Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterhaltsanspruch eines volljährigen Kindes
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Verwirkung des Unterhaltsanspruchs eines volljährigen Kindes in Fällen, in denen seit dem 14. Lebensjahr des Kindes kein persönlicher Kontakt zwischen ihm und dem auf Unterhalt in Anspruch genommenen Elternteil stattgefunden hat.
Der Rechtsgedanke des § 1577 Abs. 2 BGB ist auch im Verwandten-Unterhaltsrecht entsprechend anwendbar; hier entschieden für Einkünfte eines Studenten aus einer Nebenbeschäftigung, die er – in den ersten Studiensemestern – aufgenommen hat, nachdem er seit längerer Zeit keinen Unterhalt von dem unterhaltsverpflichteten Elternteil erhalten hatte.
Normenkette
BGB § 1611 Abs. 1, § 1577 Abs. 2
Verfahrensgang
OLG Karlsruhe (Urteil vom 11.11.1993) |
AG Heidelberg |
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des 16. Zivilsenats – Senat für Familiensachen – des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 11. November 1993 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die am 13. Juni 1973 geborene Klägerin ist die Tochter des Beklagten aus dessen im Jahre 1981 geschiedener Ehe. Sie nimmt den Beklagten auf Unterhalt in Anspruch.
Im Ehescheidungsurteil war die elterliche Sorge für die Klägerin der Mutter übertragen worden, bei der sie – und ihr 1966 geborener Bruder – damals und in der Folgezeit lebten. Im Mai 1992 legte die Klägerin das Abitur ab. Am 14. Mai 1992 erlitt sie einen schweren Verkehrsunfall, an dessen Folgen sie noch im Juli 1992 zu tragen hatte. Am 14. September 1992 wurde sie für das Wintersemester 1992/1993 an der Universität Heidelberg immatrikuliert. Sie zog im September 1992 aus der Wohnung ihrer Mutter aus und mietete zunächst ein möbliertes Zimmer in Wiesenbach. Im März 1993 zog sie in eine Wohnung nach Wiesloch.
Im Rahmen des Ehescheidungsverfahrens hatte sich der Beklagte u. a. verpflichtet, für die Klägerin monatlich 320 DM Unterhalt unter Anrechnung des anteiligen Kindergeldes zu zahlen. Er erhöhte die Zahlungen im Lauf der Zeit bis auf monatlich 400 DM und kam seiner Unterhaltsverpflichtung bis einschließlich Juli 1991 nach. Mit Schreiben vom 19. Juli 1991 forderte die inzwischen volljährig gewordene Klägerin den Beklagten auf, ihr Auskunft über seine Einkünfte zu erteilen. Sie erhielt die Auskunft am 30. Juli 1991. Mit Anwaltsschreiben vom 26. September 1991 bezifferte sie sodann ihren Unterhaltsanspruch auf monatlich (525 DM abzüglich 25 DM Kindergeld) 500 DM. Der Beklagte leistete jedoch seit August 1991 keine weiteren Zahlungen.
Der Beklagte verfügt über ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen von 3.430 DM. Die Mutter der Klägerin, die ebenfalls einer Erwerbstätigkeit nachgeht, verdient monatlich durchschnittlich 2.385 DM. Mit Rücksicht auf diese Einkünfte der Eltern wurde ein von der Klägerin nach Aufnahme des Studiums gestellter Antrag auf Ausbildungsförderung abgelehnt. Die Klägerin nahm Mitte November 1992 eine Nebentätigkeit auf, die sie bis zum 5. Juli 1993 ausübte; sie erzielte daraus insgesamt rund 3.950 DM.
Mit der im Februar 1992 eingereichten Klage nimmt die Klägerin den Beklagten auf Unterhaltsrückstände in Höhe von 3.500 DM für die Zeit von August 1991 bis einschließlich Februar 1992 sowie ab März 1992 auf laufenden Unterhalt in Anspruch, den sie zunächst in Höhe von monatlich 675 DM geltend gemacht hat. Sie hat den Unterhalt nach dem Einkommen des Beklagten unter Zugrundelegung der Düsseldorfer Tabelle für einen nur gegenüber einem Kind unterhaltspflichtigen Elternteil unter Berücksichtigung des Volljährigenzuschlages mit 700 DM ermittelt und darauf einen Kindergeldanteil von 25 DM angerechnet.
Der Beklagte hält sich nicht für verpflichtet, über die Volljährigkeit der Klägerin hinaus Unterhalt an sie zu zahlen.
Er hat u. a. geltend gemacht, die Klägerin habe den Unterhaltsanspruch gemäß § 1611 BGB verwirkt. Denn sie lehne seit ihrem 14. Lebensjahr jeden Kontakt zu ihm ab und sehe ihn lediglich als „Zahlvater” an. Dem ist die Klägerin entgegengetreten.
Das Amtsgericht – Familiengericht – hat den Beklagten – unter Abweisung des weitergehenden Begehrens – verurteilt, an die Klägerin für die Zeit vom 1. August 1991 bis zum 30. Juni 1992 monatlich 500 DM sowie ab 1. Juli 1992 monatlich 615 DM Unterhalt zu zahlen. Das Gericht hat eine Verwirkung des Unterhaltsanspruchs der Klägerin verneint und bei der Ermittlung der Höhe des von dem Beklagten zu zahlenden Betrages auch die anteilige Unterhaltsverpflichtung der Mutter der Klägerin berücksichtigt.
Gegen das Urteil hat der Beklagte Berufung eingelegt. Im Verlauf des Berufungsverfahrens hat er zusätzlich geltend gemacht, die Klägerin müsse sich das Einkommen aus ihrer zwischenzeitlich aufgenommenen Nebentätigkeit auf einen etwaigen Unterhaltsanspruch anrechnen lassen.
Das Oberlandesgericht hat die Berufung zurückgewiesen (das Urteil ist teilweise in FamRZ 1994, 1278 veröffentlicht). Mit der – zugelassenen – Revision verfolgt der Beklagte sein Begehren auf Abweisung der Klage weiter.
Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg
I.
Das Berufungsgericht hat es abgelehnt, den der Klägerin zustehenden Unterhalt wegen grober Unbilligkeit gemäß § 1611 Abs. 1 BGB auszuschließen oder herabzusetzen.
1. Dazu hat es ausgeführt: Soweit der Beklagte seine unterhaltsrechtliche Inanspruchnahme schon deshalb für grob unbillig halte, weil die Klägerin seit ihrem 14. Lebensjahr den persönlichen Umgang mit ihm abgelehnt habe, sei dieses aus der Zeit ihrer Minderjährigkeit stammende Verhalten nicht geeignet, ihren Unterhaltsanspruch zu beeinträchtigen. Auch wenn es hier nicht um den Anspruch eines minderjährigen Kindes gehe, auf den § 1611 Abs. 1 BGB nach Abs. 2 der Vorschrift ohnehin nicht anzuwenden sei, könne ein aus der Zeit der Minderjährigkeit herrührendes Fehlverhalten eines Kindes diesem nach dem Sinn und Zweck des § 1611 BGB auch später beim Verfolgen eines Anspruches auf Ausbildungsunterhalt im Erwachsenenalter nicht entgegengehalten werden.
Diese Auffassung steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil vom 4. November 1987 – IVb ZR 75/86 = FamRZ 1988, 159, 163) und wird auch von der Revision nicht angegriffen.
2. a) Im Verhalten der Klägerin nach Vollendung ihres 18. Lebensjahres hat das Berufungsgericht keine hinreichenden Gründe für einen Ausschluß oder eine Herabsetzung ihres Unterhaltsanspruchs nach § 1611 Abs. 1 BGB gesehen. Zwar habe die Klägerin dem Beklagten nur zu seinem Geburtstag im November 1991 einen brieflichen Gruß mit ihrem Foto gesandt. Der Beklagte habe sich aber seinerseits nicht um einen Kontakt zu ihr bemüht und ihr auch nicht zum 18. Geburtstag gratuliert, der immerhin ihre Volljährigkeit begründet habe. Die Vollendung ihres 18. Lebensjahres habe er nur insoweit wahrgenommen, als er ab August 1991 jegliche Unterhaltszahlung eingestellt habe, obwohl ihm bekannt gewesen sei, daß die Klägerin noch das Gymnasium besucht habe. Unter solchen Umständen könne einem Kind, das ohnehin – menschlich nicht unverständlich – mehr auf der Seite des bisher betreuenden Elternteils stehe, nicht vorgehalten werden, sein Verhalten begründe den Tatbestand einer groben Unbilligkeit im Sinne von § 1611 Abs. 1 BGB.
b) Gegenüber diesen Ausführungen rügt die Revision, das Berufungsgericht habe übersehen, dass der Beklagte seine Unterhaltszahlungen erst eingestellt habe, nachdem die Klägerin mit Schreiben vom 19. Juli 1991 Auskunft über seine Einkünfte verlangt, ihrerseits aber nichts über ihre Zukunftspläne und ihren Werdegang mitgeteilt habe. Der Beklagte habe mithin gute Gründe habe mithin gute Gründe für sein Verhalten gehabt. Der Umstand, dass der Klägerin weder zum 18. Geburtstag gratuliert, noch sich später um einen Kontakt zu ihr bemüht habe, könne die Klägerin nicht entlasten. Auf der Karte vom November 1991 habe sie angekündigt, sich im Februar nach dem schriftlichen Abitur zu melden. Diese Ankündigung habe sie dann durch Erhebung der Unterhaltsklage wahr gemacht. Unabhängig hiervon habe der Beklagte vor dem Hintergrund der jahrelangen Ablehnung durch die Klägerin nicht auf einen ernsthaften Kontakt mit ihm schließen können. Überdies sei es die Klägerin, die von dem Beklagten etwas wolle. Gerade deshalb sei zumindest seit Eintritt der Volljährigkeit von ihr zu fordern, dass sie die Initiative ergreife. Der briefliche Gruß von November 1991 sei hierbei nicht ausreichend gewesen.
c) Diese Ausführungen der Revision sind nicht geeignet, der Entscheidung des Berufungsgerichts die Grundlage zu entziehen.
Wenn die Klägerin dem Beklagten im Juli 1991 keine Angaben über ihre Zukunftspläne und ihren Werdegang machte, so ist dies so zu beachten, dass sie damals, wie der Beklagte wußte, noch die Schule besuchte und erst im folgenden Jahr das Abitur ablegen wollte. Ihr Unterhaltsbegehren und die darauf zielende Bitte um Auskunft über die Einkünfte des Beklagten bezogen sich zunächst auf den Zeitraum ihres weiteren Schulbesuchs.
Die Einreichung der Unterhaltsklage im Februar 1992 war nicht das Anwaltsschreiben vom 26. September 1991 war, sondern auch eine weitere Mitteilung vom 14. November 1991 mit Übersendung der erbetenen Bescheinigung über den Schulbesuch der Klägerin vorausgegangen. Nachdem der Beklagte trotz Erhalt dieser Mitteilungen seit August 1991 keinen Unterhalt an die als Schülerin weiterhin unterhaltsbedürftige und auf seine Zahlungen angewiesene Klägerin geleistet hat, stellte sich die gerichtliche Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs nach Ablauf von rund sieben Monaten nicht als Fehlverhalten der Klägerin im Sinne von § 1611 Abs. 1 BGB dar.
Schließlich ist auch der Auffassung der Revision zu der nicht ausreichenden Kontaktbereitschaft der Klägerin als Grund für eine Herabsetzung oder einen Ausschluß des Unterhaltsanspruchs -zumal die Klägerin von dem Beklagten "etwas "wolle - unter den gegebenen Umständen nicht zu folgen.
Sowohl in der Rechtsprechung, insbesondere der Oberlandesgerichte, als auch im Schrifttum werden unterschiedliche Ansichten dazu vertreten, ob und unter welchen Voraussetzungen die mangelnde Bereitschaft eines volljährigen Kindes zum persönlichen Kontakt mit dem auf Unterhalt in Anspruch genommenen Elternteil als schwere Verfehlung im Sinne von § 1611 Abs. 1 BGB anzusehen sein kann (vgl. etwa OLG Frankfurt am Main – 1. Familiensenat – FamRZ 1990, 789; OLG Frankfurt am Main – 2. Familiensenat in Kassel – FamRZ 1991, 1477; OLG Bamberg – 7. Zivilsenat – FamRZ 1991, 1476 und FamRZ 1992, 717; OLG München FamRZ 1992, 595; sowie Ewers FamRZ 1992, 719; Schütz FamRZ 1992, 1338 und Breiholdt NJW 1993, 305 sämtlich zu OLG Bamberg FamRZ 1992, 717; MünchKomm/Köhler BGB 3. Aufl. § 1611 Rdn. 6a; Griesche in FamGb § 1611 Rdn. 8). Dabei gehen insbesondere das Oberlandesgericht München und der 2. Familiensenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main in Kassel ebenso wie Griesche davon aus, daß eine Minderung des Unterhaltsanspruchs aus solchem Grund nur in seltenen Ausnahme fällen, bei Hinzutreten weiterer gravierender Umstände – wie sie das Oberlandesgericht Bamberg in dem von ihm in FamRZ 1992, 717 entschiedenen Fall wohl als gegeben angenommen hat – in Erwägung zu ziehen sein wird. Zur Begründung dieser Auffassung wird u. a. darauf hingewiesen, daß es einem Kind in der Regel nicht als schwerer Schuldvorwurf angelastet werden könne, wenn es „während seiner Minderjährigkeit durch die Trennungsgeschichte seiner Eltern und unter dem Einfluß des sorgeberechtigten Elternteils in eine Konfrontationshaltung zu dem unterhaltsverpflichteten Elternteil hineinwächst und diese Haltung auch über die Volljährigkeit hinaus beibehält” (OLG Frankfurt am Main – 2. Familiensenat in Kassel – aaO; vgl. auch Ewers aaO), zumal solche Beziehungsstörungen „durch die Reife und Verselbständigung des Kindes nicht ohne weiteres behoben werden” (OLG München aaO S. 597; in diesem Sinn auch Deisenhofer in Heiß, Unterhaltsrecht 12.61).
Demgegenüber betonen vor allem das Oberlandesgericht Bamberg (aaO) und der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (aaO S. 789), daß ein erwachsenes, Unterhalt forderndes Kind grundsätzlich als einsichtsfähig zu gelten habe und für sein Verhalten im Rahmen von § 1611 Abs. 1 BGB verantwortlich zu machen sei.
Diese Überlegung kann es indessen nicht rechtfertigen, den gesetzlich normierten Maßstab einer vorsätzlichen schweren Verfehlung des Unterhaltsberechtigten zu verlassen und schon die Ablehnung jeder persönlichen Kontaktaufnahme zu dem unterhaltsverpflichteten Elternteil allein oder auch in Verbindung mit unhöflichen und unangemessenen Äußerungen diesem gegenüber als Grund für eine Herabsetzung oder den Ausschluß des Unterhalts nach § 1611 Abs. 1 BGB zu bewerten (vgl. dazu Senatsurteil vom 24. Oktober 1990 – XII ZR 124/89 = FamRZ 1991, 322, 323). Noch weniger kann ein Fehlverhalten im Sinne dieser Vorschrift darin gesehen werden, daß das unterhaltsberechtigte Kind, wie es hier seit dem 14. Lebensjahr der Klägerin offensichtlich der Fall war, die Beziehungen zu dem unterhaltsverpflichteten Elternteil über Jahre hinweg einschlafen läßt.
Die Annahme einer vorsätzlichen schweren Verfehlung des Unterhalt begehrenden Kindes setzt im übrigen grundsätzlich eine umfassende Abwägung aller maßgeblichen Umstände voraus, die auch das eigene Verhalten des unterhaltsverpflichteten Elternteils – und zwar sowohl gegenüber dem Kind als auch gegebenenfalls gegenüber dem geschiedenen Elternteil, der das Kind jahrelang versorgt und betreut und bei dem dieses seit seiner Minderjährigkeit gelebt hat – angemessen zu berücksichtigen hat (vgl. Senatsurteil vom 24. Oktober 1990 aaO). Auch unter diesem Gesichtspunkt hat das Oberlandesgericht die Voraussetzungen des § 1611 Abs. 1 BGB für den vorliegenden Fall rechtsfehlerfrei verneint. Der Beklagte hat nämlich, worauf das Berufungsgericht im Rahmen der von ihm vorgenommenen Abwägung nach § 1611 Abs. 1 BGB zutreffend abgehoben hat, der Klägerin nicht einmal zu ihrem 18. Geburtstag gratuliert, und er hat von sich aus keine Anteilnahme an ihren Ausbildungs- und Zukunftsplänen gezeigt. Darüber hinaus ist er, wie die Klägerin unbestritten vorgetragen hat, aus Anlaß des Termins vor dem Familiengericht vom 24. Juli 1992 vor der Verhandlung „mit wüsten Beschimpfungen über die Mutter der Klägerin hergezogen”, hat dieses Verhalten trotz Zuredens seines Prozeßbevollmächtigten fortgesetzt und auch der Klägerin selbst Vorhaltungen wegen ihrer guten Beziehungen zu ihrer Mutter gemacht. Die Klägerin, die sich damals – nach ihrem Vortrag – vorgestellt hatte, das Zusammentreffen mit dem Beklagten könne zu einem Versöhnungsgespräch führen, sah sich durch dieses Verhalten des Vaters in ihrer Hoffnung schwer enttäuscht. Wenn die Revision in diesem Zusammenhang die Auffassung vertritt, da die Klägerin von dem Beklagten etwas wolle, liege es zumindest seit Eintritt der Volljährigkeit an ihr, die Initiative zu ergreifen, so kann dieser Ansicht unter den dargelegten Umständen nicht gefolgt werden.
II.
Das Berufungsgericht hat der Klägerin den auf den Beklagten entfallenden Unterhalt(santeil) ungeschmälert zugesprochen und ihren Eigenverdienst nicht auf den Anspruch angerechnet.
1. Dazu hat es ausgeführt: In der Zeit zwischen Erlangung des Abiturs im Mai 1992 und der Aufnahme des Studiums im Herbst 1992 habe die Klägerin ihren Unterhaltsbedarf schon deshalb nicht durch eigene Erwerbstätigkeit decken können und müssen, weil sie noch im Juli 1992 und darüber hinaus an den erheblichen Verletzungen aus dem am 14. Mai 1992 erlittenen Verkehrsunfall zu tragen gehabt habe. Ihr Unterhaltsanspruch werde auch nicht dadurch gemindert, daß sie in der Zeit von November 1992 bis jedenfalls Anfang Oktober 1993 ein – in der Zeit bis Anfang Juli 1993 erzieltes – Erwerbseinkommen von rund 3.950 DM, im Monatsdurchschnitt also von etwa 350 DM, gehabt habe, welches allerdings ohnehin nur anteilig, in Höhe von monatlich 245 DM, auf den von dem Beklagten zu deckenden Unterhaltsbedarf angerechnet werden könnte. Wie in Rechtsprechung und Schrifttum überwiegend angenommen werde, sei ein eigener Verdienst eines Studenten im allgemeinen nur insoweit auf den Barunterhalt anzurechnen, als es der Billigkeit entspreche. Soweit der Fortgang des Studiums nicht leide, also vielfach während der ersten Semester, werde danach ein maßvolles Nebeneinkommen des Studenten nicht auf seinen Unterhaltsanspruch anzurechnen sein. Wegen des geringen Umfangs der Tätigkeit, die ihm gestattet sei, werde meist nicht zu befürchten sein, daß deshalb die Dauer des Studiums verlängert werden müsse. Die Eltern erlitten mithin durch eine solche maßvolle Nebentätigkeit keinen Nachteil, weil nicht die Gefahr bestehe, daß sie länger Unterhalt zahlen müßten. Für den Studenten hingegen könne der Nebenverdienst erhebliche Bedeutung haben, es ihm nämlich ermöglichen, einen niedrigen Lebensstandard, wie er durch einen monatlichen Unterhaltsbetrag von 950 DM vorgegeben sei, durch zusätzliche eigene Anstrengung zu erhöhen. Wäre ein solcher bescheidener Nebenverdienst auf den Unterhaltungsanspruch anzurechnen, dann hätten die Eltern ungerechtfertigterweise den Vorteil des zusätzlichen Arbeitseinsatzes ihres Kindes , und dem Studenten wäre jede Möglichkeit genommen, durch vermehrten eigenen Einsatz seinen bescheidenen Lebensstandard zu erhöhen. Der Unterhaltssatz für Studenten von monatlich 950 DM liege nur um 10 DM über dem Höchstsatz der Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz und um 350 DM unter dem Betrag, der nach der Düsseldorfer Tabelle einem erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen auch gegenüber dem Unterhaltungsanspruch seiner minderjährigen Kinder auf jeden Fall verbleiben müsse. Auch wenn Studenten in mancher Hinsicht finanziell günstiger gestellt seien, könnten sie doch mit monatlich 950 DM auf Dauer nicht über einen - im Vergleich zur übrigen Bevölkerung - sehr bescheidenen Lebenszuschnitt hinausgelangen, zumal die Zimmerpreise an Studienorten oft sehr hoch seien und in dem Unterhaltsbetrag auch Aufwendungen für Bücher, Kleidung, Heimfahrten zur Familie und Urlaubsreisen enthalten sein sollten. Tatsächlich stehe einem nicht geringen Teil der Studierenden bei guten finanziellen Verhältnissen der Eltern ein gemäß § 1610 Abs. 1 BGB am deren Lebensstellung ausgerichteter höherer Unterhaltsanspruch zu. Von da an erscheine es recht und billig, einem Studenten, der wegen des nur durchschnittlichen Einkommens seiner Eltern keinen 950 DM übersteigenden Unterhaltsanspruch habe, durch Nichtanrechnung eines geringen Verdienstes auf den Unterhaltsanspruch die Möglichkeit zu lassen, seinen sehr schlichten Lebenszuschnitt deutlich zu verbessern, soweit dies ohne Beeinträchtigung des Studiums möglich sei. Ein Zusatzverdienst, der im Monatsdurchschnitt bei 350 DM liege, erscheine noch nicht übermäßig. Denn der Student habe dann unter Berücksichtigung gewisser Vergünstigungen nur wenig mehr zur Verfügung als den Betrag, der nach überwiegender Auffassung jedem arbeitenden Menschen auch gegenüber Unterhaltsansprüchen seiner minderjährigen Kinder als Existenzminimum verbleiben müsse.
Im vorliegenden Fall komme hinzu, dass die Klägerin ihre Erwerbstätigkeit im November 1992 offenbar vor allem deshalb aufgenommen habe, weil der Beklagte zunächst längere Zeit keinen Unterhalt gezahlt habe. Erst Ende Dezember 1992 habe die Klägerin durch Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Familiengerichts einen Betrag von 8.000 DM auf die Unterhaltsrückstände erhalten. Sie haben ihre Tätigkeit dann weitergeführt, weil ihre Kosten für die Einrichtung ihrer im März bezogenen Wohnung und für eine Urlaubsreise entstanden seien, die sie bei sonst "normalem "Ausgabeverhalten aus dem laufenden Unterhalt von monatlich 950 DM nicht hätte aufbringen können. Insgesamt erscheine es daher gerechtfertigt, der Klägerin die insoweit erforderlichen, von ihr selbst verdienten Mittel ohne Anrechnung auf ihren Unterhaltsanspruch zu belassen.
2. Diese Beurteilung hält im Ergebnis den Angriffen der Revision stand.
a) Allerdings weist die Revision zu Recht darauf hin, daß die überwiegend allgemein gehaltenen Überlegungen des Berufungsgerichts nicht geeignet sind, den konkreten Einzelfall zu entscheiden und daß sie die gebotene Einzelfallbetrachtung nicht zu ersetzen vermögen. Das Berufungsgericht ist jedoch in der Zusatzbegründung des angefochtenen Urteils auch auf die Besonderheiten des vorliegenden konkreten Falles eingegangen und hat diese als Umstände gewertet, die – zusätzlich und unterstützend zu den als allgemein gültig behandelten Erwägungen – geeignet seien, die getroffene Entscheidung zu rechtfertigen. Jedenfalls die auf diese Zusatzbegründung gestützte Billigkeitsabwägung des Oberlandesgerichts trägt die angefochtene Entscheidung.
b) Nach allgemeiner – zutreffender – Auffassung trifft einen Studenten neben dem Studium in der Regel keine Erwerbsobliegenheit. Denn er soll sich, auch im Interesse des Unterhaltspflichtigen, mit ganzer Kraft sowie dem gehörigen Fleiß und der gebotenen Zielstrebigkeit dem Studium widmen, um dieses innerhalb angemessener und üblicher Dauer zu beenden. Das gilt auch für die Zeit der Semesterferien, die neben der notwendigen Erholung der Wiederholung und Vertiefung des Stoffes dient, soweit sie nicht ohnehin durch studienbedingte Arbeiten (Hausarbeiten) ausgefüllt ist (vgl. Kalthoener/Büttner, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 5. Aufl. Rdn. 474, 475; Strohal in Göppinger/Wax Unterhaltsrecht 6. Aufl. Rdn. 695, 291; Schwab/Borth, Handbuch des Scheidungsrechts, 2. Aufl. V Rdn. 65; Griesche in FamGb § 1602 Rdn. 3; MünchKomm/Köhler BGB 3. Aufl. § 1602 Rdn. 11d; Soergel/Häberle BGB 12. Aufl. § 1602 Rdn. 6; auch Senatsurteil vom 11. Februar 1987 – IVb ZR 23/86 = BGHR BGB § 1610 Abs. 2 Studium 1). Übt ein Student gleichwohl eine (Neben-)Erwerbstätigkeit aus, so stellt die Vergütung, die er hierfür erhält, grundsätzlich Einkommen aus überobligationsmäßiger Tätigkeit dar (vgl. Deisenhofer in Heiß Unterhaltsrecht 12.54; Griesche in FamGb aaO Rdn. 4). Die Anrechnung solcher Einkünfte aus unzumutbarer Tätigkeit bestimmt sich auch im Verwandtenunterhaltsrecht nach dem – hier entsprechend heranzuziehenden – Rechtsgedanken des § 1577 Abs. 2 BGB (vgl. Kalthoener/Büttner aaO Rdn. 480; OLG Köln FamRZ 1991, 856; grundlegend zu § 1577 Abs. 2 Senatsurteil vom 24. November 1982 – IVb ZR 310/81 = FamRZ 1983, 146 ff; anders hingegen, nämlich gestützt auf allgemeine Billigkeitsabwägungen, etwa OLG Koblenz FamRZ 1989, 1219). Danach bleiben Einkünfte anrechnungsfrei, soweit der Unterhaltsverpflichtete nicht den vollen Unterhalt leistet. § 1577 Abs. 2 Satz 1 BGB. Darüber hinaus kommt eine Anrechnung insoweit in Betracht, als dies unter Berücksichtigung der beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse der Billigkeit entspricht. § 1577 Abs. 2 Satz 2 BGB.
c) Das Berufungsgericht hat zwar den Maßstab des § 1577 Abs. 2 BGB bei seinen Ausführungen nicht ausdrücklich herangezogen. Die von ihm nach allgemeinen Billigkeitsgesichtspunkten tatrichterlich getroffene Entscheidung – die als solche nur in eingeschränktem Umfang revisionsrechtlicher Überprüfung unterliegt (vgl. Senatsurteil BGHZ 109, 72, 88) – hält aber auch im Hinblick auf die Kriterien des § 1577 Abs. 2 BGB den Angriffen der Revision stand.
Die Klägerin nahm die Nebenerwerbstätigkeit Mitte November 1992 auf, nachdem ihr der Beklagte seit August 1991 keinen Unterhalt mehr gezahlt hatte. Sie war damit seit der letzten Unterhaltszahlung des Beklagten über ein Jahr lang auf Unterstützung Dritter angewiesen gewesen und hatte darüber hinaus seit der Aufnahme des Studiums und dem Auszug aus der Wohnung der Mutter einen gegenüber der Schul- und Nachschulzeit erhöhten Unterhaltsbedarf. Als sie unter diesen Umständen begann, eigene Erwerbseinkünfte zu erzielen, waren ihr diese – mangels Unterhaltsleistung des Beklagten – sowohl nach dem Rechtsgedanken des § 1577 Abs. 2 Satz 1 BGB als auch unter allgemeinen Billigkeitsgesichtspunkten nicht auf den von dem Beklagten geschuldeten, nachträglich beigetriebenen Unterhalt anzurechnen.
Die Revision hält dem entgegen: Bei Aufnahme der Erwerbstätigkeit der Klägerin habe das Urteil des Familiengerichts vom 18. August 1992 längst vorgelegen. Auch sei unter dem 9. September 1992 eine vollstreckbare Ausfertigung erteilt worden. Anschließend habe die Klägerin die Zwangsvollstreckung betrieben. Sie habe nichts dazu vorgetragen, daß zu erwarten gewesen wäre, die Zwangsvollstreckung werde keinen Erfolg haben. Bei dieser Sachlage erscheine es bedenklich, das Motiv für die Aufnahme der Erwerbstätigkeit in der Nichtzahlung von Unterhalt durch den Beklagten zu sehen.
Mit dieser Rüge kann die Revision keinen Erfolg haben. Die Entscheidung des Berufungsgerichts findet im Gegenteil eine zusätzliche Rechtfertigung in dem Umstand, daß der Beklagte trotz Verkündung des erstinstanzlichen Urteils am 18. August 1992, welches ihn neben den Rückständen zu laufenden Unterhaltszahlungen von monatlich 615 DM verpflichtete, weiterhin keine Zahlungen an die Klägerin leistete, sondern sie auf den Weg der Zwangsvollstreckung verwies und deren Durchführung sogar noch erschwerte. Wann und in welchem Umfang die Zwangsvollstreckung zu einem Erfolg führen würde, war für die Klägerin nicht vorhersehbar. Allein die Aussicht auf die mögliche Beitreibung von Unterhaltsrückständen konnte ihren laufenden Unterhaltsbedarf nicht befriedigen. Tatsächlich erhielt die Klägerin erstmals Ende Dezember 1992 aus der Zwangsvollstreckung einen Betrag von 8.000 DM ausgezahlt, als sich die bis dahin aufgelaufenen Rückstände – auf der Grundlage der Entscheidung des Familiengerichts – bereits auf 9.190 DM beliefen.
Angesichts des erheblichen Nachholbedarfs, den die Klägerin im Jahre 1992 hatte, begegnet es keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, daß ihr das Berufungsgericht trotz des ersten Erfolges der Zwangsvollstreckung die Einkünfte aus ihrer Nebenerwerbsbeschäftigung anrechnungsfrei zur Tilgung der Kosten für die Einrichtung ihrer Wohnung – nach ihrem unbestrittenen Vortrag für eine Küche, einen Kleiderschrank und ein Bett – sowie für die Kosten einer Urlaubsreise beließ. Zu letzterem macht die Revision geltend, Aufwendungen für eine Urlaubsreise gehörten nicht zum anerkennenswerten Bedarf eines Studenten; denn auch ein arbeitender Mensch, dem nur der Selbstbehalt nach der Düsseldorfer Tabelle verbleibe, könne sich mit Sicherheit keine Urlaubsreise leisten. Abgesehen davon, daß dieser Behauptung in ihrer Allgemeinheit so nicht beigetreten werden kann, weil dies entscheidend von den jeweiligen Kosten einer Urlaubsreise abhängt, hat die Billigkeitsentscheidung des Berufungsgerichts aus anderen Gründen auch in diesem Punkt Bestand. Die Klägerin hatte nämlich wegen der Einstellung der Unterhaltszahlungen durch den Beklagten seit August 1991 keine Möglichkeit, etwa laufend geringe Beträge von ihrem Unterhalt für eine Urlaubsreise anzusparen.
Unabhängig hiervon ist im übrigen darauf hinzuweisen, daß der Beklagte erst im Mai 1993 die bis dahin (nach der Berechnung des Familiengerichts) entstandenen Unterhaltsrückstände tilgte und erst in diesem Monat die laufenden Zahlungen wieder aufnahm. Nach dem Rechtsgedanken des § 1577 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 BGB unterliegen daher ohnehin nur die Erwerbseinkünfte der Klägerin aus den Monaten Mai bis (Anfang) Juli 1993 der Billigkeitsprüfung (vgl. insoweit zu der grundsätzlich gebotenen weiten Auslegung des § 1577 Abs. 2 BGB Senatsurteil vom 24. November 1982 aaO S. 149). Angesichts der verhältnismäßig geringen Höhe dieser Einkünfte ist die Entscheidung des Berufungsgerichts zur Anrechnungsfreiheit der Beträge aus den dargelegten Gründen revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Dabei bedarf es entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts keiner grundsätzlichen Auseinandersetzung mit der Frage, ob sich – im Rahmen von § 1577 Abs. 2 Satz 2 BGB – allgemeine Kriterien darüber aufstellen lassen, unter welchen Umständen und bis zu welcher Höhe einem Studenten, der regelmäßig Unterhalt von monatlich 950 DM erhält, Einkommen aus einer neben dem Studium ausgeübten Erwerbstätigkeit anrechnungsfrei zu belassen ist. Soweit das Berufungsgericht hier generell einen Zusatzverdienst bis zur Höhe von monatlich 1.300 DM – angelehnt an das „Existenzminimum”, das jedem arbeitenden Menschen auch gegenüber Unterhaltsansprüchen seiner minderjährigen Kinder verbleiben müsse – für nicht anrechenbar hält, bestehen dagegen allerdings Bedenken.
III.
Zur Höhe des Unterhaltsanspruchs der Klägerin hat das Familiengericht einen Bedarf von 950 DM abzüglich 70 DM Kindergeld angesetzt, von dem der Beklagte nach den Einkommensverhältnissen der Eltern einen Anteil von (rund) 615 DM monatlich zu zahlen habe. Eine Ermäßigung dieses Betrages kommt aus Rechtsgründen nicht in Betracht und wird auch von der Revision nicht geltend gemacht.
Unterschriften
Blumenröhr, Krohn, Nonnenkamp, Gerber, Sprick
Fundstellen
Haufe-Index 949340 |
NJW 1995, 1215 |
FamRZ 2007, 423 |
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