Verfahrensgang
OLG Koblenz (Teilurteil vom 23.02.1990) |
Tenor
Auf die Revision der Kläger wird das Teilurteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 23. Februar 1990 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des zweiten Revisionsverfahrens, an den 5. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Mutter des früheren Beklagten (Erblasserin) und deren vorverstorbener Ehemann (Großeltern) hatten zwei Söhne, den früheren Beklagten (künftig! Onkel) und den Väter der Kläger. Während der Onkel Arzt wurde, sollte der Vater der Kläger den Betrieb seiner Eltern (Edelsteinschleiferei und -handel) übernehmen. Dementsprechend setzten die Großeltern einander durch Erbvertrag zu Alleinerben und den Vater der Kläger – ersatzweise dessen Abkömmlinge – zu Erben des überlebenden Teils ein. Der Vater der Kläger starb am 18. Februar 1980 an einem Herzinfarkt. Am 29. Februar 1980 verkaufte die damals 80 Jahre alte Erblasserin das Elternhaus unter Nießbrauchsvorbehalt gegen eine lebenslange Rente von monatlich 1.894 DM an den Onkel. Der Betrieb wurde alsbald eingestellt. Die Großmutter starb am 22. April 1982.
Die Kläger werfen dem Onkel vor, er habe die Erblasserin unter Ausnutzung der durch den plötzlichen Tod des Vaters der Kläger entstandenen Lage ohne begründeten Anlaß in Sorge um ihre künftigen wirtschaftlichen Verhältnisse versetzt und sie dadurch in unredlicher Weise zum Verkauf veranlaßt. Ein Verkauf auf Rentenbasis sei zur Alterssicherung der Erblasserin nicht erforderlich gewesen, da diese weiterhin von dem Familienbetrieb hätte leben können. Mit dem Kauf auf Rentenbasis, der übereilt und hinter dem Rücken der Kläger erfolgt sei, habe sich der Onkel erhebliche finanzielle Vorteile verschafft. Insbesondere sei die Leibrente angesichts des Wertes des Hauses erheblich zu niedrig angesetzt worden, und zwar auch deshalb, weil sie, wie schon damals absehbar, nur etwa zwei Jahre habe gezahlt werden müssen. Die Zahlungen seien zudem nur der Form halber erfolgt, da der Onkel die Beträge sogleich wieder für sich abgehoben habe. Mit der Klage haben die Kläger den Onkel auf Schadensersatz in Anspruch genommen, weil dieser sie in sittenwidriger Weise vorsätzlich geschädigt habe. Aufgrund dessen haben die Kläger beantragt, den Onkel zu verurteilen, Berichtigung des Grundbuchs dahin zu bewilligen, daß der Grundbesitz den Klägern und ihrem Halbbruder in ungeteilter Erbengemeinschaft zustehe, sowie Löschung der von ihm bestellten Grundschulden zu erwirken, weiter hilfsweise die Verpflichtung festzustellen, jedem Kläger ein Viertel des entstandenen Schadens zu ersetzen. Die Vorinstanzen haben die Klage, soweit sie auf Grundbuchberichtigung gerichtet war, für unbegründet gehalten. Dem Hilfsantrag auf Übereignung des Grundbesitzes sowie auf Löschung der Grundpfandrechte haben das Landgericht und zunächst auch das Oberlandesgericht jedoch stattgegeben. Der erkennende Senat hat das erste Berufungsurteil aufgehoben und hat die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen (vgl. BGHZ 108, 73), soweit zum Nachteil der Beklagten entschieden war.
Der Onkel ist inzwischen nachverstorben; der Rechtsstreit wird auf der Beklagtenseite von seiner Ehefrau und Alleinerbin fortgeführt.
Mit seinem zweiten Urteil hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen. Dagegen wenden sich die Kläger mit ihrer Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt wiederum zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. Nach dem Revisionsurteil vom 21. Juni 1989 (BGHZ 108, 73) hatte das Berufungsgericht als erstes zu prüfen, ob die Erblasserin selbst einen Anspruch aus § 826 BGB gegen ihren Sohn Lothar, den früheren Beklagten, erlangt hatte, der auf die Kläger übergegangen wäre. Diese Prüfung fehlt; das Berufungsgericht beschränkt sich vielmehr ausdrücklich auf eine Erörterung möglicher Ansprüche der Kläger aus §§ 812, 138 BGB (BU 8 Abs. 4).
Dem durch Erbvertrag gebundenen Erblasser ist es im allgemeinen unbenommen, durch Rechtsgeschäft unter Lebenden über sein Vermögen zu verfügen. Vor einem Mißbrauch dieser Verfügungsgewalt des Erblassers bietet § 2287 BGB dem Vertragserben einen gewissen Schutz. Diesen bereicherungsrechtlichen Schutz mit Hilfe des § 826 BGB zu einem deliktsrechtlichen Schutz auszubauen, hat der erkennende Senat grundsätzlich abgelehnt (BGHZ 108, 73, 78).
Das bedeutet aber nicht, daß der Erblasser selbst vor einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung durch einen Dritten (hier: durch den früheren Beklagten) nicht geschützt wäre. Vielmehr hat der Senat in BGHZ 108, 73, 78 ausdrücklich betont, daß dem Erblasser in einem solchen Fall auch gesetzliche Schadensersatzansprüche (gegen den Dritten) zustehen können und daß diese gegebenenfalls auch auf seine Erben übergehen.
Wenn das Berufungsgericht eine Prüfung der Voraussetzungen für einen derartigen Anspruch aus § 826 BGB deshalb für entbehrlich halten sollte, weil der Vorwurf sittenwidrigen Handelns des Onkels gegenüber seiner Mutter nicht erhoben sei, dann steht das nicht nur im Widerspruch zum Tatbestand, sondern ist auch nicht vereinbar mit den weiteren Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils (BU 12 Abs. 3 und 5, 14 Abs. 2 und 6, 15 Abs. 1 und 2), wo das Berufungsgericht unter anderem selbst unterstellt und zugrunde legt, daß der Onkel seine Mutter wissentlich und planmäßig „übervorteilt” habe, um damit Abhilfe für seine finanziellen Schwierigkeiten zu schaffen.
Die fehlende Prüfung wird nachzuholen sein.
2. Wäre ein von der Erblasserin ererbter Anspruch aus § 826 BGB nicht begründet gewesen, dann hätte das Berufungsgericht weiter zu prüfen gehabt, ob § 138 BGB eingreift und zur Nichtigkeit des Kaufvertrages vom 29. Februar 1980 führt. Hier kamen – sowohl für Absatz 1 als auch für Absatz 2 – zwei Gesichtspunkte in Betracht (BGHZ 108, 73, 79 unten): Einmal konnte es sich auch hier um sittenwidriges Vorgehen des Onkels gegen seine Mutter handeln. Zum anderen konnte anstößiges Zusammenwirken der Erblasserin mit ihrem Sohn vorliegen.
Für das erstere kommt wiederum eine Übervorteilung der Erblasserin durch den Onkel in Betracht. Auch in diesem Zusammenhang hat das Berufungsgericht es an einer ausreichenden Prüfung fehlen lassen. Nach der Begründung des angefochtenen Urteils hat das Berufungsgericht möglicherweise geglaubt, durch die Ausführungen des erkennenden Senats in BGHZ 108, 80, 81 unter 2 von vornherein gehindert zu sein, eine mögliche Übervorteilung der Erblasserin durch Ihren Sohn als sittenwidrig zu werten, wenn nicht widerlegt sei, daß der frühere Beklagte die Besorgnis der Erblasserin wegen Ihrer Altersversorgung für begründet gehalten hatte. Das wäre jedoch ein Mißverständnis. In Abschnitt II 2 des Revisionsurteils BGHZ 108, 73 ist nur das damals angefochtene erste Berufungsurteil und dessen Begründung behandelt, Insbesondere nämlich der Vorwurf, der frühere Beklagte habe die Erblasserin in sittenwidriger Weise (überhaupt) zu einem Verkauf bewogen. Die Ausführungen betreffen aber nicht auch die – jetzt unterstellte – Fallgestaltung, wonach der frühere Beklagte die Erblasserin übervorteilt haben soll und der Vorwurf der Sittenwidrigkeit sich gerade auf die konkrete Ausgestaltung des Kaufvertrages bezieht. Ein womöglich begründeter Vorwurf der Sittenwidrigkeit in dieser Richtung kann selbstverständlich nicht mit der Begründung entkräftet werden, daß der Großmutter für ihre Altersversorgung tatsächlich oder vermeintlich Geldmittel gefehlt hätten. Auch aus diesen Gründen kann die angefochtene Entscheidung nicht bestehen bleiben.
3. Soweit es um ein anstößiges Zusammenwirken zwischen der Großmutter und ihrem Sohn zum Nachteil der Kläger geht (BGHZ 108, 79 unten), bittet die Revision um Überprüfung der Rechtsauffassung des Senats, die Regelung der §§ 2286, 2287 BGB gehe als Sonderregelung einem eigenen Anspruch der Erben aus § 826 BGB auch dann vor, wenn der Erblasser mit dem Dritten kollusiv zusammengewirkt habe, um die Vertragserben zu schädigen. Indessen handelt es sich bei dieser Äußerung um einen Teil der tragenden Begründung des früheren Revisionsurteils. Davon abgesehen sieht der Senat auch keinen Grund, der es rechtfertigen könnte, von der Linie des Senats in BGHZ 108, 73 wieder abzurücken.
Nicht ausgeschlossen hat der Senat jedoch, daß in einem solchen Fall § 138 Abs. 1 BGB eingreift. Das mag etwa in Betracht kommen, wenn der Erblasser sich unter Lebenden gegenüber dem Schlußerben verpflichtet hat, über bestimmte Gegenstände seines Vermögens nicht zu verfügen (BGHZ 31, 13, 18; 59, 343, 350). Bestünde eine derartige Verpflichtung unter Lebenden, und wäre der Kaufvertrag bewußt darauf gerichtet, diese Verpflichtung zu verletzen, dann dürfte es sich um eine Verleitung zum Vertragsbruch (BGHZ 103, 235, 241 und öfter) handeln, die in Rechtsprechung und Schrifttum als Anwendungsfall des § 138 Abs. 1 BGB anerkannt ist. Der Erbvertrag selbst und die darin enthaltenen erbrechtlichen Bindungen des Erblassers lassen diesem dagegen kraft des § 2286 BGB volle Entschließungsfreiheit für Rechtsgeschäfte unter Lebenden (BGHZ 31, 13, 18); § 138 BGB kann daher hier nur dann in Betracht kommen, wenn weitere Momente hinzutreten. Der Fall einer Verleitung zum Vertragsbruch liegt entgegen der Auffassung der Revision von vornherein nicht vor, wenn neben dem Erbvertrag nicht auch eine Verpflichtung unter Lebenden besteht.
Das Berufungsgericht hat Gelegenheit, die Sache auch unter diesem Gesichtspunkt erneut zu prüfen.
4. Unbegründet ist schließlich, auch die Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe die Beweislast verkannt. Nicht die Beklagte, sondern die Kläger tragen die Beweislast dafür, daß Umstände vorliegen, die den Kaufvertrag wegen Verstoßes gegen die guten Sitten als nichtig erscheinen lassen. Das gilt auch dann, wenn die Erblasserin sich in einem Zustand „chaotischer Eruptionen” befunden haben sollte.
5. Die Kläger haben Gelegenheit, dem Berufungsgericht auch die weiteren Revisionsangriffe vorzutragen.
Unterschriften
Bundschuh, Rottmüller, Dr. Schmidt-Kessel, Dr. Ritter, Römer
Fundstellen
Haufe-Index 1128808 |
NJW 1991, 1952 |