Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorausetzungen für die Berechtigung zur Testamentsanfechtung
Leitsatz (amtlich)
Kennt der Anfechtende bei einer Testamentsfälschung gemäß § 2339 Abs. 1 Nr. 4 BGB die Tatsache der Fälschung und die Person des Fälschers aus dem Gutachten eines gerichtlich vereidigten Sachverständigen, dann hat er die in §§ 2340 Abs. 3, 2082 Abs. 2 Satz 1 BGB gemeinte Kenntnis, weil ihm jedenfalls dann die Klageerhebung zuzumuten ist.
Normenkette
BGB § 2339 Abs. 1 Nr. 4, § 2340 Abs. 3, § 2082 Abs. 2 S. 1, § 2341
Tenor
Auf die Revision des Beklagten werden das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 19. Januar 1988 sowie dessen Versäumnisurteil vom 15. Januar 1987 aufgehoben und das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Bochum vom 29. Januar 1986 abgeändert:
Unter Abweisung der Klage im übrigen wird auf den Hilfsantrag festgestellt, daß der Beklagte nicht testamentarischer Alleinerbe des am 20. November 1982 verstorbenen Herrn Heinrich M. geworden ist.
Die weitergehende Revision des Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klagepartei zu 1/3 und der Beklagte zu 2/3.
Die Kosten der Säumnis im Termin vor dem Oberlandesgericht vom 15. Januar 1987 trägt die Klagepartei ganz.
Tatbestand
Der (während des Revisionsverfahrens verstorbene) Kläger hält den Beklagten, seinen Neffen, für erbunwürdig nach dem am 20. November 1982 ledig und kinderlos verstorbenen Erblasser. Der Beklagte bestreitet die ihm vorgeworfene Testamentsfälschung und meint, jedenfalls habe der Kläger die Frist für die Geltendmachung der Erbunwürdigkeit versäumt.
Gesetzliche Erben des Erblassers sind zu je 1/3 der Kläger als dessen Bruder, der Beklagte als einziger Sohn der vorverstorbenen Schwester und die Tochter eines weiteren, inzwischen verstorbenen Bruders. Der Beklagte persönlich reichte dem Nachlaßgericht ein mit "Testament" überschriebenes und mit dem Namen des Erblassers unterschriebenes Schriftstück ein, welches das Datum des 29. August 1982 trägt und worin der Beklagte als Alleinerbe bezeichnet wird.
Der Kläger beauftragte den gerichtlich vereidigten Schriftsachverständigen Lehr, das Schriftstück in einem schriftvergleichenden Gutachten zu überprüfen. Dieser kam in seinem Gutachten vom 19. April 1983 zu dem Ergebnis, daß mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Beklagte den Text und die Unterschrift mit eigener Hand geschrieben habe. Vom Nachlaßgericht wurde ein weiteres Schriftgutachten vom 9. Oktober 1984 eingeholt. Dieses äußerte erhebliche Zweifel daran, daß der Erblasser selbst das Schriftstück vom 29. August 1982 unterschrieben habe. Das Nachlaßgericht ordnete daraufhin die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins gemäß der gesetzlichen Erbfolge an.
Mit dem Hauptantrag seiner am 11. Januar 1985 eingereichten Klage beantragte der Kläger,
den Beklagten hinsichtlich des Nachlasses des Erblassers für erbunwürdig zu erklären.
Auch das Landgericht hat ein Schriftgutachten eingeholt und der Klage daraufhin stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat zunächst durch Versäumnisurteil vom 15. Januar 1987 gegen den säumigen Kläger entschieden. Es hat dann aber nach Erstattung eines weiteren Gutachtens die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Revision des Beklagten.
Entscheidungsgründe
I.
Die Erbunwürdigkeit desjenigen, der ein Testament gefälscht haben soll (§ 2339 Abs. 1 Nr. 4 BGB), kann gemäß § 2342 BGB nur durch Erhebung der Anfechtungsklage und nur innerhalb der in § 2082 BGB bestimmten Fristen (§ 2340 Abs. 3 BGB) vom Anfechtungsberechtigten geltend gemacht werden.
1.
Berechtigt zur Anfechtung ist jeder, dem der Wegfall des Erbunwürdigen zustatten kommt, sei es auch erst nach dem Wegfall eines weiteren Erben, § 2341 BGB. Danach kann die Berechtigung des Klägers zur Anfechtung nicht zweifelhaft sein. Er hat jedenfalls das schon ausreichende, mittelbare Interesse des Näherrückens. Das Berufungsgericht allerdings will die Anfechtungsberechtigung deshalb bejahen, weil dem Kläger der Anteil des Beklagten in der Weise zufalle, daß sich der Anteil des Klägers auf die Hälfte erhöhe; die Kinder eines Erbunwürdigen seien als Verwandte einer nachfolgenden Ordnung nicht berufen, solange Verwandte einer vorhergehenden Ordnung vorhanden sind. Das ist ebenso rechtsfehlerhaft wie der vom Berufungsgericht angestellte Vergleich zwischen Erbunwürdigkeit und Erbverzicht. Letzterer hat Wirkung auf die Abkömmlinge, §§ 2349, 2310 Satz 2 BGB. Dagegen würden bei Erbunwürdigkeit des Beklagten wie bei der Ausschlagung (§ 1953 Abs. 2 BGB) dessen Abkömmlinge als gesetzliche Erben für den Stamm der vorverstorbenen Schwester des Erblassers eintreten, § 2344 Abs. 2 i.V. mit §§ 1924 Abs. 3, 1925 BGB. Diese könnten aber die Erbschaft ausschlagen. Dadurch würde sich der Erbteil des Klägers erhöhen. Diese theoretische Möglichkeit reicht zur Bejahung der Anfechtungsberechtigung aus.
2.
Der Kläger hat jedoch nach dem unstreitigen Sachverhalt die etwaige Erbunwürdigkeit des Beklagten nicht rechtzeitig geltend gemacht.
§§ 2340 Abs. 3, 2082 Abs. 1 BGB setzen für die Anfechtung eine Jahresfrist. Diese Frist beginnt nach § 2082 Abs. 2 Satz 1 BGB in dem Zeitpunkt, in welchem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrunde Kenntnis erlangt.
Das Reichsgericht und der Bundesgerichtshof haben, soweit ersichtlich, noch nicht entschieden, was Kenntnis von der Erbunwürdigkeit heißt. Sie haben lediglich zur Kenntnis im Sinne von § 2082 in Verbindung mit §§ 2078 und 2079 BGB und zur Kenntnis im Sinne von §§ 2306 Satz 2 und 2332 Abs. 1 BGB vor allem im Zusammenhang mit rechtsirrtümlicher Beurteilung der Wirksamkeit eines Testamentes Stellung bezogen (RGZ 140, 75, 76 und 132, 1, 4; BGH Urteil vom 19.2.1968 - III ZR 196/65 - LM BGB § 2306 Nr. 4 unter III. 2. und 3. und BGHZ 103, 333ff.; jeweils m.w.N.). Eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt hält die Kenntnis für gegeben, wenn der Anfechtungsberechtigte die volle subjektive Überzeugung von den sein Anfechtungsrecht begründenden Tatsachen hat (NJW 1947/48, 228). Dagegen hat das Oberlandesgericht München entschieden, die bloße Überzeugung ohne Kenntnis einer Beweisbarkeit genüge nicht, die Frist beginne erst mit der zuverlässigen Kenntnis des Erbunwürdigkeitsgrundes (MDR 1957, 612).
Mit Recht stellt sich das Berufungsgericht auf den Standpunkt, Sinn und Zweck der Anfechtungsfrist sei es, denjenigen Anfechtungsberechtigten mit der Klage auszuschliessen, der innerhalb der Jahresfrist nicht handele, obwohl er hätte handeln können, denjenigen also, von dem im wohlverstandenen eigenen Interesse ein Handeln zu erwarten ist. Nicht zu folgen ist dem Berufungsgericht jedoch darin, der Kläger habe mit dem von ihm eingeholten Privatgutachten L. vom 19. April 1983 noch nicht die erforderliche Kenntnis gehabt, weil der Beklagte weiterhin seine Täterschaft bestritten habe und weil das Nachlaßgericht und das Landgericht im vorliegenden Verfahren weitere Gutachten für erforderlich gehalten hätten. Aufgrund solcher Erwägungen wäre eine zuverlässige Abgrenzung ausreichender von noch nicht ausreichender Kenntnis nicht möglich. Weder das Verhalten des Anfechtungsgegners noch die im konkreten Einzelfall vom jeweiligen Gericht für nötig gehaltene Anzahl und Durchschlagskraft von Gutachten sind brauchbare Abgrenzungsgesichtspunkte. Vielmehr muß die Abgrenzung in allgemeingültiger Weise und aufgrund vorhersehbarer Gesichtspunkte vorgenommen werden.
Die Anfechtung gemäß §§ 2078 und 2079 BGB kann gegenüber der Erbunwürdigkeit in einfacherer Form, nämlich gegenüber dem Nachlaßgericht, erklärt werden. Bei der Erbunwürdigkeit aber hat der Anfechtungsberechtigte nur dann wirksam angefochten, wenn er rechtzeitig Klage erhoben hat, § 2342 BGB. Im Gegensatz zur Vermächtnisunwürdigkeit kann auf die Erbunwürdigkeit nicht einmal einredeweise verwiesen werden. Wegen der Notwendigkeit der Klageerhebung fordert die herrschende Meinung (umfassender Nachweis bei Baumgärtel, Handbuch der Beweislast Band 2, § 2340 Rdn. 2 und Fn. 2) Beweisbarkeit des Erbunwürdigkeitsgrundes im Prozeß. Daran ist richtig, daß eine Klageerhebung zumutbar sein muß. Das ist jedenfalls dann zu bejahen, wenn der Anfechtende bei einer behaupteten Testamentsfälschung gemäß § 2339 Abs. 1 Nr. 4 BGB die Tatsache der Fälschung und die Person des Fälschers als des Anfechtungsgegners aus dem Gutachten eines gerichtlich vereidigten Sachverständigen kennt. Wegen der Notwendigkeit der Klageerhebung kann der gemäß § 2341 BGB Anfechtungsberechtigte mit demjenigen verglichen werden, der eine Verjährungsfrist zu unterbrechen hat. Das ist § 2082 Abs. 2 Satz 2 BGB zu entnehmen. Der Anfechtende befindet sich in gleicher Lage wie der Geschädigte in § 852 BGB. Der Geschädigte muß den Schaden und die Person des Ersatzpflichtigen, der Anfechtende den Grund der Erbunwürdigkeit und denjenigen kennen, der ihn gesetzt hat. Demgemäß kann bei der Frage nach der Kenntnis der Erbunwürdigkeit die Rechtsprechung zu § 852 BGB herangezogen werden (vgl. BGH Urteil vom 5.2.1985 - VI ZR 61/83 - VersR 1985, 367 und die dort zitierten Urteile, weiter die Entscheidungen zum Stichwort "Fristbeginn" bei BGHR BGB § 852 Abs. 1).
In dem Augenblick, in welchem der Kläger über das Gutachten des gerichtlich vereidigten Sachverständigen L. verfügte, hatte er die Kenntnis gemäß §§ 2340, 2082 BGB. Das war spätestens Ende April 1983. Denn jetzt hatte sich seine Vermutung sogar schon zur beweisbaren Tatsache verdichtet. Beweisbar war die Tatsache deshalb, weil der Kläger sich von nun an mit der für eine Klageerhebung erforderlichen Erfolgsaussicht auf das zivilprozessuale Beweismittel Sachverständigengutachten berufen konnte. Ihm war die Klageerhebung zuzumuten (vgl. BGH Urteil vom 5.2.1985 - VI ZR 61/83 - VersR 1985, 367 unter II. 1. b)).
Danach war die Jahresfrist schon verstrichen, als der Kläger die Erbunwürdigkeitsklage am 11. Januar 1985 eingereicht hat.
II.
Deshalb muß der Hauptantrag des Klägers abgewiesen werden. Hilfsweise hat der Kläger beantragt,
festzustellen, daß
- der Beklagte nicht Alleinerbe des am 20. November 1982 verstorbenen Herrn Heinrich Marx geworden ist, äußerst hilfsweise, festzustellen, daß der Erblasser ein wirksames Testament nicht errichtet hat.
- der Beklagte auch nicht Miterbe des Erblassers Heinrich M. geworden ist.
Hilfsanträge fallen durch die Revision des Beklagten ohne weiteres dem Revisionsrechtszug an (BGHZ 41, 38, 39f.).
Das Feststellungsinteresse der Klagepartei ist zu bejahen, auch wenn der Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erklärt hat, er berühme sich nicht, Alleinerbe zu sein. Er hat den Hilfsantrag zu a) nicht anerkannt und den mit seiner Revision verfolgten Klagabweisungsantrag vollen Umfangs aufrecht erhalten.
Der Hilfsantrag a) ist in seiner weitergehenden ersten Alternative aufgrund des unstreitigen Sachverhaltes und der insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts begründet. Wie schon das Landgericht kommt auch das Berufungsgericht nach den eingeholten Gutachten und aufgrund weiterer Indizien jedenfalls zu dem Ergebnis, daß das Schriftstück vom 29. August 1982 nicht vom Erblasser stammt. Der Beklagte müßte aber beweisen, daß das Schriftstück, auf welches er sich als Testament berufen hat, vom Erblasser herrührt.
Weil danach ein gültiges Testament des Erblassers nicht vorliegt, kommt die gesetzliche Erbfolge zum Zuge. Demgemäß kann der Hilfsantrag b) keinen Erfolg haben, ist vielmehr auf den Hilfsantrag a) wie geschehen zu erkennen.
Unterschriften
Dr. Hoegen
Dr. Lang
Dr. Schmidt-Kessel
Dr. Zopfs
Dr. Ritter
Fundstellen
Haufe-Index 1456358 |
NJW 1989, 3214 |
JuS 1990, 234 |