Leitsatz (amtlich)
Die notwendigen Schutzvorkehrungen gegen einen drohenden Stützverlust (§ 909 BGB) muß der Vertiefende auf seinem eigenen Grundstück vornehmen. Er darf dazu grundsätzlich nicht in das Eigentum des Nachbargrundstücks eingreifen.
Hat der vertiefende Nachbar auf dem Nachbargrundstück zur Unterfangung von Gebäuden Beton eingebracht, kann dessen Eigentümer die dadurch bedingte Wertminderung als Schadensersatz beanspruchen, ohne daß es darauf ankommt, ob er das Grundstück verkauft oder eine Absicht hierzu hat. Es kommt auch nicht darauf an, ob und wann er sein Grundstück neu bebauen will und dann u.U. zur Beseitigung des Betoneintrags gezwungen sein wird.
Der Umfang eines Schadensersatzanspruchs nach § 22 Abs. 4 i.V.m. § 17 Satz 1 NRG NRW richtet sich nach §§ 249 f BGB.
Normenkette
BGB §§ 909, 823; NRWNachbarrechtsG § 22 Abs. 4, § 17 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 22. Mai 1996 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin ist Eigentümerin mehrerer Grundstücke, die mit Gebäuden bebaut sind, in denen ihr Ehemann ein gewerbliches Unternehmen betreibt. Die Beklagte errichtete auf einem benachbarten Grundstück Neubauten und ließ im Bereich der Grundstücksgrenzen unter den Fundamenten der der Klägerin gehörenden Gebäude zur Unterfangung Beton einbringen, um deren Standfestigkeit zu sichern.
Die Klägerin hat behauptet, die Unterfangung mit über 100 cbm Beton sei ohne ihre vorherige Kenntnis auf ihrem Grundstück vorgenommen worden, obwohl technisch durchaus die Möglichkeit bestanden habe, die notwendigen Stützmaßnahmen allein auf dem Grundstück der Beklagten durchzuführen. Falls sie die Altbebauung abreißen und neue Gebäude errichten wolle (der Zeitpunkt hierfür stehe noch nicht fest) entstünden Beseitigungskosten in der mit der Klage verlangten Höhe. Sie hat beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 118.404 DM nebst Zinsen zu verurteilen; ferner festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet sei, ihr auch alle weiteren Kosten zu erstatten, die durch die Beseitigung und Entsorgung der Betonunterfangung entstünden.
Das Landgericht hat unter Abweisung der Klage im übrigen festgestellt, daß die Beklagte diejenigen besonderen Kosten ersetzen muß, welche entstehen, wenn die Klägerin vor Ablauf des Jahres 1999 den auf ihrem Grundstück eingebrachten Beton entfernen lasse. Das Oberlandesgericht hat auf Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen und die Berufung der Klägerin zurückgewiesen, mit der diese neben ihren bisherigen Hauptanträgen hilfsweise eine Feststellung auf Kostenersatz ohne zeitliche Beschränkung weiterverfolgt hat.
Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin, mit der diese ihre Berufungsanträge weiterverfolgt; die Beklagte beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht meint, sämtliche in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen scheiterten daran, daß der Klägerin kein „vermögensmäßig relevanter Schaden” entstanden sei. Insbesondere könne von einer behaupteten Wertminderung der Grundstücke der Klägerin „zunächst” nicht die Rede sein, weil die Unterfangung die Standfestigkeit der aufstehenden Gebäude sichere. Im Hinblick auf mögliche Beseitigungskosten sei eine Wertminderung ebenfalls nicht ersichtlich, weil nach dem Vortrag der Klägerin offen sei, ob sie die Grundstücke überhaupt in absehbarer Zeit verkaufen oder neu bebauen werde.
II.
Diese Ausführungen halten einer Rechtskontrolle nicht stand.
1. Eine mögliche Anspruchsgrundlage für den Schadensersatzanspruch der Klägerin ist § 823 Abs. 1 BGB. Das Unterfangen von Fundamenten der auf dem Grundstück der Klägerin stehenden Gebäude durch Einbringen von Beton ist nach dem revisionsrechtlich maßgeblichen Sachverhalt eine widerrechtliche Eigentumsverletzung. Die Arbeiten sollen nach der Behauptung der Klägerin ohne ihre Einwilligung (oder die ihres Ehemanns) vorgenommen worden sein. Die Beklagte durfte grundsätzlich die erforderlichen Schutzvorkehrungen gegen den drohenden Stützverlust (vgl. § 909 BGB) nur auf ihrem eigenen Grundstück vornehmen, dazu aber nicht in das Eigentum der Klägerin eingreifen (vgl. Senatsurt. v. 28. Januar 1970, V ZR 7/67, NJW 1970, 608). Das entspricht auch der ganz einhelligen Auffassung in der Literatur (vgl. BGB-RGRK/Augustin, 12. Aufl., § 909 Rdn. 5; Bayer/Lindner/Crziwotz, BayNR, 2. Aufl., S. 121; Dehner, Nachbarrecht, 7. Aufl., Bd. 2 B, § 20 Anm. 4; Erman/Hagen, BGB, 9. Aufl., § 909 Rdn. 2; Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, 7. Aufl., § 16 Rdn. 20; MünchKomm/Säcker, BGB, 2. Aufl., § 909 Rdn. 17; Palandt/Bassenge, BGB, 56. Aufl., § 909 Rdn. 8; Soergel/Baur, BGB, 12. Aufl., § 909 Rdn. 10; Staudinger/Köhler, BGB, 1996, § 909 Rdn. 32).
Von einer landesrechtlichen Duldungspflicht der Klägerin kann nach dem derzeitigen Sachstand nicht ausgegangen werden. § 22 Abs. 3 NRG NRW gestattet unter bestimmten Voraussetzungen nur das Unterfangen einer Grenzwand, das ist nach der Legaldefinition von § 19 NRG NRW zunächst nur die unmittelbar an der Grenze zum Nachbargrundstück errichtete Wand. Wie die Revision geltend macht, hatte die Klägerin vorgetragen, daß ihre Gebäude ca. 60 cm von der Grenze entfernt sind (vgl. GA 119/120; LGU S. 5 und Beweissicherungsgutachten S. 73). Selbst wenn man davon ausgeht, daß § 22 Abs. 3 NRG NRW auch in einem solchen Fall und – wie hier – bei Errichtung eines konstruktiv selbständigen Gebäudes ohne Anbau an das Nachbargebäude anwendbar ist (vgl. OLG Düsseldorf, BauR 76, 71), hat das Berufungsgericht die Voraussetzungen einer Duldungspflicht nicht verfahrensfehlerfrei festgestellt. § 22 Abs. 3 NRG NRW ist eine Ausnahmevorschrift, deren Voraussetzungen die Beklagte vorzutragen und zu beweisen hatte (vgl. Senatsurt. v. 16. März 1979, V ZR 38/75, WM 1979, 644, 649; Schäfer, NRG NRW, 10. Aufl., § 22 Anm. 3 b), nicht – wovon das Berufungsgericht offenbar ausgeht – die Klägerin (vgl. BU 11). Im übrigen hatte diese ausdrücklich mit Beweisangebot (Sachverständigengutachten) behauptet, es sei bautechnisch ohne weiteres möglich gewesen, die Abstützmaßnahmen ohne Einwirkung auf ihr Grundstück durchzuführen. Dann aber mußte die Beklagte diesen Weg wählen (vgl. auch Schäfer, aaO, Anm. 3 a; Dehner, aaO, Bd. 2 B § 20 I 2). Es kann deshalb mit dem Berufungsgericht offenbleiben, ob die Duldungspflicht auch eine schriftliche Anzeige einen Monat vor Beginn der Arbeiten voraussetzt (vgl. § 22 Abs. 4 i.V.m. § 16 NRG NRW) und ob diese Anzeige vorlag.
2. Nicht gefolgt werden kann dem Berufungsgericht, soweit es schon nach dem Vortrag der Klägerin einen Schaden verneint. Auch die Revision geht ersichtlich davon aus, daß ein Herstellungsanspruch (= Beseitigung der Unterfangung, § 249 Satz 1 BGB) wegen Unmöglichkeit ausscheidet und damit die Klägerin auch den dafür erforderlichen Geldbetrag (§ 249 Satz 2 BGB) nicht verlangen kann (vgl. BGHZ 92, 85, 87). Die Klägerin kann aber Geldersatz nach § 251 Abs. 1 BGB beanspruchen. Zu ersetzen ist mithin die Differenz zwischen dem Wert des Grundstücks, wie es sich ohne das schädigende Ereignis darstellen würde, und den durch die Schädigung verminderten Wert (sog. Wertinteresse vgl. z.B. BGH, Urt. v. 22. Mai 1985, VIII ZR 220/84, NJW 1985, 2413, 2415). Die Klägerin hatte ihren Anspruch auf diese Wertminderung ihrer Grundstücke gestützt und dazu mit Beweisangebot (Sachverständigengutachten) behauptet, daß sich der Verkehrswert ihrer Grundstücke durch die Betoneinbringung (behauptet 100 cbm) um die Höhe der Beseitigungskosten verringert habe, zumal ihre Gebäude kaum noch erhaltenswert seien. Im Verkehr werde insoweit auf die Abrißkosten abgestellt. Das Berufungsgericht beruft sich nicht auf eine eigene Sachkunde zur Minderung des Verkehrswerts, sondern hält eine Wertminderung beim Fehlen einer Verkaufsabsicht „denknotwendig” für nicht vorstellbar. Das ist rechtlich unzutreffend. Der Schaden der Klägerin liegt in der Wertminderung und setzt weder einen Verkauf noch eine Absicht hierzu voraus (vgl. BGH, Urt. v. 19. September 1985, VII ZR 158/84, NJW 1986, 428, 429). Unerheblich sind damit auch die Überlegungen des Berufungsgerichts zur Wahrscheinlichkeit eines Erbfalls und der Notwendigkeit eines Verkaufs und dessen Konditionen. Ist die von der Klägerin behauptete Wertminderung eingetreten, so kommt es auch nicht darauf an, ob und wann die Klägerin ihre Grundstücke unter Abriß der alten Gebäude neu bebauen will und dann unter Umständen zur Beseitigung der Betoneinbringung gezwungen sein wird. Das Berufungsurteil kann deshalb mit der gegebenen Begründung nicht aufrechterhalten werden.
3. Dahinstehen kann somit, ob weitere Anspruchsgrundlagen in Betracht kommen. Für die weitere Verhandlung und Entscheidung weist der Senat aber auf folgendes hin:
a) Ein Anspruch der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 909 BGB scheidet entgegen der Auffassung der Revision aus. Die Klägerin verlangt nicht Ersatz eines durch unzulässige Vertiefung verursachten Schadens (mangelnde Standfestigkeit ihrer Gebäude etc.). Sie hat zwar behauptet, die Beklagte habe die Unterfangung unter Mißachtung der einschlägigen DIN-Normen ausgeführt, behauptet aber keinen daraus folgenden Schaden.
b) Im Falle einer von der Klägerin zu duldenden Unterfangung kommt ein Schadensersatzanspruch nach § 22 Abs. 4 in Verbindung mit § 17 Satz 1 NRG NRW in Betracht. Jeder Schaden, der in Ausübung des Unterfangsrechts entsteht, ist nach dieser Vorschrift zu ersetzen. Einen eigenständigen Schadensbegriff führt das Nachbarrechtsgesetz nicht ein. Der Umfang dieses Anspruchs richtet sich deshalb nach §§ 249 ff BGB (vgl. Schäfer, aaO, § 17 Anm. 1). Dann aber ist auch die von der Klägerin verlangte Wertminderung ersatzfähig.
Unterschriften
Hagen, Vogt, Wenzel, Schneider, Klein
Fundstellen
Haufe-Index 1134347 |
NJW 1997, 2595 |
BGHR |
JurBüro 1998, 51 |
Nachschlagewerk BGH |
MDR 1997, 928 |
Englert / Grauvogl / Maurer 2004 2004, 906 |