Entscheidungsstichwort (Thema)
Abbruch der den Tatrichtern obliegenden Auslegung des Testaments aufgrund der Nichtbeweisbarkeit des wirklichen Willens des Erblassers
Leitsatz (amtlich)
Zur Deutung einer Verfügung von Todes wegen als (bloße) Auseinandersetzungsanordnung oder als Vorausvermächtnis.
Normenkette
BGB §§ 2048, 2150, 2087 Abs. 2
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 28. Januar 1982 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, wie die Anschlußberufung zurückgewiesen und der mit ihr verfolgte Hilfsantrag abgewiesen worden ist.
Im übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Der am 24. November 1976 verstorbene Erblasser, dessen Ehefrau 1964 vorverstorben war, hinterließ drei Söhne, und zwar den Kläger, den früheren Beklagten zu 1) und den Beklagten zu 2). Anstelle des 1983 verstorbenen Beklagten zu 1) ist dessen Alleinerbe, der jetzige Beklagte zu 1), in den Rechtsstreit eingetreten.
Der Erblasser hatte ein Testament errichtet, das auch die Unterschrift seiner Ehefrau trägt; dieses lautet wie folgt:
"Mein letzter Wille!
Mutter und ich sind übereingekommen, folgendes zu bestimmen. Nach meinem Ableben soll meine Frau alleinige Erbin sein. Sollten beide Eltern versterben, so soll mein Sohn Hans das Wohnhaus E. Straße ... erhalten, dazu einen Bauplatz an der E. Straße ..., sofern derselbe bis dahin nicht bebaut ist. Solange Hans am Leben, soll Haus und Platz nur mit Zustimmung von meinen Söhnen Walter und Fritz verkauft werden dürfen. Eine Belastung durch Hypotheken soll nicht vorgenommen werden, solange Hans am Leben ist. Etwaige Überschüsse sollen nur Hans persönlich zustehen.
Mein Sohn Walter soll das Hinterhaus und übrigbleibendes Gelände erhalten. Ein Aufbaudarlehen von 52.000,- DM (zweiundfünfzig) hat Walter nach und nach erhalten. Fritz erhält das frühere M. Grundstück als Erwerbsgrundlage. Sollte Fritz die Gärtnerei aufgeben, einen Teil oder das Ganze verkaufen wollen, sollen Hans und Walter zurate gezogen und beteiligt werden.
H. S., 28. Februar 1964
gez. Johann M.
gez. D. M.
..."
Durch Erbschein vom 5. September 1977 sind die Söhne des Erblassers als gesetzliche Erben zu je einem Drittel ausgewiesen. Der Nachlaß ist bis auf den Grundbesitz auseinandergesetzt; dabei handelt es sich um folgende Grundstücke der Gemarkung S. Flur ...
- Flurstücke 11/10, 53/11, 21/5,
- Flurstück 11/6,
- Flurstücke 51/11 und 52/11.
Der Kläger beansprucht das Flurstück 21/5, bei dem es sich unstreitig um das in dem Testament genannte "frühere M. Grundstück" (M-Grundstück) handelt, für sich. Er hat seinen Brüdern ein notariell beurkundetes Angebot zum Abschluß eines entsprechenden Teilauseinandersetzungsvertrages gemacht. Die Beklagten lehnen dieses Angebot ab. Sie vertreten die Auffassung, der Kläger könne keine Teilauseinandersetzung verlangen. Außerdem habe der Kläger, da das ihm zugedachte Grundstück das weitaus wertvollste sei und es sich nur um eine Teilungsanordnung des Erblassers handele, erhebliche Ausgleichszahlungen an sie zu leisten.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Berufungsgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Unbegründet ist die Revision allerdings, soweit der Kläger mit ihr weiterhin verlangt, die Beklagten entsprechend seinem Hauptantrag zur Annahme seines Angebots zum Abschluß eines Teilauseinandersetzungsvertrages zu verurteilen. Es kann offen bleiben, ob der Hauptantrag schon daran scheitert, daß - wie das Oberlandesgericht meint - das Vertragsangebot mangelhaft formuliert ist und eher einem Vertragsentwurf gleicht. Jedenfalls soll der vom Kläger angebotene Vertrag neben der Auflassung und der Umschreibungsbewilligung weitere Erklärungen der Beklagten (Vollmachten, Kostenregelungen) enthalten, zu deren Abgabe die Beklagten nach den getroffenen Feststellungen nicht verpflichtet sind.
Dagegen kann der vom Kläger mit seiner Anschlußberufung eingeführte Hilfsantrag, mit dem er von den Beklagten die Auflassung des beanspruchten Grundstücksteils und entsprechende Umschreibungsbewilligung verlangt, begründet sein.
Das Berufungsgericht nimmt an, der Erblasser habe seine Kinder in dem Testament nicht zu Erben eingesetzt. Damit befindet es sich in Übereinstimmung mit dem Amtsgericht und dem Landgericht, die im Erbscheinsverfahren ebenfalls zu der Auffassung gelangt sind, die Parteien seien Miterben kraft Gesetzes. Diese Auslegung ist jedenfalls im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstanden; auch für die Annahme einer Erbeinsetzung "nach Vermögensgruppen" (vgl. z.B. BGH Urteil vom 19.1.1972 - IV ZR 1208/68 - DNotZ 1972, 500) in Abweichung von der Auslegungsregel des § 2087 Abs. 2 BGB besteht hier kein ausreichender Anhalt. Die Parteien haben sich dieser Auffassung ausdrücklich angeschlossen.
Auf dieser Grundlage hatte das Berufungsgericht zu prüfen, ob es sich bei der testamentarischen Zuweisung des M-Grundstücks an den Kläger um eine Teilungsanordnung (§ 2048 BGB) oder um ein Vorausvermächtnis (§ 2150 BGB) handelt. Wendet der Erblasser seinen Kindern durch Verfügung von Todes wegen - wie hier - nur einzelne Nachlaßgegenstände zu, dann kann, wenn nicht trotz § 2087 Abs. 2 BGB ausnahmsweise eine Erbeinsetzung ("nach Vermögensgruppen") vorliegt und die betreffenden Kinder Erben kraft gesetzlicher Erbfolge sind, die Zuwendung nur entweder als Vorausvermächtnis (§ 2150 BGB) oder als Teilungsanordnung (§ 2048 BGB) ausgelegt werden (RG DR 1942, 977, 978 f.); eine weitere Möglichkeit besteht nicht.
Unter diesen Umständen ist es rechtlich nicht einwandfrei, wenn das Berufungsgericht einerseits meint, die Klausel könne nicht als Vermächtnis zugunsten des Klägers angesehen werden, und gleichzeitig offen lassen will, ob es sich um eine Teilungsanordnung handelt. Aber auch sonst ist die vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung der Klausel ("Fritz erhält das M-Grundstück als Erwerbsgrundlage") nicht frei von Rechtsfehlern.
Das Berufungsgericht führt aus, die Zuweisung eines bestimmten Nachlaßgegenstandes an einen einzelnen Miterben könne ein Vorausvermächtnis darstellen, wenn dieser gegenüber den anderen Miterben begünstigt werden solle. Ein derartiger Wille des Erblassers, der Kläger solle das Grundstück vorweg zu Eigentum erhalten, lasse sich aber nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen; dem Testament sei er nicht zweifelsfrei zu entnehmen. Zweifel bei der Auslegung gingen zu Lasten des Klägers.
Diese Begründung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Das Berufungsgericht hat verkannt, daß die grundsätzlich dem Tatrichter obliegende Auslegung eines Testaments nicht schon dann abgebrochen werden darf, wenn sich der wirkliche Wille des Erblassers, der gemäß § 133 BGB zu erforschen ist, nicht beweisen läßt. Gelingt es dem Richter nicht, sich von dem bei der Errichtung des Testaments tatsächlich vorhandenen, wirklichen Willen des Erblassers zu überzeugen, dann muß er sich notfalls damit begnügen, den Sinn zu ermitteln, der dem (mutmaßlichen) Erblasserwillen am ehesten entspricht (BGHZ 86, 41, 45). Für den Begünstigungswillen, der bei der Abgrenzung der Teilungsanordnung von dem Vorausvermächtnis von Bedeutung ist (BGHZ 36, 115, 119), gilt insoweit nichts anderes. Unter diesen Umständen muß das angefochtene Urteil aufgehoben werden.
Bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung wird Folgendes zu beachten sein:
Der Wortlaut des Testaments legt die Annahme nahe, daß der Erblasser sowohl den Kläger als auch seine beiden anderen Söhne um die ihnen zugedachten Grundstücke "begünstigen" wollte, daß also alle drei Brüder die Grundstücke als (Voraus-)Vermächtnisse erhalten sollten. Dem steht, wie das Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend gesehen hat, nicht entgegen, daß der Erblasser den Kläger und auch den früheren Beklagten zu 1) gewissen Beschränkungen (Beschwerungen) unterworfen hat. Mit Recht hat das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang erwogen, die Klausel, die die Zuweisung des M-Grundstücks an den Kläger einschränkt ("Sollte Fritz die Gärtnerei aufgeben ..."), könne dahin verstanden werden, daß der Kläger seine Brüder bei Aufgabe der Gärtnerei und einem Verkauf des Grundstücks (oder eines Teiles davon) "zurate" ziehen und an einem etwaigen "Mehrerlös" anteilig auch finanziell "beteiligen" muß. Der Kläger sollte zwar das wertvollste Grundstück erhalten, dem Anschein nach uneingeschränkt aber nur unter der Voraussetzung, daß er die Gärtnerei weiterbetrieb und das Grundstück nicht ganz oder teilweise verkaufte.
Nicht erörtert hat das Berufungsgericht dagegen, daß Teilungsanordnungen die Höhe der Erbteile und den Wert der Beteiligung der einzelnen Miterben am Nachlaß grundsätzlich unberührt lassen (Senatsurteil vom 14.3.1984 - IVa ZR 87/82 - zur Veröffentlichung bestimmt) und nur für die Auseinandersetzung der Miterben von Bedeutung sind (RG DR 1942, 977, 978). Sie sind auch dann nicht ausgeschlossen, wenn der Erblasser eine Erbeinsetzung nicht vorgenommen, sondern es bei der gesetzlichen Erbfolge belassen hat; sie setzen aber voraus, daß der Erblasser die Erbquoten und deren Wert mit Hilfe der Anordnungen nicht verschieben, sondern davon gerade unangetastet lassen wollte. Weist der Erblasser einem von mehreren Miterben einen Gegenstand zu, dessen Wert höher ist, als diesem seiner Quote nach zukäme - so ist es anscheinend im vorliegenden Falle -, dann kann daher die Zuweisung nur dann als Teilungsanordnung gedeutet werden, wenn eine Wertverschiebung ausgeschlossen ist (Senatsurteil vom 14.3.1984), wenn er also dem betreffenden Miterben auferlegte, einen entsprechenden Ausgleich aus seinem eigenen Vermögen zu leisten (BGHZ 82, 274, 279).
Dafür, daß der Erblasser dem Kläger einen derartigen Ausgleich auferlegt hätte, bietet das Testament seinem Wortlaut nach keinen greifbaren Anhalt. Zwar ist die Anordnung, der Kläger habe seine Brüder gegebenenfalls zu "beteiligen", möglicherweise dahin zu verstehen, daß der Kläger gewisse Zahlungen an seine Brüder leisten soll; das hat das Berufungsgericht zutreffend gesehen. Zu derartigen Zahlungen soll der Kläger auch aus dieser Sicht aber eben nicht stets, sondern nur unter ganz besonderen Umständen ("Sollte Fritz die Gärtnerei ...") gehalten sein. Dieser Gesichtspunkt spricht entgegen der Annahme des Berufungsgerichts mehr für die Annahme eines Vermächtnisses. Einen Rechtssatz, der es geböte, im Rahmen der Auslegung die eine Möglichkeit der anderen vorzuziehen, gibt es freilich nicht.
Daß dem Testament unter diesem Blickwinkel nicht entnommen werden könnte, in welchem Verhältnis der Kläger seine Brüder an dem Wert des Grundstücks oder am Verkaufserlös zu beteiligen hätte, wie das Berufungsgericht meint, erscheint fragwürdig. Wenn es dem Erblasser darauf angekommen sein sollte, den Kläger nur solange im alleinigen Genuß des besonders wertvollen Gärtnereigrundstücks zu belassen, wie er das Grundstück nicht unter Aufgabe der Gärtnerei "anderweitig zu Geld machte"), was jedenfalls nicht fernliegt, dürfte eine vom Erblasser für diesen Fall gewollte finanzielle "Beteiligung" der Brüder danach zu bemessen sein, daß diese unter Berücksichtigung des Wertes "ihrer" Grundstücke nachträglich möglichst gleichgestellt werden.
Unterschriften
Dr. Hoegen
Rottmüller
Dehner
Dr. Schmidt-Kessel
Dr. Zopfs
Fundstellen