsatz auf Dauer nicht geeignet gewesen. Der Kläger verfolge deshalb mit seiner Klage nur sein Nutzungs- und Äquivalenzinteresse an einem einsatzfähigen Kompressor.
II. Das Berufungsurteil hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Zutreffend sind allerdings die Erwägungen, von denen das Berufungsgericht zunächst ausgeht.
a) Das Berufungsgericht folgt der Rechtsprechung des erkennenden Senats, daß der Hersteller eines Produkts für Schäden, die an diesem selbst nach dessen Auslieferung entstehen, wegen Verletzung des Eigentums des Erwerbers aus § 823 Abs. 1 BGB schadensersatzpflichtig sein kann, wenn sich in der Beschädigung oder Zerstörung des Produkts ein Schaden verwirklicht, den zu vermeiden dem Hersteller im Integritätsinteresse des Erwerbers durch eine deliktische Sorgfaltspflicht aufgegeben ist (BGHZ 86, 256 - "Pkw-Gaszug" und Senatsurteil vom 18. Januar 1983 - VI ZR 270/80 -"Hebebühne" - VersR 1983, 346; vgl. dazu Kullmann, BB 1985, 409, Nickel, VersR 1984, 318 und Schmidt-Salzer, BB 1983, 543).
b) Das Berufungsgericht grenzt davon rechtlich einwandfrei die Fälle ab, in denen es um Schäden geht, die lediglich den auf ihrer Mangelhaftigkeit beruhenden Unwert der Sache für das Nutzungs- und Äquivalenzinteresse des Erwerbers ausdrücken, da die deliktischen Verkehrspflichten grundsätzlich nicht darauf gerichtet sind, die Erwartung des Käufers zu schützen, sich die Nutzungsmöglichkeit einer mangelfreien Sache zu erhalten.
c) Das Berufungsgericht verwendet schließlich auch das richtige Abgrenzungskriterium für die Beurteilung der Frage, ob sich im Schaden das verletzte Integritätsinteresse des Klägers niedergeschlagen hat oder nicht, indem es darauf abstellt, ob sich der Schaden mit dem Unwert deckt, welcher dem Kompressor wegen seiner Mangelhaftigkeit von Anfang an anhaftete, oder ob er nicht mit der im Mangel verkörperten Entwertung der Sache für das Nutzungs- und Äquivalenzinteresse "stoffgleich" war.
2. Rechtsfehlerhaft nimmt das Berufungsgericht jedoch an, im Streitfalle könne nicht von einer Verletzung des Integritätsinteresses des Klägers ausgegangen werden, weil der dem Kompressor von Anfang an anhaftende Defekt lediglich in dem durch ihn verkörperten Mangelunwert zutage getreten sei.
a) Das Berufungsgericht verkennt dabei zunächst, daß die Frage, ob sich der aufgrund eines Mangels im Zeitpunkt des Eigentumsübergangs bestehende Unwert einer Sache mit dem später eingetretenen Schaden deckt, also mit ihm "stoffgleich" ist, nicht in erster Linie danach zu beantworten ist, ob diese Sache auf Dauer für einen bestimmungsgemäßen Einsatz geeignet ist. Entscheidend ist vielmehr der Vergleich des geltend gemachten Schadens mit dem im Augenblick des Eigentumsübergangs dem Produkt anhaftenden Mangelunwert, d.h. (vgl. BGHZ 86, 256, 259) der im Mangel verkörperten Entwertung der Sache für das Äquivalenz- und Nutzungsinteresse. Der Mangelunwert und damit der Äquivalenzschaden kann dabei nach den Grundsätzen des Gewährleistungsrechts (§ 472 Abs. 1 BGB) wie die Minderung des Kaufpreises bewertet werden (vgl. Nickel, aaO., S. 319 f.). Bei dieser Berechnung kann zwar durchaus auch eine durch einen Produktfehler bedingte begrenzte Lebenserwartung der Sache den Mangelunwert schon in dem hier zugrunde zu legenden Zeitpunkt (zum Teil sogar beträchtlich) erhöhen. Die verkürzte Lebenserwartung einer Sache wird aber nur dann schon von Anfang an im Minderwert völlig ausgedrückt und damit ist auch nur dann völlige "Stoffgleichheit" zwischen Mangelunwert und Schaden zu bejahen, wenn der vorzeitige Verschleiß die Gesamtsache bzw. den Produktteil, für den Schadensersatz begehrt wird, bei wirtschaftlicher Betrachtung von Anfang an ergreift. Ist dies dagegen nicht der Fall, sondern ist der Mangel (z.B. auch die Gefahr einer vorzeitigen Abnutzung) zunächst nur auf einen Teil des Produkts beschränkt und grundsätzlich auch behebbar, und führt er erst später zu einer Zerstörung des Produkts oder zur Beschädigung anderer Produktteile, dann hat der von dem Fehler zunächst nicht erfaßte Teil der Sache einen Wert, in dem sich die fehlerbedingt verkürzte Lebenserwartung nicht zureichend niederschlägt, und es kann damit keine (völlige) Stoffgleichheit zwischen Mangelunwert und Schaden bestehen.
So war es auch im Streitfall. Der Kläger hatte, wovon jedenfalls im Revisionsverfahren aufgrund des vom Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts auszugehen ist, einen vom Beklagten hergestellten Kompressor erworben, dessen einzelne Teile völlig einwandfrei waren und der auch zunächst funktionstüchtig war. Lediglich das Ölablaßrohr war nicht ausreichend abgestützt, so daß es infolge der betriebsbedingten Erschütterungen abbrechen und den Ölaustritt ermöglichen konnte, was aber durch eine zusätzliche Abstützung zum Chassis, die sich als Schweißkonstruktion relativ einfach hätte ausführen lassen, vermieden worden wäre. Damit war zunächst nicht der Kompressor als Ganzes und auch nicht der Motor durch vorzeitigen Verschleiß bedroht, sondern allein das Ölablaßrohr. Der auf die unzureichende Abstützung dieses Rohres beschränkte und unschwer behebbare Produktmangel konnte sich nur dann schädigend auf den Motor auswirken, wenn der Bruch des Rohres und damit der Ölverlust nicht rechtzeitig bemerkt wurde. Der Mangelunwert im maßgebenden Zeitpunkt des Eigentumsübergangs beschränkte sich daher im Streitfall auf den Wert der während der normalen Betriebszeit eines derartigen Kompressors jeweils zu erneuernden Rohre und der Montagekosten für deren Austausch bzw. auf die Kosten für den nachträglichen Einbau einer Stütze.
b) Der Kläger verfolgt entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts auch nicht lediglich sein Nutzungs- und Äquivalenzinteresse an einem einsatzfähigen Kompressor. Der Streitfall ist anders gelagert als der in diesem Zusammenhang vom Berufungsgericht erwähnte "Hebebühne-Fall", in dem der erkennende Senat Schadensersatzansprüche aus Eigentumsverletzung wegen der Nichtbenutzung der Hebebühne abgelehnt hat (Senatsurteil vom 18. Januar 1983 - VI ZR 270/80 - VersR 1983, 346). Der damals verklagte Hersteller hatte, was auch von der Kritik an dem Urteil gelegentlich übersehen wird (vgl. z.B. Hager, AcP 184, 413, 418; Stoll, JZ 1983, 501, 502), die Hebebühne, nachdem eine ihrer Säulen zusammengesackt war, wieder in den gleichen Zustand versetzen lassen, in dem sie sich im Zeitpunkt des Erwerbs durch den Kläger befand. Der Kläger besaß daher eine Hebebühne, an der keine weiteren Schäden vorhanden waren als der von Anfang an bestehende Mangel, ein Konstruktions- oder Fabrikationsfehler am Führungsschlitten. Gleichwohl benutzte sie der Kläger über längere Zeit nicht, weil dieser Mangel vom Hersteller nicht auch beseitigt war und er befürchtete, daß infolgedessen noch einmal eine der Säulen während der Belastung mit einem Kraftwagen absacken konnte. Bei einer solchen Gestaltung hat der Produkterwerber keinen Schaden, der über den von Anfang an bestehenden Mangelunwert des Produkts hinausgeht, während im Streitfalle, wie bereits ausgeführt, der Schaden wesentlich höher ist. Daran zeigt sich deutlich, daß der Kläger mit der Klage nicht nur sein Nutzungsinteresse an einem einsatzfähigen Kompressor verfolgt.
c) Der Streitfall unterscheidet sich allerdings auch von den bisher vom Bundesgerichtshof entschiedenen ähnlichen Gestaltungen (BGHZ 67, 359 - "Schwimmerschalter" und 86, 256 - "Pkw-Gaszug" und Urteil vom 5. Juli 1978 - VIII ZR 172/77 -BB 1978, 1491 = NJW 1978, 2241 - "Hinterreifen"), in denen die Verletzung eines Integritätsinteresses bejaht wurde, in zwei Punkten, die jedoch keine andere Entscheidung rechtfertigen.
aa) Hier hat sich, wie das Berufungsgericht zutreffend erkennt, im Gegensatz zu dem "Pkw-Gaszug-Fall" (BGHZ 86, 256) nicht "durch das Zusammentreffen unglücklicher Umstände ein Unfallrisiko verwirklicht".
Daß der Schaden durch das Hinzutreten besonderer Umstände eintritt, bei deren Fehlen aber ausbleibt, kann nicht Voraussetzung für die Entstehung des Schadensersatzanspruches sein (a.A. Schmidt-Salzer, aaO., S. 537). Stoffgleichheit zwischen Mangelunwert und Schaden besteht auch ohne Hinzutreten besonderer Umstände dann nicht, wenn die bereits (unter II 2a) erwähnte Voraussetzung erfüllt ist, daß der Mangel zunächst auf einen bestimmten Teil des Produkts begrenzt und grundsätzlich behebbar ist.
Es kann ferner aber auch für die Frage, ob sich der von Anfang an bestehende Mangelunwert mit dem später eingetretenen Schaden deckt, nicht darauf ankommen, ob der Schaden durch einen "Unfall" entsteht bzw. ob er sich etwa in einer gewaltsamen Beschädigung oder Zerstörung verwirklicht. Der erkennende Senat hat es zwar in BGHZ 86, 256, 263 dahingestellt sein lassen, ob nur ein bei solcher Gestaltung eintretender Sachschaden die Herstellerhaftung auslösen kann. In gleicher Weise aber wie die außervertragliche Haftung nicht davon abhängig gemacht werden kann, daß die mit einem Teilmangel behaftete Sache auf jeden Fall auch andere Rechtsgüter des Produktbenutzers oder Dritter gefährdet, also "umweltgefährdend" und nicht nur "produktgefährdend" ist (so bereits BGHZ 86, 256, 258; kritisch dazu Hager, AcP 184, 413, 417), kann es für die Haftungsbegründung nicht darauf ankommen, ob der Schaden durch einen "Unfall" bzw. eine "gewaltsame" Beschädigung oder Zerstörung anderer Produktteile eintritt. Damit würde ein den allgemeinen Prinzipien des Deliktsrechts fremdes Element als Abgrenzungskriterium benutzt (vgl. Schmidt-Salzer, aaO., S. 539).
Auszugehen ist von dem Grundsatz, daß das Interesse des Erwerbers an der Bewahrung der erworbenen Sache vor ihrer Beschädigung oder Zerstörung durch Konstruktions- oder Herstellungsmängel nicht weniger schutzwürdig ist als sein Interesse daran, daß derartige Mängel nicht zur Beschädigung oder Zerstörung seiner anderen, nicht vom Hersteller stammenden Sachen führen, und daß es deshalb prinzipiell für die Deliktshaftung des Herstellers keinen Unterschied machen kann, ob der Fehler in der Herstellung andere Sachen des Erwerbers oder nur das Produkt selbst schädigt (vgl. auch Nickel, aaO. S. 319; Schlechtriem, JA 1983, 255, 257). Genauso ist es für das Integritätsinteresse des Geschädigten und seine deliktische Schutzwürdigkeit nicht ausschlaggebend, ob sich die Beschädigung oder Zerstörung der Sache "gewaltsam" oder über einen längeren Zeitraum nach und nach aktualisiert; ebensowenig wie die Art und Weise der Schadensverwirklichung in diesem Sinne die deliktische Einstandspflicht des Herstellers bei der Beschädigung oder Zerstörung anderer Sachen des Erwerbers infrage stellen kann, so darf dies auch bei der Beschädigung oder Zerstörung des hergestellten Produkts selbst nicht der Fall sein. Nur wenn und soweit sich im Produktschaden gar nicht eine Verkürzung des Interesses des Geschädigten niederschlägt, sich das Produkt unversehrt zu erhalten, weil er für ein derartiges Integritätsinteresse eine unversehrte Sache nie besessen hat, vielmehr der spätere Produktschaden in der von Anfang an bestehenden Minderwertigkeit der Sache schon so vorweg genommen ist, daß der Schadensausgleich in Wahrheit nicht für verletzte Integrität, sondern für den Erwerb einer minderwertigen Sache verlangt wird, ist für eine Deliktshaftung des Herstellers neben den Gewährleistungsrechten kein Raum.
bb) Ohne Bedeutung ist es schließlich, daß im Streitfall der Schaden am Motor des Kompressors nicht dadurch eingetreten ist, daß darin ein fehlerhaftes oder nicht passendes Einzelteil eingebaut war, das ihn gefährdete, sondern dadurch, daß ein Teil, das Ölablaßrohr, nicht ausreichend abgestützt war, daß also eine zusätzliche Sicherung fehlte. In dem hier eingetretenen Schaden schlägt sich das verletzte Integritätsinteresse des Klägers, zu dessen Schutz der beklagte Hersteller verpflichtet war, in gleicher Weise nieder, wie in den Fällen, in denen ein ursprünglicher Mangel an einem Einzelteil auf die Gesamtsache oder auf andere Teile übergreift. Der Schadensablauf ähnelt demjenigen in den Fällen, in denen eine Anlage deshalb fehlerhaft konstruiert war, weil eines seiner Teile in seiner Leistung zu schwach oder sonst ungeeignet war (vgl. BGHZ 67, 359, 362). Dieser Unterschied kann auf die Schadensersatzpflicht keinen Einfluß haben.
III. Bei dieser Sachlage muß das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden, damit der Sachverhalt in tatsächlicher Hinsicht weiter aufgeklärt werden kann. Da der endgültige Ausgang des Rechtsstreits noch ungewiß ist, war dem Berufungsgericht auch die Entscheidung über die Kosten der Revisionsinstanz zu übertragen.
Fundstellen
Haufe-Index 2992790 |
BB 1985, 1290 |
NJW 1985, 2420 |
BauR 1985, 595 |
DRsp I(145)299a-c |
WM 1985, 919 |
JZ 1986, 37 |
JuS 1987, 14 |