Leitsatz (amtlich)
Der Schutzzweck des Pflichtteilsergänzungsanspruchs erfaßt nur den, der bei der Schenkung schon Pflichtteilsberechtigter war.
Normenkette
BGB § 2325 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 12. Juli 1996 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin verlangt Pflichtteilsergänzung nach ihrem Ehemann, dem am 30. August 1992 verstorbenen Erblasser. Sie war seit dem 12. Dezember 1990 dessen dritte Ehefrau. Die beiden Beklagten, die wie der Erblasser den Arztberuf ergriffen haben, sind seine Söhne aus erster Ehe und seine einzigen Kinder. Ihnen hat er vor der Eheschließung mit der Klägerin die wesentlichen Teile seines Vermögens geschenkt. Für den verbliebenen Nachlaß trat die gesetzliche Erbfolge ein. Erben wurden demgemäß die Klägerin zu 1/2 und die beiden Beklagten zu je 1/4. Im Nachlaßkonkursverfahren stellte sich heraus, daß der Nachlaß zur Befriedigung der angemeldeten Forderungen nicht reichte.
Der Erblasser hatte in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG als Alleingesellschafter auf seinem Grundeigentum in K. eine Migräne-Klinik aufgebaut. Die Grundstücke und die Gesellschaftsanteile hat er im September 1990 – ein Vierteljahr vor der Eheschließung und zwei Jahre vor seinem Todschenkungsweise unter Vorbehalt eines lebenslänglichen Nießbrauchs auf die Beklagten übertragen. Die Klägerin meint, wegen dieser Schenkungen stehe ihr ein Pflichtteilsergänzungsanspruch zu, zumal der wirtschaftliche Erfolg der Zuwendungen wegen des vorbehaltenen Nießbrauchs erst mit dem Erbfall eingetreten sei. Ihren im Wege der Stufenklage erhobenen Auskunftsanspruch haben das Landgericht und das Oberlandesgericht abgewiesen.
Entscheidungsgründe
Die Revision bleibt erfolglos. Der Klägerin steht kein Pflichtteilsergänzungsanspruch aus § 2325 BGB und deshalb auch kein Auskunftsanspruch zu.
I. Es geht um die Frage, ob auch derjenige gemäß § 2325 Abs. 1 BGB Pflichtteilsergänzung fordern kann, der im Zeitpunkt der die Pflichtteilsergänzung voraussetzenden Schenkung noch nicht Pflichtteilsberechtigter war.
1. Diese grundsätzliche Frage hat der Senat durch das Urteil vom 21. Juni 1972 (BGHZ 59, 210) verneint. Das Urteil stellte sich gegen die der Entstehungsgeschichte zu entnehmende Wertung (vgl. zur Entstehungsgeschichte BGHZ 59, 210, 212 f. sowie v. Lübtow, Festschrift für Bosch 1976, 573, 585 ff.) und die einhellige Meinung im Schrifttum (vgl. BGHZ 59, 213 sowie Bosch in FamRZ 1973, 90). Das Schrifttum hat dieses Urteil wiederum abgelehnt (Reinicke, NJW 1973, 597 ff.; vgl. weiter die Nachweise bei Staudinger/Ferid/Cieslar, 12. Aufl. § 2325 Rdn. 33 und bei MünchKomm/Frank, BGB 2. Aufl. § 2325 Rdn. 6 und Fn. 18 und 19). Lediglich Johannsen, der an dem Urteil mitgewirkt hat, und Kühne haben befürwortend argumentiert (LM BGB § 2325 Nr. 8 bzw. JR 1973, 289 f.).
2. Weitere Fälle, in denen es auf diese Frage ankam, sind vom Bundesgerichtshof nicht entschieden worden. Insbesondere haben pflichtteilsberechtigte nachgeborene oder nachadoptierte Kinder nicht geklagt. Das Urteil vom 21. Juni 1972 wollte in einem seine Entscheidung nicht tragenden Teil der Begründung (BGHZ 59, 210, 216) zum Beginn der Anspruchsberechtigung aus § 2325 BGB eine Unterscheidung hinsichtlich ehelicher und nichtehelicher Abkömmlinge treffen. Eine solche unterschiedliche Behandlung erschiene allerdings mit der Wertung des Art. 6 Abs. 5 GG kaum vereinbar (Reinicke, a.a.O. S. 600 unter VI und Kühne, a.a.O. S. 290 letzter Abs.).
3. Die grundsätzliche Frage aber verneint der Senat wiederum. Nur der im Zeitpunkt der Schenkung schon Pflichtteilsberechtigte kann wegen dieser Schenkung Ergänzung seines Pflichtteils verlangen.
a) Der große Senat für Zivilsachen des Bundesgerichtshofs hat 1982 betont, daß Rechtssicherheit und Vertrauensschutz im allgemeinen ein Festhalten an der einmal eingeschlagenen Rechtsentwicklung verlangen. Ein Abgehen von der Kontinuität der Rechtsprechung kann nur ausnahmsweise hingenommen werden, wenn deutlich überwiegende oder sogar schlechthin zwingende Gründe dafür sprechen (BGHZ 85, 64, 66). Der Umstand, daß die Grundsatzfrage in den 25 Jahren nach 1972 nicht wieder an den Bundesgerichtshof herangetragen worden ist, spricht dafür, daß die Untergerichte sie durch das Senatsurteil aus 1972 in dessen Sinn entschieden ansehen. Auch der Beratungspraxis der Rechtsanwälte und Notare liegt diese Auffassung offenbar zugrunde. Das wird insbesondere durch den vorliegenden Fall belegt. Deutlich überwiegende oder gar zwingende Gründe für eine Abkehr von der demgemäß zu bejahenden Kontinuität sieht der Senat nicht. Vielmehr gebietet die erforderliche Auslegung des Gesetzes vom Zweck her dieses Ergebnis.
b) Den Kritikern des damaligen Senatsurteils kann schon in ihrem Ansatz nicht gefolgt werden. Sie halten das Gesetz seinem Wortlaut nach für eindeutig. So schränken sie methodisch ihre Argumentation von vornherein auf das Problem der Auslegung gegen den Wortlaut ein. Für sich betrachtet ist der Wortlaut des § 2325 Abs. 1 BGB aber nicht eindeutig. Er ist jedenfalls auslegungsfähig.
Wer „der Pflichtteilsberechtigte”, also der Gläubiger im Sinne von § 2325 Abs. 1 BGB ist, wird dort nicht erklärt. Den §§ 2303 ff. BGB ist zwar zu entnehmen, daß nur die bei dem Tod des Erblassers von der Erbfolge ausgeschlossenen Abkömmlinge, Ehegatten und Eltern Pflichtteilsberechtigte sein können. Dieser Satz aber wird durch die Bestimmungen in §§ 2305 und 2309 BGB wieder eingeschränkt.
Wenn der Erblasser einem Dritten eine Schenkung gemacht hat, steht dem Pflichtteilsberechtigten der hier fragliche Pflichtteilsergänzungsanspruch aus § 2325 Abs. 1 BGB zu. Ob es auf die Pflichtteilsberechtigung im Zeitpunkt der Schenkung oder im Zeitpunkt des Erbfalls ankommt, sagt das Gesetz nicht ausdrücklich. Ebenso wie der Gesetzeswortlaut bei der Erweiterung der Schuldnerstellung in § 2329 BGB nicht eindeutig ist, indem er die Durchgriffshaftung (dazu LM BGB § 1922 Nr. 12) nicht ausdrücklich ausspricht, folgt eine Einschränkung der Gläubigerstellung in zeitlicher Hinsicht aus § 2325 Abs. 1 BGB, ohne daß sie dort ausdrücklich aufgeführt wird. Dabei kommt es auf die auch von den Kritikern (z.B. Reinicke, a.a.O. S. 597) eingeräumte „Änderung der sozialen Verhältnisse” (dazu weiter Entschließung Nr. 19 des 49. Deutschen Juristentages FamRZ 1972, 556 und das ihr zugrundeliegende Gutachten A von Coing sowie die späteren Gesetzesänderungen der Familienrechtsreform) nicht entscheidend an.
c) Der den Ausschlag gebende wesentliche Sinn der Regelung der §§ 2325 ff. BGB ist, den nächsten Angehörigen, den Pflichtteilsberechtigten, Bestandsschutz zu gewähren. Ihr Pflichtteilsanspruch soll nicht dadurch ins Leere laufen, daß der Erblasser schon zu seinen Lebzeiten alles weggeschenkt hat. Es geht nicht etwa wie in § 2287 BGB um die Mißbrauchsverhinderung (so zutreffend Reinicke, a.a.O. S. 598 unter III). Demgemäß kann es auf die mehr oder weniger zu mißbilligenden Absichten des Schenkers nicht ankommen. Wie der zu entscheidende Fall zeigt, kann es nicht nur verständlich, sondern aus der Sicht des Erblassers sogar geboten sein, daß er sein Lebenswerk rechtzeitig dem dafür besonders ausgebildeten Nachfolger in die Hände legt.
Pflichtteilsanspruch und Pflichtteilsergänzungsanspruch sind nach der Senatsrechtsprechung zwei selbständige Ansprüche mit Unterschieden in der rechtlichen Ausgestaltung (BGHZ 132, 240): der für die Begründung eines Pflichtteilsergänzungsanspruchs kennzeichnende Sachverhalt ist die den Nachlaß beeinträchtigende Schenkung unter Lebenden. Damit wird eine beim Erbfall schon in der Vergangenheit liegende Schenkung zwingend vorausgesetzt, die schon damals den Bestand des nun als Nachlaß zur Verfügung stehenden Vermögens verringert hat. Die objektiv zu beschreibende Wirkweise des § 2325 Abs. 1 BGB führt anerkanntermaßen zu einer Art Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (BGHZ 59, 212 Mitte). Das früher Weggeschenkte wird zur Berechnung der Pflichtteilsergänzung dem noch vorhandenen Nachlaß wieder hinzugerechnet. Dem Gesetz liegt damit in § 2325 Abs. 1 BGB die (rückwärts gewandte) Betrachtung derjenigen tatsächlichen Verhältnisse zugrunde, die im Zeitpunkt der Schenkung maßgeblich waren. Der kennzeichnende Sachverhalt für den Pflichtteilsergänzungsanspruch, nämlich die Beeinträchtigung des Bestandes durch die Schenkung, bezieht sich auf den im Zeitpunkt der Schenkung Pflichtteilsberechtigten. Seine Erberwartung, die sich auf den Bestand im Zeitpunkt der Schenkung stützen kann, läuft wegen dieser Schenkung leer. Er muß wieder eingesetzt werden in seinen Stand vor der Schenkung.
Das führt zu einer Einschränkung des Schutzgedankens. Er kann nicht für denjenigen zum Zug kommen, der nicht schutzbedürftig ist. Wer erst nach der Schenkung Pflichtteilsberechtigter wird, bedarf nicht der Wiedereinsetzung. Er hatte keinen vorigen Stand und kannte keine anderen Vermögensverhältnisse als die nach der Schenkung (BGHZ 59, 215). Bestandsschutz kann ihm – dem Berechtigten beim Zugewinnausgleich vergleichbar – nur gewährt werden für den Bestand, von dem auszugehen er berechtigt war.
Der Bestandsschutzgedanke hat auch Ausdruck gefunden in § 2325 Abs. 3 BGB. Der Beschenkte, der infolge der Regelung des § 2329 BGB zur Herausgabe herangezogen werden kann, soll sich jedenfalls dann auf den Bestand der Schenkung verlassen können, wenn seitdem 10 Jahre vergangen sind. Umgekehrt muß sich derjenige, der im Zeitpunkt der Schenkung beispielsweise als Kind oder Ehegatte des Erblassers pflichtteilsberechtigt ist, trotz der grundsätzlichen Anerkennung seines Interesses am Bestandsschutz mit der im Erbfall 10 Jahre zurückliegenden Schenkung abfinden. Wenn sogar ihm das angesonnen wird, kann erst recht nicht derjenige, der bei der Schenkung überhaupt noch nicht als Pflichtteilsberechtigter vorhanden ist (beachte aber § 1923 Abs. 2 BGB), irgendeinen Bestandsschutz erwarten. Ist kein Pflichtteilsberechtigter vorhanden, dann darf der Beschenkte vorbehaltlos auf den Bestand der Schenkung vertrauen.
Demgemäß kann der Schutzzweck des Pflichtteilsergänzungsanspruchs nur den erfassen, der bei der Schenkung schon Pflichtteilsberechtigter war. Er erfaßt nicht den, der erst nach der Schenkung den Status des Pflichtteilsberechtigten erlangt hat.
II. In den Vorinstanzen haben die Parteien die Besonderheit des Falles in den Vordergrund gerückt, daß der Erblasser sich den Nießbrauch vorbehalten hatte. Sie führt nicht zu einem anderen Ergebnis. Auch das hat das Berufungsgericht richtig gesehen und zutreffend begründet. Die Schenkung war schon vor der mit der Eheschließung einsetzenden Pflichtteilsberechtigung der Klägerin vollzogen (Senatsurteil vom 30. Mai 1990 (IV ZR 254/88 – NJW-RR 1990, 1158 = FamRZ 1991, 352 unter I 1 sowie BGHZ 118, 49, 51 f. und 125, 395, 397)).
Unterschriften
Dr. Zopfs, Dr. Ritter, Dr. Schlichting, Terno, Seiffert
Fundstellen
Haufe-Index 1127384 |
DB 1998, 875 |
NJW 1997, 2676 |
Nachschlagewerk BGH |
ZEV 1997, 373 |
DNotZ 1998, 135 |
JA 1998, 268 |
MDR 1997, 741 |
NotBZ 1997, 172 |
ZNotP 1998, 30 |