Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachlaßsurrogat
Normenkette
BGB § 2111
Tatbestand
Die Klägerin ist die Witwe des am 10. August 1984 verstorbenen Erblassers; sie war seit 1971 oder 1972 seine zweite Ehefrau und hat ihn aufgrund gemeinschaftlichen Testaments vom 18. Juli 1973 allein beerbt. Der Beklagte ist ein Sohn des Erblassers aus dessen erster Ehe.
Durch rechtskräftiges Vorbehaltsurteil des Landgerichts ist der Beklagte verurteilt, zwei Darlehen, die er von dem Erblasser erhalten hatte, in Höhe von insgesamt 105 000 DM nebst Zinsen an die Klägerin zurückzuzahlen. Die Entscheidung über eine vom Beklagten erklärte Aufrechnung ist vorbehalten geblieben. Dabei geht es um die Aufrechnung mit einer Forderung, die der Beklagte für sich und seine beiden Brüder als Nacherben nach seiner Mutter in Anspruch nimmt. Es handelt sich um folgendes:
Die im Jahre 1969 verstorbene Mutter und der Erblasser hatten sich in einem gemeinschaftlichen Testament von 1963 gegenseitig zu nichtbefreiten Vorerben und ihre drei Söhne als Nacherben eingesetzt, wobei die Nacherbfolge im Falle der Wiederverheiratung des Längstlebenden sofort mit der Wiederverheiratung eintreten sollte. Die Brüder des Beklagten habe ihre (Nacherben-)Erbteile am Nachlaß der Mutter am 1. Juli 1985 an den Beklagten abgetreten.
Zum Nachlaß der Mutter des Beklagten hatte ein Restkaufpreisanspruch in Höhe von 150 000 DM gehört. Nach der Zahlung dieses Betrages an den Erblasser als Vorerben der Mutter legte dieser die Summe als Kommanditeinlage in der P. Kommanditgesellschaft an und zog daraus im Laufe der Jahre erhebliche Gewinne. Nach dem Tode des Erblassers beanspruchten der Beklagte und seine Brüder die Kommanditbeteiligung (oder deren Wert) als Bestandteil des Nachlasses ihrer Mutter. Wegen des Kommanditanteils von nominal 150 000 DM und des darauf entfallenden Gewinnanteils für das Jahr 1985 (30 000 DM) wurden sie von der Kommanditgesellschaft durch Zahlung von 180 000 DM abgefunden. Darüber hinaus verlangt der Kläger für sich und seine Brüder noch diejenigen Gewinne, die der Erblasser von der Kommanditgesellschaft nach Eintritt des Nacherbfalles (Heirat mit der Klägerin) in den Jahren 1972 bis 1984 erhalten hat; mit dieser Gegenforderung hat der Beklagte die Aufrechnung erklärt.
Im Nachverfahren hat das Landgericht das Vorbehaltsurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen, weil die Aufrechnung durchgreife. Im Berufungsverfahren hat der Beklagte die Gegenforderung auf 447 859,97 DM beziffert und diesen Betrag, soweit er die Klageforderung übersteigt, zum Gegenstand einer Widerklage gemacht und neben der Zurückweisung der Berufung der Klägerin beantragt, diese zur Zahlung von 342 859,97 DM nebst Zinsen zu verurteilen. Das Berufungsgericht hat das Vorbehaltsurteil für vorbehaltlos erklärt und die Widerklage abgewiesen. Die Revision des Beklagten führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.
Entscheidungsgründe
1.
Während das Landgericht die Kommanditbeteiligung des Erblassers als Bestandteil des Nachlasses der Mutter ansah und die Nutzungen, die der Vorerbe daraus noch nach dem Nacherbfall gezogen hat, dementsprechend den Nacherben zuwies, vertritt das Oberlandesgericht den gegenteiligen Standpunkt. Es meint, bei den Gewinnanteilen handele es sich nicht um Surrogate im Sinne von § 2019 BGB. Der Erblasser habe die Gewinnanteile in den einzelnen Jahren nicht als Gegenleistung für die Leistung der Kommanditeinlage, sondern aufgrund des Gesellschaftsvertrages erhalten. Die Zahlung der Kommanditgesellschaft habe lediglich den Wegfall der persönlichen Haftung des Erblassers bewirkt. Ein echtes Austauschgeschäft habe nicht stattgefunden. Hierzu verweist das Berufungsgericht auf das Urteil des Bundesgerichtshofes vom 15. Dezember 1976, dem es folgen will. In diesem Urteil (IV ZR 52/75 - NJW 1977, 433) hat der frühere IV. Zivilsenat in einem Fall zu § 2019 BGB angenommen, die Rechtsstellung als Kommanditist, die ein vermeintlicher Erbe erlange, wenn er einen Erbschaftsgegenstand als seine Einlage in eine Kommanditgesellschaft einbringe und Kommanditist werde, sei kein Surrogat des Erbschaftsgegenstandes (vgl. dazu auch Jochem JuS 1977, 408 f.).
2.
Diese Auffassung vermag der erkennende Senat aber nicht zu teilen.
a)
Soweit der frühere IV Zivilsenat, sich darauf gestützt hat, daß es sich bei der Einbringung einer Kapitaleinlage durch den Gesellschafter einer Personengesellschaft nicht um ein Austauschgeschäft handele, wie es zu einer (dinglichen) Surrogation gehöre, erscheint die Begründung nicht tragfähig. Bei einer derartigen Argumentation wird der Zweck des Gesetzes nicht genügend berücksichtigt.
Die erbrechtlichen Fälle der dinglichen Surrogation, wie sie etwa in den §§ 2019, 2041 und 2111 BGB normiert sind, haben den Sinn, die realen Werte (vgl. RGZ 87, 434, 437) eines bestimmten Sondervermögens (Nachlaß bzw. Erbschaft) zu binden und im Interesse bestimmter begünstigter Personen (bei §§ 2019 und 2041 BGB: der Erben; bei § 2111 BGB: der Nacherben) und ihrer Gläubiger über allen Wechsel der zu ihm gehörenden konkreten Bestandteile hinweg zusammenzuhalten und für den Zweck des Sondervermögens zu reservieren. Dieser Zweck wird dadurch erreicht, daß die im Laufe der wirtschaftlichen Entwicklung (RGZ 87, 434, 439) des Sondervermögens eintretenden Änderungen im konkreten Bestand seiner Einzelteile unter bestimmten Voraussetzungen in den vom Gesetz geordneten Surrogationsfällen kraft Gesetzes auch zu einer entsprechenden rechtlichen (dinglichen) Zuordnung der Ersatzstücke (Surrogate) zu dem Sondervermögen und seinen Trägern führen. Dahinter steht der Gedanke: Der Wert des Sondervermögens und nicht seine konkrete Erscheinungsform ist das Ausschlaggebende. Daher muß jeder Umsatz einzelner Bestandteile des Vermögens und der darin liegende Abfluß realer Werte, wenn der Wert des Ganzen erhalten bleiben soll, durch die rechtliche Neuzuordnung ausgeglichen werden, in die die abgeflossenen Werte eingegangen sind (vgl. RGZ 87, 434, 439, 440). Aus diesem Ordnungsschema der Surrogation bestimmte rechtsgeschäftliche Abflüsse realer Werte auszunehmen, etwa die Einbringung von Vermögensteilen in Personengesellschaften (oder auch in Kapitalgesellschaften), ließe die dingliche Surrogation insoweit zu einem bloß schuldrechtlichen Erstattungsanspruch auf den Wertbetrag "verkümmern" (RGZ 89, 53, 58, 60; 87, 434, 440; WarnR 1920 Nr. 203 S. 256). Damit wäre der Schutzzweck der dinglichen Surrogation aus einem eher formalen Grund in erheblichem Umfang verfehlt.
b)
Auch die zweite Begründung, die in dem Urteil vom 15. Dezember 1976 (aaO) gegeben wird, nämlich: Erwerbsgegenstand einer Surrogation könne nicht ein nichtübertragbares Recht oder eine nichtübertragbare Rechtsstellung sein, kann der Senat nicht als berechtigt anerkennen.
Blieben nichtübertragbare Rechtspositionen von der dinglichen Surrogation ausgeschlossen, dann würde damit der Schutz, den das Gesetz mit ihrer Hilfe den dadurch begünstigten Personen zukommen lassen will, dem Belieben derjenigen preisgegeben, vor denen geschützt werden soll. Das eröffnete für Erbschaftsbesitzer wie Vorerben den Weg, Nachlaßgegenstände in unübertragbare Rechte und Rechtspositionen umzutauschen und sie damit den erbrechtlichen Bindungen und den vom Erblasser Begünstigten willkürlich zu entziehen. Sogar die Nachlaßgläubiger verlören auf diese Weise das in erster Linie ihnen vorbehaltene (dinglich gebundene) Zugriffsobjekt Nachlaß (vgl. BGHZ 98, 48, 54 f.). Ein etwa an dessen Stelle tretender schuldrechtlicher Wertausgleichsanspruch, wie er im Bereich der Gesellschafter-Nachfolge erwogen wird, wäre hier wie dort unzureichend, schon weil er den gesetzlichen Vorrang der Nachlaßgläubiger vor den Eigengläubigern nicht gewährleisten könnte.
Ebensowenig wie im Bereich der Nachfolge eines Gesellschafter-Erben in den ererbten Gesellschaftsanteil (vgl. BGHZ 98, 48) kann es bei der dinglichen Surrogation zugelassen werden, daß sich die dingliche Sicherung ohne zwingende Sachgründe zu einem bloß persönlichen ungesicherten Geldanspruch verflüchtigt (so schon das Oberlandesgericht Jena, zustimmend zitiert in RGZ 89, 53, 59 für die Nacherbfolge). Der Senat gibt die gegenteilige Auffassung des früheren IV. Zivilsenats in dem Urteil vom 15. Dezember 1976 (NJW 1977, 433 = BGB § 2019 Nr. 1) deshalb ausdrücklich auf. Er kann das ohne Anrufung des Großen Zivilsenats tun, weil das Erbrecht vom IV. auf den erkennenden Senat übergegangen ist.
3.
Für den hier anzuwendenden § 2111 BGB gilt insoweit nichts anderes. Demgemäß ist der Kommanditanteil, den der Erblasser "durch Rechtsgeschäft mit Mitteln der Erbschaft" erworben hat, ein Bestandteil der Vorerbschaft geworden und zwar einschließlich der damit verbundenen Gewinnrechte. Auch die aufgrund dieser Gewinnrechte gezogenen Gewinne gehören zur Vorerbschaft (sogenannte Rechtssurogation). Das hat das Reichsgericht bereits in seinem Urteil vom 5. Februar 1920 zutreffend erkannt (WarnR 1920 Nr. 203).
Wie im einzelnen der vom Vorerben mit Mitteln des Nachlasses erlangte Kommanditanteil beim Nacherbfall auf den Nacherben rechtlich übergeht, ist hier nicht näher zu erörtern; der Beklagte ist wegen dieses Anteils bereits abgefunden. Jedoch wird insoweit mitzuberücksichtigen sein, was in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu der unmittelbaren Rechtsnachfolge in einen ererbten Gesellschaftsanteil bei Vor- und Nacherbfolge bereits entwickelt worden ist (BGHZ 78, 177, 181). Dort ist von besonderer Bedeutung, daß Mitgesellschafter sich im allgemeinen keinen Gesellschafter-Nachfolger aufdrängen zu lassen brauchen, mit dem sie sich nicht auf die Gesellschaft eingelassen haben (BGHZ 98, 48, 55). Ob das hieraus abgeleitete gesellschaftsrechtliche Postulat, der Nacherbe könne trotz Vorliegens der Voraussetzungen der dinglichen Surrogation Gesellschafter-Nachfolger nicht ohne die (gegebenenfalls nachträgliche) Zustimmung aller Mitgesellschafter werden, die erbrechtliche Surrogation behindern könnte, bedarf hier keiner Entscheidung. Immerhin können Mitgesellschafter aus besonderen Gründen verpflichtet sein, der Aufnahme eines Gesellschafter-Nachfolgers in die Gesellschaft zuzustimmen (BGH Urteil vom 20. Oktober 1986 - II ZR 86/85 - LM § 139 Nr. 12 m. w. Nachw.). Aber auch wenn es dem Nacherben als erbrechtlich befugtem Gesellschafter-Nachfolger nicht gelingen sollte, seine erbrechtliche Position innerhalb der Gesellschaft durchzusetzen, wäre die dingliche Surrogation nach Erbrecht damit nicht wirkungslos. Als unverzichtbarer Mindestschutz für den Nacherben müßte die Surrogation vielmehr mit dem Inhalt aufrechterhalten werden, daß der Vorerbe die vermögensrechtlichen Vorteile aus seiner gesellschaftsrechtlichen Stellung ungeschmälert an den Nacherben weiterzugeben hätte. Das gilt vornehmlich für den künftigen Anspruch auf das Auseinandersetzungsguthaben (RG WarnR 1920 Nr. 203), die laufenden Gewinnansprüche und auch etwaige darüber hinausgehende Entnahmerechte.
Von der Surrogation auf den Nacherben machte § 2111 Abs. 1 Satz 1 BGB allerdings eine Ausnahme, soweit ein Erwerb dem Vorerben gebührt, nämlich für die Gewinnanteile (§§ 99, 100 BGB), die auf die Dauer der Vorerbschaft entfallen (vgl. auch BGHZ 81, 8). Die Gewinnanteile, die sich auf die Zeit nach Eintritt des Nacherbfalles beziehen, die also die Zeit nach Wiederverheiratung des Erblassers betreffen, gebühren jedoch folgerichtig den Nacherben. Zieht der Vorerbe die Nutzung nach dem Nacherbfall trotzdem weiter, dann ist seine Pflicht zur Herausgabe an die Nacherben gemäß § 2130 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht zweifelhaft. Dafür muß die Klägerin als Alleinerbin des Vorerben einstehen.
Fundstellen
Haufe-Index 1456435 |
BGHZ, 214 |
BB 1990, 84 |
NJW 1990, 514 |
ZIP 1990, 38 |