Leitsatz (amtlich)
Die allgemeine Angabe einer Gruppe chemischer Verbindungen (hier: „synthetische Ester”) in einer Vorveröffentlichung offenbart nicht ohne weiteres bestimmte spezielle nicht ausdrücklich genannte Verbindungen dieser Gruppe (hier: Trimellithsäureester und Pyromellithsäureester).
Normenkette
EPÜ Art. 54 Abs. 1-2; PatG § 3 Abs. 1
Verfahrensgang
BPatG (Aktenzeichen 3 Ni 29/95 (EU)) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats III) des Bundespatentgerichts vom 20. Juni 1996 abgeändert.
Das europäische Patent 0 433 405 wird mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 30. Mai 1990 unter Inanspruchnahme der Priorität einer Voranmeldung vom 2. Juni 1989 in Deutschland nach dem Patentzusammenarbeitsvertrag angemeldeten europäischen Patents 0 433 405 (Streitpatents), das eine „Schmierfettzusammensetzung” betrifft. Das Streitpatent umfaßt zwei Patentansprüche, die in der Verfahrenssprache Deutsch wie folgt lauten:
„1. Schmierfettzusammensetzung aus einem Grundöl und einem kleineren Anteil eines Verdickungsmittels auf Basis einer Polyharnstoffverbindung, die das Reaktionsprodukt einer Verbindung der allgemeinen Formel
A(B)n (I)
und einem Amin der allgemeinen Formel H2N-R (II), wobei in den Formeln
A = CH4-n
B = aromatischer Mono- oder Diisocyanatrest
n = 1 - 3
R = Alkyl- oder Alkenylrest mit 8 bis 22 C-Atomen oder Arylrest mit 6 bis 10 C-Atomen ist sowie üblichen Additiven, dadurch gekennzeichnet, daß das Grundöl ein Ester einer aromatischen Di-, Tri- oder Tetracarbonsäure mit einem oder mehreren C7-C18-Alkanolen ist, und das Gemisch aus Grundöl und Verdickungsmittel eine Konsistenz mit einer Penetration von 220 - 385, 0,1 mm aufweist.
2. Schmierfettzusammensetzung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß B in Formel 1 ein 2,4- und/oder 2,6 Toluylendiisocyanatrest ist.”
Die Klägerin hat unter Hinweis auf die DDR-Patentschriften 235 801 (K3) und 238 167 (K4) sowie die deutschen Offenlegungsschriften 24 47 371 (K6) und 33 03 442 (K5) als Stand der Technik geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig.
Sie hat beantragt, das Streitpatent mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären. Die Beklagte hat das Streitpatent vor dem Bundespatentgericht nur eingeschränkt in der Weise verteidigt, daß in Patentanspruch 1 an die Stelle der Worte „ein Ester einer aromatischen Di-, Tri- oder Tetracarbonsäure” die Worte „ein Ester der Trimellith- oder Pyromellithsäure” treten. Das Bundespatentgericht hat das Streitpatent entsprechend der eingeschränkten Verteidigung unter Abweisung der weitergehenden Klage für nichtig erklärt. Wie sich aus den Urteilsgründen ergibt, hat es Patentanspruch 2 auf den neu gefaßten Patentanspruch 1 rückbezogen.
Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter, das Streitpatent in vollem Umfang für nichtig zu erklären. Sie stützt sich nunmehr weiter auf eine eigene offenkundige Vorbenutzung des Schmierfetts „Thermoplex 2 TML” seit dem Jahr 1987.
Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen. Sie hat Anschlußberufung eingelegt sowie fünf Hilfsanträge vorgelegt; dementsprechende Anträge hat sie im Termin zur mündlichen Verhandlung jedoch nicht gestellt.
Als gerichtlicher Sachverständiger hat Dr. N. M., H., ein schriftliches Gutachten erstellt, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat. Die Beklagte hat ein Gutachten der Patentanwältin Dr. H. K. eingereicht.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Nichtigkeitsklägerin führt zur Abänderung des angefochtenen Urteils und zur Nichtigerklärung des Streitpatents in vollem Umfang.
I. Das Streitpatent betrifft eine Schmierfettzusammensetzung.
1. Die Beschreibung des Streitpatents schildert Schmierfettzusammensetzungen, die aus einem Grundöl, einem kleineren Anteil eines Verdickungsmittels auf der Basis einer Polyharnstoffverbindung sowie aus üblichen Additiven bestehen, als z.B. aus der deutschen Offenlegungsschrift 33 03 442 bekannt; dort sei das Grundöl ein Mineral- oder Syntheseöl und das Verdickungsmittel das Reaktionsprodukt eines Isocyanats mit mindestens drei Isocyanatgruppen im Molekül mit einem langkettigen aliphatischen Monoamin vorzugsweise mit 16 bis 24 C-Atomen. Solche Zusammensetzungen seien für Dauereinsatztemperaturen von 150 bis 160°C brauchbar.
2. Durch das Streitpatent soll, wie sich den Angaben über die Vorteile der Erfindung in der Beschreibung des Streitpatents entnehmen läßt, eine Schmierfettzusammensetzung zur Verfügung gestellt werden, die, insbesondere bei mechanisch bewegten Teilen in elektronischen Apparaten, geräuschdämpfend wirkt und die Temperaturen bis zu 180°C aushalten kann (Beschreibung S. 2 Z. 13-16). Dies entspricht im wesentlichen den Angaben des gerichtlichen Sachverständigen wie denjenigen in dem von der Beklagten vorgelegten Gutachten.
3. Hierzu lehrt das Streitpatent in seinem entsprechend der Entscheidung des Bundespatentgerichts verteidigten Patentanspruch 1 eine Schmierfettzusammensetzung
(1) |
aus folgenden Bestandteilen: |
(1.1) |
einem Ester der Trimellith- oder Pyromellithsäure mit einem oder mehreren C7-C18-Alkanolen als Grundöl, |
(1.2) |
einem Verdickungsmittel in kleinerem Anteil |
(1.2.1) |
auf Basis einer Polyharnstoffverbindung, |
(1.2.1.1) |
die das Reaktionsprodukt ist aus |
|
a) |
einer Verbindung der allgemeinen Formel A(B)n, wobei bedeutet: A: CH4-n B: aromatischer Mono- oder Diisocyanatrest n: 1 - 3, und |
|
b) |
einem Amin der allgemeinen Formel H2N-R, wobei R einen Alkyl- oder Alkenylrest mit 8 - 22 C-Atomen oder einen Arylrest mit 6 - 10 C-Atomen bezeichnet, |
(1.3) |
sowie üblichen Additiven; |
(2) |
wobei das Gemisch aus Grundöl und Verdickungsmittel eine Konsistenz mit einer Penetration von 220 - 385 mal 0,1 mm aufweist. |
4. a) Bei den als Grundöl verwendeten Estern der Trimellithsäure (die 1, 2, 4-Benzol-tricarbonsäure; Honigsäure) und der Pyromellithsäure (1,2,4,5-Benzol-tetracarbonsäure) handelt es sich um Reaktionsprodukte der genannten Säuren mit einem oder mehreren näher definierten Alkanolen (Alkoholen). Bei den genannten Säuren sind an einen aromatischen, d.h. auf einem Benzolring aufbauenden Alkylrest drei (Trimellithsäure) bzw. vier (Pyromellithsäure) Carboxyl-Gruppen [-COOH] angelagert (vgl. Anl. A 3 c, d zum Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen; Beispiele 2 und 3 der Beschreibung des Streitpatents; vgl. auch Gutachten Dr. K. S. 4 f). Bei der Umsetzung mit den genannten Alkanolen (Alkoholen) entsteht (unter Abspaltung von Wasser) der entsprechende Carbonsäureester. Dabei werden statt der Carboxyl-Gruppen an den Alkylrest entsprechende Ester-Gruppen [-COOR'] angelagert, wobei R' entsprechend der Lehre des Streitpatents einen C7-C18-Alkylrest bedeutet (vgl. Anl. A 3 d, e, 4 a, b zum Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen; Gutachten Dr. K. S. 5). Die Zahl der C-Atome der Alkohol-Komponente beeinflußt die chemisch-physikalischen Eigenschaften des Schmierstoffs entscheidend (Anl. A 3 a zum Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen).
b) Das Verdickungsmittel basiert auf einer Polyharnstoffverbindung. Harnstoff ist das Diamid der Kohlensäure, bei dem an einen CO-Rest zwei NH2-Gruppen angelagert sind. Das Verdickungsmittel ist Reaktionsprodukt aus einer Verbindung der Formel I, wobei die Beispiele des Streitpatents Toluylendiisocyanat und Diphenylmethan-isocyanat nennen, mit einem Amin der Formel H2N-R, wobei R einen (aliphatischen) Alkyl- oder Alkylenrest mit 8 - 22 C-Atomen oder einen Arylrest mit 6 - 10 C-Atomen bezeichnet. Nach den unwidersprochen gebliebenen Erläuterungen des gerichtlichen Sachverständigen werden hierdurch auch cycloaliphatische Reste erfaßt. Hierzu nennen die Beispiele des Streitpatents Anilin und Octylamin.
c) Bei den „üblichen Additiven” kann es sich um solche zum Oberflächenschutz, um Leistungsadditive und um Schmierstoffschutzadditive handeln (vgl. Anl. A 6 des Gutachtens des gerichtlichen Sachverständigen).
d) Die Angaben zur Penetration drücken zahlenmäßig die Konsistenz des Schmierfetts aus. Unter Penetration wird die Eindringtiefe eines genormten Kegels in eine Fettprobe bei einer Prüftemperatur von 25°C in Zehntelmillimetern verstanden. Der angegebene Wert entspricht einer Konsistenz von mittel bis außerordentlich weich oder den Klassen 3, 2, 1 und 0 des National Lubricating Grease Institute (NGLI-Zahlen, vgl. Anl. A 7 zum Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen; Gutachten Dr. K. S. 8).
II. 1. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents in seiner verteidigten Fassung ist neu. Keine der Entgegenhaltungen beschreibt eine Schmierfettzusammensetzung mit einem Ester der Trimellith- oder Pyromellithsäure und einem Verdickungsmittel der in Patentanspruch 1 bezeichneten Beschaffenheit.
a) Die deutsche Offenlegungsschrift 33 03 442 beschreibt eine Schmierfettzusammensetzung auf Basis eines größeren Anteils an Mineral- oder Syntheseöl als Grundöl und eines kleineren Anteils Polyharnstoff als Verdickungsmittel sowie Verfahren zur Herstellung der Zusammensetzung. Über die Grundöle ist lediglich ausgesagt, daß naphtenbasische Grundöle bevorzugt werden, aber auch paraffinbasische Grundöle verwendet werden können, von denen sich alle üblichen Klassen als prinzipiell geeignet erwiesen, auch wenn hinsichtlich der Kombination mit einem Polyharnstoffharz einzelne Glieder der jeweiligen Gruppen bessere Ergebnisse lieferten. Typische Beispiele für geeignete Syntheseöle seien Polyalphaolefine, Glykole, Ester, Alkylbenzole und in organischen Lösungsmitteln lösliche Silikonöle (Beschreibung S. 8 3. und 4. Abs.).
Die Offenlegungsschrift offenbart somit als Grundöl lediglich allgemein nicht näher bezeichnete synthetische Ester, nicht aber Ester der Trimellith- oder Pyromellithsäure. Eine derart allgemeine Vorbeschreibung nimmt die vom Streitpatent erfaßten Ester jedenfalls nicht ohne weiteres im Sinn des Art. 54 EPÜ vorweg, da der Fachmann, als den der Senat im wesentlichen in Übereinstimmung mit dem gerichtlichen Sachverständigen und dem Gutachten Dr. K. einen auf einer wissenschaftlichen Hochschule ausgebildeten Chemiker mit mehrjähriger Erfahrung auf dem Gebiet der Herstellung von Schmiermitteln ansieht, aus dieser allgemeinen Angabe nicht die Erkenntnis gewinnt, daß gerade oder doch zumindest auch die speziellen Ester gemeint sind, für die in der verteidigten Fassung des Streitpatents Schutz beansprucht wird (vgl. EPA T 12/90 EPOR 1990, 312 - E-Isomere, Entscheidungsgründe unter 2.6.; so auch R. Rogge GRUR 1996, 931, 937 ff; so jedenfalls im Ergebnis schon für das frühere nationale Recht BGHZ 103, 150, 156 f. - Fluoran; vgl. auch Benkard/Ullmann PatG GebrMG 9. Aufl. Rdn. 31, 86 zu § 3 PatG; Busse PatG 5. Aufl. Rdn. 141 zu § 3 PatG). Auch wenn hierfür eine ausdrückliche Nennung nicht erforderlich ist, kann in den Offenbarungsgehalt der Vorveröffentlichung nur das mit einbezogen werden, was der Fachmann bei aufmerksamer Lektüre ohne weiteres erkennt und in Gedanken mitliest (vgl. dazu BGHZ 128, 270, 276 f. - elektrische Steckverbindung).
b) Die deutsche Offenlegungsschrift 24 47 371 (K6) betrifft Verfahren zur Herstellung von Benzophenoncarbonsäureestern und deren Homologen sowie Schmierstoffe, die diese enthalten. Die Veröffentlichung erwähnt (Beschreibung S. 2) Ester einfacher aromatischer Carbonsäuren. Sie lehrt Verbindungen, die – wie die beiden an Benzolringen angelagerten Ester-Gruppen ausweisen – Ester je nach Subtitution der Reste R3, R4 und R5 in Formel II der Veröffentlichung einer aromatischen Di-, Tri- oder Tetracarbonsäure (vgl. angefochtenes Urteil S. 11; vgl. auch die Angaben zu den Carboxyl-Gruppen in der Beschreibung S. 7 dritter Absatz) sind. Bei ihnen handelt es sich jedoch, wie die vorhandenen Carbonyl-Gruppen [≫C=O] in Formel I der Veröffentlichung, an die jeweils Reste angebunden sind, zeigen, nicht um Ester der Trimellith- oder Pyromellithsäure; allerdings erwähnt die Beschreibung dieser Offenlegungsschrift – wenn auch in anderem Zusammenhang (S. 8 vierter Absatz) – Ester der Trimellithsäure als übliches Schmiermittel. Die Veresterung erfolgt hier mit primären oder sekundären einwertigen aliphatischen Alkoholen von 3 bis 20, vorzugsweise 4 bis 14 Kohlenstoffatomen (Beschreibung S. 3 erster Absatz am Ende; S. 7 f).
Die Entgegenhaltung offenbart weiter Schmierfette, bei denen zugleich Verdickungsmittel und Zusatzstoffe eingesetzt werden (Beschreibung S. 9 zweiter Absatz); zur Verwendung in dieser Form werden jedoch nur solche Carbonester vorgeschlagen, die den Bedingungen der Formel I dieser Veröffentlichung genügen; hiervon werden Trimellith- und Pyromellithsäureester nicht erfaßt.
Als Verdickungsmittel wird Polyharnstoff ausdrücklich genannt (Beschreibung S. 9 zweiter Absatz). Nach den Angaben des gerichtlichen Sachverständigen, an deren Richtigkeit der Senat zu zweifeln keinen Anlaß hat, entnimmt der Fachmann dieser Veröffentlichung auch weitergehend Verdickungsmittel, die der Lehre des Streitpatents entsprechen. Jedoch offenbart die Offenlegungsschrift diese Verdickungsmittel nicht in einer Schmierfettzusammensetzung, die Trimellith- oder Pyromellithsäureester als Grundöl enthält.
c) Die DDR-Patentschrift 235 801 (K3) betrifft Eindicker für Schmierflüssigkeiten auf der Basis von Polyharnstoffen. Als Grundöle (Schmierflüssigkeiten) sind Dicarbonsäureester und insbesondere Dioktylphthalat genannt. Es handelt sich somit nicht um Gruppen von Estern, zu denen der Trimellith- und der Pyromellithsäureester gehören.
d) Im wesentlichen gleiches gilt für die DDR-Patentschrift 238 167 (K4).
e) Hinsichtlich der geltend gemachten Vorbenutzung kommt eine neuheitsschädliche Vorwegnahme schon deshalb nicht in Betracht, weil hier die Verdickung nach den Angaben der Klägerin mit Lithiumseife und nicht mit einem Verdickungsmittel auf Polyharnstoffbasis erfolgt.
2. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents in seiner verteidigten Fassung ergab sich für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik und beruht somit nicht auf erfinderischer Tätigkeit (Art. 56 Abs. 1 EPÜ).
a) Die Bestandteile der Schmierfettzusammensetzung, wie sie das Streitpatent in seinem Patentanspruch 1 lehrt, waren für sich bekannt. Dies ist unter den Parteien auch nicht streitig.
aa) Die Verwendung von Trimellithsäureester von Alkoholen mit 8 bis 16 Kohlenstoffatomen als übliches Schmiermittel wird schon in der deutschen Offenlegungsschrift 24 47 371 beschrieben. Der gerichtliche Sachverständige hat hierzu erläutert, daß dieser Ester schon in den siebziger Jahren als Schmieröl zum Einsatz kam und jedenfalls seit Anfang der achtziger Jahre wegen seiner bekannt guten Temperaturbeständigkeit als Grundöl bei Hochleistungsschmierstoffen, insbesondere bei Schmierfetten, verwendet wurde.
bb) Auch Verdickungsmittel auf der Grundlage einer Polyharnstoffverbindung waren dem Fachmann am Prioritätstag des Streitpatents geläufig. Dies ergibt sich sowohl aus der deutschen Offenlegungsschrift 33 03 442 (K5) und der deutschen Offenlegungsschrift 24 47 371 (K6) als auch aus den DDR-Patentschriften 235 801 (K3) und 238 167 (K4) und wird letztlich auch von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen. Das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen spricht (S. 10) von einem „bekannten, thermisch stabileren Verdicker”; dies hat der gerichtliche Sachverständige bei seiner Anhörung bestätigt. Auch das Gutachten Dr. K. zieht letztlich nicht in Zweifel, daß die Polyharnstoffverbindungen, die das Streitpatent lehrt, als solche bekannt waren, wenn es auf eine „ausgewählte Gruppe von Verbindungen aus den Polyharnstoffverbindungen” abstellt (S. 16). Der Senat ist auf dieser Grundlage davon überzeugt, daß die patentgemäßen Verdickungsmittel dem Fachmann am Prioritätstag des Streitpatents als solche zur Verfügung standen.
cc) Hinsichtlich der Additive will das Streitpatent ersichtlich nicht von den nach dem Stand der Technik üblichen Substanzen abweichen.
b) Der Senat ist mit dem gerichtlichen Sachverständigen davon überzeugt, daß es für den Fachmann nahelag, aus Estern der Trimellithsäure bestehende Grundöle Verdickern auf der Grundlage von Polyharnstoffverbindungen zu kombinieren und übliche Additive zuzufügen.
Wie eine Zusammenschau der Entgegenhaltungen belegt, bestehen Schmierfettzusammensetzungen regelmäßig aus einem Grundöl und einem Verdicker unter Zufügung üblicher Additive. Die Zusammenstellung einer Schmierfettzusammensetzung aus diesen Komponenten an sich mußte dem Fachmann daher geläufig sein. Stellte der Fachmann weiter fest, daß die zur Verfügung stehenden Schmierfettzusammensetzungen den Anforderungen der Praxis in bezug auf Temperaturbeständigkeit und/oder Geräuschentwicklung nicht genügten, bestand für ihn Anlaß auszuprobieren, ob mit neuen Kombinationen bekannter Komponenten bessere Ergebnisse zu erzielen sein konnten. Anregungen hierzu erhielt der Fachmann insbesondere aus der deutschen Offenlegungsschrift 33 03 442 (K5), in der die Frage der Temperaturbeständigkeit ausdrücklich angesprochen ist. Diese Entgegenhaltung sucht höhere Dauereinsatztemperaturen durch eine Verbesserung des Verdickungsmittels zu erreichen und schlägt zu diesem Zweck ein solches vor, das der Lehre des Streitpatents entspricht. War der Fachmann mit dem hierdurch erreichten Ergebnis noch nicht zufrieden, mußte es sich für ihn aufdrängen zu versuchen, Verbesserungen auch bei den anderen Komponenten, nämlich bei den Additiven und beim Grundöl zu erreichen. Damit war für ihn der Weg vorgezeichnet, den Einsatz eines bekanntermaßen über eine gute thermische Beständigkeit verfügenden Grundöls in Betracht zu ziehen. Auf der Suche nach einem solchen mußte er nahezu zwangsläufig auf den Ester der Trimellithsäure stoßen, dessen gute thermische Eigenschaften, wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend angegeben hat, bereits Ende der siebziger Jahre bekannt waren und das sich beim Einsatz in Maschinen der Textil- und der Holzindustrie bereits bewährt hatte. Zudem war nach den Angaben des gerichtlichen Sachverständigen auch dessen gemeinsamer Einsatz mit Verdickungsmitteln auf Polyharnstoffbasis bereits vor dem Prioritätszeitpunkt des Streitpatents bekannt. Wollte der Fachmann somit dem Markt eine besonders temperaturbeständige Schmierfettzusammensetzung zur Verfügung stellen, bot sich der Versuch einer Kombination aus einem Grundöl und einem Verdickungsmittel wie im Streitpatent beschrieben als naheliegende Möglichkeit an; der gerichtliche Sachverständige, dessen Sachkunde außer Zweifel steht, hat hierzu eindrucksvoll erklärt, die Lehre des Streitpatents habe „in der Luft gelegen”.
Eine erfinderische Leistung kann in der patentgemäßen Kombination von Grundöl und Verdickungsmittel auch im Umfang der eingeschränkten Verteidigung des Grundöls selbst dann nicht gesehen werden, wenn man berücksichtigt, daß diese Bestandteile wie deren vorteilhafte Eigenschaften bereits seit einigen Jahren bekannt waren und gleichwohl zunächst nicht miteinander kombiniert wurden. Dabei kann offenbleiben, ob diese Kombination deshalb nicht früher verwirklicht wurde, weil ein entsprechender Bedarf erst im Lauf der Zeit aufgetreten sein mag. Jedenfalls hat nämlich der gerichtliche Sachverständige überzeugend erläutert, daß es zunächst auf Grund des allenfalls nur geringen Bedarfs an Schmierfettzusammensetzungen mit entsprechenden Eigenschaften nicht wirtschaftlich gewesen sei, solche herzustellen. Solche allein auf wirtschaftlichen Gründen beruhende Schwierigkeiten sprechen aber nicht gegen ein Naheliegen der Erfindung (vgl. Sen.Urt. v. 4. Dezember 1990 - X ZR 11/88, Umdruck S. 14). Von einem „glücklichen Griff” aus der Fülle der Möglichkeiten, auf den sich die Patentinhaberin berufen hat, kann nach den gesamten Umständen keine Rede sein.
c) Bei der Konsistenz der Schmierfettzusammensetzung nach dem Streitpatent handelt es sich ersichtlich um übliche Werte, die eine erfinderische Leistung nicht begründen können.
d) Hinsichtlich der in Patentanspruch 1 des Streitpatents in seiner verteidigten Fassung beanspruchten Schmierfettzusammensetzungen kann eine erfinderische Leistung auch nicht mit einer überraschenden überlegenen Wirkung begründet werden (vgl. hierzu Benkard/Bruchhausen, aaO, Rdn. 36 zu § 4 PatG; Busse, aaO, Rdn. 89 zu § 4 PatG). Auch wenn die dem verteidigten Patentanspruch 1 entsprechenden Zusammensetzungen neben einer guten Temperaturbeständigkeit weiter ein besonders gutes Geräuschverhalten aufweisen, wovon der Senat mit dem gerichtlichen Sachverständigen ausgeht, ist nicht erkennbar, daß dieser Vorteil überraschend wäre. Zunächst liegt die Erwartung nahe, daß ein aus aufwendigeren und als solche bekannt guten Bestandteilen hergestelltes Stoffgemisch insgesamt gute Eigenschaften aufweist. Weiter hat der gerichtliche Sachverständige überzeugend darauf hingewiesen, daß es für das Geräuschverhalten wesentlich auf die Verarbeitung ankommt und daß eine extrem feine Homogenisierung zu günstigen Voraussetzungen für ein gutes Geräuschverhalten führt. Die Beschreibung des Streitpatents (S. 3 Z. 3 - 5) weist ebenfalls darauf hin, daß dem Homogenisierungsvorgang besondere Bedeutung für das Geräuschverhalten zukommt; hierbei handelt es sich ersichtlich nicht um eine Erkenntnis, die erst das Streitpatent der Allgemeinheit vermittelt hat, dies um so mehr, als die Bearbeitung in den Patentansprüchen des Streitpatents keinerlei Niederschlag findet. Auch die – als solche zu erwartende – thermische Stabilität ist hierfür von Vorteil, weil sie Inkrustierungen entgegenwirkt, die zur Geräuschbildung beitragen können.
e) Der Verneinung einer erfinderischen Leistung steht es nicht entgegen, daß die Schutzfähigkeit sowohl im Patenterteilungsverfahren wie von der Vorinstanz des jetzigen Verfahrens abweichend beurteilt worden sind. Auch wenn es sich insoweit um fachliche Beurteilungen von einigem Gewicht handelt, die der Senat bei seiner Entscheidungsfindung zu erwägen hat, kann nicht außer Betracht gelassen werden, daß für die Prüfungsabteilung des Europäischen Patentamts ersichtlich die Erwägung maßgeblich war, die Schmierfettzusammensetzungen nach dem Streitpatent erreichten eine überraschende überlegene Wirkung. Dabei kann dahinstehen, ob eine solche Bewertung auf Grund der seinerzeit vorgelegten Unterlagen schon deshalb nicht tragfähig sein mag, weil der Vergleich gegenüber handelsüblichen Vergleichsfetten durchgeführt wurde, worauf die Klägerin in der mündlichen Verhandlung hingewiesen hat (vgl. hierzu EPA T 164/83, ABl. EPA 1987, 149, 154 f. = GRUR Int. 1987, 591, 592 - Antihistaminika; EPA T 172/90 - Instant-Tees, Entscheidungsgründe unter 7.2.; Benkard/Bruchhausen, aaO, Rdn. 38 zu § 4 PatG; Busse, aaO, Rdn. 187 zu § 4 PatG). Der Senat kann eine solche überraschende Wirkung nämlich nicht feststellen. Der Beurteilung des Bundespatentgerichts kann der Senat darüber hinaus auch deshalb nicht beitreten, weil dieses den Umstand außer acht gelassen hat, daß die gute Temperaturbeständigkeit der Trimellithsäureester dem Fachmann geläufig war.
3. Ein dem Einsatz von Ester der Trimellithsäure als Grundöl einschließender Patentschutz kann nach alledem keinen Bestand haben.
Die Beklagte hat auf Befragen in der mündlichen Verhandlung nicht zum Ausdruck gebracht, daß sie auf einen ausschließlich auf den Einsatz von Pyromellithsäure als Grundöl eingeschränkten Patentschutz Wert legt und daß die Patentfähigkeit insoweit anders zu beurteilen ist als hinsichtlich des Einsatzes von Ester der Trimellithsäure. Weitere Feststellungen hierzu sind deswegen entbehrlich.
III. Ein eigenständiger erfinderischer Gehalt des Patentanspruchs 2, in dem B in Formel I als ein 2,4- und/oder 2,6-Toluylendiisocyanatrest bezeichnet ist, ist weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf dem nach der Übergangsregelung in Art. 29 Abs. 2 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Patentgesetzes und anderer Gesetze (2. PatGÄndG) übergangsweise weiterhin anwendbaren § 110 Abs. 3 Satz 1, 2 PatG in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. Dezember 1980 in Verbindung mit §§ 91, 97 ZPO.
Unterschriften
Rogge, Melullis, Scharen, Keukenschrijver, Mühlens
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 30.09.1999 durch Wermes Justizhauptsekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 539391 |
NJW-RR 2000, 636 |
GRUR 2000, 296 |
Nachschlagewerk BGH |
Mitt. 2000, 67 |