Leitsatz (amtlich)
›Den Parteien können die schwerwiegenden Folgen der Versäumung richterlicher Erklärungsfristen nur dann zugemutet werden, wenn die förmlichen Voraussetzungen für eine Nichtzulassung von Angriffs- und Verteidigungsmitteln genau eingehalten werden. Deshalb ist von dem Gericht zu verlangen, daß es sich selbst bei Erlaß seiner Verfügung an die gesetzlichen Zuständigkeitsregelungen hält.‹
Tatbestand
Die Klägerin beauftragte Anfang 1982 etwa ein halbes Jahr nach Scheidung ihrer Ehe die beklagte Rechtsanwältin damit, den Anspruch auf Ausgleich des Zugewinns gegen ihren früheren Ehemann durchzusetzen. In der Folgezeit korrespondierte die Beklagte sowohl mit dem geschiedenen Ehemann der Klägerin als auch mit dessen Prozeßbevollmächtigten. Am 22. Mai 1986 kündigte die Klägerin das Mandatsverhältnis. Eine kurz darauf von einem anderen Rechtsanwalt erhobene Klage auf Zugewinnausgleich ist durch rechtskräftiges Urteil vom 26. April 1988 mit der Begründung abgewiesen worden, der Ausgleichsanspruch sei verjährt.
Mit der Klage verlangt die Klägerin Schadensersatz in Höhe von 250.000 DM, weil die Beklagte es zu vertreten habe, daß der Zugewinnausgleichsanspruch verjährt sei. Mit Verfügung vom 22. März 1989 hat ein Mitglied der zuständigen Zivilkammer des Landgerichts das schriftliche Vorverfahren angeordnet, die Beklagte aufgefordert, binnen einer Notfrist von zwei Wochen anzuzeigen, ob sie der Klage entgegentreten werde, und ihr zur Klageerwiderung eine Frist von weiteren zwei Wochen gesetzt. Nachdem die Beklagte erklärt hatte, sie trete der Klage entgegen, hat der Vorsitzende der Zivilkammer am 11. April 1989 Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 29. Juni 1989 anberaumt. Die Frist zur Klageerwiderung wurde am 25. April 1989 antragsgemäß um zwei Wochen verlängert. Die Klageerwiderung ging jedoch erst am 22. Juni 1989 bei Gericht ein.
Landgericht und Oberlandesgericht haben der Klage in Höhe von 169.214,94 DM nebst Zinsen stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht hat - ebenso wie das Landgericht - seiner Entscheidung nur das Klagevorbringen zugrunde gelegt. Die Einlassung der Beklagten, mit der diese die Klageforderung sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach bestritten hat, hat es gemäß § 528 Abs. 3 ZPO nicht berücksichtigt, weil das Landgericht diesen Vortrag zu Recht nach § 296 Abs. 1 ZPO nicht zugelassen habe. Die Beklagte habe die Frist zur Klageerwiderung, die nach Verlängerung am 9. Mai 1989 abgelaufen sei, nicht eingehalten. Daß das Landgericht das zunächst angeordnete schriftliche Vorverfahren vorzeitig abgebrochen habe, stehe der Wirksamkeit der Fristsetzung nicht entgegen. Eine Zulassung des verspäteten Vorbringens hätte die Erledigung des Rechtsstreits verzögert, weil alsdann Beweis durch Vernehmung einer Zeugin und Einholung eines Sachverständigengutachtens hätte erhoben werden müssen. Dabei könne dahinstehen, ob der Termin vom 29. Juni 1989 als Haupttermin oder als früher erster Termin anzusehen sei. Es habe sich jedenfalls nicht um einen reinen Durchlauftermin gehandelt, in dem eine abschließende Erledigung des Prozesses nicht geplant gewesen sei.
II. Hiergegen wendet sich die Revision mit Erfolg.
1. Das Landgericht hätte das Verteidigungsvorbringen der Beklagten nicht nach § 296 Abs. 1 ZPO unberücksichtigt lassen dürfen. Die Nichtzulassung von Angriffs- und Verteidigungsmitteln wegen Verspätung gemäß § 296 Abs. 1 ZPO setzt eine wirksame Fristsetzung voraus (vgl. BGHZ 76, 236; BGH, Urt. v. 5. März 1990 - II ZR 109/89, NJW 1990, 2389). Bereits daran fehlt es im vorliegenden Fall. Denn die Frist zur Klageerwiderung ist nicht, wie es § 276 Abs. 1 ZPO vorschreibt, von dem Vorsitzenden der Zivilkammer, sondern von einem seiner Beisitzer g setzt worden. Die Verfügung vom 22. März 1989 (Bl. 43 GA) ist nicht von dem Vorsitzenden Richter am Landgericht Dr. G., sondern von dem Richter W. unterzeichnet, der ebenfalls an dem erstinstanzlichen Urteil mitgewirkt hat. Das Berufungsgericht ist zwar irrtümlich davon ausgegangen, daß der Vorsitzende die Verfügung vom 22. März 1989 getroffen habe (BU S. 5 u. 13). Das bindet den erkennenden Senat jedoch nicht. Das Berufungsgericht hat hier keine Feststellung über eine tatsächliche Behauptung getroffen, die nach § 561 Abs. 2 ZPO für das Revisionsgericht bindend wäre. Es befaßt sich vielmehr mit einem Vorgang der Prozeßgeschichte, der in den Gerichtsakten dokumentiert ist. Diese weisen eindeutig aus, daß die Verfügung vom 22. März 1989 nicht von dem Vorsitzenden unterzeichnet ist. Damit ist die entgegenstehende Annahme des Berufungsgerichts widerlegt.
2. Nach § 272 Abs. 2 ZPO bestimmt der Vorsitzende entweder einen frühen ersten Termin zur mündlichen Verhandlung oder veranlaßt ein schriftliches Vorverfahren. Wenn der Vorsitzende keinen frühen ersten Termin bestimmt, fordert er den Beklagten mit der Zustellung der Klage zu der Anzeige auf, ob er sich gegen die Klage verteidigen will, und setzt eine Frist zur schriftlichen Klageerwiderung (§ 276 Abs. 1 ZPO). Diese Anordnung kann nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut nur der Vorsitzende wirksam treffen (ebenso Stein/Jonas/Leipold, ZPO 20. Aufl. § 276 Rdnr. 22). Ob der Vorsitzende auch im Rahmen des § 276 ZPO ein Mitglied des Kollegiums mit der Fristsetzung beauftragen kann, wie dies in § 273 Abs. 2 und § 275 Abs. 1 ZPO vorgesehen ist, braucht im vorliegenden Fall nicht entschieden zu werden (vgl. dazu OLG Oldenburg NdsRpfl 1979, 179). Denn der Richter W. hat weder ›im Auftrag‹ noch ›in Vertretung‹ des Vorsitzenden gehandelt. Jedenfalls in einem solchen Fall ist die Fristsetzung durch ein anderes Mitglied des Spruchkörpers unwirksam. Den Parteien und ihren Bevollmächtigten können die schwerwiegenden Folgen der Versäumung richterlicher Erklärungsfristen nur dann zugemutet werden, wenn die förmlichen Voraussetzungen für eine Nichtzulassung von Angriffs- und Verteidigungsmitteln genau eingehalten werden (vgl. BGHZ 76, 236, 239 f; BGH, Urt. v. 5. März 1990 aaO. S. 2390; v. 16. Mai 1991 - III ZR 82/90, zur Veröffentlichung bestimmt). Zu dem im Bereich des zivilprozessualen Präklusionsrechts ganz besonders strikt zu wahrenden Gebot der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit gehört auch die Forderung, daß sich das Gericht selbst bei Erlaß seiner Verfügung an die gesetzlichen Zuständigkeitsregelungen hält. Aus diesem Grunde kommt auch eine Heilung der mangelhaften Fristsetzung nach § 295 Abs. 1 ZPO nicht in Betracht (BGH, Urt. v. 5. März 1990 aaO. S. 2390; v. 16. Mai 1991 aaO.).
3. Die von der Klägerin aufgeworfene Frage, ob das Landgericht das Verteidigungsvorbringen der Beklagten wirksam nach § 296 Abs. 2 ZPO hätte zurückweisen können, stellt sich nicht. Denn das im Rechtszug übergeordnete Gericht darf die Zurückweisung nicht auf eine andere als die von der Vorinstanz angewandte Vorschrift stützen (BGH, Urt. v. 13. Dezember 1989 - VIII ZR 204/82, NJW 1990, 1302, 1304 m.w.N.).
III. Bereits aus den dargelegten Gründen kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben. Da das Landgericht das Vorbringen der Beklagten nicht nach § 296 Abs. 1 ZPO zurückweisen durfte, war dieses Vorbringen auch in der Berufungsinstanz nicht nach § 528 Abs. 3 ZPO ausgeschlossen.
Die Frage, ob die Nichtzulassung des Verteidigungsvorbringens der Beklagten auch deshalb unzulässig war, weil das Gericht das schriftliche Vorverfahren vorzeitig abgebrochen und keine Frist zur Vorbereitung des Verhandlungstermins gesetzt hat, kann demnach dahinstehen. Dasselbe gilt für die weitere Frage, ob die Nichtzulassung des Vorbringens auch deshalb unzulässig war, weil eine Streiterledigung in dem Termin vom 29. Juni 1989 wegen der erkennbaren Notwendigkeit der Einholung eines Sachverständigengutachtens von vornherein ausschied (vgl. BGHZ 98, 368).
Da das Urteil des Landgerichts an einem wesentlichen Verfahrensmangel leidet, ist die Sache gemäß §§ 539, 565 Abs. 1 ZPO unter Aufhebung auch des Verfahrens zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten beider Rechtsmittel, an das Landgericht zurückzuverweisen (vgl. BGHZ 76, 236, 242). Die Gerichtskosten der Berufungs- und Revisionsinstanz sind wegen unrichtiger Sachbehandlung nicht zu erheben (§ 8 GKG).
Fundstellen
Haufe-Index 2993089 |
NJW 1991, 2774 |
BRAK-Mitt 1992, 63 |
BGHR ZPO § 276 Abs. 1 Satz 2 Fristsetzung 2 |
BGHR ZPO § 296 Abs. 1 Fristsetzung 1 |
DRsp IV(413)216Nr.4a |
WM 1991, 1817 |
MDR 1992, 185 |
DRsp-ROM Nr. 1993/1103 |