Verfahrensgang
KG Berlin (Urteil vom 22.12.1972) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 22. Dezember 1972 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger übernahm am 1. Mai 1964 als Vermittlungsagent eine Versicherungsvertretung der Beklagten in B. (West). § 6 des Vertretungsvertrages vom 2. Mai 1964 lautet:
„Der „Vertreter” verpflichtet sich, während der Dauer des Vertragsverhältnisses nur für die „A.” tätig zu sein. … Will er während der Dauer des Vertragsverhältnisses für ein anderes Versicherungsunternehmen unmittelbar oder mittelbar tätig werden, bedarf es hierzu der schriftlichen Zustimmung der „A.” Ein Verstoß gegen die vorstehende Bestimmung … ist ein wichtiger Grund zur Kündigung dieses Vertrages.”
Der Kläger wickelte seine Geschäfte überwiegend in einem vor dem Kraftverkehrsamt B. aufgestellten Wohnwagen ab. Seine Kunden waren zumeist Ausländer.
Mit Rundschreiben vom 20. August 1970 versandte die Beklagte „Richtlinien für das Ausländergeschäft”. Sie untersagte darin jede Werbung für Kraftfahrzeugversicherungen in diesem Personenkreis, lehnte dafür auch eine Provision ab und gab Weisung, unter welchen Ausnahmebedingungen derartige Versicherungsanträge noch angenommen werden dürften. Mit Schreiben vom 11. Juni 1971 forderte sie den Kläger wegen Nichtbeachtung der Richtlinien auf, nur K-Verträge abzuschließen, die die Bedingungen erfüllten, und behielt sich weitere Maßnahmen vor, falls der Kläger ihren Aufforderungen zuwiderhandeln sollte. Sie wiederholte ihre Weisung mit „Kurzantwort” vom 30. November 1971 auf einen vom Kläger eingereichten Antrag.
Von November 1971 an vermittelte der Kläger jene Antragsteller, deren Anträge der Beklagten unerwünscht waren, an die L.-Unfall-Versicherung. Er traf mit dieser eine Vereinbarung über Einmai-Provisionen. Mit Schreiben vom 13. Dezember 1971 kündigte die Beklagte den Vertretungsvertrag fristlos unter Hinweis auf die wiederholte Vermittlung von Versicherungsverträgen an ein Konkurrenzunternehmen. Mit Antwortschreiben vom 19. und 22. Dezember 1971 wies der Kläger die fristlose Kündigung zurück und forderte die Zustimmung der Beklagten zur Vermittlung ihr unerwünschter Verträge an einen anderen Versicherer.
Der Kläger hat die Feststellung begehrt, daß der Vertretungsvertrag vom 2. Mai 1964 über den 14. Dezember 1971 hinaus fortbestehe.
Landgericht und Oberlandesgericht haben die Feststellungsklage abgewiesen.
Mit der – zugelassenen – Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt der Kläger seinen Feststellungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Das Berufungsgericht führt aus: Der Kläger habe unstreitig während des mit der Beklagten bestehenden Vertretungsvertrages entgegen dessen ausdrücklicher Regelung in § 6, wonach eine Tätigkeit für ein anderes Versicherungsunternehmen der schriftlichen Zustimmung der Beklagten bedarf, Versicherungen für die I.-Unfall vermittelt. Durch dieses Verhalten habe er zu einer Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses zwischen den Parteien in einem so starken Maße beigetragen, daß der Beklagten ein Festhalten am Vertrag nicht mehr zugemutet werden könne, weil ein gedeihliches Zusammenarbeiten nicht mehr erwartet werden könne. Die fristlose Kündigung der Beklagten vom 13. Dezember 1971 sei daher begründet.
Die dagegen gerichteten Angriffe der Revision bleiben ohne Erfolg.
1. Das Revisionsgericht kann die Entscheidung des Tatrichters darüber, ob ein wichtiger Kündigungsgrund bestanden hat, nur beschränkt nachprüfen, nämlich darauf, ob der Tatrichter den Rechtsbegriff des wichtigen Grundes verkannt, wesentliche Umstände übersehen oder nicht vollständig gewürdigt, Erfahrungssätze verletzt hat oder ob ihm sonst gerügte Verfahrensverstöße unterlaufen sind (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z.B. Urteile vom 8. Juni 1961 – VII ZR 55/60 – = VersR 1961, 825; 30. Juni 1969 – VII ZR 70/67 – = HVR 399; 23. September 1971 – VII ZR 298/69). Es kommt hinzu, daß die Parteien hier im Vertrag ausdrücklich vereinbart hatten, ein Verstoß gegen das Konkurrenzverbot solle ein wichtiger Grund zur Kündigung des Vertrages sein. Das rechtfertigt es, bei der Prüfung, ob der Unternehmer mit der Kündigung etwa wider Treu und Glauben handelt, einen besonders strengen Maßstab anzulegen (BGH, Urteil vom 20. Oktober 1955 – II ZR 75/54 – = BB 1956, 95).
2. Ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht das Verhalten des Klägers als schwerwiegenden Verstoß gegen seine Vertragspflichten gewertet.
a) Ein vertragliches Konkurrenzverbot mag zwar unter besonderen Umständen einschränkend dahin auszulegen sein, daß es das Tätigwerden des Vertreters für eine andere Versicherung in bestimmten eng begrenzten Fällen nicht umfaßt, etwa dann, wenn die Versicherungsgesellschaft eine Liste unerwünschter Risiken aufgestellt und – woran es hier fehlt – zu erkennen gegeben hat, der Versicherungsvertreter dürfe diese Risiken anderweit unterbringen (vgl. Brück/Möller, VVG, 8. Aufl. S. 673). Der Vertreter darf dann das vertragliche Verbot insoweit als aufgehoben betrachten.
Es mag auch sein, daß die Versicherungsgesellschaft, die unerwünschte Risiken in einem für den Vertreter unzumutbaren Umfang zurückweist, diesem billigerweise gestatten muß, diese Anträge bei einem anderen Versicherer unterzubringen, wenn der Vertreter darum nachsucht, was der Kläger jedoch nicht getan hat.
b) In jedem Fall wird eine Versicherungsgesellschaft aber entscheidenden Wert darauf legen, daß ihr Vertreter solche Geschäfte mit einem Konkurrenzunternehmen nicht heimlich hinter ihrem Rücken betreibt, ohne sie vorher zu fragen und ihre Erlaubnis einzuholen. Denn die Versicherungsgesellschaft will selbst entscheiden, ob diese Nebengeschäfte ihres Vertreters ihre Interessen tatsächlich nicht gefährden, wie der Vertreter meint. Hier hat der Kläger heimlich und hinter dem Rücken der Beklagten gehandelt. Darin liegt ein schwerwiegender schuldhafter Vertragsverstoß, der das Vertrauen der Beklagten zu ihm, wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei feststellt, endgültig zerstört hat, und der durch eigene Vertragsverstöße der Beklagten weder gerechtfertigt noch entschuldigt werden kann.
c) Der Senat hat wiederholt entschieden, daß sogar ohne vertragliches Wettbewerbsverbot der Handelsvertreter verpflichtet ist, den Unternehmer von der Übernahme einer weiteren Vertretung in derselben Branche zu unterrichten, und daß die Unterlassung einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung des Vertrages auch dann darstellen kann, wenn der Unternehmer nicht geschädigt worden ist (vgl. BGHZ 42, 59, 61 m.N.; Urteile vom 21. März 1966 – VII ZR 116/64 –; vom 25. April 1966 – VII ZR 89/64 – und vom 27. Oktober 1966 – VII ZR 158/64 –).
d) Ist – wie hier – jede Tätigkeit für ein Konkurrenzunternehmen ausdrücklich untersagt und im Vertrag bestimmt, daß ein Verstoß dagegen einen wichtigen Grund zur Kündigung darstellt, so ist die Einreichung unerwünschter Risiken bei einem anderen Versicherer ohne Zustimmung des Unternehmers eine schwerwiegende Vertragsverletzung, die auch durch – möglicherweise rechtswidrige – Weisungen des Unternehmers nicht gerechtfertigt oder entschuldigt wird.
e) Der Umstand, daß die Beklagte dem Versicherungsvertreter F. die erbetene Genehmigung, unerwünschte Kraftfahrzeugrisiken anderweit unterzubringen, erteilt, sie dem Vertreter S. aber versagt hat, zeigt, daß die Beklagte Anlaß gesehen hat, ihre Entscheidung von den Umständen des Einzelfalls abhängig zu machen. Daß dies willkürlich geschehen wäre, hat der Kläger nicht vorgetragen.
f) Nach alledem war dem Kläger zuzumuten, nicht nur gegen die Anweisungen der Beklagten zu protestieren und deren Änderung zu verlangen, was er vergeblich getan zu haben behauptet und das Berufungsgericht unterstellt, sondern auch um die in § 6 des Vertretungsvertrages vorgesehene Zustimmung der Beklagten zu anderweitiger Unterbringung der unerwünschten Risiken zu bitten, wie er es dann schließlich im Schreiben vom 22. Dezember 1971 nach der fristlosen Kündigung der Beklagten – zu spät – getan hat.
Wie die Rechtslage wäre, wenn der Kläger die Zustimmung der Beklagten vorher erbeten und die Beklagte sie abgelehnt hätte, braucht hier nicht entschieden zu werden.
3. Das Berufungsgericht stellt fest, daß auch die Beklagte sich vertragswidrig verhalten habe, so daß beide Seiten zur Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses beigetragen hätten.
a) Das Berufungsgericht läßt dabei nicht außer acht, daß für die Entscheidung, ob einem Vertragsteil die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses noch zuzumuten ist, im Rahmen der Gesamtwürdigung aller Umstände sein eigenes Verhalten eine erhebliche Rolle spielt (BGHZ 44, 271, 275). Ein für die fristlose Kündigung des Vertretervertrages vorgebrachter Grund kann an Gewicht verlieren, wenn das vorgeworfene vertragswidrige Verhalten des Kündigungsgegners in engem Zusammenhang mit einem vertragswidrigen Verhalten des Kündigenden steht (BGH, Urteile vom 11. November 1963 – VII ZR 109/62 – und vom 26. Mai 1966 – VII ZR 11/65 –). Falls der Vertragsverstoß des Kündigungsgegners die unmittelbare Folge des vertragswidrigen Verhaltens des Kündigenden ist, kann trotz einer gewissen Störung des Vertrauensverhältnisses die fristlose Kündigung unter Umständen nicht gerechtfertigt sein (BGH, Urteil vom 9. Juli 1959 – II ZR 48/58 – = VersR 1959, 887, 888; vgl. auch Schröder, Recht der Handelsvertreter, 5. Aufl. § 89 a Rn. 10 a). Ein innerer Zusammenhang zwischen den Verhaltensweisen der Vertragspartner schließt aber eine fristlose Kündigung dann nicht aus, wenn das für eine gedeihliche Zusammenarbeit erforderliche Vertrauensverhältnis, wenn auch von beiden Seiten, so sehr untergraben worden ist, daß dem Kündigenden, auch unter angemessener Berücksichtigung seiner eigenen Unkorrektheiten, ein Festhalten am Vertrag nicht mehr zugemutet werden kann (BGH, Urteil vom 26. Mai 1966 – VII ZR 11/65 –).
b) Im vorliegenden Fall läßt die vom Berufungsgericht vorgenommene Gesamtwürdigung Rechtsfehler zu Lasten des Klägers nicht erkennen. Mag dieser auch die Weisungen der Beklagten zu Recht als eine schwer erträgliche Einschränkung seiner Geschäftsmöglichkeiten empfunden haben, so ist das Vertrauensverhältnis der Parteien doch entscheidend erst durch seine heimliche Zusammenarbeit mit der Konkurrenz, durch sein Handeln hinter dem Rücken der Beklagten so stark untergraben worden, daß nach den Feststellungen des Berufungsgerichts eine gedeihliche und sinnvolle weitere Zusammenarbeit der Parteien nicht mehr erwartet werden konnte.
Die Revision des Klägers ist daher mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückzuweisen.
Unterschriften
Vogt, Erbel, Girisch, Recken, Doerry
Fundstellen