Leitsatz (amtlich)
Wird bei der Bestellung eines Aufsichtsratsmitglieds unter Verstoß gegen Vorschriften, die im öffentlichen Interesse gegeben sind, zugleich beschlossen, unter welchen Voraussetzungen es sein Amt wieder verliert, so ist nur dieser Teil des Beschlusses nichtig, falls feststeht, daß auch ohne ihn das Aufsichtsratsmitglied von den Gesellschaftern bestellt worden wäre.
Tatbestand
Der Kläger ist Aktionär der verklagten Aktiengesellschaft. Deren ordentliche Hauptversammlung bestellte am 10. Juni 1985 für die restliche Amtszeit des mit dem Ende der Versammlung ausscheidenden Aufsichtsratsmitglieds S. Dr. B. zum ordentlichen Mitglied des Aufsichtsrats und zwei weitere Herren, die bereits Ersatzmitglieder für die übrigen Aufsichtsratsmitglieder waren, auch zu dessen Ersatzmitgliedern. Im Hinblick auf diese Ersatzmitglieder heißt es in dem Beschluß:
Diese sollen in der genannten Reihenfolge Mitglieder des Aufsichtsrats werden, wenn das jetzt zur Wahl vorgeschlagene Mitglied aus dem Aufsichtsrat ausscheidet und die Hauptversammlung nicht vor dem Ausscheiden einen Nachfolger wählt. Die Amtszeit eines in den Aufsichtsrat nachgerückten Ersatzmitglieds soll mit dem Schluß der Hauptversammlung enden, in der die Neuwahl eines Vertreters der Anteilseigner für das ausgeschiedene Aufsichtsratsmitglied erfolgt, spätestens mit dem Zeitpunkt, zu dem die Amtszeit des wegfallenden Aufsichtsratsmitglieds abgelaufen wäre.
Der Kläger erklärte gegen den Beschluß Widerspruch zu Protokoll.
Er klagte auf Feststellung, daß die am 10. Juni 1985 beschlossenen Wahlen zum Aufsichtsrat insgesamt nichtig sind. Das Landgericht hat durch Versäumnisurteil die Klage abgewiesen und dieses Urteil nach Einspruch aufrechterhalten. Der Kläger hat in der Berufungsinstanz zusätzlich hilfsweise beantragt festzustellen, daß Dr. G. nicht mehr Ersatzmitglied für die am 10. Juni 1983 gewählten und noch im Amt befindlichen Aufsichtsratsmitglieder ist. Das Berufungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Der Senat hat die Revision des Klägers nur angenommen, soweit dieser sich dagegen wendet, daß die Amtszeit eines nachgerückten Ersatzmitglieds mit der Neuwahl eines ordentlichen Mitglieds endet. In diesem Umfange verfolgt der Kläger mit der Revision seinen Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg.
1. Bedenken gegen die Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage bestehen nicht. Zwar hat die Beklagte behauptet, der Kläger habe im Dezember 1986 fünf Aktien veräußert und sei seitdem im Aktienbuch nicht mehr verzeichnet. Sie hat den Kläger aber unstreitig zur Hauptversammlung am 27. Mai 1987 eingeladen, weil er zwei im Aktienbuch eingetragene Aktien besitze. Da die Beklagte diesen Widerspruch nicht aufgeklärt hat, geht der Senat davon aus, daß die an Hand des Aktienbuchs erfolgte Einladung der wahren Sachlage entspricht, der Kläger also mit zwei Aktien nach wie vor Aktionär ist.
2. Ein Beschluß der Gesellschafterversammlung, der – wie in diesem Falle – vorsieht, daß ein in den Aufsichtsrat nachgerücktes Ersatzmitglied wieder ausscheidet, falls für das Aufsichtsratsmitglied, dem es nachgefolgt ist, ein Nachfolger gewählt wird, verstößt nach der Rechtsprechung des Senats gegen Vorschriften, die im öffentlichen Interesse gegeben sind, falls die Satzung nicht abweichend von der gesetzlichen Regelung für die Bestellung und die Abberufung aller (und nicht nur der aus der Ersatzmitgliedschaft nachgefolgten) Aufsichtsratsmitglieder dieselbe Stimmenmehrheit vorschreibt. Fehlt eine dahingehende Satzungsbestimmung, so wären die aus der Ersatzmitgliedschaft nachgefolgten Aufsichtsratsmitglieder mittels Neuwahl, die mit einfacher Mehrheit erfolgt (§ 133 Abs. 1, § 101 Abs. 1 AktG), leichter abwählbar als die übrigen Mitglieder, die nur mit einer Mehrheit von 3/4 der abgegebenen Stimmen aus dem Amt entfernt werden können (§ 103 Abs. 1 Satz 2 AktG). Darin läge ein Verstoß gegen den Grundsatz der individuell gleichen Berechtigung und Verantwortung aller Aufsichtsratsmitglieder, der es erfordert, daß alle von den Anteilseignern zu wählenden Aufsichtsratsmitglieder die gleiche sichere Rechtsstellung haben, also nicht mit unterschiedlichen Mehrheiten abberufen werden können (vgl. Sen.Urt. v. 15. Dezember 1986 – II ZR 18/86, WM 1987, 206, 207). Folge des Verstoßes ist die Nichtigkeit einer solchen Regelung (vgl. Sen.Urt. v. 29. Juni 1987 – II ZR 242/86, WM 1987, 1070).
Die von der Hauptversammlung der Beklagten beschlossene Möglichkeit, das nachgefolgte Ersatzmitglied durch Neuwahl aus dem Amt zu entfernen, verstößt gegen den genannten Grundsatz. Wie das Berufungsgericht zutreffend festgestellt hat, faßt die Hauptversammlung der Beklagten ihre Beschlüsse gemäß § 11 Abs. 3 der Satzung mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen, wenn gesetzlich nichts anderes vorgesehen ist. Da § 103 Abs. 1 Satz 2 AktG für die Abberufung eine andere Mehrheit vorsieht als § 133 Abs. 1 i.V.m. § 101 AktG für die Bestellung, können nicht beide Rechtsfolgen in einem Abstimmungsvorgang gleichzeitig beschlossen werden; da der Beschluß dergleichen zuläßt, ist er insoweit nichtig.
Das Berufungsgericht geht zwar auch von diesen rechtlichen Überlegungen aus; es hat aber gleichwohl nicht auf Nichtigkeit erkannt, weil nach seiner Meinung der Wahlbeschluß nicht in der Weise zerlegt werden kann, daß zwar die Wahl der Ersatzmitglieder möglich, ihre Abberufung durch Neuwahl eines ordentlichen Aufsichtsratsmitglieds aber ausgeschlossen sei; wegen dieser Einheit und weil es alle Nichtigkeitsgründe des § 250 AktG ausgeschlossen hat, hat das Berufungsgericht der Berufung des Klägers insgesamt nicht stattgegeben. Seine Ansicht, eine Teilnichtigkeit sei zu verneinen, ist rechtlich nicht haltbar.
Der Zweck, der mit der Bestellung von Ersatzmitgliedern in einer mitbestimmten Gesellschaft – wie der verklagten – verfolgt wird, läßt nur den Schluß zu, daß die Gesellschafter die Ersatzmitglieder auch ohne den nichtigen Teil des Beschlusses bestellt hätten. Die Ersatzmitgliedschaft soll in einer mitbestimmten Gesellschaft gewährleisten, daß der Aufsichtsrat im Falle des Wegfalls eines Aufsichtsratsmitglieds durch sofortiges Nachrücken des Ersatzmitglieds lückenlos paritätisch besetzt bleibt. Dieser Zweck schließt es aus, daß die Gesellschafter allein deshalb von der Bestellung eines Ersatzmitglieds abgesehen hätten, weil sie es aus rechtlichen Gründen nicht in der Weise abberufen können, daß sie für das Mitglied, dem es nachgefolgt ist, einen Nachfolger wählen. Das gilt um so mehr, als das Ersatzmitglied nur gleichzeitig mit dem Mitglied bestellt werden kann, an dessen Stelle es einmal treten soll (§ 101 Abs. 3 Satz 3 AktG), so daß die Bestellung zu keinem späteren Zeitpunkt hätte nachgeholt werden können. Auf der anderen Seite können die Gesellschafter die mit dem nichtigen Teil bezweckten Ziele ohne weiteres in der Weise erreichen, daß sie das nachgefolgte Ersatzmitglied mit qualifizierter Mehrheit abberufen und an seiner Stelle ein anderes ordentliches Mitglied bestellen. Selbst wenn wegen zementierter Mehrheitsverhältnisse die für eine Abberufung erforderliche 3/4-Mehrheit regelmäßig nicht zu erlangen wäre und deshalb das Ersatzmitglied bis zum Ende der Amtszeit des Mitglieds im Aufsichtsrat bliebe, dem es nachgefolgt ist, würde dieser Umstand an dem Willen der Gesellschafter nichts ändern, der Gefahr, mit ihren Vertretern im Aufsichtsrat in die Minderheit zu geraten, dadurch zu begegnen, daß sie für das neu bestellte ordentliche Mitglied sogleich Ersatzmitglieder bestellten. Nach alledem ist allein die Nichtigkeit der beanstandeten Klausel festzustellen.
Fundstellen
Haufe-Index 647962 |
NJW 1988, 1214 |
ZIP 1988, 432 |
DNotZ 1990, 115 |