Verfahrensgang
OLG Oldenburg (Oldenburg) (Urteil vom 30.01.1987) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 30. Januar 1987 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger und seine – im Herbst 1980 verstorbene – Ehefrau verkauften mit notariellem Vertrag vom 19. Mai 1972 ihr Hausgrundstück in F. an die Beklagte. Als Entgelt verpflichtete sich die Beklagte zur Zahlung einer Leibrente und bestellte den Verkäufern als Gesamtgläubigern „ein Wohnrecht an ihrer bisherigen Wohnung, bestehend aus, Stube, Kammer, Küche und Steinküche sowie Nebengelaß und freien Umgang in Haus und Garten”. Heizung und Beleuchtung gehörten nicht dazu. Außerdem verpflichtete sich die Beklagte, die Verkäufer in kranken Tagen zu pflegen oder pflegen zu lassen.
Der Kläger wohnt seit etwa Mitte Dezember 1980 bei den Eheleuten B.
Er hat behauptet, die Beklagte habe es trotz seiner Pflegebedürftigkeit abgelehnt, ihn nach seinem Krankenhausaufenthalt im Herbst 1980 zu betreuen. Seine Wohnung sei zudem nach einem Brand nicht mehr bewohnbar. Er verlangt die Zahlung einer Wohnwertentschädigung sowie die Erstattung ersparter Pflegekosten.
Das Landgericht hat der Klage nach Einholung eines Sachverständigengutachtens im wesentlichen stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage. Der Kläger beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht meint, dem Kläger stehe ein Anspruch auf Zahlung einer Geldrente zu, und zwar vom 1. Januar 1981 bis 31. Januar 1982 nach § 14 Nds. AGBGB und ab 1. Februar 1982 nach § 16 Nds. AGBGB. Da sich aus dem Schreiben des Klägervertreters vom 26. Januar 1981 Anhaltspunkte dafür entnehmen ließen, daß der Kläger zwar vorerst nicht in die Altenteilswohnung habe zurückkehren, diese aber auch nicht endgültig habe aufgeben wollen, könne erst mit Ablauf der in dem Schreiben der Beklagten vom 12. Januar 1982 bis zum Monatsende gesetzten Frist zur Rückkehr angenommen werden, daß der Kläger die Wohnung im Sinne des § 16 Nds. AGBGB „dauernd verlassen” habe. Für die Zeit vorher greife jedoch § 14 Nds. AGBGB ein, weil die Beklagte und ihr Ehemann dem Kläger das Wohnen auf dem Grundstück in nicht mehr zumutbarer Weise erschwert habe. Die dem Kläger zustehende Entschädigung bemesse sich der Höhe nach anhand der von der Beklagten erlangten Vorteile bzw. nach dem Aufwand des Klägers für eine angemessene andere Wohnung.
II.
Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Das Urteil kann schon deswegen keinen Bestand haben, weil das Berufungsgericht keine Feststellungen darüber getroffen hat, daß das Niedersächsische Ausführungsgesetz zum BGB auf das Rechtsverhältnis der Parteien überhaupt anwendbar ist.
Gemäß § 5 Nds. AGBGB gelten, soweit die Parteien nichts anderes vereinbart haben, die Vorschriften des Gesetzes über Altenteilsverträge nur für Schuldverhältnisse aus Verträgen nach Art. 96 EGBGB. Art. 96 EGBGB betrifft Leibgedings-, Leibzuchts-, Altenteils- oder Auszugsverträge, die mit der Überlassung eines Grundstücks in Verbindung stehen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats hat ein Altenteils- oder Leibgedingsvertrag im Sinne dieser Bestimmung in der Regel die Gewährung des Unterhalts zum Inhalt, wobei dem Altenteiler ein Wohnrecht an einem bestimmten Teil des überlassenen Grundstücks gewährt wird. Auf der anderen Seite soll in Verbindung damit dem Übernehmer ein Gut oder ein Grundstück überlassen werden, kraft dessen Nutzung er sich eine eigene Lebensgrundlage schaffen und gleichzeitig den dem Altenteiler geschuldeten Unterhalt gewinnen kann (BGHZ 53, 41, 43; Senatsurt. v. 3. April 1981, V ZR 55/80, NJW 1981, 2528 jew. m.w.N.). Der Wesenszug eines solchen Altenteils liegt in einem Nachrücken der folgenden Generation in eine die Existenz – wenigstens teilweise – begründende Wirtschaftseinheit unter Abwägung der Interessen des abziehenden Altenteilers und des nachrückenden Angehörigen der nächsten Generation. Tritt in einer schuldrechtlichen Vereinbarung demgegenüber der Charakter eines gegenseitigen Vertrages mit beiderseits gleichwertigen Leistungen in den Vordergrund, so kann im allgemeinen nicht angenommen werden, es handele sich um eine Altenteilsvereinbarung (BGHZ 53, 41, 43). Eine Grundstücksübertragung wird daher noch nicht allein durch eine Wohnrechtsgewährung mit Pflege- und Versorgungsverpflichtung zum Altenteilsvertrag im Sinne von Art. 96 (Senatsurt. v. 4. Dezember 1981, V ZR 37/81, DNotZ 1982, 697, 698).
Die für die Annahme eines Altenteilsvertrages danach erforderlichen Voraussetzungen hat das Berufungsgericht nicht festgestellt.
2. Aber auch bei Anwendung des Niedersächsischen Ausführungsgesetzes zum BGB erweist sich das angefochtene Urteil als fehlerhaft.
Soweit das Berufungsgericht für die Zeit vom 1. Januar 1981 bis 31. Januar 1982 Zweifel hat, festzustellen, daß der Kläger die Wohnung im Sinne des § 16 Nds. AGBGB „dauernd verlassen” habe, hätte es auch einen Anspruch aus § 14 Nds. AGBGB nicht bejahen dürfen. Denn diese Vorschrift ist kein Auffangtatbestand für diejenigen Fälle, in denen die Voraussetzungen des § 16 Nds. AGBGB nicht vorliegen. Vielmehr ist es gerade umgekehrt. Deswegen setzt § 14 Nds. AGBGB auch unter anderem voraus, daß der Gläubiger „die Wohnung aufgibt”. Wie dieser Tatbestand im einzelnen zu verstehen ist und ob er über den des „dauernden Verlassens” im Sinne des § 16 Nds. AGBGB noch hinausgeht, bedarf hier keiner Entscheidung. Zumindest stellt er keine geringeren Anforderungen als § 16 Nds. AGBGB. Wenn daher schon nicht festgestellt werden kann, daß der Kläger die Wohnung für dauernd verlassen hat, dann fehlt es erst recht an der Tatsachengrundlage für die Annahme, daß er die Wohnung aufgegeben habe. Mithin hätte das Berufungsgericht die Frage, ob die Voraussetzungen des § 16 Nds. AGBGB schon ab Januar 1981 zu bejahen sind, nicht offen lassen dürfen.
III.
Damit die erforderlichen Feststellungen noch getroffen werden können, ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Sollte sich bei der weiteren Aufklärung des Sachverhaltes herausstellen, daß die Sondervorschriften über Altenteilsverträge nicht anwendbar sind, wird das Berufungsgericht die geltend gemachten Ansprüche unter dem Gesichtspunkt des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zu prüfen haben. Sollte sich dagegen ergeben, daß der Rechtsstreit materiell-rechtlich nach dem Niedersächsischen Ausführungsgesetz zum BGB zu beurteilen ist, wird das Berufungsgericht Gelegenheit haben, sich mit den von der Revision erhobenen Angriffen gegen die Anwendung des Gesetzes auseinanderzusetzen. Dies gilt insbesondere für die Rüge, das Berufungsgericht habe den Vortrag der Parteien zu der Frage, ob der Kläger das Grundstück dauernd verlassen bzw. die Wohnung aufgegeben hat, nicht erschöpfend gewürdigt. Es habe sich vor allem nicht damit befaßt, daß der Kläger nach wie vor unter seiner alten Anschrift polizeilich gemeldet ist und noch Anfang 1982 einen Stromzähler installieren ließ, für den er bis April 1986 die Grundgebühr bezahlte.
Ferner wird das Berufungsgericht zu bedenken haben, daß dem Schreiben der Klägervertreterin vom 16. Februar 1984, in dem sie ankündigte, der Kläger wolle von seinem Wohn- und Pflegerecht wieder Gebrauch machen, eine rechtliche Bedeutung nicht ohne weiteres abgesprochen werden kann, vor allem nicht vor dem Hintergrund, daß der Kläger die Wohnungsschlüssel noch bis 12. August 1985 in Besitz hatte. Die Begründung des Berufungsgerichts vernachlässigt in diesem Zusammenhang den Umstand, daß die beiden Beendigungstatbestände der §§ 14 und 16 Nds. AGBGB nicht nur auf das Verhalten, sondern auch auf die Willensrichtung des Gläubigers abstellen. Soweit das Berufungsgericht davon ausgeht, der Kläger habe aufgrund des Zustandes der Wohnung ohnehin nicht zurückkehren können, ist nicht erkennbar, ob es damit meint, daß der Kläger die in dem Schreiben geäußerte Absicht aus diesem Grunde aufgegeben habe.
Unerheblich ist dagegen der Hinweis der Revision, die Beklagte habe solange keine Veranlassung gehabt, die Wohnung zu renovieren, als der Kläger nicht habe zurückkehren wollen. Denn nach ihrem eigenen Vortrag hat der Kläger die Wohnung zu keiner Zeit aufgeben wollen, so daß die. Beklagte sie auch wieder hätte renovieren müssen.
Bei der Berechnung einer zu zahlenden Entschädigung wird das Berufungsgericht im Rahmen der Ermittlung der Wohnungsgröße schließlich zu berücksichtigen haben, daß die Zugehörigkeit der beiden Zimmer von 9 qm bzw. 12 qm zur Wohnung sich weder aus der in dem notariellen Vertrag erfolgten Erwähnung eines „Nebengelasses”, noch aus der von der Beklagten eingeräumten gemeinschaftlichen Nutzung herleiten läßt. Auch ohne die beiden Räume standen dem Kläger unstreitig noch der Pferdestall und ein weiterer Raum zur Verfügung, die im Vertrag als „Nebengelaß” bezeichnet worden sein können. Die Einräumung eines Mitbenutzungsrechtes rechtfertigt ebenfalls nicht die Annahme, die Räume seien bereits ursprünglich von dem Wohnrecht miterfaßt worden.
Unterschriften
Hagen, Dr. Eckstein, Linden, Lambert-Lang, Wenzel
Fundstellen